Redebeitrag des ASE zum Ratschlaggeburtstag

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Zum 30. Geburtstag vom antifaschistischen & antirassistischen Ratschlag Thüringen haben wir am 28. August 2021 als Antisexistischer Support Erfurt (ASE) einen Redebeitrag gehalten - einen antisexistischen Ratschlag an uns alle sozusagen.

Ein weiterer Anlass dafür ist die jüngste bekannte Veröffentlichung eines Erfahrungsberichts über sexuelle Gewalt von einer Betroffenen aus dem Umfeld in des AJZ Erfurt. Dieser Fall steht auch in Erfurt nicht allein. Wir erkennen in den Fällen sexualisierter bzw. sexueller Gewalt ein strukturelles Problem, dem wir uns gemeinsam als 'Szene' stellen müssen.

Als selbstorganisierte Gruppe wollen wir uns gegen sexualisierte, psychische Gewalt, Gewalt im Geschlechterverhältnis und sexistische Kackscheiße in unseren Kontexten einsetzen. Wir wollen als Struktur für betroffene Menschen und ihre Unterstützer*innen da sein und sie supporten.

Wir sind erreichbar unter kontakt-ase@riseup.net.


Nicht allen liegt es, lange Texte zu lesen. Hier für euch der Redebeitrag zum Hören auf archive.org: https://archive.org/details/redebeitrag-ratschlag-ase

Ansonsten hier unser Redebeitrag zum Nachlesen:

Wir möchten die Gelegenheit heute nutzen, um euch unsere Gruppe "Antisexistischer Support Erfurt" vorzustellen. Wir haben uns in Reaktion auf die Outcalls sexueller Gewalt innerhalb der linken Szene in Erfurt, Saalfeld, Jena, Weimar und Gotha gegründet.

Wir möchten zuallerst allen Betroffenen unsere volle Solidarität aussprechen - wir stehen an eurer Seite, wir hören und sehen euch. Uns ist bewusst, dass jede Person für sich mit dem öffentlichen Outcall einen mutigen Schritt gegangen ist. Davor haben wir großen Respekt und dafür sind wir euch dankbar. Denn ihr habt noch einmal klar gemacht: Auch in der linken Szene bleibt die politische Praxis hinter dem eigenen emanzipatorischen Selbstverständnis zurück.

Unser Ziel ist es, Betroffene von sexueller Gewalt zu unterstützen und zu ermutigen, das Schweigen zu brechen. Damit sich die linke Szene ändert.  Wie bitter nötig das ist, haben alle Outcalls, vor allem der szeneinterne Umgang mit ihnen gezeigt. Es ist eben noch nicht Realität, dass Betroffenen geglaubt wird und dass sie Unterstützung erfahren. Die jüngste uns bekannte Veröffentlichung sexueller Gewalt ist von einer Betroffenen aus dem AJZ-Umfeld hier in Erfurt. Die Betroffene hat über einen langen Zeitraum für einen Ausschluss des Täters gekämpft - bisher leider vergebens. Der Täter wurde geschützt, die Betroffene nicht ernst genommen, sie wurde hingehalten und ein konsequentes Handeln im Sinne der Betroffenen blieb und bleibt aus.

Wir erkennen in den Fällen sexualisierter bzw. sexueller Gewalt ein strukturelles Problem, dem wir uns gemeinsam als 'Szene' stellen müssen. Wir schließen uns der Forderung von 'Das schlechte Gewissen an', dass diese Strukturen aus der Szene für die Szene entstehen müssen. Sensibilisierung und Reflexion müssen  kontinuierlich stattfinden und ein Teil der alltäglichen politischen Praxis werden. Es kann sich nicht auf U-Gruppen-Strukturen, oder der Arbeit von Gruppen wie Das schlechte Gewissen ausgeruht werden. Es zeigt sich in allen Fällen, dass es primär FLINTA sind, die in die konkrete Arbeit mit den Betroffenen gehen. Strukturen und Männerbünden scheint es deutlich schwerer zu fallen, hier klare Kante zu zeigen. Meist bleibt es beim Veröffentlichen von Soli-Statements oder Willensbekundungen. In der politischen Praxis ändert sich meist wenig. Die Täter:innen können zumeist weiter in die Räume kommen und in den Strukturen bleiben, die Betroffenen ziehen sich zurück. So ist das "Problem" auch gelöst - niemand stört mehr...

