Flensburg Schleswig-Holstein

Autoritarismus mit A

Wer in Flensburg wohnt und irgendwie mit der linken oder Punkszene zu tun hat, wird es mitbekommen haben: In der Kollektivkneipe "Die ganze Bäckerei" gab es im letzten halben Jahr Streit, Spaltung und am Ende Rauswurf des halben Kollektivs. Im Folgenden wollen wir, das sind ein Paar der rausgeworfenen, eine Einordnung und Analyse dessen versuchen, was da eigentlich passiert ist.

Unseres Erachtens hat der Streit seine politische Dimension in einer grundverschiedenen Auffassung davon, wie eigenverantwortlich selbstorganisiert oder zentralistisch autoritär die kollektive Zusammenarbeit organisiert sein sollte, wie kritisch oder fügsam unser Verhältnis gegenüber Staat und Patriarchat. Für manche von uns war das, was wir teilweise schon über Jahre, teilweise erst im eskalierenden Streit, an autoritärerem Denken und Handeln abbekommen haben, eine Überraschung, die wir so in einer sich nicht nur links, sondern überdies anarchistisch verstehenden Szene nicht erwartet hätten. Wir finden es wichtig darüber offen zu reden, und weit über die zunächst einmal kleinliche Zerlegung eines Kneipenkollektiv hinaus eine Auseinandersetzung mit autoritären Mustern in linken Niederungen zu befeuern. Das wir dazu teilweise Interna öffentlich ansprechen, die unter anderen Umständen staatliche Repressionen nach sich ziehen könnten, halten wir für unerheblich, da die jetzigen Kneipenbetreiber:innen in allen fraglichen Punkten ohnehin jede staatliche Prüfung mit 1+ zu bestehen bemüht sind. Wenn wir im folgenden von „Bäckereikollektiv“ reden, ist immer das Kollektiv in seiner jetzigen Zusammensetzung gemeint, womit wir uns auch auf das Selbstverständnis der sich letztlich durchgesetzten autoritären Fraktion als „das Kollektiv“ beziehen.

Scheiß-Antifa! Wir sind das Volk! Gegen jeden Antisemitismus? HÄH?

Scheiß-Antifa! Wir sind das Volk! Gegen jeden Antisemitismus? HÄH?

Zunächst unangemeldet trafen sich am heutigen Samstag mehrere hundert Menschen zu einem „Protestspaziergang“ gegen die Coronamaßnahmen und zogen vom Rathaus, wo sie zunächst Kerzen entzündeten, lautstark durch die Stadt. Weitgehend ohne Masken und ohne Abstände. Die Polizei stoppte den Zug erstmals am Südermarkt und sodann erneut in der Angelburger Straße und Marko Wölbing von der Partei die Basis meldete den Spuk schließlich an. Den eigentlich anvisierten Weg bis zur Hansen Brauerei konnte die Demo dann jedoch nicht gehen, weil es mehrfach zu Blockaden antifaschististischer Gruppen auf Höhe vom ZOB kam.

 

Wer? Was? Wofür? Wogegen? Als die Blockierenden „Gegen jeden Antisemitismus“ skandierten, stimmte die erste Reihe der Anti-Maßnahmen-Demo mit ein. Bereits bei vergangenen Demos haben wir das beobachtet: Nach außen soll die Fassade gewahrt werden, rechte Tendenzen seien unerwünscht, doch glaubwürdig ist diese Distanzierung nicht.

 

So war es der Anmelder der heutigen Demo selbst, der mit explizitem Bezug auf den Widerstand der weißen Rose, anlässlich einer Hausdurchsuchung bei einem Querdenken nahestehenden Anwalt weiße Rosen vor dem Flensburger Amtsgericht niederlegte. Eine respektlose Verharmlosung der NS-Verbrechen. Auch mit Reichsbürgern auf Demos die er in anderen Städten besucht hat oder AfD-Funktionären auf den Demos von Flensburg-für-Grundrechte scheint Wölbing keine Probleme zu haben. Und auch Siber, ebenfalls von der Basis, lief in den ersten Reihen der Demo. Er bewirbt regelmäßig rechtsoffene bis offen rechte Kanäle. Mehr zu den beiden findet sich hier.

