Offener und ehrlicher Brief einer G20 Demonstrantin

Event: 

Nach einer Woche G20 Proteste in Hamburg habe ich vieles gesehen und mir einige Gedanken gemacht, die einfach raus mussten.Diese habe ich nun in einem Text/offenen Brief zusammengefasst, so habe ich ihn Sonntagabend/Montag geschrieben. Es würde mich sehr freuen, würde er gelesen werden.

 Nun, wo das alles vorüber ist, schreibe ich nun mein Resümee über den G20 Gipfel in Hamburg und die damit verbundenen Proteste. Überall liest man davon, überall lassen sich Leute darüber aus, die ihre "Meinung" von anderen kopieren, den gleichen Einheitsbrei und Gelaber posten, und selbst aber keinen Schritt nach Hamburg getan haben, um sich das Ganze selbst anzusehen. Ich war vom 06.07.-09.07. in Hamburg und bei den Protesten rund um den G20 Gipfel dabei, habe auch das wirklich gesehen und miterlebt und kann nun dementsprechend persönlich darüber urteilen, mir eine Meinung bilden und die Seiten beleuchten. Und genau das können die meisten, die nun ihren Mund aufreißen, eben nicht.
Das Ganze darf gern geteilt oder kommentiert werden, gerne auch kritisch, sachliche Diskussionen sind gern gesehen.
Wenn ihr das hier lesen wollt, dann lest bitte den ganzen Text. Er ist etwas lang geworden.
Fangen wir erstmal am Anfang an. Bereits im Vorfeld der "offiziellen" Protesttage gab es Probleme zwischen Demonstranten und der Polizei, bei denen es um das Campen ging. Da ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht vor Ort war, kann ich nur etwas zur Rechtslage sagen. Das Protestcamp war zunächst verboten worden, der Fall ging dann allerdings noch mehrfach vor Gericht, und wurde letztendlich vom Verwaltungsgericht doch genehmigt. Das Ganze war legal. Und trotzdem begann die Polizei bereits weit vor Beginn der Protestaktionen damit, die Camps wieder und wieder mit massivem Polizeiaufgebot anzugreifen, zu stürmen und räumen zu wollen. Das Camping war aber rechtens und natürlich ließen sich das die dort Campierenden nicht gefallen! Natürlich ließen sie sich nicht einfach so räumen und fuhren wieder nach Hause und das ist absolut verständlich. Sie durften dort nach vielen Anläufen endlich zelten und die Polizei hatte keinerlei vernünftige Gründe, dort einzufallen und da schon Leute zu verprügeln und wegzuschleppen. Der reine Eskalationskurs zeigte sich also schon im Vorfeld, was alle, die den Protest unterstützen wollten, von vornherein noch weiter negativ stimmte. So fing das Ganze schon an. Soviel zu den Ereignissen vor meiner Anreise...
Am Donnerstag Nachmittag/Abend war die "Welcome to Hell" Demo angemeldet. Massenhaft Menschen waren vor Ort, Menschen aller Art. Menschen jeden Alters waren dort, Oma und Opa standen neben Jugendlichen, die ihre Enkel hätten sein können. Punks, Hippies, schwarz Gekleidete, bunt Gekleidete, alle standen sie friedlich beieinander, bereit, den Protest auf die Straße zu bringen und die Demo zu starten. Bei der im Vorfeld von der Polizei als absolut rein militant und zerstörerisch angekündigten Demo so etwas zu sehen, war überraschend und hat mich sehr gefreut. Am Donnerstag schon so viele verschiedene Menschen gegen den G20 zu sehen, war toll!
Als der Demozug dann schließlich loslaufen sollte, bildete sich wie erwartet und angedacht vorne an der Spitze ein schwarzer Block, etwas weiter hinten in diesem fuhr auch der Lautsprecherwagen. Auch ich lief dort mit. Langsam setzte sich alles in Bewegung, es gab von überallaute Sprechchöre, wie es normal ist. Mehr passierte nicht. Nach kurzer Zeit (es lief geschätzt 50 Meter weit) wurde die Demo vorne von der Polizei gestoppt. Sie postierten sich in vielen Reihen vor der Demo über die Straße, auch an der Seite und am hinteren Ende des Zuges hatten sie sich schon bei Beginn postiert. So blieb die Demo nach so kurzer Zeit grundlos stehen. Dann rollte hinter der Polizei auf der Straße ein Wasserwerfer an, und noch einer, und mehr. Aus der Demo wurden massiv Stimmen laut, die Polizei solle die Leute weiterlaufen lassen. Von der Polizei kam die Information, dass Leute gegen das Vermummungsverbot verstoßen würden. Daraufhin nahm ich meine Vermummung ab, das heißt, der Schlauchschal wurde von der Nase gezogen, und genauso machten alle Leute um mich herum, auch wenn es etwas dauerte, bis es alle verstanden hatten, da es von den deutschen Demonstranten einzeln für alle aus dem Ausland angereisten Genossen übersetzt werden musste.
