Zu den Durchsuchungen, Vorladungen und Verhaftungen in München und Salzburg im Februar 2025

Was ist passiert? Am 26. Februar 2025 wurden in München, im Münchner Umland und im Raum Salzburg acht Wohnungen, Vereins- und Lagerräume von Bullen im Auftrag der Generalstaatsanwaltschaft München durchsucht. In den Tagen danach kam es noch zu Folgedurchsuchungen. Nach dem was wir bisher wissen, richteten sich die Durchsuchungen gegen insgesamt vier Beschuldigte sowie Zeug*innen in drei verschiedenen Ermittlungsverfahren wegen Billigung/Belohnung von Straftaten, Bildung einer kriminellen Vereinigung sowie dem Anfangsverdacht der Tatbeteiligung an Brandanschlägen. (https://de.indymedia.org/node/497199). Bei den Durchsuchungen wurden diverse Computer, Drucker, Speichermedien, Telefone und Zeitschriften beschlagnahmt. Zwei der vier Beschuldigten wurden wegen fehlender Meldeadressen in Untersuchungshaft genommen. Für die anderen beiden Beschuldigten reichten die Vorwürfe laut Presse nicht zu Haftbefehlen aus. Zudem wurden Zeug*innen zur Vernehmung durch die Generalstaatsanwaltschaft München vorgeladen. Welche der Ermittlungsverfahren für die Vorladungen eigentlich relevant sind, bei welchen Ermittlungsverfahren Querbezüge durch die Bullen hergestellt werden und ob es bisher überhaupt relevante Erkenntnisse gibt, können wir noch nicht beurteilen.

Die Betroffenen und ihre Unterstützer*innen stehen jetzt vor der Aufgabe, die Haft durchzustehen, sich auf die anstehenden Vernehmungen und die möglicherweise noch folgenden Gerichtsverfahren vorzubereiten, sowie Support für die Inhaftierten zu organisieren. Wir schicken Ihnen solidarische Grüße und Kraft für die nächste Zeit. Worauf beziehen sich die Ermittlungsverfahren? Die Konstrukte der Verfahren sind etwas kompliziert. Wir wollen versuchen, hier eine kurze Beschreibung zu geben, auch wenn wir das bis jetzt nur auf Grundlage der Indymedia-Posts und der Zeitungsartikel machen können. Zum besseren Verständnis ist es wahrscheinlich hilfreich, zuerst die Vorgeschichte der Durchsuchungsaktion zusammenzufassen: Seit mehreren Jahren brennen in München und Umgebung in schöner Regelmäßigkeit Fahrzeuge, Maschinen, Züge, Baumaterial, Gebäude, Kabelschächte oder Funkmasten. Das alles hat sich mittlerweile zu einer ansehnlichen zweistelligen Millionensumme an Sachschäden entwickelt. Bei einem größeren Teil dieser Aktionen gab es keine Bekennungsschreiben, bei anderen schon. Nach Angaben der Lokalpresse haben die Bullen bei keiner einzigen Aktion irgendeine verwertbare Spur zur Identifizierung von Tatbeteiligten sicherstellen können. Das einzige was sie bisher mutmaßen ist, dass die Brände keine zufälligen Selbstentzündungen gewesen sein können und irgendwie immer etwas mit "kritischer Infrastruktur" im weitesten Sinne zu tun haben. Im Januar 2025 brannten zuletzt 23 Transporter der Münchner Polizeihundestaffel auf einem unbewachten Parkplatz ab. Allein hier betrug der Sachschaden über zwei Millionen Euro. Soweit zur Situationsbeschreibung. Seit einigen Jahren versucht sich die „Ermittlungsgruppe Raute“ der Bullen erfolglos an der Aufklärung. So wie wir es verstehen gibt es neben dem "Anfangsverdacht der Beteiligung an sechs Brandanschlägen" auch ein Ermittlungsverfahren wegen "Billigung/Belohnung von Straftaten". Dies bezieht sich auf eine Broschüre mit dem Namen "Hetzblatt gegen den Windpark", die angeblich Ende 2024 mit Bezug auf die geplante Errichtung dutzender Windräder für den Chemiekonzern „Wacker“ in Umlauf gebracht wurde. Die Bullen ordnen sie vier Beschuldigten zu. Zwei der Beschuldigten wird zusätzlich zur Beteiligung an der Windpark-Broschüre vorgeworfen, Teil