Frankreich

Paris, ein Wintermärchen

Ein Samstagabend in Paris. Es ist kalt, nicht eiseskalt, aber kalt. Passanten tätigen ihre letzten Einkäufe, Freunde treffen sich im Bistro, essen eine Kleinigkeit, danach werden sie ins Kino gehen, oder in die Bar. Das übliche Leben im Viertel. Aus einer kleinen Seitenstraße ergießt sich ein Strom, nein eher ein Rinnsal von Menschen. Manche von ihnen haben sich gelbe Westen übergestreift. Die Art von Westen, die unter anderen Umständen jahrelang unbenutzt und scheinbar sinnlos in irgendeiner Ecke des Kofferraums des Autos herum liegen. Hier und heute hat ihre scheinbare Nutzlosigkeit ein Ende. Hier und heute verleihen sie Identität, und, was noch wichtiger erscheint, Zugehörigkeit. Für Jene, deren Ekel über die allgegenwärtige Beliebigkeit und Trostlosigkeit sich nicht in der bourgeoisen Süffisanz eines Houellebecq erschöpft. Aus einem Transistor oder ist es ein Megaphon, wer weiß das schon und was spielt das auch für eine Rolle, plärrt verzerrt Joe Dassin: Aux Champs-Élysées. Einige der Demonstranten, denn um solche handelt es sich bei jenen Menschen, die sich diese gelben Westen über gestreift haben, wippen mit dem Kopf im Takt der Musik. Dieses Chanson der Sehnsucht, des Versprechens auf heitere Tage markiert zugleich ihr grundsätzliche Begehren auf ein leichteres Leben als auch den konkreten Fluchtpunkt ihres heutigen Marsches, der in den frühen Stunden des Tages begann und der sie quer durch die Stadt geführt hat. Trotz des langen Marsches und den Strapazen des Tages liegt auf ihren Gesichtern keine Ermattung, kein Schatten. Nein, es scheint eher Zuversicht und Vertrauen in sich und ihre Sache zu sein, die sich in ihren Zügen widerspiegelt. Einige von ihnen werden heute noch die Champs-Élysées erreichen, andere werden, von den Bullen gejagt und mit Tränengas und Gummigeschossen attackiert, ihr Vorhaben aufgeben. Aber nur für heute und deshalb wird es keine Rolle spielen. Sie werden am nächsten Wochenende wieder auf den Straßen unterwegs sein. All die Mühen und Strapazen, all die Gefahren wieder auf sich nehmen. Weil ihr Leben, ihr alltägliches Leben eben genauso ist, Tag für Tag. Und weil sich das ändern soll, muss.

Der zweite Aufruf von Commercy: Den Aufbau der Versammlungen zu generalisieren

Unser zweiter Aufruf ist:

An alle gelben Westen. An alle, die noch nicht die Weste tragen, aber dennoch die gleiche Wut im Bauch haben wie wir.

Es ist jetzt mehr als sechs Wochen her, dass wir Verkehrskreisel, öffentliche Plätze und Straßen besetzt und provisorische Unterkünfte errichtet haben, wir in den Köpfen und den Gesprächen der Menschen präsent sind.

Wir behaupten uns!

Es ist lange her, dass ein Kampf so erfolgreich, so anhaltend, so ermutigend war!

10 Lektionen aus dem Kampf der Gilets Jaunes

Wie so oft in der Geschichte der sozialen Bewegungen und Revolutionen hat die tatsächlich existierende Geschichte die vorgefertigten Konzepte und Theorien, die wir zum Verständnis der Geschichte haben, wieder einmal überwunden. Die "Bewegung der Gelben Westen", die Anfang dieses Herbstes ihren Anfang nahm, aber eindeutig viel früher liegende Ursprünge hat, hat viele durch ihren Mangel an Partei- oder Gewerkschaftsorientierung seitens der Teilnehmer, durch ihre Zusammensetzung aus Elementen der extremen Linken und der extremen Rechten, durch ihre bemerkenswerte Widerstandsfähigkeit und ihr Wachstum in der Zeit seit November sowie ihrer anhaltenden Kreativität und Dynamik trotz massiver staatlichen Repressionen verwirrt.
Das anonyme Kollektiv der politischen Aktivisten, die an dieser Bewegung beteiligt sind, hat sich bemüht, neues Territorium jenseits der ausgetretenen Pfade der jüngsten sozialen Bewegungen zu erobern und sich gleichzeitig von der tiefen Geschichte der revolutionären Kämpfe inspirieren zu lassen oder sie wieder zum Leben zu erwecken. Dazu gehörten die Anwendung von Blockaden und Aktionstagen anstelle von großen öffentlichen Besetzungen, die Weiterentwicklung der Praktiken von "wilden" Protesten und aktiven Streiks, das Einsetzen von Lockvogeltechniken zur Verwirrung des repressiven Staatsapparats, der gezielte Einsatz von staatsfeindlicher und eigentumsfeindlicher Gewalt und die Forderung nach dauerhaften strukturellen Veränderungen der Regierungsformen statt einer Reihe von fest umschriebenen Forderungen.