Weiter wurde gewartet, und irgendwann kam die Info, die Demo könne bald weiterlaufen. Und dann auf einmal wandelte sich alles. Ohne Vorwarnung brach die Polizei hinten und an der Seite der Demo durch, stürmte hinein und trieb die Menschen brutal auseinander. An der anderen Seite war eine 2-3 Meter große Wand, auf der sich oben ein weiterer breiter Weg befand, auf dem noch andere friedliche, bunte Demonstranten standen. Als die Polizei mit ihrem Angriff begann, begannen massenhaft Menschen, die in den betroffenen Bereichen standen, diese Mauer hinaufzuklettern, von oben wurde geholfen und gezogen. Einige Reihen vorne blieben weiterhin noch stehen, um die vor den Knüppeln fliehenden Menschen zu schüzten, indem sie noch länger Widerstand gegen die Polizei boten. Ich stand in einer dieser letzten Reihen. Auch der Wasserwerfer wurde eingesetzt. Schon da hat mich die Solidarität der Menschen berührt, wie es noch oft passieren sollte. Ich (1,64 m groß) wurde an der Mauer von hinten hochgehoben, dann gab mir jemand von oben die Hand und zog mich hoch. Ich kenne euch nicht, fremde Leute, ich kenne nichtmal eure Gesichter, aber Danke. Sonst hätte die Polizei mich, wie viele andere auch, mit Stöcken zu Boden prügeln können. Ich bin unglaublich froh, dass sich die Besucher der Demo ausnahmslos solidarisch zeigten und alle einander geholfen haben. Auch oben auf dem Weg liefen die Polizeigruppen hin und her, alles war in Aufruhr, Menschen liefen hin und her, drängten an die Seiten, Polizisten schlugen auf Leute ein, sobald sie in Greifweite standen, Wasser peitschte über die Straße, und nun flogen auch Flaschen und Böller. Auf der anderen Seite des Weges ging es fünf Meter nach unten. Es gab keine große Wahl und man sprang hinunter oder wurde einfach von der vorbeilaufenden Polizei hinuntergestoßen! Unten lichtete sich das Ganze, viele Menschen hatten Verletzungen, die Demosanis (HELDEN) rannten hin und her, um zu helfen. Und sogar diese Sanitäter wurden von der Polizei brutal behindert!! Es gab eine Treppe an dieser fünf Meter hohen Wand. Und zwei Sanis, die auf dem Weg nach unten zu Verletzten waren, wurden von der Polizei schlicht und einfach die Treppe hinuntergeschubst! Verfickte Scheiße, es sind Sanitäter, sie tun niemandem etwas, sie helfen, sie retten Leben!! Wenn die Polizei Menschen schützen soll, warum musste ich mehrfach mit anderen Menschen gemeinsam eine Kette um eine Gruppe Sanis bilden, damit diese ihre Arbeit verrichten können, ohne dabei einen Knüppel in den Nacken zu kriegen und ihnen der fast bewusstlose Patient unter den Händen weggsrissen wird?? Warum?
Nun zum Einsatz allgemein. Warum war dieser überhaupt nötig? Ich stand selbst vorne im Block und von Seiten der Demo ist nichts passiert. Glaubt es oder nicht, aber es war so. Bis die Polizei es mit ihrem Angriff eskalieren lief. Dieses Chaos ging rein von ihnen aus, und es war absolut ungerechtfertigt. Die Polizisten gingen massiv brutal und aggressiv vor. Mehrfach musste ich beobachten, wie sie willkürlich Menschen, die nicht rechtzeitig flüchteten, zu sich in die Mitte zogen und zusammenschlugen und - traten. Obwohl sie nichts getan hatten. Teilweise wurden die Betroffenen dann mitgenommen (mitgetragen, da sie danach nur noch schlaff in den Polizeiarmen hingen) oder sie