Was ist aus den Forderungen der Gelbwesten geworden? …und was ist davon wie in Deutschland angekommen?

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Ein verspäteter Transmissionsversuch.

Vor genau 7 Monaten veröffentlichte die gerade frisch entstandene Bewegung 42 aneinandergereihte und knapp formulierte, sehr konkrete Forderungen im Netz. Vorrausgegangen waren gerade einmal zwei ACTE mit landesweiten Blockaden und Demonstrationen. Im Anschluss folgte eine Onlinebefragung und Debatte, an der sich insgesamt ca. 30.000 der unmittelbaren Aktivist*innen der ersten Stunde beteiligt haben sollen. Daraus wiederum extrahierte eine Redaktionsgruppe die, aus ihrer Sicht breitgetragenen Konsense heraus, formulierte Vorschläge, präsentierte sie in den entsprechenden internen Netzwerken, revidierte in einer zweiten Runde und veröffentlichte schließlich die 42 Forderungen der Gelbwesten.

Liberté, Égalité… Flashball !

Heute, am 29.6. läuft mittlerweile der 33. ACTE der Gelbwestenbewegung, mehrere Millionen Menschen in Frankreich und den Ex-kolonialen Überseedepartements haben sich bisher in der einen oder anderen Form an den Protesten beteiligt [A]. Dabei gab es hunderte von Schwerverletzen und Dutzende wurden regelrecht verstümmelt. Zahlreiche Demonstrant*innen sitzen mittlerweile im Knast und tausende wurden bereits oder werden demnächst vor Gericht gezerrt - während bisher nicht ein/e einzige/r Polizist*in rechtskräftig verurteilt wurde.

Nicht eine einzige Forderung der Gelbwesten wurde bisher erfüllt.

Lediglich die Erhöhung der Spritsteuer wurde für 2019 ausgesetzt – wohlgemerkt eine der insgesamt 42 Forderungen, genauer genommen die Neunte, in der im Original weder durchnummerierten, noch in Blöcken strukturierten Liste. Diese wurde seit dem 29.11.18 weder ergänzt noch geändert, sie ist sozusagen die inhaltliche Grundlage der Bewegung. Dabei ist nur eine einzige – es ist gleich die erste – Forderung prominent hervorgehoben und mit einem „URGENT“ (de. DRINGEND) versehen. Diese lautet: « Zéro SDF » (fr. Sans Domicile Fixe), also (de.) wörtlich: Null keine festen Wohnsitze und war im Übrigen mal ein zentrales Wahlversprechen Macrons.

Generelle Transmissionsdefizite

Es ist ein gutes Beispiel dafür, wie lieblos die Forderungen der Gelbwesten ins Deutsche übertragen wurden. Mal ganz abgesehen, dass davon ohnehin nur wenig und dann meistens in tendenziösen Extrakten hier überhaupt veröffentlicht wurde. Die Forderung 1), wurde beispielsweise gar nicht, als solche größer transportiert und dann lautet die eben ungenaue (bisher einzig kursierende)Übersetzung auch „Keine Obdachlosen“ (fr. Sans-abri). Die Gelbwesten meinten allerdings auch ausdrücklich diejenigen – und das sind, stark zunehmend richtig viele – die mittlerweile bei Verwandten oder auf Campingplätzen oder in informellen Siedlungen, Zuflucht vor der Wohnungsnot gefunden haben… Mal ganz davon abgesehen könnte man die Übersetzung auch fehlinterpretieren im Sinne von „gegen die Obdachlosen“… So, oder ähnlich zieht es sich leider in Sachen Übersetzungen durch.

Bezeichnender Weise hat sich bisher einzig Stern.de bei den Medien im deutschsprachigen Raum an eine etwas umfassendere Erklärung bzw. Interpretation der Gelbwestenforderungen herangewagt – wobei neben etlichen Fehlinterpretationen auch die, auf den ersten Blick wahllose, Auslassung von einigen der Forderungen auffällt. Aber: immerhin wird ca. 70%, ansonsten halbwegs korrekt erklärt, wenn auch oft sehr verkürzt und obendrein tendenziös bewertet [B]. Außerdem hat in den linken Netzwerken das „Kommunistische Labor“, translib aus Leipzig,ebenfalls die Thematik, ernsthaft positiv in Angriff genommen. [C]

Wer, hat wo, was wie wahrgenommen und transportiert?

