Interventionen im Wahlk(r)ampf

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Sie jähren sich regelmäßig, nur die Hälfte geht hin und trotzdem kommt keiner an ihnen vorbei: Wahlen. Durch die schiere Flut an Wahlwerbung sind sie eine Einladung an jede*n Kommunikationsguerill@. Durch die rund um die Wahlen erzeugte diskursive Bühne bietet es sich besonders an, gesellschaftlich unhinterfragten Konstrukte, wie Herrschaft, sichtbar zu machen. Das gilt besonders, wenn man dabei verschiedene Aktionsformen geschickt mit Adbusting kombiniert.

Herrschaft des Volkes
Zunächst: Was ist der Unterschied zwischen demokratischer Herrschaft und Diktatur? Es gibt Wahlen, werden viele Leute intuitiv erwidern. Daran sieht man, wie viel Gewicht ihnen im demokratischen Regime als Akzeptanz-und Legitimationsressource für Herrschaft zukommt. Weil in Demokratien gewählt wird, müssen die Funktionseliten dafür sorgen, dass es trotz aller Gesamtscheiße nicht allzu ungemütlich oder kompliziert für die breiten Masse der Zivilist*innen wird. Schaffen sie das nicht, droht ihnen durch Funktionseliten aus einer anderen Seilschaft ersetzt zu werden. Meistens wird’s dann auch nicht besser, aber der Glaube, dass der Mechanismus was verändern könnte, sorgt dafür, dass demokratische Herrschaft sehr selten hinterfragt wird.

Legitimationsbeschaffungsfestspiele
Doch bieten genau diese Legitimationsbeschaffungsfestspiele eine gute Plattform, um das schwer zu fassende Konstrukt Herrschaft, kritisierbar und damit angreifbar zu machen. Das Aktionsformen-Arsenal der Kommunikationsguerilla stellt zudem ein breites Sammelsurium an Möglichkeiten bereit. Eines der wenigen Beispiele für eine gelungene Kombination verschiedener Aktionsformen findet sich 2014 in Rostock bei den gleichzeitig stattfindenden Europa- und Kommunalwahlen.

Früh loslegen
Die heiße Phase von Wahlkämpfen startet in der Regel 6-8 Wochen vor der Wahl mit dem Aufhängen der Wahlplakate. Idealerweise kapern Kommunikationsguerill@s bereits in der ersten Woche die gerade neu hängenden Plakate. Das bietet die Möglichkeit, dass die Lokalzeitung die Reichweite dieser Aktionsform bereits im regelmäßig stattfindenden „Oh-es-gibt-Wahlplakate“-Artikel erwähnt und die Bürger*innen so bereits dafür sensibilisiert werden, dass es ausnahmsweise etwas unterhaltsames auf den Plakatpappen zu entdecken gibt.

Wahlquark im mecklemburgischen Hipsterland
Den Effekt des Neuen nutzten zu Beginn des Wahlkampfes 2014 die Kommunikationsguerill@s in Rostock-Downtown. Dort logiert die Grüne Partei mit der mecklenburgischen Landesgeschäftstelle. Prominent und massiv hatten die Ökos die Laternenpfähle drumherum mit Plastikmüll in Form von Wahlplakaten dekoriert. Diese Plakate wurden bereits in der ersten Wahlkampfwoche mit dem Slogan „Anpassung ist unsere Stärke“ zu versehen.

"Anpassung ist unsere Stärke"
Parallel dazu verteilten sie eine gefälschte Postwurfsendung. In dieser Postwurfsendung wird das Plakatmotiv und der Slogan „Anpassung ist unsere Stärke“ wieder aufgenommen. Dazu erklärt eine Gruppe „Grüner Dissidenten“, warum sie mit dem auf links machenden Kurs der Wahlwerbung nicht einverstanden sei. Das ganze linke Getue verwirre Wählende und schade außerdem. Die Grüne Partei müsse vielmehr versuchen mit dem zu punkten, was in der bisherigen Regierungsarbeit ihre große Stärke gewesen sei - die Anpassungsfähigkeit. Denn in den grünen Regierungsbeteiligungen habe die Partei bisher bei Bedarf noch jeden (linken) Grundsatz pragmatisch geopfert und so ermöglicht, dass auch in einer Regierung links der Mitte alles so weiter gegangen sei, wie bisher.