konnten sich befreiten oder wurden wieder an die Seite auf den Boden geworfen. Und eben die Sachen mit den Sanis. Das Verhalten der Polizei in dieser Situation ist mit keinen Worten zu beschreiben. Die Demo war genehmigt worden (ohne Auflagen), angemeldet, alles. Sie war friedlich unter Sprechgesängen losgezogen. Und dann das. Und auch noch an einer Stelle, wo es von vornherein klar war, dass eine Massenpanik verursacht werden würde. Ja, letztendlich flogen Flaschen und Böller, und in dieser Situation war es mehr als nur verständlich. Man war sauer, verwirrt, traurig, panisch, angepisst, und das zu Recht. Im Ernst: Findet ihr das, was hier, bei der "Welcome to Hell" Demo passiert ist, rechtens? Findet ihr, die Polizei hat alles richtig gemacht? Findet ihr, die Polizei hätte noch brutaler draufgehen sollen? Denkt ihr das? Dann erklärt mir bitte, warum. Ich will es wissen. Denn ich verstehe es nicht.
Warum greift man eine genehmigte Demo an, die nicht eskaliert ist? Warum prügelt man sinnlos auf Menschen ein, warum greift man willkürlich Leute auf, warum geht man brutal gegen friedliche Menschen vor, warum schlägt man alte Menschen, Mütter, Unbewaffnete, Sanitäter und Leute, die nur andere schützen? Warum? Und warum heißt genau das, dass man ja alles richtig und toll macht, wie ja so viele sagen? Ich habe kein Verständnis dafür. Ich habe kein Verständnis für das Vorgehen der Polizei. Ich habe kein Verständnis für die Polizei. Warum sollte ich es in diesem Fall haben?
Irgendwann war es dann vorbei. Viele Menschen waren noch da, standen herum, liefen umher, Polizeitrupps an alles Ecken sorgten dafür, dass es angespannt blieb. Sanis hockten über Verletzten. Ich lief über den klatschnassen Boden, Scherben knirschten unter meinen Füßen, Polizisten näherten sich den Sanitrupps und wie selbstverständlich stellten wir uns in Ketten vor sie.
Das war die Welcome to Hell Demo.
Eine Weile später gab es noch mehr Aktionen. Ein kleinerer, spontan gebildeter Demozug konnte recht lange laufen, bis er auf der Reeperbahn eingekesselt wurde. Warum auch immer...
Nun waren alle Demonstrationsteilnehmer in der Stadt verteilt. Und sie waren sauer. Stinksauer. Wegen dem G20 Gipfel war eh schon jeder ziemlich angepisst, und jetzt hatte die Polizei völlig ungerechtmäßigt und brutal die angemeldete Demo zu einer Massenpanik werden lassen. Stinksauer waren alle, und das absolut zu Recht. Der Hass auf die Polizei? Ja, ebenfalls zu Recht!
Und mit der Nacht begann das, was nach diesen Ereignissen unvermeidbar gewesen war, die exzessiven Krawalle. Und das ist nun wieder der nächste Punkt. Das erste, was ich persönlich mitbekommen habe, war, abgesehen von Mülleimer-Barrikaden, wie jemand die Scheibe eines kleinen Bioladens mit einem Stein einwarf. Und da wären bei mir fast alle Sicherungen durchgebrannt. Und nein, es ging nicht nur mir so. Auch alle um mich herum begannen sich tierisch aufzuregen und nach vorn zu dem bereits verschwundenen Werfer zu brüllen. Und ja, all das waren Autonome aus dem schwarzen Block.
Verschiedenes ging in der Nacht in Hamburg ab. Und Nein: Ich heiße das nicht alles gut. Ich schreibe das hier auch im Namen aller Genossen, mit denen ich mich unterhalten habe.
Privatautos anzünden geht gar nicht. Punkt aus.
Ich frage hier jeden: Wozu soll das gut sein? Ich habe Bilder von brennenden Autos in Straßen gesehen, Autos, die auch ich fahren könnte, Autos, die meine Mutter fahren könnte, oder sonstwer! Das sind Autos von ganz gewöhnlichen Arbeitern, wie wir alle. Autos von Menschen, die wohl auch nicht so viel Geld haben und sich dieses Auto erarbeitet haben. Familienautos. Was soll das?
Ich würde niemals wollen, dass jemand sowas mit meinem Auto macht, oder mit dem Auto eines Freundes oder Genossen! Vielleicht haben Autos von Leuten gebrannt, die sich sogar mit den G20 Protesten solidarisieren, denn das waren von den Anwohnern nicht gerade wenig. Warum diese Leute? Warum? Was haben diese kleinen Leute getan, womit haben sie sich das verdient?