 

Und auch heute auf der Demo wurden Sprüche gerufen wie „Antifa – SA – SS“, „Deutschland den Deutschen“ und „Wir sind das Volk“. Auch „Ausländer raus“ war zu hören und es wurde die deutsche Nationalhymne angestimmt. Die Gegenproteste wurden als Nazis, Faschisten, geistig eingeschränkt oder wahlweise Scheiß-Schwuchteln bezeichnet. Genug Gründe, mit solchen Leuten nicht Seite an Seite zu demonstrieren. Wir werden sehen, ob es bei der nächsten geplanten Demo am kommenden Samstag zu ähnlichen Szenen kommt.

 

Im Gegensatz zur (zwar beängstigend großen aber doch vergleichsweise ruhigen) Demo mit Wodarg im Wahlkampf am Hafen, erinnerte der heutige Marsch in seiner Verbal-Radikalität und im Auftreten eher an die Pegida-Proteste. Verständnis für ängstliche Menschen ist dann fehl am Platz, wenn sie gemeinsam mit offenkundigen Rechten auf die Straße gehen.

 

Die Redebeiträge der Gegenproteste wurden zum Teil zu übertönen versucht, so dass viele der Anti-Maßnahmen-Protestierenden vermutlich nichtmal mitbekamen, dass sich auch der Gegenprotest explizit für das Impfen aber gegen eine Impfpflicht aussprach.

 

Wir dokumentieren hier den Redebeitrag der Gegendemo:

 

Die Welt ist nicht schwarz-weiß

 

Rückblende: Ende März 2020 standen wir auf dem Südermarkt. Unter dem Motto „Freiheit stirbt mit Sicherheit“ haben wir uns dafür stark gemacht, dass die Versammlungsfreiheit auch zu Pandemiezeiten gelten muss.

 

Wenig später habt ihr uns verwundert gefragt, warum wir dann gegen euch demonstriert haben. Die Antwort lautete damals wie heute: Eure Strukturen sind rechtsoffen, ihr toleriert rassistisches Gedankengut in euren Reihen, in euren Kreisen ist Antisemitismus weit verbreitet. Ihr habt es zunächst geleugnet und uns gefragt, wo die Nazis seien. Bis wir sie euch gezeigt haben, weil ihr euch das Auto eines Rassisten ausgeliehen hattet als Lautsprecherwagen und AfD-Funktionäre auf euren Demos waren.

 

Ihr seid umgeschwenkt. Oberflächlich habt ihr euch distanziert von rechtem Gedankengut, um dann aber sofort zu betonen, Seite an Seite mit Reichsbürgern und Reichsflaggen unter Führung eines Reichsbürgers zu demonstrieren sei vollkommen in Ordnung. Euer Spitzenkandidat zur Bundestagswahl bewirbt rechte Verlage, rechtspopulistische Medien und sogar rechtsextreme Portale.

 

Nicht allen auf euren Demos war das egal. Einige sind deswegen nicht mehr zu euren Kundgebungen gekommen. Die, die blieben bestärkten sich immer weiter gegenseitig darin, dass alle anderen sich irren. Dass wer so nett aussieht wie der Herr Siber doch nun wahrlich kein rechtes Gedankengut verbreiten könne, immerhin hat er doch auch so nette Kinder. Wir wurden mehr und mehr zur Projektionsfläche. Antifanten, vermeintlich von Merkel bezahlt, ferngesteuert. Wir begriffen, dass ihr das wirklich glaubt. Wir begannen zu verstehen, wie schnell und wie weitreichend Realitätsverlust vor sich gehen kann, wenn Menschen sich nur noch in ihren Filterblasen bewegen. Wir veröffentlichten Kritiktexte und ihr habt aufgeschrien, es sei Verleumdung und alles Lüge. Aber Behauptungen werden nicht dadurch widerlegt, dass ihr laut schreit und uns beleidigt.

 

Einige von euch haben versucht juristisch gegen uns vorzugehen, Ihr wolltet uns verbieten online darüber zu berichten, wer bei euch mitmischt und auch Fotos von euch sollten wir löschen. Offenbar hatten wir mit unserer Berichterstattung eine Wunde getroffen. Eure juristischen Angriffe scheiterten.