Wirkung?
Mit diesem Aktionserfolg im Rücken gelang den Chaot*innen offensichtlich eine breitere interne Mobilisierung, denn seitdem war Adbusting aus dem Stadtbild der Innenstadt nicht mehr wegzudenken. Auf großen wie kleinen Plakaten begegneten den Rostocker*innen für den Rest des Wahlkampfes fast täglich neue Umgestaltungen der Wahlwerbung.

Vermittlung?
Das Spektrum reichte dabei von anarchistischer Propaganda a la „Wahlen ändern nix. Außer die Gesichter“ in Sprechblasenform auf den Gesichtern der Kandidat*innen, über spezielle Kritik an der jeweiligen Partei, bis hin zu konkreter Kritik an der Stadtpolitik der jeweiligen Partei. Um auch Vermittlung zu gewährleisten, plakatierten die Chaot*innen darüber hinaus ein Plakat mit dem beliebten „Ohne dich ist alles doof“-Schaf. Das erklärte stichpunkthaft, was an demokratischer Herrschaft alles kritikwürdig sei. 

"Weil Herrschaft auch Stabilisierung von Links braucht"
Bei den Adbustings wurde auch vor der Linkspartei nicht Halt gemacht. So hielt ein relativ passend verändertes Plakat den Wähler*innen vor, dass sie die Linkspartei wählen sollten, „Weil Herrschaft auch Stabilisierung von links braucht“. Der Slogan dürfte den „Das-Kleinere-Über“-Wähler*innen durchaus Bauchschmerzen machen.

Rostock abwickeln
Ähnlich sah es auch bei den Grünen und der SPD aus. Den Grünen wurden die „Erfolge“ Krieg, Hartz-IV und 40 Jahre Betriebsgenehmigung für Atomschleudern vorgehalten. Bei der SPD wurde unter dem Titel „Rostock abwerten“ die Verscherbelung der städtischen Wohnungen und die Atommülltransporte im Hafen kritisiert. Auch das dürften Themen gewesen sein, die die Unterstützer*innen der Grünen und der SPD durchaus kennen, aber meistens elegant verdrängen.

Demonstrationsverbote
Bei der CDU und auch der SPD waren es darüber hinaus klassisch linke Themen: Die deutschen Waffenexporte, Kriege und Großmachtspolitik. Die damalige, lokale Bürgermeisterpartei „Unabhängig für Rostock“ (UfR) wurde für ihre Versuche, linke Demos zu verbieten sowie ihr Deutschtum kritisiert.

"Ich bin ein weißer reicher Mann"
Besonders ärgerte sich das UfR ein spezifisches Adbusting. Einem weißen, männlichen Kandidaten, der sich als erfolgreicher Unternehmer inszenierte, war folgender Spruch in den Mund gelegt worden: „Wählt mich, denn ich bin ein weißer reicher Mann, der vorgibt, eure Interessen zu vertreten“. Das provozierte das UfR und sie organisierten sich in Mimimi-Manier eine redaktionelle Seite in der Ostseezeitung (1).

Anschlaf auf Wahlplakate?
Unter der Schlagzeile „Anschlag auf Wahlplakate“ wurde dann nicht etwa über militante Extremist*innen mit Waffen und Sprengstoff berichtet. Stattdessen wurde über Adbustings berichtet. Dazu posierte der betroffene UfR-Kandidat freundlicherweise vor dem veränderten Plakat mit seinem Gesicht und sorgte so dafür, dass das Adbusting hunderttausendfach dem Publikum bekannt gemacht wurde.

Rechts? Wir doch nicht.
Inhaltlich wehrten die Leute des UfR sich vor allem gegen den Vorwurf, irgendwie „rechts“ zu sein. Auf die Idee könnte man durchaus kommen, wenn man sich anschaut, wer in der UfR so mitmacht, und was deren Positionen sind. Allerdings gelang es ihnen deutlich besser, sich als „bürgerlich“ zu tarnen, als heute der AfD. Normalerweise wird das von der Rostocker Öffentlichkeit kaum hinterfragt, doch ausgerechnet im Wahlkampf berichteten der NDR und die lokale Zeitung über „Verstrickungen“ des UfR ins „rechte Lager“ (2).