Als am 29.11.18 die Forderungen veröffentlicht wurden, reagierten die französischen Massenmedien nur sehr verhalten. Nichts erschien ihnen besonders sensationell und außerdem lautete von Anfang an die Direktive, die Proteste inhaltlich möglichst auf besagte Spritsteuererhöhung zu reduzieren. Linke Medien und Netzwerke in Frankreich befürworteten hingegen – teilweise euphorisch - die hauptsächlich auf das Soziale fokussierte Ausrichtung der Forderungen. Viele waren auch positiv überrascht über die, ebenfalls enthaltenen ökologischen Aspekte und vor allem erleichtert darüber, dass der Rassemblement National offensichtlich keinen größeren Einfluss geltend machen konnte.

Deutsche Linke kennen meistens nur zwei der Forderungen – neben der gegen die Spritsteuererhöhung (Nr. 9) noch zusätzlich Nummer 20: Die von dem Asylrecht abgelehnten, sollten in ihr Ursprungsland zurückgebracht werden.

Die bei Forderung 19 enthaltene Passage „Korrekte Behandlung von Asylbewerber*innen. Wir schulden den Migrant*innen Wohnraum, Sicherheit, Ernährung sowie Bildung für die Minderjährigen…“ wurde hingegen genauso wenig wahrgenommen, geschweige denn diskutiert, wie Nummer 21: „Umsetzung einer tatsächlichen Integrationspolitik. In Frankreich zu leben heißt, französisch zu werden (Kurse in französischer Sprache, Kurse über die französische Geschichte sowie in Gemeinschaftskunde mit zertifizierten Abschlusszeugnissen am Ende der Kursreihen).

Im Übrigen waren gerade diese, auf Migration bezogenen Forderungen, bisher ganz besonders miserabel übersetzt – und zwar zugunsten negativer Interpretation.

Mal ordentlich durchsortiert…

Etliche der Forderungen beziehen sich obendrein auf hier gar nicht, oder nur sehr wenig bekannte französische Besonderheiten und sind, ohne detaillierteres Hintergrundwissen für die meisten, hier in Deutschland gar nicht nachvollziehbar. Wir haben – wenn auch viel zu spät – nun die Forderungen so gut, wie wir es halt können, übersetzt und dort, wo es nötig schien mit Erläuterungen (Fußnoten) versehen, sowie in aus unserer Sicht 12 sinnvolle inhaltliche Blöcke, zwecks Übersichtlichkeit, gegliedert. Auch, wenn manche Forderungen durchaus zu mehreren Blöcken Aussagen beinhalten, haben wir uns für jeweils einen offensichtlichen Schwerpunkt entschieden.

[A] siehe auch Liste zur frankreichweiten Teilnahme an den Protesten auf dem französischen Indymedia. Links: Regierungsangaben (bewiesenermaßen stark untertrieben), i.d. Mitte eigene Zählung der Gelbwesten (nach minutiöser und transparenter Erhebung) und rechts eine der rechten Polizeigewerkschaft Police en colère (Angaben deutlich übertrieben, u.a. um mehr Mittel für die Polizei einzufordern). Siehe Tabelle über die Anzahl der Demonstrationsteilnehmer*innen auf Wiki.fr. https://fr.wikipedia.org/wiki/D%C3%A9roulement_du_mouvement_des_Gilets_jaunes#Tableau
[B] siehe https://www.stern.de/politik/ausland/frankreich--das-sind-die-forderungen-der-gelbwesten-8479118.html
[C] siehe https://translibleipzig.wordpress.com/2018/12/17/die-42-forderungen-der-gelben-westen/?fbclid=IwAR312vwqyqe2ujev_6k6YhPR3rJxEmZO44MsAPF5uy3tYx-TGIffTA5nRcg

 

 

Die 42 Forderungen der Gelbwesten

Abgeordnete Frankreichs, wir übermitteln Ihnen die Direktiven des Volkes,
damit Sie diese in Gesetze umsetzen:

Nach inhaltlichen Blöcken sortiert
jeweils dem offensichtlichsten Schwerpunkt der Forderung zugeordnet,
Reihenfolge nach erstmaligen Auftauchens eines Schwerpunkts in der Originalliste (Nr)

 

Wohnen

(1)  Null Wohnungslosigkeit [1]: DRINGEND.