einer kriminellen Vereinigung zu sein. Der Münchner Lokalpresse war zu entnehmen, dass damit ein weiteres, schon etwas angestaubtes Ermittlungsverfahren aus dem Jahr 2022 gegen die Zeitung "Zündlumpen" gemeint ist. Der Zündlumpen erschien zwischen 2019 und 2021 sehr regelmäßig in München und kommentierte das aktuelle Geschehen in Stadt und Land aus anarchistischer Perspektive. Das Verfahren gegen den Zündlumpen ist ziemlich kurios und lohnt eine eigene ausführliche Betrachtung, die an dieser Stelle aber den Rahmen sprengt (https://de.indymedia.org/node/499854). Neben der Kriminalisierung der Zeitung selbst diente das Verfahren gegen den Zündlumpen aus unserer Sicht vor allem dem Angriff auf anarchistische Strukturen in München und führte neben umfangreichen Beschlagnahmungen auch zur Schließung der anarchistischen Bibliothek "Frevel". Dass dieses Verfahren jetzt wieder aus der Kiste geholt wurde, hatte möglicherweise den Zweck, die Herstellung der Windpark-Broschüre in einem größeren und deshalb bedrohlicheren Kontext erscheinen zu lassen und den Antrag für die Untersuchungshaft etwas auszuschmücken. Denn für eine konkrete Beteiligung an irgendeinem Brandanschlag haben die Bullen bei keine*r der Beschuldigten irgendeinen Beweis. In einem Artikel in der Welt am Sonntag von Mitte März 2025 wird in diesem Zusammenhang von beachtlichen 50 Brandanschlägen geschrieben. Darüber hinaus wird in dem Artikel der Versuch unternommen, einen Bezug der Ermittlungen in München zu anderen, bundesweiten Ermittlungskomplexen herzustellen (https://kontrapolis.info/15239/). Konkret werden hier zum einen die Anschläge der sogenannten Vulkangruppen genannt, zu denen auch der abgebrannte Strommast beim Brandenburger Tesla-Werk 2024 gerechnet wird. Zum anderen wird ein möglicher Zusammenhang mit der "Switch-off-Kampagne" aufgemacht (https://switchoff.noblogs.org/). In dem Artikel der Welt am Sonntag wird angedeutet, dass es inhaltliche und strukturelle Verbindungen zwischen militanten Aktionen in München und Berlin geben könnte und dazu scheinbar auch Ermittlungen laufen. Es wird zwar nicht benannt, von wem diese ganzen Ermittlungsverfahren geführt werden. Die Vermutung liegt aber nahe, dass hier das BKA federführend ist. Wie bewerten wir den Angriff? 1. Interpretation: Die Bullen mussten auf den gestiegenen Druck durch die Berichterstattung in der Presse reagieren und wollten sich für die abgebrannten Bullenautos rächen. Für diese Interpretation ist vor allem der Zeitpunkt der Durchsuchungen ausschlaggebend. In den letzten Monaten hatte sich der Druck auf die Ermittlungsbehörden durch die lokalen Medien im Zusammenhang mit den Brandanschlägen in München deutlich erhöht. Wenn die Angaben in den verschiedenen Zeitungsartikeln der Lokalpresse stimmen, haben die Bullen bisher offenbar so gut wie keine auswertbaren Spuren und keinen klaren Ermittlungsansatz. Dies spiegelt sich auch in den wilden Spekulationen der Presse wider, wer denn eigentlich aus welchen Gründen Forstmaschinen, Funktürme und Ferndatenkabel zerstört. In allen Artikeln stehen die Bullen jedenfalls buchstäblich dumm da: Sie können die Anschläge nicht verhindern, sie können nicht sagen, wer hier warum die ganzen Sachen macht, ob es immer die gleichen Leute sind oder ob die Aktionen überhaupt etwas miteinander zu tun haben. Es ist nicht schwer sich vorzustellen, in welcher Stimmung die Lagebesprechungen im Münchner Polizeipräsidium oder im Innenministerium nach dem Anschlag auf die 23 ungesicherten Bullenautos unmittelbar vor der NATO-Sicherheitskonferenz stattgefunden haben. Ob Rache oder auch "PR-Arbeit", der zeitliche Zusammenhang der Durchsuchungen mit den