Unter der Gürtellinie?
Zusätzlich zur Verteidigung gegen die Verortung im rechten Spektrum gab es die üblichen Platitüden: „Die Klebe-Aktion ist in einer lebendigen Demokratie unter der Gürtellinie“. Man habe Anzeige erstattet. Und messerscharf analysierte der UfR-Vorsitzende auch, dass die Adbustings „möglicherweise aus dem linke Spektrum“ stammen könnten, „von Leuten, die noch nie von Toleranz und Meinungsfreiheit gehört“ hätten.

"Nicht lustig?"
Allerdings gab es auch Lob: „Das war eine gezielte Aktion, professionell betrieben“. Dazu veröffentlichte derselbe Journalist auf derselben Seite ein Kommentar. „Nicht lustig“ lautet die lustige und damit verzweifelte Überschrift. Mensch kann sich also vorstellen, wie vielen Leuten der Schreiberling begegnet ist, die die Adbustings sehr wohl doch lustig fanden.

Sprüche, die sie nie sagen würden?
Ein Kernsatz im Artikel lautet: „Einigen Kandidaten sind Sprüche in den Mund gelegt worden, die sie nie sagen würden“. Selbstverständlich würden die guten Deutschen vom UfR nie ihre gesellschaftliche Positionierung als reiche weiße Männer kritisch hinterfragen. Wenn andere Leute diese Positionierung mit Adbustings benennen, reagieren sie allergisch, weil sie fürchten, die Kontrolle über ihre Wahrnehmung in der Öffentlichkeit zu verlieren. Das dürfte nicht nur fürs UfR, sondern für alle Parteien gelten, und auch erklären, warum halbwegs wahrnehmbare Adbusting-Serien einen guten Grundsound für herrschaftskritische Kommunikationsguerilla bieten.

Das schriftliche Dementi
Reflektiert betriebene Kommunikationsguerilla sieht derartige Berichterstattung natürlich vorher. Einen Tag später entdeckten die Bürger*innen Rostocks in ihren Postkästen ein Schreiben, das vermeintlich vom UfR-Bürgermeister kam. Das Schreiben wirkte zunächst glaubwürdig und professionell gemacht. Dieser Effekt entstand u.a. dadurch, dass es die Berichterstattung der Zeitung optisch und textlich aufnahm. Neben dem auch in der Zeitung verwendeten Foto fanden sich in den ersten beiden Absätzen des Schreibens die originalen Statements der UfR-Leute aus der Zeitung wieder, wurden aber dem amtierenden Bürgermeister in den Mund gelegt.

Alles voll normal deutsch
Vor dieser Kulisse erklärte der Bürgermeister vermeintlich, warum er und seine Leute überhaupt nicht rechts seien, auch wenn es zunächst den Anschein haben könnte. Dabei griff der Bürgermeister vermeintlich verschiedene Ereignisse aus der Lokalpolitik (keine Krankenversicherung für Asylbewerbende; Demoverbote; der Versuch, den Christopher-Street-Day“ zu verbieten; die Ablehnung des Bürgermeisters gegenüber der Zusammenarbeit mit dem Stadtrat; seine nicht gerade demokratische Position, man müsse eine Stadt wie ein Unternehmen führen; die Zusammenarbeit seiner Leute mit Nazis, etc.) auf. Dann erklärt er, warum das nicht rechts, sondern in Deutschland normal sei. Und dafür brachte er jeweils Beispiele: grüne Bürgermeister, die ähnlich undemokratisch drauf sind, Sozialrassist*innen bei der SPD á la Sarrazin und Clement, sowie Linke, die auch auf starke Polizeien stehen. Das Dementi folgte auf dem Fuß: „In dem gefälschten Flyer wird dem OB eine Nähe zum Rechtsextremismus nachgesagt. Zudem wird Methlings Haltung zu Demokratie und Bürgerschaft auf ironische Weise in Frage gestellt.“ Doch die mediale Berichterstattung dürfte eher dazu geführt haben, dass viele Leute sich ihr Altpapier nochmal genauer angeschaut haben (3).

Farbe aufs Büro
Die Adbustings an prominenten Orten gingen unterdessen während des gesamten Wahlkampfes weiter. Pünktlich zum Finale, dem Wahlabend, markierten Unbekannte den sogenannten „Bürger-Treff“ des Rostocker Wahlbündnis' „Unabhängige Bürger für Rostock“ (UfR) mit Farbslogans und Überklebern über den Wahlplakaten in den Schaufenstern der Ladenzeile. Die Farbslogans auf den Mauern zwischen den Fenstern kritisierten die Politik des Wahlbündnisses und des Bürgermeisters.  „UfR= rassistisch“, UfR= autoritär“ und „UfR= Nation“ konnte mensch dort lesen.
Mit Sprechblasen aus Papier und Kleister wurden die aus bedruckter Folie bestehenden Wahlplakate auf den Fenster verbessert. Den abgebildeten Kandidat*innen wurden die typisch hohlen Distanzierungen a la „Wir doch nicht!“ in den Mund gelegt.