(25)  Begrenzung der Mieten. Mehr Wohnungen mit moderaten Mieten (insbesondere für die Studenten und prekär Beschäftigten).

(29)  Da die Gas- und Strompreise seit der Privatisierung gestiegen sind, fordern wir, dass beides wieder in die öffentliche Hand kommt und die Preise konsequenterweise gesenkt werden. [18]

[1] Original (fr.) SDF - sans domicile fixe, also (de.) ohne festen Wohnsitz. Gemeint sind also nicht „nur“ klassisch Obdachlose (fr. sans abri), sondern auch die Vielen, die ihre Wohnung verloren und provisorischen Unterschlupf, z.B. bei Verwandten oder auf einem Campingplatz gefunden haben. Seit 2001 ist die Zahl der Wohnungslosen (SDFs) in Frankreich um 50 Prozent gestiegen (lt. Fondation Abbé Pierre).

[18] Macron forderte die, neuerdings auch privaten Betreiber zur Preismäßigung auf. Am Atomkonzern EDF hält der Staat allerdings weiterhin 84% der Anteile, während beim Hauptkonkurrenten Engie nur noch 24% staatliche Anteile verblieben sind.

 

Löhne und Arbeitsrecht

(3)  Ein Mindestlohn von 1.300 Euro netto. [2]

(12)  Die Löhne aller Franzosen sowie die Renten und Sozialleistungen müssen der Inflation laufend angepasst werden.

(15)  Zur Sicherung der Beschäftigung: Befristete Arbeitsverträge in großen Unternehmen stärker begrenzen. Wir wollen mehr unbefristete Verträge.

(22)  Festlegung eines Maximallohns von 15.000 Euro.

(23)  Schaffung von Arbeitsplätzen für Arbeitslose.

[2] Aktuell liegt der Mindestlohn in Frankreich bei 1150 Euro im Monat.

 

Steuern

(2)  Mehr Progression bei der Einkommenssteuer (mehr Abstufungen).

(6)  Steuern: die GROSSEN (McDonald´s, Google, Amazon, Carrefour ...) sollen GROSS zahlen und die Kleinen (Handwerker, Kleine und Mittelgroße Betriebe) sollen KLEIN zahlen.

(9)  Schluss mit der Erhöhung der Treibstoffsteuern.

(16)  Abschaffung der „Steuergutschrift für die Förderung des Wettbewerbs und der Beschäftigung“ [10]. Nutzung dieser Gelder zur Förderung einer französischen Wasserstoffauto-Industrie (die wirklich ökologisch ist, im Gegensatz zu Elektroautos). [11]

(17)  Ende der Austeritätspolitik. Einstellung von Zinszahlungen auf illegitim eingeschätzte Schulden [12] und Beginn der Schuldentilgung – ohne auf das Geld der Armen und der etwas weniger Armen zurückzugreifen, sondern durch Aufspüren der 80 Milliarden an Steuerhinterziehungen.

(39)  Keine Quellensteuer. [25]

(42)  Besteuerung von Schiffsdiesel und Kerosin.

[10] CICE: Ein kompliziertes Wirtschaftsförderungsprogramm aus der Hollande – Ära, dass hauptsächlich großen Unternehmen zu Gute kam. Es wurde planmäßig zum 1.1.19 von Macron gestrichen und für entsprechende Firmen und dazugehörige Inhaber*innen durch die Senkung der Steuern für Unternehmen und Kapitaleinkünfte mehr als kompensiert.

[11] Unökologisch an dem französischen E-Auto-Programm ist vor allem die dafür vorgesehene Atomstrom-Produktion. Hinzu kommt ein quasi nicht vorhandenes Ladestromnetz in der Provinz.