Dasselbe gilt für das Einwerfen von Scheiben bei kleinen, familiären Geschäften. Geht's noch? Bitte denkt nach, bevor ihr handelt! Zerstört ihr ein solches Geschäft, zerstört ihr die gesamte Existenz eines völlig unschuldigen Menschen, oder sogar seiner ganzen Familie! Damit trefft ihr den einzelnen, kleinen Mann und bewirkt außer seinem Ruin nichts. Das hat absolut nichts mehr mit Klasse gegen Klasse oder Kapitalismuskampf zu tun. Das sind einfach nur Menschen, die ihre Wut rauslassen, ohne nachzudenken. Und das ist nicht wirklich autonom. Für mich bedeutet autonom auch, dass man für sich selbst nachdenkt und entscheidet.
Und ich weiß, dass vor allem wegen dieser Aktionen jetzt alle gegen den schwarzen Block hetzen. Überall. Aber lasst euch gesagt sein: Auch ich laufe im schwarzen Block. Und Freunde von mir. Und wir sehen das genau so und würden so etwas niemals tun oder auch nur gutheißen. Ich habe mich auch mit vielen Genossen dort darüber unterhalten, und auch die sahen es so wie ich.
Leute, bevor ihr gegen irgendwas hetzt: Hätte jeder schwarz Gekleidete/Autonome in Hamburg ein Auto angezündet, dann hätte es da ganz, ganz anders ausgesehen! Denn es waren massiv viele! Und die meisten fanden diese Aktionen nicht gerade prickelnd. Aber es gibt diese Vollidioten, die nicht nachdenken können, ja. Sogar die Rote Flora, das Wahrzeichen der Linken, hat sich davon klar distanziert.
Mir wurde auf Facebook auch schon die Frage gestellt "Wenn du gar keine Autos anzünden willst oder so, warum vermummst du dich dann? Warum bist du im schwarzen Block"?
Die Polizei hat ständig Wasserwerfer eingesetzt, insofern ist es mehr als nützlich, eine Kapuze aufzuhaben und eine Sonnenbrille zu tragen. Die Sonnenbrille schützt außerdem die Augen vor Rauch und Pfefferspray, welches die Polizei immer verwendet. Genauso wie der Schlauchschal, ohne etwas vor Mund und Nase wäre es noch deutlich schlimmer.
Und ich habe auch keine Lust, für Irgendwas zur Rechenschaft gezogen zu werden, womit ich nichts zu tun hatte, nur weil ich identifizierbar bin.
Das Konzept des schwarzen Blocks finde ich gut. Ich finde es gut, dass er meist gut organisiert und sehr stabil ist. Er stellt die vordersten Reihen, denn die Leute halten sehr fest zusammen, wissen, wie man sich in eskalierenden Situationen verhält, können Ketten bilden, die halten, sind bereit, weit zu gehen, sind in der Lage, standhaft zu bleiben, auch wenn die Polizei Übergriffe startet. Und ja, der schwarze Block schützt andere Leute. Die, die auch demonstrieren, aber Angst vor der Brutalität und den Übergriffen der Polizei haben. Die, die die ersten Reihen und Seiten nicht halten könnten. Zweimal wurde mir/meinem Freund zum Beispiel während der Proteste von älteren Menschen dafür gedankt, dass wir uns vor sie stellen, dass wir sie schützen, dass wir vorbereitet sind. Und das ist gut so.
Auch sinnvolle Militanz verteufele ich nicht. Wenn es darum geht, eine Polizeikette zu durchbrechen, um auf die Route zu kommen, oder darum, eine Blockade der Straße für die Anreise des G20 durchzusetzen, ja! Das ist unser Ziel und das wollen wir durchsetzen! Und da waren alle dabei, nicht nur die Vermummten, auch bunte Menschen, wir standen Seite an Seite. Wenn McDonalds Scheiben eingeworfen werden, auch noch okay! Da trifft es keinen direkt, es ist ein Scheißunternehmen und kapitalistisch. Es trifft nicht den kleinen Mann. Das ergibt Sinn. Nicht wie das Schrotten von kleinen Geschäften. Wenn Polizeiwagen brennen, ok, das ist ebenfalls etwas anderes als ein Privatwagen oder Pflegeauto. Denn bei dem ganzen Mist, den die Polizei die ganze Zeit lang abgezogen hat, ist dieser Hass verständlich.