abgefackelten Bullenautos ist jedenfalls mehr als offensichtlich. Die Bullen wollten die Nachricht senden: Wir haben alles im Griff, wir haben ermittelt, wir haben Beschuldigte, wir haben Durchsuchungen und Verhaftungen gemacht, blablabla. Und die Presse übernimmt den ganzen Quatsch und druckt ihn ab. Im Ergebnis erscheint jetzt die Realität auf den Kopf gestellt. Die Schlagzeilen wirken so, als wäre der Anschlag auf die Bullenautos bereits drei Wochen später aufgeklärt, als wären bei den Durchsuchungen umfangreich Beweismittel sichergestellt worden und die angeblichen Täter*innen, die auch noch für zahlreiche andere Anschläge der "mysteriösen Brandserie" verantwortlich sein sollen, sind verhaftet. 2. Interpretation: Die Bullen wollen vor allem Erkenntnisse über Strukturen und Hinweise auf konkrete Beteiligung an einzelnen Aktionen sammeln, Verunsicherung stiften und einschüchtern. Das stimmt natürlich immer. Hier ist eher interessant, auf welche Art und Weise die Durchsuchungen durchgeführt wurden. Zum Stichwort Einschüchterung ist zunächst erwähnenswert, dass wenigstens eine der Durchsuchungen mit einem gigantischen Aufgebot von ca. 70 vermummten und mit Maschinengewehren bewaffneten Bullen durchgeführt wurde. Mehrere Objekte wurden in Abwesenheit der Betroffenen aufgebrochen und durchsucht. Es wurden Spurenhunde, Metalldetektoren und Flutlicht eingesetzt. Insgesamt spricht die Presse von mindestens 140 an allen Durchsuchungen beteiligten Bullen. Auch die Kriterien für die Benennung der Zeug*innen und der Umgang der Bullen mit ihnen deuten für uns darauf hin, dass es im Augenblick vorrangig um die Ermittlung von Strukturen gehen könnte. Bei den Durchsuchungen und Beschlagnahmungen wurde kein Unterschied zwischen Beschuldigten und Zeug*innen gemacht. Die Vorladungen zur Vernehmung erfolgten direkt durch die Staatsanwaltschaft, was bedeutet dass bei Nichterscheinen Zwangsvorführungen und bei Aussageverweigerung Zwangsgelder oder Beugehaft drohen. Es ist nicht auszuschließen, dass im Zuge der weiteren Ermittlungen aus Zeug*innen später Beschuldigte gemacht werden sollen. Wir gehen aber davon aus, dass die Bullen sich jetzt sehr genau angucken werden, wer sich mit wem trifft, wie die Betroffenen mit der Situation umgehen und wer sich sonst noch solidarisiert und zu dem Angriff verhält. Im Vorfeld der Durchsuchungen und auch im Rahmen der schon länger laufenden Ermittlungen zu den Brandanschlägen, gab es immer wieder umfangreiche Observationen und Lauschangriffe. Wir gehen davon aus, dass diese Maßnahmen jetzt nicht eingestellt sondern eher noch ausgeweitet werden. Wir sollten deshalb auch damit rechnen, dass in die Verfahren bisher noch nicht Betroffene einbezogen werden könnten. 3. Interpretation: Die Durchsuchungen und Ermittlungsverfahren könnten Teil eines umfangreicheren Angriffs auf militante Aktionen und Strukturen weit über München hinaus sein Diese Interpretation bezieht sich auf den besagten Artikel der Welt am Sonntag, in dem auf mögliche überregionale Verbindungen hingewiesen wird. Ob der Artikel nur der blühenden Fantasie der Autoren entsprungen, oder durch Hintergrundgespräche mit BKA und/oder Geheimdiensten unterfüttert worden ist, wissen wir nicht. Es fällt aber auf, dass die Welt am Sonntag in der letzten Zeit auch in anderen Zusammenhängen "investigativ" tätig wurde. Im letzten Jahr wurden hier sowohl angebliche strukturelle Hintergründe der "Switch-off-Kampagne" thematisiert, wie auch nach dem Tesla-Anschlag 2024 eine "Analyse" der Aktionen und mutmaßlicher bundesweiter Strukturen der sogenannten Vulkangruppen. Wir halten es für unwahrscheinlich, dass diese Artikel ohne gezielte