Die folgenden Thesen sind das Ergebnis der kollektiven Arbeit des RED (Radical Education Department), um von dieser Bewegung zu lernen, um zu versuchen, zu ihrem Erfolg als einem antikapitalistischen Aufstand beizutragen und sie idealerweise zu einer globalen Bewegung gegen die Pseudo- Demokratien zu entwickeln, die als immer dünnere Deckmäntel für die Kriegsführung der herrschenden Klasse dienen.

[Frankreich] Bruch im laufenden Beitrag

auf französisch erschienen auf lundi.am am 19. Dezember 2018 und ins deutsche übersetzt. Der Artikel ist in gewisser Weise die Fortsetzung zu diesem hier https://non.copyriot.com/ein-beitrag-zu-den-derzeitigen-unterbrechungen-...

Die Menschen wollen den Fall des Regimes

Die Echos des syrischen Aufstandes beim Entstehen der Gelben Westen
 
Wir, die wir die syrische Revolution sowohl vor Ort als auch im Exil erlebt haben, sind über den Aufstand des französischen Volkes erfreut. Dennoch sind wir auch besorgt über die “Sicherheitsmaßnahmen” und die “Erhaltung der Ordnung”, die gegen die Gelben Westen gerichtet sind, in diesem sogenannten Land der “Menschenrechte”. Doch wir lassen uns nicht von der demokratischen Fassade der Französischen Republik täuschen, wir wollen aufzeigen, dass es der Staat selbst ist, der diese Menschenrechte bricht.

Gelb ist nicht die Farbe des Frühlings

Während diese Zeilen geschrieben werden, sind die Strassen von Paris immer noch gefüllt mit einer diffusen Masse voller Träume von einer besseren Welt. Doch kein Glaube und kein Traum haben uns jemals das Paradies auf Erden gebracht, denn eine bessere Welt erfordert nicht einfach die Erfüllung einer schon bestehenden Forderung, sondern eine radikale Änderung der Art und Weise, wie sich die Leute aufeinander beziehen. Revolution bedeutet die qualitative Veränderung der gesellschaftlichen Beziehungen, nicht deren quantitative Veränderung. Keine Revolution ist politisch in der alltäglichen Bedeutung des Begriffs. Was kann also über die sogenannten Gelbwesten gesagt werden?

Ein Beitrag zu den derzeitigen Unterbrechungen in Frankreich

 

Ein Beitrag zu den derzeitigen Unterbrechungen in Frankreich

 

Ich werde am Ende Kommunist werden“

 

Brigitte Bardot, Interview mit Le Parisien, 1. Dezember 2018

 

Schön wie ein unkeuscher Aufstand"

 

Graffiti an einer Gebäudefassade auf den Champs-Elysées

 

Zersetzungen

 

Auch wenn sie sich letztendlich als zerbrechlich erweisen sollte, so ist es doch eine der Hauptverdienste der gegenwärtigen Mobilisierung, die Rhetorik und das taktische Repertoire der linken Bewegungen des vergangenen Jahrhunderts an das Grévin- Museum geschickt zu haben - und zwar mit den Forderungen nach mehr Gerechtigkeit und Gleichheit und ohne die Anti-Steuer-Rhetorik der rechten und extremen Rechten der Nachkriegszeit zu reproduzieren. Nach dem fast völligen Verschwinden der Sozialdemokraten, das in Frankreich durch die Wahl von Macron gekennzeichnet war, erleben wir nun den Niedergang der Kommunisten, des "Unbeugsamen Frankreich", der Linken, der Anarchisten, der "Ultra- Linken" und all der anderen Klassenkampf- Profis oder selbsternannten Sprecher mit radikaler Attitüde. Und eine Mehrheit von ihnen rast nun mit voller Geschwindigkeit, samt ihrer Fraktionen, Vereinigungen, Parteien, Medienberichten und Blog- Einträgen dieser Bewegung hinterher, über die sie anfänglich nur die Nase gerümpft und gespöttelt haben.

 

Ihr Zu-spät zu-kommen ist offensichtlich, der bloße Protest ist endgültig zu Grabe getragen worden. Jeder kann die Aufrufe, Leitartikel, Anträge, Petitionen, die von der Präfektur genehmigte Route vom Place de la République zur Bastille, ihre Protest- Anführer und deren schwarzen Block, diese Ausschüsse, die zwischen Vertretern und Herrschern koordinieren und verhandeln, das ganze Schauspiel der Repräsentanz zwischen den Führern oder Delegierten und der "Basis", die durch die Presse oder in den Vollversammlungen kolportiert werden, voraussehen.