[12] Die Staatsverschuldung liegt in Frankreich bei 2,3 Billionen €, dass entspricht ca. 99% des BIP (Bruttoinlandproduktes) eines Jahres – Deutschland liegt im Vergleich bei 64%. Tendenz in Frankreich: Weiter steigend, in erster Linie wegen der umfangreichen Steuererleichterungen für große Unternehmen und Reiche. Mit „illegitim eingeschätzt“ ist vermutlich gemeint, dass die Schulden im Grunde genommen von den Reichen verursacht wurden und nicht dem „gemeinsamen“ Staat und somit auch nicht allen Bürger*innen angehängt werden können.

[25] Die Quellensteuer wurde in Frankreich zum 1.1.19 eingeführt und bedeutet, dass – wie in Deutschland schon lange üblich – beispielsweise die Lohnsteuer direkt von dem Arbeitgeber, also von der Quelle abgeführt wird. Dabei fällt zum einen der zeitliche Abstand zwischen Gehaltseingang und Steuerentrichtung komplett weg, was die ohnehin vorhandene Kaufkraftkrise zum 1.2.19 verschärfte, zum anderen erhält der Arbeitgeber automatisch zusätzliche Informationen, die aus der Steuerklassifizierung ersichtlich werden. Darüber hinaus wird die neue Art der Besteuerung als Entmündigung empfunden.

 

Infrastruktur

(4)  Förderung der kleinen Geschäfte in den Dörfern und Stadtzentren. (Einstellung des Baus von großen Einkaufszentren um die Städte herum, die die kleinen Geschäfte töten), + kostenlose Parkplätze in den Stadtzentren. [3]

(13)  Schutz der französischen Industrie: Verbot von Verlagerungen. Schutz unserer Industrie bedeutet Schutz unseres Know-hows und unserer Arbeitsplätze.

(26)  Verbot des Verkaufs von Gütern, die sich im Eigentum Frankreichs befinden (Talsperren, Flughäfen…) [15]

(28)  Einsatz aller Mauteinnahmen für den Unterhalt der Autobahnen und Landstraßen Frankreichs sowie für die Straßenverkehrssicherheit. [17]

(30)  Sofortiger Schluss mit den Schließungen kleiner Bahnstrecken, von Postämtern, Schulen oder Geburtskliniken. [19]

[3] Die Problematik wirkt u.a. auch in die Richtung, dass Leute aus den Dörfern immer seltener in die Innenstädte kommen.
[15] Siehe auch Artikel (de); Frankfurter Rundschau; 19.6.18; https://www.fr.de/wirtschaft/paris-verkauft-tafelsilber-11008658.html

[17] Seit der endgültigen Privatisierung des französischen Autobahnnetzes, Ende 2005, erhöhten sich nicht nur die Mautpreise drastisch, sondern kilometerlange Spurabsperrungen und wochenlang brachliegende Baustellen sind Normalität geworden („bouchon payé“ – de. bezahlter Stau). Derweil verfallen die staatlichen Landstraßen zusehends und das Autobahn - Betreiberkonsortium fährt ordentliche Gewinne ein.

[19] Kommentar Stern.de: „Das ist wohl das größte Problem. Denn in der Tat wurden viele öffentliche und soziale Einrichtungen, besonders auf dem Land, geschlossen. Und Bahnlinien nach Reformen gekappt.“

 

Ökologie

(5)  Wärmeisolierung von Wohnungen im großen Maßstab. (gleichzeitig Umweltschutz und Kostensenkung für die privaten Haushalte). [4]

(38)  Förderung des Gütertransports auf Schienen.

[4] Wärmeisolierung ist in Frankreich noch sehr rückständig. Im Sommer schnurren die Klimaanlagen und im Winter die Heizungen (oft genug auch noch E-Radiatoren). Entsprechend hoch ist die Energieverschwendung - die allerdings, wegen des hohen Anteils von Atomstrom, klimapolitisch schöngerechnet wird - und entsprechend horrend sind auch oft die Stromrechnungen.

 

Sozialversicherungen

(7)  Ein einheitliches System der Sozialversicherung für alle (Handwerker und kleine Selbständige eingeschlossen). Abschaffung der Selbständigen-Sozialversicherung (RSI). [5]

(24)  Erhöhung der Beihilfen für Personen mit Handicaps.

(33)  Bereitstellung notwendiger Mittel für die Psychiatrie.