Hinweise aus den Ermittlungsbehörden entstanden und publiziert wurden (https://kontrapolis.info/13213/). Im gleichen Zeitraum erschien darüber hinaus eine "Gefahrenanalyse" in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, in der vor allem eine angeblich steigende Gewaltbereitschaft bei Linksradikalen beschrieben, die Erzählung von einer Klima-RAF aufgewärmt und mit den Verfahren gegen militante Antifaschist*innen zusammen gerührt wird (https://kontrapolis.info/12562/). Hier wird der Bogen also noch weiter gespannt und es ist bei der FAZ genauso wie bei der WamS davon auszugehen, dass die Publikation der Artikel im politischen Interesse und mit ausdrücklicher Billigung der bundesdeutschen Repressionsstrukturen erfolgt ist. Beide Zeitungen fungieren seit Jahrzehnten als Lautsprecher der Bundesanwaltschaft und des Verfassungsschutzes. Fazit: Der Angriff der Bullen ist eine Reaktion sowohl auf die beachtliche Zahl von unaufgeklärten Brandanschlägen in den letzten Jahren in München, wie auch auf publizistische Projekte wie den Zündlumpen und die Windpark-Broschüre. Darüber hinaus verstehen wir die Ermittlungen auch als einen Angriff gegen anarchistische, widerständige, antagonistische und militante Strukturen im Allgemeinen. Was an den strafrechtlichen Konstrukten gegen die Beschuldigten dran ist, müssen wir abwarten. Es wird sich jetzt zeigen, wie die Bullen weiter vorgehen: wie die anstehenden Zeug*innenvorladungen und Haftprüfungstermine ablaufen werden, ob es zu Folgedurchsuchungen oder einer Ausweitung des Kreises der Betroffenen kommen wird, ob es am Ende zu Anklagen und Verfahren kommt und welche der zahlreichen Vorwürfe dort überhaupt verhandelt werden. Das alles haben wir nicht in der Hand. Wichtig ist für uns im Moment, dass der Versuch der Bullen, Einzelne zu bedrohen und einzuschüchtern, kollektiv zurückgewiesen wird. Schön wäre es, wenn es uns darüber hinaus gelingt, den Angriff politisch und praktisch so zu beantworten, dass die Bullen noch dümmer aus der Wäsche gucken als schon nach dem Anschlag auf ihre Scheißkarren. Wie können wir den Angriff beantworten? Im Augenblick geht es erst mal darum, wie die Betroffenen unmittelbar unterstützt werden können. Die Gefangenen freuen sich bestimmt über Post, Soli-Aktionen und Feuerwerk und auch die anderen Beschuldigten und Zeug*innen können Support sicher gut gebrauchen. Die anstehenden Verfahren werden viel Geld kosten und Zeit in Anspruch nehmen. Praktische Infos wie ihr sie unterstützen könnt, findet ihr unten. Darüber hinaus sind uns aber noch zwei andere Punkte wichtig: wir alle sollten uns zum einen überlegen, wie wir uns gegen die (mögliche weitere) Repression von Staatsanwaltschaft und Bullen organisieren und schützen können. Zum anderen und mit Blick darauf, dass der Angriff nicht nur gegen die jetzt Beschuldigten sondern auch ganz grundsätzlich gegen eine antagonistische Praxis und Organisierung gerichtet ist, wollen wir mit euch unsere Gedanken zu militanter Praxis unter den gegebenen politischen Verhältnissen teilen. Vielleicht habt ihr da Widerspruch, vielleicht seht ihr auch Übereinstimmungen. Zum Umgang mit weiterer Repression: Wir gehen davon aus, dass sich die Repressionsbehörden Hinweise auf die unaufgeklärten Brandanschläge erhoffen, im Augenblick aber vor allem die Verbindungen und Arbeitsweisen aktivistischer und militanter Zusammenhänge verstehen wollen. Das bedeutet, dass es möglicherweise nicht mit den bisherigen Durchsuchungen getan sein wird. Wir müssen damit rechnen, dass es weitere Observationen, Überwachungsangriffe, Durchsuchungen und Verhaftungen geben kann, auch in anderen Städten und Regionen. Also räumt