[G7] Bericht

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Nicht nur für die 7+ Hackfressen und ihre Gefolgschaft war der G7 in Biarritz kein voller Erfolg. Ereignisse, Auseinandersetzungen und Aktionen des Gegengipfels wurden von den Medien kaum dokumentiert. Trotz intensiver Mobilisierung machte das Protestcamp in der Nähe der baskischen Grenzstadt Hendaye keine Schlagzeilen. Die von der französischen Regierung aufgefahrene polizeilich-militärisch-staatliche Drohkulisse hat alles dafür getan. Und dennoch ist einiges passiert. Ein kleiner Bericht.

 

Donnerstag & Anfang

Vieleviele tausend hauptsächlich französisch- und spanischsprachige Menschen fanden sich am Donnerstag 22. August auf dem ehemaligen Nestle-Gelände an der baskischen Küste unweit der Grenzstadt Hendaye (wenige Kilometer von Biarritz und Bayonne entfernt) ein. Es hätten noch viel mehr sein können, denn die militärpolizeilichen Kontrollen an Autobahnen, in Zügen und auf Landstrassen waren zu diesem Zeitpunkt schon voll im Einsatzz (siehe auch

 

https://de.indymedia.org/node/36694). Paranoid war nicht nur der Staat, der die Einreise angeblich gewalttätiger Demonstranten ins Baskenland verhindern wollte. Während die Stimmung in der Camp-Orga anfänglich fröhlich war (Gelbwesten und verschiedene linke Gruppierungen hatten sich am Aufbau des Camps beteiligt), brachten viele Angereiste eine für französische Verhältnisse untypische angstvolle Stimmung mit. Um diese (zunächst erfolgreich) zu durchbrechen gab es am Donnerstag eine schwungvolle und kreative Auftaktdemonstration zum Strand von Hendaye. In dieser Kleinstadt wurden in einer ehemaligen Schule und in einem Kino Workshops, Vorträge und Diskussionsveranstaltungen zu verschiedenen globalisierungskritischen Zusammenhängen organisiert.

 

Camp

Unfreiwillig steckte die geographische Location des Camps schon den Aktionsrahmen. Zelt- und Parkplätze lagen über mehrere Hügel verteilt direkt am Meer. Auf der einen Seite die gesperrte spanische Grenze, auf der anderen Seite Richtung Biarritz und Bayonne, das von der Gendarmerie kontrollierte Straßennetz aus nur wenigen parallel zum Meer verlaufenden Landstraßen und der Autobahn. Von zwei Seiten also komplett abgeriegeltes Territorium durch Meer und Grenze. Die Bullen konnten sich so wahrscheinlich leichter auf die fast perfekte Kontrolle der Straßen und Wege fokussieren. An der Camporga waren Gruppierungen beteiligt, denen es ein Anliegen war zu zeigen dass das Baskenland entgegen seinem Ruf und seiner Geschichte eben doch nicht nur militant und entschlossen protestieren konnte sondern auch friedlich und familiär. Ein „Aktionskonsens“ wurde von der Camp-Orga für die von ihnen vorbereiteten Aktionen aufgestellt mit dem die Mehrheit des Camps nicht einverstanden war: pazifistisch. Es gab im Camp einige chaotische Großversammlungen bei denen Streit ausbrach; keine gemeinsame Linie gefunden wurde und die Menschen trotzdem zum Protest aufbrachen. „Wir haben für euch die Bedingungen geschaffen, damit ihr überhaupt hier sein könnt“ hieß es von SprecherInnen der Camp-Orga auch um den sogenannten Konsens durchzudrücken. In spontaner und paralleler Selbstorganisation fanden Grossversammlungen auch um Mitternacht nach Konzerten statt. Noch während dem Camp wurden zwei Bullenspione innerhalb der Camp-Orgastruktren entlarvt(zu einer davon https://emrawi.org/?Frankreich-Uber-den-Undercover-Cop-die-beim-G7-Gegengipfel-entlarvt-wurde-267).

 

Freitag & Bullen-Angriff

Am Freitag legte ein Demozug zu Fuss vom Camp in Richtung der Autobahnkreisel los. Anfänglich viele hundert Menschen; als nach der erfolgreichen Blockade des ersten Kreisels der Demozug Richtung Autobahn loslegte und ein Motorrad-Rudel Cops auftauchte, waren es nur noch etwa 2 hundert Menschen (Motorrad-Cops „Volitgeurs“ sitzen zu zweit auf einem Motorrad, der Hintere hat ein Flashball-Gewehr – jene Waffe die in Frankreich schon für den Verlust zahlreicher Augen auf Demos gesorgt hat). Die Gendarmerie blockierte den Aufgang zur Autobahn, die Demo zeigte sich entschlossen. Die Menschen achteten darauf zusammenzubleiben denn wer sich ab diesem Zeitpunkt von der Demo entfernte konnte abgegriffen werden (insgesammt 8 Verhaftungen bei dieser Demo). Einige Scharmützel, Straßenbarrikaden aus Reifen, spontanen Demoroutenänderungen und viele Stunden später befand sich die Demo zurück auf dem Weg ins Camp. Auf einer Landstraße wurde ein Motorrad-Bulle umgeschubst.

 

Wenige Stunden später griff die Gendarmerie das Camp in der Dämmerung an. Schreie und Panik vor einem Genova 2.0. Am Eingang des Camps wurde eine Barrikade errichtet. Dahinter standen schon die Räumpanzer auf der einzigen asphaltierten Straße zum Camp. Die Info dass das Camp umstellt war drang durch. Viele Menschen reagierten schnell und begannen die Bullen vor dem Eingang des Camps zurückzudrängen und immer breitere Barrikaden zu bauen. Camp-Infrastruktur wurde dafür ausgeweidet. Tränengas flog ins Camp aber Stück für Stück konnten immer weitere Barrikaden errichtet werden die gehalten wurden und die Bullen Stück für Stück die Straße hinuntertrieben. Das Camp lag auf einem Hügel was die Bullen dazu zwang bergauf zu kämpfen und konnte erfolgreich verteidigt werden. Auf der Versammlung in der selben Nachtt wurde die Einschätzung geteilt dass sie diese Nacht nicht wiederkämen. Es wurde der morgige Tag diskutiert – eine Demo in Bayonne und eine Demo in Hendaye. Für die Stadt Bayonne wurde ein Demoverbot erlassen.

 

Samstag & gefährlich

Anreise nach Bayonne schwierig. An allen Autobahneinfahrten, allen Kreiseln auf Landstraßen, in allen Straßenzügen in den Außenbereichen der Stadt standen Reihe um Reihe die Wannen der Gendarmerie, der CRS. Kontrolle und Durchsuchung von allem was sich bewegt. Bei An- und Abreise mindestens 60 Verhaftungen. Touristen wurde empfohlen die Stadt an diesem Tag zu meiden. Fast alle Läden und Bars hatten zu. Es gab politischenn Druck: sollte es zu Ausschreitungen kommen wären Schäden an offenen Läden nicht von der Stadt bezahlt worden. Durch die Strassen streiften Greiftruppen, alle Rucksäcke wurden durchsucht. Einige Menschen sammelten sich vor einer Bar und wurden prompt gekesselt. Bayonne ist durch einen Fluss geteilt. Gegen Abend wurden alle Brücken auf beiden Seiten von der Gendarmerie komplett vergittert. Videodrohnen und Helikopter begannen über der Stadt zu kreisen und nach Menschengruppen zu suchen. Wer nun in Bayonne war konnte ohne Kontrolle nicht mehr raus oder gar nicht mehr raus. Keine Busse, keine Züge, alle Ausfahrten voller Bullen. Trotzdem formierte sich ein Demozug von mehreren hundert Menschen auf einer Seite der Stadt, nahm kurzzeitig einen Kreisel ein, lieferte sich ein kleines Gefecht mit den Bullen an einer Brücke. Die Medien bekamen ihre Bilder mit den Tränengaswolken über der Stadt. Bayonne war an diesem Tag eine Falle. Samstagnacht wurde eine GendarmerieEinheit in der Nähe des Protestcamps angegriffen.

 

Nach dem Highlight war für das Camp Schluss. Am Sonntag Morgen kreisten mehrere Helikkopter tief über dem Camp. Eine Demo für die Inhaftierten vor dem Knast von Hendaye lief noch vom Camp los. Die Damen des G7 trafen sich zum Ladyprogramm in Espelette einem kleinen Dorf östlich vom Camp. Wieder alle Straßen dicht, wieder totale Drohkulisse und Psychoterror. Ein G7 in einer bergigen ländlichen Gegend mit wenigen Straßen ist doch etwas ganz anderes als ein G20 in einer Metropole wo es zahlreiche Möglichkeiten gibt von A nach B zu gelangen – und das ohne stundenlanges Marschieren durch die Berge. Es können weniger Mennschen mitkommen. Für die Gipfelmächte ist es leichter eine ländliche Gegend, noch dazu in einer geographischen Sackgasse zwischen Grenze und Meer abzuriegeln als eine Millionenstadt. An Entschlosssenheit magelte es wenigstens nicht.

 

 

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Ergänzungen

Dies ist ein Text, der eilig geschrieben wurde, damit die Nachricht sich verbreitet und sich alle Personen und Gruppen, an die sich diese Person in den letzten Monaten gewandt hat, entsprechend organisieren können.

Es scheint, dass sich diese Undercover-Cop „Dan“, „Rose“, „Rose des sables“ oder „Clara“ nannte, je nachdem, in welchen Städten und Gruppen sie aktiv war, und wahrscheinlich hatte sie noch viele andere Spitznamen. Sie ist Mitte 60, ziemlich schmal, zwischen 1,55 m und 1,65 m groß, starke Raucherin und trägt fast immer eine Sonnenbrille. Sie gab an, aus Clermont-Ferrand zu kommen und dort militant aktiv gewesen zu sein. Sie sagte auch, sie würde bei Enedis [Stromanbieter] in Toulouse arbeiten.

Im Camp des Gegengipfels wurde diese Frau (von Leuten, die die GJ*-Bewegung in Toulouse kannten) während einer ziemlich sensiblen Versammlung, die sich insbesondere mit der Abreise von der Bayonne-Demonstration befasste, bemerkt, wie sie diskret mit ihrem Handy Fotos von den Teilnehmer*innen machte. Diese Leute beschlossen, einzugreifen und sie außerhalb der Versammlung zu konfrontieren.

Bei der Überprüfung ihres Handys zeigte sich, dass während der letzten drei Tage mehrere hundert Fotos von Aktionen, Demonstrationen und Versammlungen gemacht wurden. Anschließend stellten die Gefährt*innen fest, dass einige dieser Fotos, darunter auch Nahaufnahmen von klar identifizierbaren Personen, (zusammen mit ausführlichen Berichten über ihre Aktivitäten sowie Protokolle der Versammlungen) an einen Vorgesetzten gesendet wurden, der nach Einzelheiten fragte und weitere Anweisungen gab. In dem durch diese Entdeckung entstanden Chaos gelang es ihr, aus dem Camp zu verschwinden (und es ist wahrscheinlich, dass sie während des ein paar Stunden später stattfindenden Angriffs der Cops auf das Camp aus dem benachbarten Centre Pierre & Vacances, indem sie zweifellos Zuflucht gesucht hatte, „gerettet“ wurde). Es sei darauf hingewiesen, dass sie kurz zuvor versuchte, an eine Telegram-Gruppe eine Nachricht mit dem Inhalt „Telefon kaputt“ zu senden, aus der hervorgeht, dass sie mit anderen Polizist*innen die in dieser Gruppe waren Kontakt hatte.
Viel mehr als nur eine Informantin

Was bei dieser Geschichte auffällt, ist das Ausmaß der Verbindungen und Informationen, auf die diese Person Zugriff hatte. Bis heute wissen wir, dass sie im Januar in der Gelb-Westen Bewegung in Toulouse aktiv war, dass sie an der Organisation der Demorouten teilnahm, dass sie sich in vielen Telegram- und Facebookgruppen (bisher sind zwei Facebook-Profile bekannt: „Dan boro“ und „Rose des sables“) positionierte, dass sie an verschiedenen Versammlungen der Bewegung teilnahm, dass sie Kontakte zu Menschen und Gruppen aufnahm […]. Es sei auch darauf hingewiesen, dass sie in den Telegram-Gruppen für die Organisation der Unterkünfte der GJ in Toulouse während der landesweiten Aktionen aktiv war und sie daher eine umfangreiche Sammlung von Daten vornehmen konnte. Wir sind also weit davon entfernt, es mit einer einfachen Polizei-Spionin zu tun zu haben, denn dies gibt es natürlich hier und da. Diese Person allerdings organisierte, trieb an und forcierte Aktionen, sie verband Menschen, damit die Polizei Verhaftungen vornehmen konnte. Es war der Staat, der seine Angriffe organisierte…

Diese Situation haben wir in Toulouse, Bordeaux und Montpellier, aber auch und gerade bei der Organisation des G7-Gegengipfels festgestellt. Um glaubwürdig zu erscheinen, stützte sich diese miese Spionin auf Verbindungen und betonte ihren Platz in anderen Netzwerken – eine etablierte Technik der Polizei.

Was den Gegengipfel anbelangt, so hat sie seit Monaten viele Menschen aus verschiedenen Städten dazu motiviert, dorthin zu reisen, und ihnen die Bereitstellung von Verteidigungs- und Angriffsausrüstung vor Ort versprochen. Es stellte sich heraus, dass sie viele Aktionen gefördert und ermöglicht hat und die einzige Kontaktperson vor Ort für Menschen aus ganz Frankreich und anderen Ländern war. Diese Technik der Cops, insbesondere der RG**, ist allgemein bekannt: Erst das Drängen zu einer Straftat und dann die Verhaftung … Sie organisierte (und “sicherte” …) die Ankunft der Menschen im Camp und nahm einen großen Platz in der Logistik der Gegengipfels ein (Organisation der Demonstration in Bayonne, andere “Camps” in der Nähe von Bayonne, mögliche Besetzungen, Verbindungen zu Teilnehmer*innen der offiziellen Anti-G7 Plattform…). Der Plan der Polizei wurde sicherlich durch die Entdeckung eines ihrer schmutzigen Maulwürfe zerstört. Es ist jedoch jetzt sicher, dass diese Infiltration zur Inhaftierung vieler Gefährt*innen in den letzten Monaten beigetragen hat. Das Ausmaß des Schadens ist bis heute schwer zu erkennen.

Trotz allem, was hier gerade gesagt wurde, geht es darum, sich nicht von Paranoia überwältigen zu lassen. Lasst uns nicht abschotten, unsere Stärke liegt auch in unseren offenen Räumen der kollektiven Organisation. Die Repression, der wir ausgesetzt sind, steht im Verhältnis zur Stärke unserer Bewegung. Der beste Weg, sich vor den Cops zu schützen, ist die Zerstörung dessen, was sie produziert: das System, das sie braucht.

Wenn ihr weitere Informationen habt, zögert nicht:

deratisation1312 @ riseup.net

*GJ – gilets jaunes
**RG – Renseignements Généraux, vergleichbar mit dem deutschen Verfassungsschutz

Quelle: attaque, übersetzt von abc wien

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