G7: Aktiver Ungehorsam

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Am 25. Juli 2019 veröffentlicht bei lundimatin#201, [1] und von uns jetzt übersetzt:

"Zeigen wir den G7 und ihren Unterstützern, dass wir nicht nur ihre Welt ablehnen, sondern auch motiviert sind, sie zu blockieren und eine andere aufzubauen.“

Während sich Frankreich auf eine neue Hitzewelle vorbereitet, erhalten wir diesen Beitrag über die Organisation des G7 in Biarritz im nächsten Monat. Wird sich der Sicherheits-Pragmatismus von Präsident Macron gegen die Bedürfnisse einer weißglühenden Bevölkerung am Meer durchsetzen? [2]

Der G7 von Biarritz ist eine große Premiere für die baskische Bevölkerung. Was seine Vorbereitung betrifft, so tauchen in Bezug auf die Legitimations- und Sicherheitsaspekte mehr oder weniger die gleichen operativen Methoden auf, wie bei anderen vorangegangenen Gipfeln.

 

Eine kleine Horizonttour

Für die federführende Regierung besteht der größte faule Trick darin, die von ihren Gegnern aufgeworfenen Themen zurückzuerobern [3]. So will sich dieses Treffen in Biarritz als ein fast alternatives Weltforum darstellen, das in der Lage ist, die von ihm selbst mitverursachten Probleme zu regeln. Es geht darum, den Menschen weiszumachen, dass ein solches Treffen notwendig und selbstlos ist, obwohl es in den meisten Fällen ein diplomatisches Scheitern und die Nichteinhaltung der empfohlenen Verpflichtungen mit sich bringt.

Dies wird mit der "Ermöglichung" eines Gegengipfels [4] verbunden, bei der Suche nach einer "Übereinstimmung der Interessen", die darauf abzielt, die akzeptabelsten gegnerischen Ränder zu kanalisieren. Uns wird immer wieder gesagt, dass jede*r das Recht habe, sich in einer Demokratie zu äußern, und dass ein erfolgreicher Gipfel auch ein erfolgreicher Gegengipfel wäre.

Eine weitere mehrstufige Propagandakampagne war die Schaffung eines Klimas der Angst, indem die massive Anreise des black blocs [5] und anderen Antisystem - Gruppen ankündigt wurde. In unserem Fall haben wir sie noch dabei beobachtet, die baskische Küste zu verwüsten! [6] Die Brutalität des von der G7 verteidigten Systems (die in keinem Verhältnis zur Gewalt der Demonstranten steht) wird hingegen verschwiegen, das Gebiet wird militarisiert, eine Reihe von Sondermaßnahmen ergriffen, darunter Aufrufe zur Denunziation und es wird versucht, zu spalten und sogar "Schutz" für besonders gewaltlose Protestler*innen versprochen. [7]

 

Aufschlussreiche Reaktionen

Die Haltung vieler lokaler Mandatsträger*innen in Erwartung dieses "Tsunami" ist gelinde gesagt überraschend. Auch, wenn das bisher einzige Opfer von Gewalt anlässlich dieses G7-Gipfels bisher eine junge Frau ist, die durch ein Gummigeschoss verletzt wurde [8], herrscht Funkstille über das mehr als muskulöse Auftreten der Exekutive im Zusammenhang mit Demonstrationen aller Art in den letzten Monaten. Auch kein Wort über die tödliche Politik von Macron, Trump, der rechtsextremen italienischen Regierung oder über das Durchziehen des Gipfels, ohne irgendeine Abstimmung.

Unsere gewählten Vertreter*innen akzeptieren nicht nur alles, sondern spielen wiederum das Spiel der Verschleierung, angeblich positiver Auswirkungen des Gipfels und bezeichnen die "radikalen Elemente" als alleinige Unruhestifter. Wir hören hier und da, dass viele lokale Entscheidungsträger*innen nicht sehr heiß darauf sind, diesen Gipfel zu empfangen. Öffentlich schweigen sie aber, da es sich schließlich um eine heilige Verteidigung des Staates und der liberalen Wirtschaft handeln würde. In der Konsequenz werden die Städte stillgelegt, um Spielraum für repressive Interventionen zu bieten.

 

Wir sind da und werden da sein.

In den Netzwerken gegen den G7 tönt es aus allen Ecken. Einen Monat vor dem Treffen erwarten viele eine Zuspitzung. Die Möglichkeit, eine effektive Aktion zu organisieren, ergibt sich angesichts der bekannten Elemente: Mehrheitliche Ablehnung des Gipfels, Massenbewegungen in Frankreich, komplizierter Termin und Ort des Treffens, lokales Potenzial usw. Also, was machen wir?

Eine Konstante der Gegengipfel [9] ist die Vielfalt der Forderungen und Aktionsformen. Es gibt keinen Grund, es zu dramatisieren, von symbolischen Pazifismen bis hin zu scharfem Aufständischen - alle Farben werden vor Ort sein. Abgesehen von den Debatten über die Vorzüge und den Dogmatismus jeder Komponente stellt sich die Frage: Wie können wir gemeinsam verhindern, dass die G7 auf standardisierte Weise diskutieren und gleichzeitig den verschiedenen Dynamiken Räume für eine Kollaboration anbieten?

Es geht darum, eine gemeinsame Grundlage für das zu schaffen, was man den mittleren Weg nennen könnte, zusammen mit denjenigen die über das Baskenland verteilt sind, sich überall entwickeln und auf einen neuen kollektiven Impuls warten.