Aber nach der Nacht von Donnerstag auf Freitag habe ich mich geschämt. Ich habe mich geschämt für die, die ihre Wut an denjenigen rauslassen, die absolut nichts für irgendwas können. Ich habe mich geschämt für die, die sinnlosen Schaden anrichten, die irgendwelchs Autos abfackeln, und dergleichen! Es ist mir absolut unbegreiflich, wie man so wenig nachdenken kann! Oder wie einem das scheißegal sein kann. Ganz im Ernst.
Am Freitag ging es erstmal um die Blockade der Anreisenden zum G20. Und danach darum, möglichst nah an die Veranstaltung heran zu kommen. Ja, es sollte in die rote Zone gehen, dort, wo für den Zeitraum Demonstrationsverbot herrschte, aber es ging eben darum: Der Gipfel sollte blockiert und gestört werden, deswegen war das Ziel aller die rote Zone. Auch an diesen Blockaden waren wieder alle beteiligt. Und wieder wurden auch alle Opfer der Repression. Es ging nie nur um den schwarzen Block oder so. Es waren immer alle. Das war Solidarität. Es wurde gekesselt, gerannt, alles. Meinem Freund wurde der Zeh gebrochen, als er sich schnell vor mich geschmissen hat, als ich dem erhobenen Prügel gegenüberstand, als wir gegen eine Hauswand gedrängt worden waren.
An diesem Tag gab es viel Gewalt, viel sinnlose Gewalt. Ich habe gesehen, wie die Polizei alte Männer, Frauen, und Kinder geschlagen hat. Wie einzelne Menschen rausgepickt und verdroschen wurden. Wie so viele verschiedene Menschen verletzt wurden.
Und ich habe so viel Solidarität erlebt. Und es war wunderschön. Alle Demonstranten halfen einander, beschützten einander, in welcher Situation auch immer. Es war einer für alle und alle für einen. Und auch die Anwohner zeigten sich solidarisch! Vor einem recht zentralen Mehrfamilienhaus hatten sich einige Bewohner mit mehreren Wannen Wasser nach draußen gesetzt und boten jedem vorbeilaufenden Demonstranten an, die Flasche aufzufüllen. Einer hat mich hoch in die Wohnung gebracht, damit ich auf die Toilette gehen konnte. Ich hatte viele gute Gespräche mit Anwohnern oder Besitzern kleiner Geschäfte. Da war zum Beispiel ein Mann in einer kleinen Buchbinderei, der es wirklich toll fand, dass wir und so viele andere auf der Straße sind, uns gegen den G20 wehren, trotz der massiven Polizeigewalt. Trotzdem habe er etwas Angst um sein kleines Geschäft gehabt, und eben das spiegelt das wieder, was nicht mehr in Ordnung ist. Wegen den Deppen, die solche kleinen Läden angreifen, müssen sich sogar solche Menschen, die das Ganze voll unterstützen, Sorgen machen. Wirklich schade, so sollte es nicht sein.
Oder der Betreiber eines kleinen Ladens/Kioskes, bei dem wir uns immer auf dem Weg zu unserem Schlafplatz noch was zu trinken geholt haben. Jedes Mal haben wir uns etwas unterhalten, uns über das Geschehene ausgetauscht, auch er wäre jeden Tag auf der Straße bei den Aktionen gewesen, hätte er nicht immer so viel Arbeit, um genug für seine Familie zu verdienen. Und wenn ich mir vorstelle, dass es auch ihn mit einem Stein hätte treffen können, macht mich das echt traurig. Am letzten Abend hatten wir vor dem Laden auch ein langes Gespräch mit einer Gruppe Anwohner, die extrem schockiert über das eskalative Verhalten der Polizei waren und uns noch viel Glück wünschten.
Oder mein geliebter St. Pauli, die ihre Tore öffneten, um Leute dort schlafen zu lassen, die dort Essen und Trinken zu Spottpreisen anboten...
In den Polizeikesseln hielt man einander bei Laune, an den Seiten waren die Leute immer stabil, aufmerksam und bereit und in der Mitte sang eine Gruppe etwas älterer Frauen ein Lied.
Die Repression war schrecklich, aber die Solidarität wunderschön.
Später am Freitag gab es einen großen, durchsetzungsstarken Demozug zur Elbphi, der erstaunlich nah herankam. Dabei gab es extreme Auseinandersetzungen zwischen Polizei und den vorderen Reihen und wir waren auch auf Demonstrantenseite einige unnötige Aktionen dabei. Dabei muss man allerdings noch sagen, dass viele solcher Aktionen auch von den Angereisten aus den Nachbarländern wie z.B. Frankreich ausgingen, und dort sind sie völlig anderes gewohnt als hier. Daher auch einige sehr extreme Aktionen.