[5] Das Régime Social des Indépendants (RSI) ist als privatrechtliche Institution exklusiv für die Kranken-, als auch die Rentenversicherung aller Selbstständigen in Frankreich zuständig. Die Kasse übernimmt allerdings nur einen bestimmten Anteil anfallender Gesundheitskosten, den „Rest“ muss die oder der Versicherte tragen – i.d. Regel über dem in Deutschland üblichen Maß hinaus. Insofern sich kleinere Selbstständige keine teure private Zusatzversicherung leisten (können) sind sie deutlich schlechter versichert, als Festangestellte, bei denen außerdem eine obligatorische, betriebliche Zusatzversicherung greift. Das RSI ist wegen der sozialen Ungerechtigkeiten, der hohen Kosten aber auch wegen etlicher (Korruptions-) Skandale hoch umstritten.

 

Renten

(8)  Das Rentensystem muss solidarisch bleiben und demzufolge vergesellschaftet werden. (Keine Rente nach Punkten). [6]

(10)  Keine Rente unter 1.200 Euro. [7]

(31)  Schaffen wir ein gutes Auskommen für unsere älteren Mitmenschen. Verbot des Geldmachens mit den älteren Leuten. Schluss mit Grauem Gold, die Zeit des Grauen Wohlergehens soll beginnen.

(36)  Rente mit 60 Jahren [23]. Recht auf Rente mit 55 Jahren für alle Personen, die schwer körperlich arbeiten (beispielsweise für Maurer oder Schlachthausarbeiter).

[6] Macron favorisiert ein Punktesystem, nach dem jeder Erwerbstätige Kapital bzw. Punkte für seine Rente ansammelt, zum Nachteil der Niedrigverdiener*innen und erneut – mal wieder – dem deutschen Beispiel folgend.

[7] Die aktuelle Mindestrente liegt bei 630 €

[23] Macron peilt stattdessen eine längere Lebensarbeitszeit mit Rente erst ab 64 an, nachdem er zuvor schon von ursprünglich 60 (Gelbwestenforderung) auf 62 Jahre, generelles Renteneinstiegsalter angehoben hatte. Diese weitere Anhebung – so der Plan – soll während der, normalerweise protestfreien, Sommerferien 2019 legislativ konkret durchgezogen werden.

 

Staatliche Funktionsträger

(11)  Jeder gewählte Abgeordnete hat das Recht auf den Medianlohn (ein mittleres Einkommen). Seine Reisekosten werden überwacht und, soweit begründet, erstattet. Er hat ein Recht auf Restaurant- und Urlaubsgutscheine. [8]

(27)  Konsequente zur Verfügungstellung von Mitteln für Justiz, Polizei, Gendarmerie und Armee. Bezahlung oder Freizeitausgleich von Überstunden der Ordnungskräfte. [16]

(35)  Rückkehr zu einem 7-Jahres-Mandat für den Präsidenten der Republik. [21] (Die Wahl der Abgeordneten, zwei Jahre nach der Wahl des Präsidenten wird dem Präsidenten der Republik ein positives oder negatives Signal hinsichtlich seiner Politik übermitteln. Dies wird dazu beitragen, der Stimme des Volkes Gehör zu verschaffen.) [22]

(40)  Schluss mit den lebenslangen Bezügen für Altpräsidenten. [26]

[8] Restaurantgutscheine, von monatlich ca. 120€, die auch von vielen Supermärkten akzeptiert werden, erhalten im Standard staatliche (und manchmal auch andere) Angestellte dann, wenn es an ihrer Arbeitsstätte selber keine Kantine gibt. Urlaubsgutscheine wurden 1982 unter Mitterand eingeführt und sollten es kleinen, sowie mittleren Angestellten oder auch Arbeiter*innen erleichtern, (innerhalb Frankreichs) in den Urlaub fahren zu können – insbesondere auch als Kompensation für die teuren Autobahngebühren gedacht. Größenordnung 2011: 1,3 Mrd.€.