alle ruhig mal eure Zimmer, Speicher, Keller und Schuppen auf, nutzt Tails und TOR wenn ihr im Internet surft oder kommuniziert, lasst zwischendurch einfach mal eure Telefone zu Hause und besprecht mit euren Freund*innen, wie ihr euch grundsätzlich gegen Überwachung schützen könnt. Und vor allem: spekuliert nicht über das, was irgendwelche Personen vielleicht getan oder nicht getan haben könnten. Alles was die Bullen darüber mitkriegen, werden sie benutzen, um sich ein besseres Bild zu machen und euch oder andere zu bedrohen oder vor Gericht zu zerren. Sicher erhoffen sich die Bullen, durch die Durchsuchungen und Ermittlungen nicht nur die Betroffenen sondern auch uns alle einzuschüchtern. In den letzten Jahren haben die Bullen und Staatsanwaltschaften sehr großzügig mit dem Vorwurf der kriminellen Vereinigung (§129) gearbeitet. In München richtet sich das nicht nur gegen Zeitungen wie den Zündlumpen. Die Generalstaatsanwaltschft München führt aktuell zum Beispiel auch ein §129-Verfahren gegen die "Letzte Generation", die mit ihren Aktionen nicht für die Abschaffung des Kapitalismus, sondern für die Einführung von Geschwindigkeitsbegrenzungen auf der Autobahn kämpft. Deshalb: diskutiert mit euren Freund*innen, wie ihr mit Ängsten und Verunsicherungen umgehen könnt. Lasst euch bei Duchsuchungen, Zeug*innenvorladungen oder Verhaftungen nie auf irgendwelche Aussagen ein und unterschreibt auch nichts. Überlegt, wie ihr euch gegenseitig unterstützen könnt, wenn die Bullen einzelne von euch rauspicken. Zu unserem Verhältnis zu militanter Praxis und Sabotage: Wir verstehen die Brandanschläge, egal ob mit oder ohne Erklärungen, als Beispiele einer militanten Notwehr gegen ein zerstörerisches kapitalistisches Gewaltsystem. Anscheinend sehen die Bullen und die Staatsanwaltschaft das ähnlich, auch wenn sie es anders nennen. Wir meinen mit militanter Praxis aber mehr als Brandanschläge gegen Infrastruktur oder Angriffe auf Nazis und ihre Strukturen. Für uns bedeutet militante Praxis alles, was unabhängig von den Beschränkungen des Strafgesetzbuchs die gesellschaftlichen Verhältnisse angreift und in einem emanzipativen Sinn verändern will. Dazu gehören unangemeldete Demos, Flashmobs, Zeitungen, Flugblätter, Plakate oder gesprühte Parolen, genauso wie Riots, Blockaden oder Besetzungen. Es können Aktionen wie Adbusting oder gezielte Sachbeschädigung sein. Militante Praxis kann eher symbolisch oder auch materiell verheerend sein. Sie kann sich durch begleitende Veröffentlichungen politisch bekennen oder auf Erklärungen verzichten. Auch die praktische Solidarität mit Betroffenen staatlicher Repression ist ein notwendiger Teil militanter Praxis. Die "Legitimität" einer militanten Praxis ergibt sich für uns daraus, wie wir die gesellschaftliche Situation insgesamt bewerten. Dazu ließe sich vieles sagen, wir wollen es hier aber bei ein paar Stichworten belassen, die keinen Anspruch auf eine umfassende politische Analyse erheben: Kriegsmobilisierung, Militarisierung und neuer Imperialismus Das erste worauf sich CDU und SPD als wahrscheinliche neue Bundesregierung mit Unterstützung der Grünen gerade geeinigt haben, ist ein gigantisches Aufrüstungspaket. Die Aufrüstung der Bundeswehr wird flankiert mit Debatten zur Wiedereinführung eines Kriegsdienstes und Überlegungen zur Entwicklung von neuen, europäischen Atomwaffen. Die imperialistische Ausdehnung und Kontrolle des "eigenen" Territoriums und Einflussgebietes durch militärische Gewalt und Krieg ist kein exklusives Privileg des russischen Imperialismus. Sie findet in diesen Tagen genauso durch die türkische, iranische oder israelische Regierung statt, in Rojava und