Guten Tag,
es folgt ein Beitrag von einer Gruppe von Menschen, die gestern die Fassade der "Mohren"-Apotheke in Wolfsburg verschönert haben. Anbei Fotos des Resultats.
MfG
Rüben gegen Rassismus
Gestern, 10.3.23, Rothenfelder Str. 23 Wolfsburg. Wir haben uns dazu entschieden, die ehemalige „Mohren“-Apotheke, im kleinen Kreis aber dennoch feierlich, in Möhren-Apotheke umzubenennen. Abgesehen von dem größeren Wert, den wir in diesem ästhetischen und vitaminreichen Wurzelgemüse als Namensgeberin für eine Apotheke sehen, geschah dies, um die Auseinandersetzung über rassistische Stereotype voranzutreiben.
Diese wurden sowohl im früheren Namen als auch besonders im Logo der Apotheke reproduziert. Um den Inhabern Kosten und Mühen für die Umbenennung zu ersparen, haben wir unseren eigenen knackigen Vorschlag eingebracht, für den es nur zusätzliche 2 Punkte braucht.. An der Tür hinterlassen haben wir diesen Erklärungstext:
Um die Situation einzuschätzen ist zuerst einmal relevant, was betroffene Personen zu den Begrifflichkeiten zu sagen haben. In einem Interview zu einer anderen lokalen Umbenennungsdebatte sagt eine Person der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland über das „M-Wort“:
„Schwarze Menschen fühlen sich von diesem Begriff diskriminiert. Es ist eine Fremdbezeichnung, es war zu keinem Zeitpunkt eine Selbstbezeichnung von schwarzen Menschen oder Menschen afrikanischer Herkunft.“
Sollte eigentlich ausreichen. Schließlich gilt: „Wenn ich Ihnen jetzt auf den Fuß steige und Sie sagen "autsch", dann wird es nicht weniger schmerzlich, wenn ich ihnen sage, dass ich das nicht wollte oder dass das nicht meine Absicht war.“ Oder wenn ich eben behaupte, dass Auf-Füße-Steigen bei mir eine lange Tradition hat...
Doch damit ist die Auseinandersetzung leider nicht beendet. Um bloße Unwissenheit hat es sich in diesem Fall nicht gehandelt. Spätestens nachdem mehrfach Rassismus-Betroffene und Bewegte ihre Kritik geäußert haben. Eine grünen Politikerin startete eine Petition. Eine Gruppe hat mehrere Mahnwachen veranstaltet. Ihre Forderungen zu ernstzunehmen und zu handeln, sollte zu einem respektvollen Umgang gehören. Apotheken-Inhaberin Petra Grünwald äußert sich öffentlich hingegen defensiv – und bekommt Fan-Post von der extremen Rechten.
Dies reiht sich ein in einen Umgang mit Rassismen der medial oft sehr zweidimensional geführt wird – und über die Köpfe der Betroffenen hinweg.
Wir sollten über rassistische Narrative und Wörter, die uns immer wieder in unserem Alltag begegnen, stolpern. Sie als sichtbare Manifestationen eines Systems verstehen, mit dem wir uns auseinander setzen wollen und müssen. Anti-rassistische Theorie und Praxis sollte selbstverständlich nicht bei Sprache enden, aber sie kann dort anfangen. Deshalb wollen wir uns genauer mit zwei (falschen) Aussagen beschäftigen, die Frau Grünwald in der Presse getätigt hat – und hoffentlich alle zusammen etwas über Rassismus in der deutschen Gesellschaft lernen:
1. „Der Name habe mit der Tradition der Pharmazie zu tun, mit den Mauren, die ihre Heilkunst nach Europa gebracht hätten.“
Der Ursprung des M-Wortes ist umstritten und vermutlich auf das Lateinische maurus zurückzuführen, das schwarze Menschen aus Mauretanien und Nordafrika bezeichnet. Im Deutschen wurde der Begriff für schwarze Menschen verallgemeinert und war als solcher immer negativ belegt. Vor allem die europäische Kolonialgeschichte ist dabei zu betrachten.
Im 18. Jahrhundert galt beispielsweise bei europäischen Fürsten als Statussymbol sich sog. Hof- oder Kammer-„Mohren“ zu halten, die aus ihren Heimatorten verschleppt mitsamt ihrer Nachkommen in den persönlichen Besitz der Fürstenfamilie übergingen.
Ein Lexikoneintrag aus dem Jahr 1806 definiert das M-Wort als „einen ganz schwarzen Afrikaner, welchen vornehme Herren zu ihrer Bedienung halten“. Auch die Figur, die auf der Apotheke dargestellt wird, erinnert an diese Unterwürfigkeit, auch sie ist auf das Anreichen von Medizin für die weißen Herr*innen reduziert.
Susan Arndt hat in ihrer Forschung den Begriff auf einen griechischen Wortstamm (moros) zurückgeführt, der so viel wie „dumm“, „einfältig“ und „gottlos“ bedeutet und vor allem auf die kulturelle Figur des „schwarzen Dieners“ verweist. Zitat: „Darüber wird heftig gestritten. (…) Entscheidend ist für mich aber, dass der Begriff von Anfang an abwertend gebraucht wurde und zwar aus einer weißen christlichen Perspektive und diskriminierenden Intention heraus.“
Dem Rassismus liegt als Ideologie zugrunde, dass er zwischen dem Weißen, Westlichen als unhinterfragte Norm und „den Anderen“, als abweichend und dementsprechend minderwertig unterscheidet. Darauf baut das Konstrukt der unterschiedlichen Rassen mit ihren angeblichen physischen und kognitiven Merkmalen auf. Somit lässt sich Ungleichbehandlung und Ausbeutung legitimieren.
Spätestens das Logo der Apotheke, das die Karikatur eines schwarzen Menschen zeigt, macht deutlich, dass es hier mit kultureller Wertschätzung rein gar nichts zu tun hat. Die dargestellte Person besitzt tiefschwarze Haut, aus der nur die aufgerissenen weißen Augen und die übertriebenen roten Schlauchboot-Lippen zu sehen sind. Sie trägt einen Turban und eine Plunderhose mit spitzen Schuhen, deren einziger realer kultureller Bezugspunkt Walt Disney’s Aladin zu sein scheint. Hier zeigt sich: Es ist eine Darstellung von weißen für weiße Menschen, ein wilder Mischmasch aus Stereotypen und überspitzten Merkmalen aus Kiste der westlichen Vorstellungskraft über das fremde „Andere“. Niemand der sich mit tatsächlichen historischen, maurischen Einflüssen auf Europa (und da gibt es viele) beschäftigt hat, würde zu so einer Darstellung kommen. Der weiße Blick erkennt hier den Schwarzen in einer Figur, die er selbst erschaffen hat, es bleibt kein Raum für die Menschlichkeit des Schwarzen Subjekts.
Stattdessen steht die Darstellung unter dem Einfluss einer ganz anderen kulturellen Tradition: des aus dem angel-sächsischen Raum kommenden Blackfacing und des Ministrel-Theaters.
Diese waren und sind Darstellungen, für die sich meist Weiße, meist zu Entertainmentzwecken, die Maske des Schwarzseins anlegen. Mitte des 19. Jahrhundert sehr beliebt, brannte sich der Show-Performer, der mit rußschwarz geschminkten Gesicht und groß übermalten roten Lippen sang, tanzte und, oftmals unter Bedienung rassistischer Klischees, ein weißes Publikum zum Lachen brachte, tief in das kollektive Bewusstsein ein.
Schwarzsein somit als Spielart für Weiße, in dem sich die „Anderen“ angeeignet, ausgedacht und auf der Bühne für einen Groschen zum springen zu bringen waren. Unter anderem in diesem Rahmen entstand das Bild des „Jim Crow“ oder des „Coon“, dessen Merkmale immer mehr zur reinen Karikatur wurden, Referenz einer Referenz. Werbung, Filme, Sammelobjekte durch alle möglichen Medien lassen sich diese Figuren durch die Geschichte verfolgen. Auch die Darstellung auf dem Apothekenschild klingt ihnen nach. Bilder und Darstellungen sind nie ohne den Kontext auf den sie sich beziehen zu verstehen, ja dieser wird in der kollektiven Wahrnehmung vorausgesetzt, durch die wir eine bestimmte Ästhetik überhaupt erst entschlüsseln können.
2. „Kein Apotheker würde seinem Betrieb einen Namen geben, der andere verletze.“
Dass es in einer rassistischen Gesellschaft rassistische Traditionen in Sprache und Kultur gibt, sollte eigentlich offensichtlich sein. Somit liegt also vielen der Geschichten, die wir erzählen und vielen der Bildern, die wir instinktiv erkennen, ein Menschenbilder der Ausgrenzung zugrunde.
Dass eine*r sich somit dieser Ideologie bedienen, Teil einer historische Kontinuität von Rassismen sein kann, ohne dass die individuelle Intention rassistisch war, folgt daraus.
Wir alle reproduzieren ständig rassistische Denkfiguren in Sprache und Handeln. Diese schreiben sich tief in unsere Wahrnehmung ein, so dass beispielsweise viele weiße Menschen schwarze Personen instinktiv als bedrohlicher wahrnehmen und sich dementsprechend verhalten.
Dies kann nicht bewusst geschehen und dennoch von Rassismus durchdrungen sein.
Da Rassismus nicht nur eine individuelle Erscheinung sondern ein unserer Gesellschaft zugrunde liegendes Weltbild ist, das sich historisch durch Kolonialismus und Nationalismus (in Deutschland auch Nationalsozialismus) in alle Bereiche unseres Lebens eingeschrieben hat, liegt es besonders in der Verantwortung von weißen Menschen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, zuzuhören und Anerlerntes kritisch zu hinterfragen.
Von einer Gesellschaft, in der wir uns Mühe geben, Unterdrückungen, Entmenschlichungen und Abspaltungen in unserem Denken, Fühlen und Handeln zu überwinden, profitieren wir Alle.
Kein Gott, kein Staat – nur Karottensalat!