[16] Die Forderungen wurden Ende November 2018 formuliert, bevor die polizeiliche Repression gegen die Gelbwesten richtig losging. Der Passus zeigt allerdings das ursprüngliche Verhältnis der Bewegung zur Polizei – ein durchaus solidarisch, kollegiales.
[21] Eine, eher skurril erscheinende Forderung, angesichts dessen, dass Präsident Macron ja auch schon ganz am Anfang der Bewegung, also als die Forderungen entstanden, im Fokus der Proteste stand. Zu erklären ist das vielleicht mit dem historischen Gedächtnis, oder Bauchgefühl, nämlich dass die Präsidenten, die (vor Sarkozy) jeweils mindestens 7 Jahre lang regierten, weniger dazu neigten, dramatische Veränderungen im Schnellverfahren durchzupauken… Diese Forderung wurde im Verlauf der Proteste jedenfalls nicht wiederholt geäußert.

[22] Die Wahlperiode der (gesetzesgebenden) Nationalversammlung folgt ebenfalls bisher einem 5-jährigen Rhythmus. Seit 2002 erfolgten diese jeweils nur wenige Wochen nach der Präsidentschaftswahl und brachten immer komfortable Mehrheiten für die frisch gewählten (noch populären) Präsidenten, was zu dessen Machtfülle erheblich beitrug. Das war davor, bei anderen Taktungen eher die Ausnahme.

[26] Neben stattlichen monatlichen Bezügen, hat jeder Ex-Präsident das Recht auf eine möblierte Wohnung, Polizeischutz, Auto plus Chauffeure und mehrere feste Mitarbeiter. Ex-Präsident François Hollande kostet jährlich beispielsweise 10,3 Mio. €.

 

Migration

(14)  Schluss mit der sog. Arbeitsentsendung [9]. Es ist nicht normal, dass jemand, der auf französischem Territorium arbeitet, nicht den gleichen Lohn und die gleichen Rechte erhält. Jede Person, die autorisiert ist, auf französischem Territorium zu arbeiten, ist einem französischen Staatsbürger gleichzustellen und ihr Arbeitgeber muss in gleicher Höhe seinen Beitrag entrichten, wie ein französischer Arbeitgeber

(18)  Abstellung der Ursachen für erzwungene Migration. [13]

(19)  Korrekte Behandlung von Asylbewerber*innen. Wir schulden ihnen Wohnraum, Sicherheit, Ernährung sowie Bildung für die Minderjährigen. Zusammenarbeit mit der UNO zur Einrichtung von Empfangslagern in zahlreichen Ländern der Welt in Erwartung des Ergebnisses eines Asylverfahrens. [14]

(20)  Die von dem Asylrecht abgelehnten, sollten in ihr Ursprungsland zurückgebracht werden.

(21)  Umsetzung einer tatsächlichen Integrationspolitik. In Frankreich zu leben heißt, französisch zu werden (Kurse in französischer Sprache, Kurse über die französische Geschichte sowie in Gemeinschaftskunde mit zertifizierten Abschlusszeugnissen am Ende der Kursreihen).

[9] Ein sog.travailleur détaché oder de. entsandter Arbeitnehmer ist ein EU – Mitbürger, i.d. Regel aus Osteuropa stammend, welcher in einem anderen EU – Land arbeitet. Dieser unterliegt nach geltendem EU-Recht dann den nationalen Arbeitsrichtlinien seines Herkunftslandes - wie z.B. Mindestlohn, Sozialversicherung etc. – wenn sein Arbeitgeber den Hauptfirmensitz ebenfalls im besagten Herkunftsland angesiedelt hat und beispielsweise in Frankreich dann eine Filiale eröffnet. Es geht also in erster Linie darum, innereuropäisches Lohndumping zu verhindern. Angeblich sollen ab 2020 Arbeitnehmer*innen, die ins Ausland entsendet werden, den gleichen Lohn erhalten wie die einheimischen Kolleg*innen.

[13] Migration nach Frankreich erfolgt, seit jeher, zu einem großen Teil aus den ehemaligen Kolonien. Und im Kolonialismus liegen auch ein Großteil der Ursachen für aktuelle Migration – also ein richtig heißes Eisen – zumal sich die französische Außenpolitik in Nord- und Westafrika, nach wie vor, im ungebrochen postkolonialen Modus bewegt.
[14] Entsprechende „Hotspots“ vor den EU- Außengrenzen ist auch die Vorstellung der EU, allen voran von Angela Merkel, allerdings ohne größere UNO – Beteiligung. Erste Umsetzungen haben u.a. zu offenen Formen der Sklaverei in Libyen und zu einer politischen Erpressbarkeit durch das Erdogan – Regime geführt.