Syrien, im Jemen und Irak oder auf den Golanhöhen, im Gazastreifen und Westjordanland. Die US-amerikanische Regierung droht mit der Annexion von Grönland und dem Panama-Kanal, die chinesische Regierung droht mit der Annexion Taiwans. Die traditionellen politischen und militärischen Bündnisse befinden sich im Umbruch. Die Hoffnung, dass durch die allseitige massive Aufrüstung jetzt Kriege verhindert werden ist naiv und absurd. Ein größerer politischer Widerstand gegen die Kriegspolitik ist nirgendwo wahrnehmbar, dafür aber umso notwendiger. Krieg braucht Infrastruktur, Aufrüstung und Waffenlieferungen. Dies alles gezielt anzugreifen und zu zerstören ist immer richtig. Klima- und Naturzerstörung Wir können wieder bei der zukünftigen CDU/SPD Regierung anfangen. Gigantische Investitionen in die "Infrastruktur" sollen Kriegsfähigkeit und Wirtschaftswachstum ermöglichen, ein konsequenter Kampf gegen die globalen Klima- und Umweltzerstörungen würde voraussetzen, dass mit dem Wachstums- und Profitprinzip der kapitalistischen Produktion gebrochen wird. Das ist natürlich selbst von den Grünen zu viel verlangt. Auch in dieser Frage ist augenblicklich nicht zu sehen, dass eine "zivilgesellschaftliche" Klimabewegung den "system change" erzwingen würde. Sabotage an den Lieferketten der Überproduktion und Sand im Getriebe der Naturzerstörung können aber wenigstens das Tempo der umfassenden globalen Verwüstungen etwas verringern. Flucht, Migration Sollen wir ernsthaft begründen, warum die Sabotage am mörderischen und sich immer weiter verschärfenden deutschen und europäischen Grenzregime notwendig und gerechtfertigt ist? Vielleicht ist es ja nur noch für eine kurze Zeit, dass europäische Regierungen bei ihrem Morden an den Grenzen immer noch vom Schutz der Menschenrechte reden. Absehbar ist jedenfalls jetzt schon, dass in naher Zukunft nicht nur Brandanschläge auf Bullenwagen sondern auch die zivile Seenotrettung oder der Widerstand gegen das Bezahlkartensystem als Angriffe auf den Staat gewertet und entsprechend verfolgt werden. Autoritäre, patriarchale, rassistische, faschistische und djihadistische Mobilisierungen Die Zustimmung in Deutschland für die AfD steigt ungebremst, die Gewalt auf der Straße gegen Menschen, die als "fremd" identifiziert werden, ebenfalls. Die bürgerlichen Parteien lassen ihre Masken fallen und paktieren mit Faschist*innen im Kampf um die administrative Macht zur Durchsetzung ihrer Umverteilungs- und Zerstörungsprojekte. Praktischer Antifaschismus wird massiv kriminalisiert. Überall in Europa drängen die Faschist*innen an die Macht. In den USA und in Russland stellen Faschist*innen die Regierungen und kontrollieren Militär, Polizei und Geheimdienste. Der Wahnsinn einer weltweiten sozialen Dystopie wird noch bereichert durch das chinesische Modell eines autoritären rassistischen Überwachungsstaats und diverser Kalifate autoritärer oder djihadistischer Gotteskrieger egal welcher Konfession. Sie alle schüren und instrumentalisieren den Hass auf andere Menschen mit Hilfe von Konstruktionen wie Religion, Nation, Kultur, Lebensweisen oder Lebensraum. Der Terror von Rechten und Faschist*innen geht dabei überall auf der Welt Hand in Hand mit einem Rollback patriarchaler Diskurse und massiver Gewalt gegen Frauen und queere Menschen. Täglich werden vor allem Frauen, queere Menschen und Kinder gedemütigt, gejagt, vergewaltigt und umgebracht und Widerstand dagegen als „woke linke Cancel-Culture“ diffamiert. Diese Aufzählung ließe sich noch endlos weiter führen und jeder einzelne dieser Aspekte würde schon ausreichen, mit militanter Notwehr und Sabotage zu reagieren. Es gibt keinen Grund, zu warten, bis alles immer noch schlimmer wird. Es sieht nicht so aus, als würden sich in absehbarer Zeit in Deutschland, in Europa oder irgendwo anders auf der Welt große emanzipatorische Massenbewegungen entwickeln, die die bestehenden Gewaltverhältnisse umwerfen. In dieser Situation, und solange bis sich alles grundlegend geändert hat, ist für uns Militanz nicht nur eine von vielen Möglichkeiten zum Handeln, sondern auch eine Frage der Selbstachtung. Militante Praxis ist dabei mehr als nur ein Ventil für unseren Hass auf ein Gesellschaftssystem der Unterwerfung, der Verachtung und der allumfassenden Zerstörung der Lebensgrundlagen. Es soll ja immer wieder vorkommen, dass militante Aktionen neben dem symbolischen Wert und reinen Sachschaden auch ganz unmittelbar praktische Konsequenzen haben. Bei einem der zahlreichen Anschläge in München wurde ein 5G-Sendemast angezündet. Bis heute ist der Empfang in dieser Gegend gestört. Bei einem weiteren Anschlag traf es ein Kieswerk und führte zum Rückzug des Unternehmens aus einem geplanten neuen Kiestagebau. Der Anschlag auf den Strommast neben der Brandenburger Teslafabrik hatte einen wochenlangen Produktionsausfall zur Folge und hat der Mobilisierung gegen Tesla enormen Schwung gegeben. Die Waldbesetzungen, Kraftwerksblockaden und der Kampf um Lützerath haben die Bullen und Konzerne Körner und Geld gekostet. Sie mobilisieren Menschen und alle Ansätze von Selbstorganisierung sind immer auch notwendige Schritte und Erfahrungen auf dem Weg in eine Welt ohne Herrschaft, Ausbeutung und Unterdrückung. Wie auch immer, gute Gründe sowie inhaltliche und praktische Ansatzpunkte für militante Praxis gibt es mehr als genug, also sucht euch einfach das aus, was euch am meisten interessiert oder Spaß macht. Organisiert euch, bleibt unberechenbar - und wer weiß, vielleicht lassen sich ja andere von euch inspirieren... Liebe und Kraft allen Militanten drinnen und draußen! Autonome Gruppe „Flaute für Raute“ __________________ Infos für praktische Solidarität Wenn ihr Briefe in den Knast schreiben wollt, schreibt an solidaritaet-mit-n-und-m@riseup.net und ihr bekommt die Adressen der beiden zugeschickt. Weitere Infos und Links Verschiedene Artikel der Lokalpresse https://www.abendzeitung-muenchen.de/muenchen/stadtviertel/brandanschlag... https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-haidhausen-feuer-baustelle... https://www.br.de/nachrichten/bayern/brandstiftung-feuer-zerstoert-23-po... https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-polizei-brandanschlag-terr... https://www.sueddeutsche.de/bayern/kriminalitaet-festnahmen-nach-serie-v... Artikel von Wams und FAZ https://kontrapolis.info/15239/ https://kontrapolis.info/13213/ https://kontrapolis.info/12562/ Zündlumpenverfahren und weitere Ermittlungsverfahren https://archive.org/search?query=z%C3%BCndlumpen https://de.indymedia.org/node/499854 https://de.indymedia.org/node/188585 https://de.indymedia.org/node/234473 https://frevel.noblogs.org/kundigung-unserer-raumlichkeiten-auf-druck-de... Seiten zum Stöbern und für Inspiration https://switchoff.noblogs.org/ https://chronik.blackblogs.org/

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Ergänzungen

Zu dem Welt am Sonntag Text sei angemerkt, dass der Autor Alexander Dinger lange Polizeireporter bei der Berliner Morgenpost war. Über seine alten Kontakte dürfte es zu dem etwas komisch anmutenden Bericht über die "Auspähversuche" bei Unternehmen um Berlin gekommen sein, und bei der neueren WamS-Recherche wollte er dazu halt eine Brücke bauen. Im FAZ Artikel geht es ja auch fröhlich um RAF und Antifa-Ost, eben das was den Autoren so einfällt zum Thema...