Fälle in Erfurt

Es wirkt auf den ersten Blick tatsächlich so, als sei es in Erfurt nicht so schlimm. Der Outcall aus dem Umfeld des AJZ ist schließlich momentan der einzige Fall sexueller Gewalt, den eine betroffene Person öffentlich gemacht hat. Dass dem nicht nicht so ist, wissen die hier organisierten Linken eigentlich - denn es gibt einige Betroffene mehr, die aus verschiedenen Gründen nicht den Weg der Veröffentlichungen im Netz gegangen sind, sondern andere Wege der Auseinandersetzung gesucht haben. Diese Entscheidung respektieren wir und gehen hier nicht ins Detail. Doch was sich sagen lässt: Betroffene rackern sich mit ihren Unterstützer*innen ab, um wieder atmen und sich frei bewegen zu können. Die erschlagende Mehrheit der Szene reagiert mit Hinhalten, Bagatellisieren und Victimblaming, Täterschutz und ein Ausbleiben wirklicher Auseinandersetzung, weil es ja teils um die eigenen Ärsche gehen würde. So passiert das immer und immer wieder.

Wir haben Forderungen, mit denen wir uns konkret an die 'Szene' richten und die erste Schritte hin zu einer queer_feministischen und antisexistischen Szene sein können:

Unsere Forderungen

Wir fordern eine feministische Solidarität, die nicht bloß bei Lippenbekenntnissen bleibt, sondern in der sich Menschen tatkräftig unterstützen und füreinander und vor allem für betroffene Menschen einstehen und füreinander da sind. Auch das Hinterfragen und Verändern des eigenen mackerhaften und unsolidarischen Verhaltens kann ein weiterer Schritt sein zu einer emanzipatorischeren Szene sein. Wir fordern, dass FLINTA angehört werden und dass ihnen zugehört wird - bevor eine Gegenrede vorbereitet wird. Wir fordern, dass Kritik von FLINTA erst mal hin- und angenommen wird - und mindestens darüber nachgedacht wird, ohne diese gleich argumentativ zu zerfetzen.

Wir fordern, dass gesellschaftliche Machtverhältnisse in den eigenen Strukturen mitgedacht, erkannt und benannt werden. Das heißt, unterschiedliche Erfahrungshintergründe und gesellschaftliche Positionierung müssen in unserem Alltag mit einbezogen und ernst genommen werden. Erfahrungen sollen nicht abgesprochen oder abgetan werden, sondern wahr- und ernst genommen. Das bedeutet auch: Care-Arbeit braucht mehr Raum in politischen Zusammenhängen.

Es sollen Konsequenzen folgen beim eigenen Verhalten: Nicht nur reflektieren, sondern auch das eigene Verhalten hinterfragen und verändern. Es ist wichtig, dass ein Perspektivwechsel vorgenommen wird. Wir wollen, dass sich Menschen in andere hineinversetzen und empathisch sind. Wir fordern eine kollektive Verantwortungsübernahme. So, dass nicht mehr Betroffene und deren Unterstützer:innen Aufarbeitung und die Veränderung in den Strukturen vorantreiben müssen, sondern dies ganz selbstverständlich und mit Kraft, Wut und Konsequenz aus den eigenen Strukturen erfolgt.

Antisexistischer Support Erfurt

Ein Schritt hin zu einer feministischen Solidarität ist die Vernetzung von FLINTA und der Support von betroffenen Menschen. Beides wollen wir mit unserer Gruppe, dem Antisexistischen Support Erfurt anbieten und stärken.

Wir sind ansprechbar für Betroffene, für Unterstützer:innen und für solidarische Strukturen und teilen unser Wissen und unsere Erfahrungen. Wir wollen Selbstorganisation und Selbstverantwortung stärken und keine Dienstleister:innen sein. Uns geht es darum, Menschen und Gruppen darin zu unterstützen, selbst handlungsfähig zu werden. Wir wollen mehr Vernetzung schaffen zwischen Menschen und Strukturen, die unsere Haltung teilen. Wir möchten uns kontaktieren können, um uns gegenseitig zu supporten, zu informieren und zu stärken.

Wir organisieren uns, weil es auch in der linken Szene viele Probleme und Vorfälle sexualisierter Gewalt gibt. Und zu wenig Solidarität. Nur gemeinsam können wir patriarchale Strukturen überflüssig machen. Nur gemeinsam können wir das Patriarchat und den Kapitalismus zum Einsturz bringen. Wenn ihr Fragen oder Interesse habt, bei uns aktiv zu werden, sprecht uns an oder schreibt uns. Wir sind erreichbar unter kontakt-ase@riseup.net

Wir fordern, dass feministische Anstriche auch mit feministischen Inhalten untermauert werden, und diese konsequent auch so gelebt werden! Und dass alle in der 'Szene' daran mitwirken und Verantwortung übernehmen!

 

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