 

Kurz gesagt, die letzten Überbleibsel des Wohlfahrtsstaates, oder besser gesagt, seine ihm immanenten Formen des Protestes, sind in Rauch aufgegangen. Sie sind nicht nur nutzlos, sondern vor allem veraltet und erbärmlich, die Begrifflichkeiten einer völlig toten Syntax, einer toten Sprache, die aber noch lange von den Geistern, die sie einst benutzt hatten, am Leben gehalten werden kann. Man kann sich immer noch auf all die Bürokraten, die Fachleute und Trainees, auf die Armee der immer und ständig nachwachsenden 'Intellektuellen der Leere' verlassen. Sie werden den Bauchredner geben, das große Spiel der Partei spielen, sich immer und immer wieder in ihren Träumen als Avantgarde einer Bewegung vorstellen, während sie in Wirklichkeit nur traurige Straßenkehrer sind, die hinter dem Saubannerzug auskehren.

 

Nun also schlagen sie Schlagworte vor, die bald schon konstitutionell sein sollen, erlassen Regeln des angemessenen kollektiven Verhaltens, ermahnen die Machtfrage nicht jetzt zu stellen, gehen dabei gekonnt über die vorrevolutionären Charakteristika der Situation hinweg, infiltrieren Proteste und Treffen und fordern die Konvergenz von Kämpfen....

 

Diese Praktiken, diese Reden waren bereits im vergangenen Jahr hohle Beschwörungen während der Bewegungen der Eisenbahner und der Studenten - sie sind heute hohler denn je. Die Beharrlichkeit der ersten Erfolge der "gelben Westen" illuminieren auf grausame Art und Weise die Reihe der geradezu systematischen Niederlagen, die sich in den letzten Jahren in Frankreich ereignet haben, und die allgemeine Auflösung, in die alle Strömungen der Linken, die ach so stolz auf ihr Erbe und ihre Einzigartigkeit ist, die immer so dümmlich heroisch in ihrer Haltung ist und die nach und nach über den Zeitraum eines halbes Jahrhundert immer bedeutungsloser geworden ist.

 

Weit davon entfernt, ein Stolperstein zu sein, ist es gerade die vernachlässigte "ideologische Uneindeutigkeit" der Bewegung, die es ihr ermöglicht, all die vereinnahmenden "Dienstleistungen" von spezialisierten Organisationen und Aktivisten hinfällig werden zu lassen. Für die "Fachleute" der linken Ordnung und der aufständischen Unordnung bietet die Bewegung der "gelben Westen" nun eine Einladung zu einer Reise, zu einer Teilnahme, die endlich frei sein wird von den etablierten Kollektivitäten, von all dem Gewicht der ideologischen und materiellen Mühlsteine der Vergangenheit.

 

 

Autonome Stellungnahme zum Gelbwestenprotest

Viel wird darüber spekuliert, was es mit den Gelbwesten auf sich hat. So vielfältig ist der Protest, dass wirklich für jeden etwas dabei zu sein scheint und da ist es nicht verwunderlich, dass die unterschiedlichsten Gruppierungen und politischen Strömungen sich positiv darauf beziehen. Dies ist schon in Frankreich der Fall, was auch die breite Beteiligung erklärt, aber auch in Deutschland zeigen diverse politische und vor allem oppositionelle Strömungen ihr Interesse. So beziehen sich sowohl Anhänger der neuen Rechten darauf, wie auch anarchistische, kommunistische und autonome Zusammenhänge und Gruppen. Ein positiver Bezug findet dabei statt durch die Fokussierung auf jeweils einen bestimmten Teil, gemein ist jedoch der Blick vor allem auf die regierungskritische Haltung. Der deutschen Linken fällt es bisher jedoch nicht leicht, einen allgemein positiven Bezug aufzubauen. Das hat seine Gründe ganz klar darin, dass sich in Deutschland die AFD und ihre Anhänger für die Gelbwesten begeistern können, wie auch die Beteiligung rechter Kräfte an den Protesten in Frankreich.

We all live in a yellow submarine - Ein Bericht zu den Gelbwesten aus der Sicht von Gefährt*innen aus Toulouse

Für Samstag den 17. November, wurde erstmals eine Mobilisierung der sogenannten “Gelbwesten” über Facebook angekündigt. Der Aufhänger war die neue Treibstoff-Steuer die Anfang 2019 in Kraft treten sollte. Viele dachtenursprünglich an einen Flop dieser Mobilisierung, aber als dann am Sonntag den 18. November die Leute immer noch da waren, auch am Montag und Dienstag und so weiter, wurde doch vielen klar, dass das Fass wirklich voll zu sein scheint.

Naja, und seit dem 17. November sind mittlerweile drei Wochen vergangen und die Leute befinden sich immer noch auf der Straße und an irgendwelchen Blockaden. Seit Samstag den 1. Dezember spricht die Regierung nun deutlich von einer aufständischen Situation.

 

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