Berlin: Bericht von Free Mumia – Free Them All Kundgebung
Gestern, am 9. Dezember 2023 war der 42. (!) Haftjahrestag des afroamerikanischen Journalisten und Black Panther Mumia Abu-Jamal. In Berlin fand eine Kundgebung für seine Freiheit statt. Am gleichen Tag gab es neben zahlreichen Veranstaltungen in den USA auch ähnliche Proteste in Mexico City, Paris und London.
Trotz erträglicher Temperaturen und vergleichsweise mildem Wetter nahmen jedoch nur ca. 50 Menschen an der Kundgebung teil. Die große Mehrheit der Berliner Linken verpasste dabei einige interessante Beiträge, so z.B. den von einem Freund Oury Jallohs, der nicht nur über den knapp 19-jährigen Kampf für Gerechtigkeit des 2005 im Dessauer Polizeigewahrsam ermordeten Jalloh berichtete, sondern auch detailliert über die Repression sprach, die er als Freund seit dem erfahren hat und aktuell erfährt. Die Parallelen zu dem institutionalisierten rassistischen Terrors in den USA sind offensichtlich, und die White Supremacy wird auch in Europa ähnlich hart verteidigt. Der Beitrag endete mit der Aufforderung, am So. 7. Januar 2024 an der Gedenkdemonstration für Oury Jalloh in Dessau teilzunehmen.
Wir hörten zwei Beiträge von Mumia Abu-Jamal selbst vor der US Botschaft. Im ersten ging er auf seine Liebe zum Radio ein. Diesen Beitrag hatte er ursprünglich im Oktober 2023 anlässlich des 100-jährigen Radiojubiläums für die Freien Radios in Deutschland aufgenommen.
Eine Unterstützerin von Mumia berichteten über die Masseninhaftierung und Gefängnisindustrie in den USA, welche die aktuelle Form der offiziell abgeschafften Sklaverei darstellen. Ermutigend dabei ist, dass inzwischen us-weit Gefangene von innen ganz offen dagegen kämpfen. Der Beitrag ist hier als PDF beigefügt.
In einem weiteren Beitrag berichtete jemand über das Oberste Gericht des US Bundesstaates Arizona, welches im Mai 2022 grünes Licht dafür gab, Gefangene dort mit Zyklon B in einer Gaskammer hinrichten zu können. So kam zu der Todesstrafenfolter des Giftspritzencocktails, des elektrischen Stuhls und der Erschießungskomandos eine weitere Methode ins Spiel, mit der Nazi-Deutschland Millionen Jüdinnen und Juden, Sinti, Roma und Gegner*innen in Konzentrationslagern ermordet hat. Ein weltweiter Aufschrei darüber fand im Sommer 2022 allerdings nicht statt. Vermutlich ist es den meisten Menschen außerhalb Arizonas noch nicht einmal bekannt, obwohl es online sehr schnell überprüfbar ist. Natürlich sprachen sich die Kundgebungsteilnehmer*innen vor der US Botschaft für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe aus – kein Staat hat das Recht, Gefangene zu ermorden, ganz gleich, wie.
Das Beispiel des vor drei Tagen im Knast verstorbenen Black Panther Ed Poindexter macht deutlich, wie gefährlich Gefängnisse grade für ältere Gefangene sind. Mumia Abu-Jamal selbst hat eine lange Krankheitsgeschichte, verursacht durch Bewegungsmangel und schlechtes Essen. Langzeithaft mit Dauer von über 40 oder wie bei Ed Poindexter über 50 Jahren sind in den USA keine Seltenheit. Viele politische Gefangene aus den Kämpfen der 1960er und 70er Jahre waren unter den ersten, für die diese andere Form der Todesstrafe nach der Niederschlagung der Black Power und anderer PoC Bewegungen eingeführt wurde, so z.B. auch gegen den indigenen Aktivisten Leonard Peltier. Viele dieser Gefangenen sind heute schwer krank und haftunfähig. Die meisten verlassen die Isolationshaft wenn überhaupt nur wenige Tage vor ihrem Tod. Eine politische Linke, die das teilnahmslos hinnimmt, beraubt sich selbst jeglicher Ernsthaftigkeit. Wer die Augen davor (z.T.) bewusst verschließt, wird wohl auch sonst kaum einen Begriff von der realen kapitalistischen Gewalt bekommen können.