Letztendlich wurde alles wieder durch Wasserwerfer und Schlagstöcke aufgelöst.
Und dann erlebte ich etwas, was mich wieder wirklich, wirklich, massiv wütend und aggressiv machte. Und das war der Moment, wo ich eine Pferdestaffel der Polizei im sehr unruhigen Gebiet sah.
Pferde sind Fluchttiere. Und dort auf den Straßen war es laut, vor allem, da die Pferde benutzt wurden, um Menschen auseinander und zur Seite zu drängen und einen Gefangenentransporter zu eskortieren. Diesen Tieren ging es nicht gut. Sie waren unglaublich nervös, fast schon panisch, die Reiter hatten massiv Mühe, die Tiere am Durchdrehen und Ausbrechen zu hindern. Sie sind hin und her getänzelt, haben wild mit dem Kopf geruckt und die Augen weit aufgerissen. Und das macht mich so unglaublich wütend. Pferde auf einer Demonstration einzusetzen ist das Letzte. Räumungspanzer sind zwar nichts Schönes, aber Pferde? Das war einfach grausam. Ich möchte nicht wissen, was diese Tiere für Ängste durchmachen müssten. Zudem können sie unglaublich stark und viel verletzen, sollten sie ausbrechen.
Am Abend gab es beim St. Pauli Stadion einige Solikonzerte von Bands für die G20 Demonstranten, die den ganzen Tag auf der Straße gewesen waren.
Am Samstag auf der Großdemo war wirklich alles vertreten. Der Demozug war einfach gigantisch und ein jeder war dort, es gab die verschiedensten Blöcke, ja, auch einen schwarzen. Die ganze Demo verlief friedlich, überall, nur anfangs hatte es einige Startschwierigkeiten aufgrund der zum schwarzen Block anrückenden Polizei gegeben, was gänzlich unnötig war.
Während des langen Laufes mischte es sich ein wenig untereinander und jeder lief mit jedem. Der schwarze Block war bunt und trotzdem waren die Sprechgesänge und der Konsens gleich.
Nach einigen Stunden war der Abschlussplatz am St. Pauli Stadion erreicht, dort gab es viele Essensstände, eine Bühne und viel Gemeinschaft. Bands spielten Solikonzerte, alle Menschen saßen zusammen überall auf dem Boden und auf dem Straßen und aßen und lachten und redeten zusammen. Menschen, wie sie diverser und verschiedener gar nicht hätten sein können. Das Bild, was sich hier geboten hat, hat sich in mein Herz gebrannt, alle waren sie zusammen. Jedes Alter, jede Kultur, schwarz und bunt Gekleidete.
Und was dann?
Dann auf einmal rückten in einer Straße mitsamt einem Polizeiaufgebot Wasserwerfer an. Ja, Wasserwerfer, zu dieser wunderschönen Zusammenkunft. Wasserwerfer, die eingesetzt wurden. Doch auch hier setzten sich alle gemeinsam zur Wehr gegen diese schwachsinnige Willkürlichkeit der Polizei. Es gab riesige Blockaden von allen über die Straße und letztendlich konnten die Werfer nie die Kundgebung erreichen.
Was sollte das bitte wieder? Da war nichts, nur Menschen, die dort saßen, Essen und Musik. Aber die Polizei sieht den Bedarf, das Ganze räumen zu müssen. Was zur Hölle?!
Muss ich das verstehen?
Aber klar, die Polizei hat natürlich alles richtig gemacht, jaaa...
Später am Abend waren wir noch in der Schanze. Dort war heute nichts von Krawall zu sehen, alle saßen entspannt auf der Straße, redeten, tranken Bierchen. Niemand war hier mehr auf irgendwas aus. Bis auf die Polizisten offenbar, denn die hatten noch nichtmal ihre Helme abgesetzt. Und hat man dieses Bild vor sich, auf der einen Seite die entspannten, jungen, alternativen Leute, die in der Schanze auf der Straße sitzen oder mit Trinken in der Hand umherlaufen und reden, auf der anderen Seite die bewaffneten Polizeieinheiten mit Helmen auf, die sich auch noch zusätzliche Hilfe von noch viel stärker bewaffneten Einheiten geholt haben und in Gruppen die Straße runtermarschieren, kommt einem unweigerlich der "gewaltbereite schwarze Block" in den Kopf, klingt sehr flach, ist aber leider so.