 

Schulkinder

(32)  Maximal 25 Schüler pro Klasse von der Vorschule bis zur Abschlussstufe.

(37)  Ein 6 Jahre altes Kind kann nicht selber auf sich aufpassen, Verlängerung der Hilfe für Kinderbetreuung (PAJEMPLOI) bis zum 10. Lebensjahr des Kindes. [24]

[24] PAJEMPLOI (fr. Prestation d'accueil du jeune enfant) ist ein Betreuungszuschuss für Kinder von bis zu 6 Jahren, gedacht beispielsweise für die Entlohnung von Tagesmüttern. Bei der Forderung geht es u.a. um Schulkinder, die keine Ganztagesschule besuchen können, weil diese zu weit entfernt ist (auf dem Land häufig der Fall) und entsprechend betreut werden müssen.

 

Direkte Demokratie

(34)  Volksentscheide sind in die Verfassung aufzunehmen. Schaffung einer lesbaren und effizienten Website, überwacht durch ein unabhängiges Kontrollorgan, auf der die Leute Gesetzesvorschläge einbringen können. Wenn ein solcher Vorschlag 700.000 Unterschriften erhält, ist er von der Nationalversammlung zu diskutieren, zu ergänzen und gegebenenfalls mit Änderungsvorschlägen zu versehen. Die Nationalversammlung ist zu verpflichten, ihn (ein Jahr nach dem der Erreichung der 700.000 Unterschriften) der Gesamtheit der Franzosen zur Abstimmung vorzulegen. [20]

[20] Das wären also die Bedingungen, für das von den Gelbwesten so vehement geforderte RIC, dem référendum d’initiative citoyenne. Also keineswegs eine „maßlose Niedrigschwelligkeit“, bei immerhin notwendigen 700.000 Unterzeichner*innen, schon bei der Initiierung eines Ablaufs in Richtung direkter Volksabstimmung auf nationaler Ebene.

 

Carte Bleu -Gebühren

(41)  Verbot der Erhebung einer Gebühr von Händlern für die Zahlung per Kreditkarte (carte bleu) durch deren Kunden. [27]

[27] Gemeint sind vermutlich in erster Linie die Gebühren der Banken für Kreditkartenzahlungen. Wegen der weitverbreiteten Manie in Frankreich, selbst kleinste Beträge lieber mit der heiligen carte bleu, statt in bar zu bezahlen, sowie bei Kreditkartenverträgen meistens enthaltener, oft undurchsichtiger, Versicherungspakete kommt schnell mal ein flottes Sümmchen von 20-30 € monatlich bei banco zusammen. Hinzu kommen (eher selten) Gebühren von Restaurants oder Hotels und (meistens) horrende Zinsen auf Überziehungen. Die carte bleu ist gleichzeitig Statussymbol für ökonomische Stabilität, als auch Wegelagererin bei der Monatsabrechnung.

 

Anbei nun noch 4 PDF-Dateien:

A)    Französisch / Deutsch in der Reihenfolge des Originals

B)     Französisch / Deutsch gegliedert in 12 Blöcken

C)      (Nur) Deutsch in der Reihenfolge des Originals

D)    (Nur) Deutsch gegliedert in 12 Blöcken

 

Hamburg, 29.6.2019

Pipette Relais

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Ergänzungen

Am gleichen Tag, wie die Forderungen wurde die in Frankreich viel beachtete "Erklärung von Commercy" veröffentlicht. Sie ergänzt auf ne Art auch die Forderungen und fokussiert auf die hauptsächlich on Staatsseite eingeforderte Delegierung von Repräsentanten, was die Gelbwesten von Commercy zurückweisen. Die bisher in deutsch kursierende Übersetzung enthält einige Fehler und etliche Ungenauigkeiten.

Einmal in französisch - deutsch und einmal nur in deutsch in der Anlage.