Das sog. „Land of the Free“ ist der „Kerkermeister der Nationen“, wie es von Mumia oft genannt wird. Aktuell sind 2,14 Millionen Menschen ihrer Freiheit beraubt, sowie weitere ca. 4,5 Millionen Menschen unter staatlichen Auflagen und ohne Bürger*innenrechte. Kein anderes Land der Erde kommt auch nur auf annähernd ähnlich hohe Inhaftierungsraten, weder in realen Zahlen noch im Verhältnis.
So klein diese Kundgebung auch war, hat sie mich daran erinnert, dass die Kämpfe der Gefangenen neben der globalen Migration offensichtlich immer die ersten sind, die den Widerspruch zwischen Freiheit und Ausbeutung direkt angreifen. Die globale ökonomische Gewalt beruht auf Jahrhunderten des Massenmords, Diebstahls und Raubs. Gefängnisse waren in den letzten 250 Jahren dabei eines der wichtigsten Disziplinierungswerkzeuge in Europa und den USA.
Schade, dass das derzeit wohl nur für wenige eine Bedeutung zu haben scheint. Schön, dass es Menschen wie Mumia gibt, die lebenswerte Bilder über die alltägliche Gewalt hinaus beschreiben können.
Free Mumia – Free Them All!
Ergänzungen
heute Gefangenentexte im Kiezladen Sonnenallee 154 (Berlin)
Rundmail vom Kiezladen Sonnenallee 154 aus Berlin:
So. - 10.12.23 - 18.30 - Weihnachtsbraten & Texte aus dem Knast - @Sonnenallee 154
Kiezladen, Sonnenallee 154, 12059 Berlin-Neukölln, Bus M41-Hertzberg-Pl.
Am 10. Dezember serviert Deine LieblingsVoKü ab 19 Uhr im Kiezladen Sonnenallee 154 einen saftigen veganen Braten und zahlreiche weitere Leckereien zur Weihnachtszeit.
Zudem wollen wir - inspiriert durch Mumia Abu-Jamal (s.u.) - an die zahlreichen Gefangenen in den Knästen dieser Welt erinnern. Lasst sie uns befreien, in dem wir ihre Text vorlesen. Kommt vorbei und lest selbst einen Text einer Gefangenen vor, die euch am Herzen liegt! Ob Mumia, Leonard Peltier, Selahattin Demirtaş, Abdullah Öcalan oder historische Gefangene wie Rosa Luxemburg, Bobby Sands, Erich Mühsam, Nelson Mandela oder Mahatma Ghandi... Der Phantasie sind wenig Grenzen gesetzt. Nur die Zeit solltet ihr etwas im Blick haben, so dass alle lesen können, die wollen.
Bereits im Dezember 1986 schrieb der zum Tode verurteilte US-amerikanische Bürgerrechtler Mumia Abu-Jamal "Jedes Jahr im Winter findet in der westlichen Welt eine Art Festival statt, das angeblich zur Feier der Geburt von Jesus von Nazareth vor etwa 2000 Jahren veranstaltet wird. Aber wer unter den zahllosen Millionen, die jetzt sein Loblied und von Nächstenliebe singen, erinnert sich daran, dass all die Lieder gesungen werden, um einen Gefangenen zu preisen - tatsächlich sogar einen Gefangenen im Todestrakt, dem die staatliche Exekution durch Kreuzigung bevorsteht? Was bedeuten die Lieder und die Nächstenliebe für die, denen heute die Hinrichtung durch etwas modernere staatliche Exekutionsmethoden bevorsteht? Was können sie für die bedeuten, die in den Verliesen Babylons eingekerkert sind? [...]"
(aus dem Buch Texte aus dem Todestrakt von 2023)
Wir sehen uns am 10.12. im Kiezladen und/oder Sylvester vorm Knast!