Da alles sehr friedlich war, und nur noch getrunken und geredet und gesessen wurde, und der G20 nun auch vorbei war, sind wir schon gegangen. Als wir in der Bahn waren, ging es auf einmal wieder drunter und drüber, Bahnstationen wurden geschlossen und von oben hörte man laute Rufe.
Wir sprachen mit den Leuten, die gerade vom oben kamen und erfuhren so, dass die Polizei wohl auf einmal mit Spezialeinheiten in die Schanze gekommen war und dort geräumt hätte. Grundlos. Wir waren wenige Minuten vorher dort gewesen, es war ruhig und entspannt. Und dann stürmt die Polizei einfach rein und macht Krawall? Hatten sie denn noch nicht genug? Der G20 war vorbei. Niemand wollte mehr irgendwas machen. Alle waren ruhig. Und dann wird die Schanze gestürmt. Warum bitte? Warum?!
Das ist mir so unverständlich und macht mich unglaublich sauer. Die Polizei hat das Ganze wieder aufgebracht, hat alles wieder eskalieren lassen. Wegen ihnen mussten Bahnstrecken gesperrt werden und wegen ihnen gab es Krach, wo keiner hätte sein müssen. In dieser Nacht wäre alles friedlich geblieben. Die Polizisten hätten ihre Helme abnehmen und in die Schanze gehen können, Bier trinken oder mit den Leuten dort Tic Tac Toe spielen können.
Aber sie mussten es so enden lassen, vielleicht hatten sie noch nicht genug Bilder von Krawall.
Ich bin fassungslos und wütend.
Am Sonntag gab es noch eine Demo speziell gegen die Polizeigewalt, die zur Gefangenensammelstelle führte, in der die im Laufe der Proteste festgesetzten Demonstranten sitzen. Die Polizei eskortierte die Demo die ganze Zeit vorne und an den Seiten, hielten sie aber nicht auf oder brachen durch. Und siehe da, es eskalierte oder knallte nichts. Trotz des brisanten Themas der Demo. Lass die Demo laufen und sie läuft. Lass sie nicht laufen und sie wird es trotzdem versuchen und es gibt Krach.
Das einzige Problematische hier waren einige Faschos, die am Samstag angereist waren und sich in der Nähe der Demo blicken ließen. Aber wie es immer so ist, wurden diese sicher von der Polizei wegeskortiert.
Nach diesen Tagen gibt es viele Dinge zum Nachdenken und ich hoffe, der eine oder andere hat es bis hierher geschafft. Ich hoffe, ich habe zumindest im einen oder anderen Punkt einen kleinen Anstoß gegeben, egal, aus welcher Richtung.
Fakt ist auf jeden Fall, und das ist auch jedem klar: Der G20 hätte niemals in Hamburg stattfinden dürfen. In keiner Stadt wäre es so dermaßen falsch gewesen wie in Hamburg. Schon im Vorraus war das klar.
Ich bin nach diesem Wochenende extrem wütend. Ich habe diese Polizeigewalt und Willkür satt, ich bin traurig, gesehen zu haben, wie brutal gegen Schwache, Unbewaffnete und Alte vorgegangen wurde.
Ich bin angepisst auf die Vollpfosten, die im Namen der Proteste kleine Autos und Läden zerstören und damit auch die Existenz von Menschen unsrer Klasse zerstören. Das ist einfach nur dumm und unnötig und zieht jede Menge Hass auf sich.
Und ich bin noch immer stinkig auf den G20 allgemein. Auf diese Leute, die meinen, sie könnten die Welt regieren.
Aber ich bin auch glücklich und dankbar.
Die ganze Solidarität, die ich erlebt habe, hat mich wirklich berührt und bewegt.
Danke an die, die fremde Leute in ihre Wohnungen aufgenommen haben,
Danke an die freundlichen, hilfsbereiten Anwohner,
Danke an die fantastischen Demosanis, die echte Helden sind,
Danke an die Presse, dir vor Ort war, und die sich durchgehend solidarisch gezeigt hat und ebenfalls von der Gewalt der Polizei betroffen war (ja, sogar Presseleute!),
Danke an St. Pauli, die super Sachen auf die Beine gestellt haben,
Danke an die wenigen Polizisten, die ihre Leute mal gestoppt haben,
Danke an alle, die während des G20 Gipfels ihren Arsch auf die Straße bewegt haben, trotz diverser Einschränkungen!!   