No Land for Ro-Land!
Im Bekenner*innenschreiben äußerte die Gruppe „No land for Ro-land“: „Die Aktion thematisiert das hohle Gerede des Bürgermeisters (...). Egal ob Demonstrationsverbote anlässlich von antifaschistischen Protesten oder die aktuellen Korruptionsvorwürfe: Völlig egal, wie eindeutig die Sachlage auch sein mag, Roland Methling und das UfR stehen mit großen Augen da und können den Vorwurf überhaupt nicht fassen“. Dazu verschlossen sie die Türschlösser mit Sekundenkleber und Stiftnägeln: „Die Aktion soll ein Zeichen gegen den Extremismus der Mitte setzen und hofft darauf, auf die Gefahren solcher Politik hinzuweisen zu können. Damit diese Gefahren keine erschreckende Realität werden, sollten die Türen des UfRs geschlossen bleiben" (4).

Fazit?
Das Aktionsformen-Arsenal der Kommunikationsguerilla stellt zudem ein breites Sammelsurium an Möglichkeiten bereit, auf der rund um Wahlen erzeugten diskursiven Bühne gerade die gesellschaftlich unhinterfragten Konstrukte wie Herrschaft sichtbar zu machen. Das gilt besonders, wenn man dabei verschiedene Aktionsformen geschickt miteinander kombiniert.

Mehr Infos:

Was ist Kommunikationsguerilla?

maqui.blogsport.eu/2016/06/16/was-ist-kommunikationsguerilla/

 

Was ist Adbusting?

http://maqui.blogsport.eu/2018/02/19/was-ist-adbusting/

 

Fußnoten:

(1) Wornowski, Andre: Anschlag auf Wahlplakate. In: Ostseezeitung, 13.5.2014. Im Internet einsehbar unter https://www.ostsee-zeitung.de/Mecklenburg/Guestrow/Anschlag-auf-Wahlplakate

(2) Vgl. Pubantz, Frank: Rechte „Identitäre Bewegung“ macht Rostock zum Hauptsitz. In: Ostseezeitung, 12.10.2018. Im Internet unter https://www.ostsee-zeitung.de/Mecklenburg/Rostock/Rechte-Identitaere-Bewegung-macht-Rostock-zum-Hauptsitz2 
Röpke, Andre: Landser heißt jetzt Weltkrieg. In: Antifaschistisches Infoblatt. Im Internet unter https://www.antifainfoblatt.de/artikel/landser-hei%C3%9Ft-jetzt-weltkrieg
Hoffmann, Lena: Trübe Gewässer. In: In Neues Deutschland, 20.6.2014. Im Internet unter https://www.neues-deutschland.de/artikel/936460.truebe-gewaesser.html
Bachmann, Sybille: Chronologie der Causa RA Hammer. Im Internet einsehbar unter: https://www.ob2019.files.wordpress.com/2011/12/19-09-11-chronologie-cuasa-ra-hmmer.pdf
Saalfeld, Johannes: Dubiose Verstrickungen des UFR-Vorstandsmitglieds Volker Beecken in rechtsextreme Kreise“. Im Internet veröffentlicht unter http://johannes-saalfeld.de/neues/details/artikel/dubiose-verstrickungen-des-ufr-vorstandsmitglieds-volker-vonbeecken-in-rechtsextreme-kreise-247.html

(3) Ohne Namen: Wählerbündnis UFR empört über gefälschte Flyer. In: Ostseezeitung, 20.5.2014. Im Internet unter https://www.ostsee-zeitung.de/Mecklenburg/Rostock/Waehlerbuendnis-UFR-empoert-ueber-gefaelschte-Flyer

(4) No land for Ro-land: Rostock: UFR-Büro markiert, 25.5.2014. Im Internet einsehbar unter https://de.indymedia.org/node/557

Bilder: 
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Ergänzungen

gab auch nen zeitungsartikel in der Osteezeitung dazu

Bilder: