CSDs, Neonazis, Antifa und Schutzstrukturen
Wir möchten mit diesem Text eine Debatte über Neonaziangriffe auf CSDs und Möglichkeiten der Verteidigung (Schutzstrukturen) weiter führen, sowie über die politische Praxis in jedem kleinen Ort einen CSD zu veranstalten, anstoßen. Auch das Verhältnis der radikalen Linken zu den CSDs und umgekehrt, gilt es zu betrachten.
The First Pride was a Riot
Der Christopher-Street-Day hat seinen Ursprung im Jahr 1969, als erstmals die Stonewall-Unruhen stattfanden. Ausgang dieser Unruhen war eine polizeiliche Razzia im Stonewall Inn, einer Bar in der Christopher-Street in New York, die auch den innerhalb der Szene marginalisierten Queers einen Raum bot. So waren es vor allem obdachlose Jugendliche, Trans*idente, Schwarze Drag Queens und Butches, die am 28. Juni 1969 Opfer der staatlichen Repression wurden. Die kriminalisierten Menschen zerstreuten sich nicht, nach dem Eintreffen der Polizei - Sie blieben und initiierten einen ersten, fünf Tage andauernden militanten Widerstand gegen die rigide Sexualmoral, die homo- und trans*feindliche Gewalt und die Willkür staatlicher Behörden. Das war der Beginn der gay-liberation-Bewegung in den USA. In Deutschland gab es ein paar Jahre später die ersten schon wesentlich domestizierten aber dennoch sehr politischen CSD-Veranstaltungen.
Doch von Widerstand gegen Bullen, Riot oder radikaler gesellschaftlicher Kritik ist heute nur noch wenig zu spüren, obwohl die gesellschaftlichen Verhältnisse sich nicht grundlegend verbessert haben. Zwar stellen queere Personen die heterosexuelle zweigeschlechtliche Ordnung schon durch ihre bloße Lebensweise infrage, was sich nicht zuletzt in den Zahlen von lesben-, schwulen-, inter- und trans*feindlichen Übergriffen und Morden niederschlägt (1). Aber statt dadurch eine Kritik an dieser Gesellschaft zu entwickeln, scheint den meisten der Weg der Assimilation, der Angleichung an den bürgerlichen Mainstream, verheißungsvoller. So erscheinen die meisten CSDs hierzulande auch weniger als kämpferische Demonstration für eine emanzipatorische Gesellschaft, denn als Partyveranstaltung.
Linke Szene und die CSDs
In Leipzig war das Verhältnis zwischen "linker" Szene und Queers immer schon gespalten. Zum einen gibt es völlig unpolitische bis liberale, sogar rechts offene queere Personen, auf der anderen Seite gibt es natürlich eine Menge queere Antifas.
2014 gründete sich beispielsweise das "Bündnis für einen emanzipatorischen Block auf dem Leipziger CSD" (Ema-Block 2), um in die stadtgesellschaftliche neoliberale Wohlfühlveranstaltung einzugreifen, linksradikale Inhalte und Gesellschaftskritik zu setzen. Während in den ersten Jahren fast alle linken Leipziger Gruppen in diesem Bündnis aktiv waren und auch am CSD teilnahmen; nahmen sowohl die Gruppen im Bündnis als auch die Unterstützung der linksradikalen Szene für den CSD in der Stadt jedes Jahr ab. 2019 löste sich der Ema-Block schließlich auf, weil es nicht mehr möglich war in dem Stadt-CSD emanzipatorische Inhalte zu setzen. So wurden in den Jahren danach vom CSD, nicht nur in Leipzig, Bullen und Bundeswehr hofiert.
Als dieses Jahr der Mord an Christopher W. in Aue als Todesopfer rechte Gewalt in Sachsen vom Innenministerium "ausgestuft" wurde (1), führte dies nicht etwa dazu, dass die Veranstalter*innen der CSDs in Sachsen öffentlich Kritik laut werden ließen und in ihren Aufrufen darauf Bezug nahmen oder gar forderten, dass dies wieder rückgängig gemacht werden muss. Der homosexuellenfeindliche Mord an Bernd Grigol in Leipzig, der bis heute nicht von staatlicher Seite anerkannt ist (3), fand ausgenommen beim Ema-Block, ebenfalls keine Erwähnung beim Leipziger CSD. So scheint es auch folgerichtig, dass die CSD-Veranstalter*innen nicht von sich aus Stellung zu #FreeMaja beziehen (4), sondern dies von Antifas geschieht. Während es auf der anderen Seite möglich ist sich mit dem CSD in Budapest zu solidarisieren. (5)
Die CSDs vor Neonaziangriffen schützen
Nach den rechten Angriffen, Bedrohungen und Demonstrationen gegen CSDs in Ostdeutschland 2024 (6), haben sich in diesem Jahr viele unterschiedliche Strukturen und Gruppen vorgenommen, die CSDs vor rechten Angriffen zu schützen und sich im Osten nicht einschüchtern zu lassen (7). Wir verstehen unter Schutz nicht den aktiven Angriff auf Neonazis, sondern den Schutz von Demoteilnehmenden und uns selber vor Neonazis und Bullen (8). Das erfordert ein gewisses "Know-How" über Selbstverteidigung und wie Menschengruppen vor Angriffe zu schützen sind und sich schützen können. Dieses Know-How ist in der Linken-Szene vorhanden und kann sich auf Nachfrage angeeignet werden und sollte es auch. Was wir in Leipzig und anderen Orte die letzten Jahre jedoch oft erlebt haben ist, dass sich auf sogenannte "Schutzstrukturen" verlassen wird und nicht mehr alle mitdenken, dass jede*r Einzelne mit verantwortlich ist und dazu beitragen kann. Wir können uns dem Gesagten hier anschließen:
Zum einen richten sich die Anfragen meist an professionalisierte Schutzteams. Statt Massenselbstschutz zu organisieren, werden Schutzaufgaben an spezialisierte Schutz-Crews ausgelagert, die den Schutz linker Veranstaltungen als den zentralen Bereich ihrer politischen Praxis ansehen. Der genaue Charakter und damit das Verhältnis von Schutzcrews zu „Geschützten“ ist kontextabhängig. Schutz auf Antifademos funktioniert anders als auf CSDs oder bei Gedenkveranstaltungen mit Parteien. Insgesamt rückt Schutz hierdurch in die Nähe einer Dienstleistung für die Bewegung, während die Frage, wie wir als Bewegung Schutz machen, umso dringender wird. Hiermit verbunden beobachten wir zum anderen Unsicherheiten hinsichtlich Schutzkompetenzen und der Frage, wer überhaupt Schutz machen kann, inklusive einer Auseinandersetzung darüber, was es in welcher Situation braucht." (https://de.indymedia.org/node/501939)
Auf den vielen CSDs sind viele Junge Leute anzutreffen, die oftmals (zum Glück) noch keine Neonazi-Gewalt am eigenen Leib erfahren haben oder jemals in einem Zug saßen, der auf einem Dorfbahnhof von Faschos zerlegt wird. Dementsprechend bemerken wir, dass zum einen die Gefährdungslage nicht richtig eingeschätzt, d.h. unterschätzt wird und zum anderen sich unabgesprochen auf "Schutzstrukturen" verlassen wird. Manchmal wird einfach davon ausgegangen, dass solche Strukturen die Zuganreise begleiten, oder die Hin-und Rückwege von Demos sichern.
Die Verantwortung von Veranstalter*innen von Demos und ausgerufenen öffentlichen Anreisen also einfach ausgelagert wird. Selten gibt es im Vorhinein eine Kommunikation oder eine Anfrage, damit auch keine Möglichkeit zusammen so eine Veranstaltung von der Anreise in der Stadt X, der Demo in Y bis hin zur Abreise zu planen und vorzubereiten oder gar Vorschläge und Erfahrungen mit einzubringen. Wir finden es nicht in Ordnung, von Menschen zu erwarten, weil man selbst noch eine Aftershow-CSD Party im Neonazinest feiern will, dass Leute bis spät in die Nacht wach bleiben und aufpassen ohne das vorher zu thematisieren und zu besprechen.
Wir denken dabei an den 1. Mai in Gera zurück, auch hier sollte gemeinsam mit dem Zug in Richtung Leipzig abgereist werden. Einzelne Leute und Gruppen hatten darauf jedoch keinen Bock und blieben länger und brachten sich so in Gefahr. So kam es im Nachgang der Demo auch zu Angriffen auf Abreisende. Auch bei der gemeinsamen Zugabreise musste das Zusteigen von gewaltbereiten Neonazis verhindert werden. Die Gefährdungslage ist aktuell hoch. Umso unverständlicher ist es, dass nicht gemeinsam darauf reagiert wird. Letztes Jahr hat sich im Kontext der Gegenproteste gegen die CSDs eine junge gewaltbereite anpolitisierte rechte Masse entwickelt.
Auch wenn wir noch sehen, dass die Mehrheit von ihnen zögerlich ist um immer direkte Gewalt anzuwenden und die Konfrontation zu suchen, gehen wir davon aus, dass durch die Unterstützung von erfahrenden rechten (Alt)Kadern, sich das immer öfter ändern wird. Mit koordinierten Angriffen auf CSDs und ähnlichen Veranstaltungen muss gerechnet werden, wie sich in Bad Freienwalde bereits gezeigt hat (9). In den nächsten Jahren wird mit zunehmend organisierten und gewaltbereiten jungen Neonazigruppierungen zu rechnen sein. Diese finden ein gesellschaftliches Umfeld vor, dass ihre Gesinnung und Taten unterstützt und fördert. Antifeminismus und Queerfeindlichkeit wirken dabei als Klammer zwischen konservativen, rechten und rechtsradikalen Kräften.Bereitet euch darauf vor!
CSD als einzige politische Praxis?
Wenn nun in jedem Kaff ein CSD veranstaltet würde, bedeutet dies, dass Schutzstrukturen den ganzen Sommer über nichts anderes mehr machen als Wochenende für Wochenende von CSD zu CSD zu fahren. Das sind aber Menschen, wir zählen uns dazu, die auch noch andere Politik machen wollen, Lohnarbeiten müssen, Familien haben, schlicht auch noch ein Leben haben. Daher wird das Vorhaben alle CSD zu schützen so nicht umzusetzen sein.
Offensichtlich haben jedoch die üblichen K-Gruppen dieses Jahr die Kampagne „CSD-Verteidigen“ ausgerufen (10), um die CSDs dafür zu nutzen junge Queers in ihre Strukturen zu locken (11).
Es muss ausdrücklich davor gewarnt werden sich auf diese Strukturen zu verlassen. Es fehlt ihnen nicht nur an Erfahrung mit Schutz vor Neonaziangriffen in Ostdeutschland, es geht ihnen auch hauptsächlich darum sich mit ihren K-Gruppen in Szene zu setzen um junge Menschen zu rekrutieren, aber nicht darum CDSs zu schützen. Ähnlich verhält es sich mit diesen dreitägigen "Soli-Hungerstreik" für Maja aus demselben Spektrum, der auch nur zum Ziel hat sich und seine "Organisationen" in den Mittelpunkt zu stellen und eben nicht die Situation von Maja, die Arbeit der Soligruppen der Inhaftierten Antifas und deren Familien und Friends.
Wir fragen uns, ob es unter diesen Umständen sinnvoll ist jedes Wochenende einen CSD zu veranstalten? Auch wenn wir wahrnehmen, dass die CSDs in kleineren Orten oftmals politischer sind als in Großstädten, würden wir die Frage aufwerfen, ob das als politische Praxis ausreichend ist? Was genau ist der Mehrwert dieser Praxis aus linksradikaler emanzipatorischer Perspektive auf längere Sicht?
Wir würden uns wünschen, dass die Organisator*innen und Teilnehmenden der CSDs mindestens darüber nachdenken, wie der Schutz von An-und Abreisenden gewährleistet werden kann ohne sich auf Polizei und K-Gruppen zu verlassen. Nur für mehr Sichtbarkeit von queeren Lebensrealitäten und neoliberale Regenbogenfeierei - das ist uns dann doch zu wenig. Wir als linksradikale Queers und Friends kämpfen nicht nur für sexuelle Befreiung, sondern für eine befreite Gesellschaft! Free all Antifas!
1 https://www.belltower.news/sachsen-innenministerium-macht-homofeindliche...
2 https://web.archive.org/web/20200130202931/http://emanzipatorischerblock...
3 https://www.niemals-vergessen.org/bernd-grigol/
https://www.inventati.org/leipzig/?p=4307
https://jungle.world/artikel/1997/44/mordskumpel-im-vollrausch
5 https://www.queer.de/detail.php?article_id=53849
6 https://www.nsu-watch.info/2025/06/demonstrationen-angriffe-und-stoerung...
7 https://www.queerpridedd.org/index.php/2025/05/08/wir-sind-das-bunte-hin...
8 https://www.queer.de/detail.php?article_id=53382
9 https://taz.de/Neonazi-Angriff-in-Bad-Freienwalde/!6094115/
11 https://de.indymedia.org/node/519110