 

Ungehorsam auf eine neue Stufe bringen

Aber wie? Indem wir uns von den konkreten Praktiken inspirieren lassen: Herri Harresiak [10] gegen Verhaftungen, Blockaden für Klimagerechtigkeit (Ende Gelände in Deutschland, Entstehung von Extinction Rebellion, Ölgipfel in Pau 2016 [11]....) Besetzungen von ZADs (de. Verteidigungsgebieten), gelbe Westen an Kreiseln und schwarze Westen im Pantheon [12], Verteidigungs - Komites der Katalanischen Republik an den Mautstationen [13], Sea Watch III, baskische Bauern gegen das Abschlachten von Enten [14], Regenschirme aus Hongkong, Solidarität mit Itoiz [15]...

Wenn Tausende von uns Biarritz umzingeln, wir uns an für ihre Welt so vielen strategischen und repräsentativen Orten wie möglich hinsetzen, uns ablegen, uns zusammenschweißen, ohne unmittelbaren Ausbruch von Aggressionen zu entfesseln - indem wir uns widersetzen und unsere Körpern gegen ihre Uniformen stellen - wer wird die Partie gewinnen? Es liegt an den Organisationen der G7-EZ-Plattform [16] und den auswärtigen, sich gegenseitig ergänzend an diesem Kampf zu beteiligen.

Zeigen wir den G7 und ihren Unterstützern, dass wir nicht nur ihre Welt ablehnen, sondern auch motiviert sind, sie zu blockieren und eine andere zu bauen. Mit all unseren Erfahrungen, unseren Ressourcen und auf eine festliche, vielfältige, unterstützende, fürsorgliche Weise. Wie der Präfekt Eric Spitz sagt, man werde "flexibel, katzenhaft und wendig" sein. Wenn dies bei uns der Fall ist, wird ihr Gipfel in einem Debakel enden, die Verbindung der Kämpfe wird stattfinden und der Widerstand des Baskenlandes wird einen Präzedenzfall haben, den er in den kommenden Jahren nutzen kann.

 

[1] Lundi matin oder kurz Lundi.am (also de. Montagmorgen) ist eine viel gelesene linksradikale Online- Wochenzeitung (nach eigenen Angaben ca. 500 Tsd. Aufrufe monatlich) mit z.B. großartiger Berichterstattung zur Gelbwestenbewegung und generell viel Esprit, Kompetenz und Anschluss, blühendender Vielfalt und journalistischer Sorgfalt. Annähernd vergleichbares gibt es in Deutschland bisher nicht.
[2] Die Übersetzung ist an dieser Stelle etwas unsicher (fr.orig. Le pragmatisme sécuritaire du président Macron aura-t-il le dessus sur les désirs balnéaires d’une population chauffée à blanc ?)
[3] Gemeint ist sicherlich die Gelbwestenbewegung und deren soziale Forderungen. Von denen wurde bisher nicht eine erfüllt (siehe auch: https://de.indymedia.org/node/34241 ), auf der anderen Seit brüstet sich die französische G7 – Präsidentschaft, die soziale Gerechtigkeit beim Gipfel ganz oben auf die Agenda setzen zu wollen.
[4] siehe auch https://de.indymedia.org/node/33709
[5] black bloc hat es als eines der wenigen Anglizismenin das gängige Französisch geschafft. Gemeint ist aber nicht zwingend ein kompakter Block von Schwarzvermummten, der in Ketten marschiert sondern generell Demonstrant*innen, die sich vermummen und zur Gegenwehr bzw. direkten militanten Aktion bereit sind.
[6] Natürlich ironisch gemeint bzw. eine Anspielung auf eine entsprechende mediale Hysterie.
[7] In der hier im Originalartikel prominent verlinkten Ansprache erklärt Macron, warum Biarritz als Gipfelort ausgewählt wurde… Kurzform: Weil das international renommierte Biarritz am Meer liegt und über eine entsprechende Hotellogistik verfügt (Anm.: Hier tummelte sich schon im 19. Jahrhundert der europäische Hochadel). Außerdem hätte der Bürgermeister sehr wohlwollend reagiert und es sei auch bewusst ein Ort in der Provinz gewählt worden - angesichts der anstehenden weiteren Großereignisse, wie den Olympischen Spielen, die 2024 in Paris stattfinden sollen (bzw. genauer gesagt vor allem im Banlieue Saint Denis nördlich von Paris). https://youtu.be/_-HDa1ZUzEs.
[8] Anlässlich eines Besuchs von Außenminister Jean-Yves Le Drian zur Vorbereitung des G7 am 18.12.18 – siehe auch: https://youtu.be/x9qNqvZWrAY
[9] Gemeint an dieser Stelle sind generell alle Proteste gegen den Gipfel
[10] de. menschliche Mauern. Siehe auch https://www.argia.eus/albistea/seven-young-basques-illegally-sent-to-prison
[11] Pau liegt ca. 100km östlich von Biarritz. Siehe auch https://youtu.be/5Oe6nA0CR1o
[12] siehe auch https://de.indymedia.org/node/34598
[13] Gemeint sind Blockadeaktionen von Autobahnen in Katalonien während diverser Aktionstage
[14] Wegen einer Vogelgrippeepidemie wurden Massenschlachtungen verfügt, gegen die sich viele Bauern wehrten.
[15] Gemeint ist der Widerstand gegen ein Staudammprojekt – siehe auch: https://www.nadir.org/nadir/initiativ/daneben/archiv/internationalismus/itoiz/06.html
[16] siehe auch https://de.indymedia.org/node/31324

 

 

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Ergänzungen

Hier jetzt als PDFs die zweisprachige Version und dann einmal only de.

am Anfang funktioniert leider nicht.

Aber dieser hoffentlich: https://lundi.am/G7-desobeissance-active