webadresse: 
Lizenz des Artikels und aller eingebetteten Medien: 
Creative Commons by-sa: Weitergabe unter gleichen Bedingungen

Ergänzungen

Danke. - ohne weitere Worte

Fühl Dich ganz fest gedrückt. Kein Wort zuviel.

Zusammenfassung, welche mir aus dem Herzen spricht. Letztendlich hat der sinnlose Gewaltausbruch uns so geschadet, das de Maiziere jetzt offiziel die Schließung der Roten Flora fordert.

Solidarische Grüße

Danke für den Text, ich bin da in sehr vielen Punkten ganz bei Dir. Und nicht die Frage an Dich sondern an uns: und was machen wir nun mit den beschriebenen Mackern in unseren Reihen???

danke. schöne denk- und sichtweise, in der ich mehr als nur einmal wiedererkannt hab.

Wieso geht man überhaupt vermummt auf eine Demo und begeht damit eine Straftat? Das ist doch Provokation der Staatsgewalt. Keine Straftat - kein Polizeieinsatz.

Also mir ist aufgefallen, dass kritische Kommentare, ganz besonders bei hoch frequentierten/interessanten Artikeln, gelöscht werden.

 

Leute Ihr verfälscht damit aktiv die Wahrnehmung der Leser - das nennt man Manipulation und ist nicht SOLIDARISCH.

Dafür demonstriert ihr doch... Es gibt auch andere politische Gruppierungen die sowas tun. Eigendlich seit Ihr doch auf Distanz zu denen. Was die Taten angeht scheit Ihr nahezu gleich zu sein.

 

Man ruft in einen Wald und man hört nichts. Kein Echo, keine Reaktion. Wie soll man Euch verstehen?

 

Diese Fragen würden helfen EUER Vorgehen zu verstehen.

Die Teilnehmer/innen des Schwarzen Blocks scheinen sehr davon überzeugt zu sein, dass ohne sie keine Demonstrationen möglich sind. Erst ihre Anwesenheit gewähre die Versammlungsfreiheit und den nötigen Schutz vor Polizeigewalt. Das Gegenteil ist der Fall. Jede genehmigte "bunte" Demonstration kann ungehindert ablaufen, ob es sich um kleine lokale Veranstaltungen handelt oder um große überregionale, um Lichter- oder Menschenketten, die rund um einen Marktplatz oder quer durch Deutschland gespannt sind. Das funktioniert und funktionierte auch in der Vergangenheit ganz ohne schwarz gekleidete Personen und ohne Vermummung. Erst der sich formierende schwarze "Block" (schon dieses Wort zeigt, dass hier eine militante Formation gewünscht ist) bringt Demos und Demoteilnehmer/innen in Gefahr.

Und wer von vornherein eine Demo trotz Vermummungsverbot vermummt beginnt, sorgt nicht einfach gegen Maßnahmen wie Wasserwerfer vor, wie die Autorin glauben machen möchte, sondern beabsichtigt erstens eine Provokation (wie auch ein anderer Leser schrieb) und zweitens das Unerkannt-Bleiben in der Masse (wie die Autorin des Artikels selbst einräumt). Warum dauerte es (nach der Aufforderung durch die Polizei) eine Weile, den ausländischen Demoteilnehmern zu übersetzen, dass sie ihre Vermummungen abnehmen sollen? Warum können die Veranstalter und Mitdemonstranten nicht zu Beginn (oder auch schon bei den Aufrufen zur Demo in schriftlicher Form und in verschiedenen Sprachen) alle Teilnehmer/innen darüber informieren, dass Vermummung auf deutschen Demos verboten ist (und man allenfalls für prekäre Situationen zum Selbstschutz Sonnenbrillen etc. im Rucksack mitbringen könne)? Hinterher so zu tun, als sei man von der polizeilichen Aufforderung völlig überrascht worden, ist nicht nachvollziehbar, vor allem da sich die Autorin zunächst auf die Legalität der Demo und des Camps beruft.

Zum Unerkannt-Bleiben noch was: Da preist die Autorin in ihrem Artikel vielmals die Solidarität aller Teilnehmenden, die ihr so ein gutes Gefühl gegeben habe. Dieses Gemeinschaftsgefühl gemeinsam gegen G20 zu sein und gemeinsam etwas Wichtiges für unsere Gesellschaft zu tun. Ja, bestimmt ein nettes Gefühl (kenne ich aus früheren Demos und dem Umfeld vorher, nachher, zwischendrin auch...). Dann aber erklärt sie, die Vermummung sei nötig, um nicht für Aktionen zur Verantwortung gemacht zu werden, die sie selbst nicht begangen hat. Hmm, ist also Misstrauen nicht nur gegenüber der Polizei, sondern auch gegenüber anderen Demo-Teilnehmenden vorhanden? Und dies trotz dieser friedlichen, freundschaftlichen Atmosphäre, von der die Autorin schwärmt? Zudem: Die "bunten" Demo-Teilnehmer/innen, die man nach Aussage der Autorin so gerne auf den Demos sieht, können ja ruhig erkenn- und identifizierbar sein? Wenn ihnen Taten angehängt werden, die sie nicht begangen haben, wäre das egal? Nur die Leute, die sich als schwarzer Block verstehen, müssen/sollen sich vor etwaigen falschen Verdächtigungen schützen? Merkwürdiges Verständnis von Zusammengehörigkeit, Solidarität und Gleichheit.