 

Eine wirre These nach der nächsten habt ihr verbreitet, ungeachtet logischer Widersprüche. Immer neue Prognosen über die vermeintliche Nichtexistenz oder jedenfalls Harmlosigkeit von Corona, Schauergeschichten über Masken und dann Horrorstorys über die Impfungen überfluteten uns v.a. auf telegram. Sogar die Tests seien angeblich gefährlich. Wir haben begriffen, dass ihr das wirklich glaubt und so zu Rattenfängern wurdet für ängstliche Menschen, denen ihr eine Zuflucht geboten habt in den tiefsten Wirrungen eurer zwischen Herzchensmileys und Ken-Jebsen-Wahnsinn gefangenen Gedankenwelt. Wir können individuelle Wege nachzeichnen, die zu euch führen, aber das ändert nichts an unserer Überzeugung:

 

Ihr verhaltet euch unsolidarisch und irrational. Wer dazu aufruft QR-Codes von Teststationen zu sabotieren und von Menschen die Tests durchführen als Testnutten und Zuhälter spricht und sich in einem Bürgerkrieg oder einer Diktatur wähnt, hat echt richtig viel nicht kapiert. Wer sich mit verfolgten jüdischen Menschen gleichsetzt relativiert die Naziverbrechen.

 

Aber eure Politik abzulehnen bedeutet noch lange nicht, dass wir jetzt plötzlich Befürwortende autoritärer Maßnahmen werden.

 

Die allermeisten von uns sind geimpft, halten das für sinnvoll und bereuen es nicht im geringsten. Ihr erwartet nun vermutlich also von uns, dass wir die Impfpflicht begrüßen. Aber da täuscht ihr euch. Nur weil wir Impfungen für sinnvoll erachten, heißt das noch lange nicht, dass wir es sinnvoll finden, andere dazu zu zwingen. Auch euch nicht, obwohl wir euch politisch zutiefst verachten und für hochgefährlich halten.

 

Eine Gesellschaft, in der wir permanent Personenkontrollen erwarten können und müssen, lehnen wir grundsätzlich ab. Dass die Teilnahme an Veranstaltungen sowie die Möglichkeit den Nah- und Fernverkehr zu nutzen oder einzukaufen dadurch beispielsweise für illegalisierte Menschen noch gefährlicher bzw teilweise verunmöglicht wird und sie praktisch bei jeder Busfahrt mit der Einweisung in Abschiebehaft rechnen müssen, ist eine der widerlichen Folgen solcher law-and-order-Politik.

 

Die Welt ist nicht schwarz-weiß.

 

PS: So rein aus Interesse: Werdet ihr euer Märchen, wir würden von Merkel bezahlt jetzt anpassen auf Olaf Scholz? Jenen Brechmitteleinsatz befürwortenden, Polizeigewalt leugnenden law-and-order Politiker? Traut ihr in eurer Verblendung sogar dem zu, uns Antifanten für Protest gegen euch zu bezahlen?

Never Trust A OB: Bahnhofswald in Flensburg wird jetzt geräumt

Der seit fast fünf Monaten besetzte Bahnhofswald in Flensburg wird nach dem Töten von Bäumen durch von den Investoren Beauftragte am Freitag nun auch von offizieller Seite geräumt. Die Stadt Flensburg hat ein Amtshilfeersuchen an die Polizei gestellt. Damit zeigt sich, dass Selbstjustiz offensichtlich doch zum Erfolg führt: Nach allen Versprechen wegen der verschärften Corona-Situation in Flensburg diesen Monat nicht mehr zu räumen, hat Oberbürgermeisterin Simone Lange diese nun doch gebrochen.

Hotel-Investor stellt Privatarmee im Corona-Hotspot Flensburg auf um besetzte Bäume zu fällen

Baumfällung in Flensburg

 

In Flensburg gibt es seit Oktober im Bahnhofswald besetzte Baumhäuser, in denen Menschen leben, um die Fällung des Waldes für ein Hotel und ein Parkhaus zu verhindern. Die Investoren Duschkewitz und Hansen sind heute mit einer Armee von Security-Angestellten gekommen um selbst Fällungen vorzunehmen und Baumhäuser zu räumen. Auch auf Auffoderung der Polizei stoppten sie die Arbeiten zunächst nicht.

 

Bahnhofwald in Flensburg akut räumungsbedroht!

Baumhaus im Winter mit Verfügung der Stadt

 

Vor drei Wochen haben wir euch schon einmal aufgerufen, in den Bahnhofswald in Flensburg zu kommen und die Räumung zu verhindern, die für den 18.1. geplant war. Damals erfolgreich, die Räumung wurde zwei Tage vorher abgeblasen, vorgeblich wegen aufgetauchten Corona-Mutationen in Flensburg, sicher hat aber auch die sehr erfolgreiche Mobilisierung dazu beigetragen. Jetzt droht die Räumung erneut.

 

Flensburg Schleswig-Holstein abonnieren