Mumia Abu-Jamal über Trumps Amerika: „Babylon ist in ernsten Schwierigkeiten“
In der US Musikzeitschrift Rolling Stone interviewte Dave Zirin am 17. Juni 2025 den seit 1981 (!) in Pennsylvania inhaftierten Journalisten Mumia Abu-Jamal. In dem ausführlichen Interview sprachen sie über Trumps Amerika, den rechten Putsch und den aktuellen Zusammenschluss des Staates mit einzelnen Konzernen. Nun liegt dieses Interview in deutscher Übersetzung vom Team Abu-Jamal, Heidelberg/Berlin vor.
Quelle im englischen Original https://www.rollingstone.com/culture/culture-features/mumia-abu-jamal-tr...
Exklusivbericht
Mumia Abu-Jamal über Trumps Amerika: „Babylon ist in ernsten Schwierigkeiten“
Der ehemalige Black Panther wurde 1982 wegen Mordes an einem Polizisten in Philadelphia zum Tode verurteilt. Seine Freilassung ist für Musiker heute kein prominentes Anliegen mehr – aber er verfolgt immer noch, was in der Welt geschieht.
von Dave Zirin
17. Juni 2025
Sieben Minuten vom idyllischen Molly Maguire Historical Park in Frackville, Pennsylvania entfernt liegt die die Staatliche Strafvollzugsanstalt SCI Mahanoy. Hinter den öde-grauen Betonmauern und Stacheldraht befindet sich, in einer Situation, die er als „Leben mit einem Todesurteil in Zeitlupe“ beschreibt, der Gefangene AM 8335, Mumia Abu-Jamal. Abu-Jamal war einmal Mittelpunkt einer internationalen Kampagne; er verbrachte beinahe drei Jahrzehnte im Todestrakt Pennsylvanias, von wo aus er auf seiner Unschuld beharrte und Millionen zu der Forderung nach seiner Freilassung inspirierte. Heute, mehr als 40 Jahre, nachdem er für den Mord an dem Polizeibeamten Daniel Faulkner verurteilt wurde, bleiben er und sein Fall ein heißes Eisen in der Politik Philadelphias. Der Polizeiverband Fraternal Order of Police hat sich jahrzehntelang erst für die Hinrichtung Abu-Jamals und dann für die Fortsetzung seiner Inhaftierung stark gemacht, weil er einen der ihren getötet haben soll. Amnesty International bezieht keine Stellung zu seiner Schuld oder Unschuld, kam aber zu der Feststellung, sein Verfahren sei durch polizeiliches, staatsanwaltliches und richterliches Fehlverhalten charakterisiert gewesen. 2011 wurde sein Todesurteil aufgehoben und der Bezirksstaatsanwalt Philadelphias beschloss, von seiner Durchführung abzusehen und sich mit einem Urteil von Lebenslänglich ohne die Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung zufriedenzugeben. Abu-Jamal ist jetzt 71 und mit der Dringlichkeit bevorstehender Hinrichtungstermine hat sich auch die Zahl derer, die für seine Freilassung demonstrieren, verringert. Aber auch, wenn wir ihm keine Aufmerksamkeit schenken, können wir uns darauf verlassen, dass er uns sehr wohl beobachtet. „Es gibt da dieses Gefühl einer großen Unordnung, dass alles ziemlich aus der Bahn geraten ist“, meint er. „Babylon steckt in echten Schwierigkeiten.
Mumia Abu-Jamal spricht mit einer direkten, ruhigen Dringlichkeit und hat viel zu sagen über den Niedergang der Rechtsstaatlichkeit, die Heucheleien der Verfassung und den langen politischen Weg, der uns in die gegenwärtige Krise geführt hat. Bevor er im Todestrakt landete, war Abu-Jamal als junger Mann eine führende Person bei den Black Panthers in Philadelphia und später ein preisgekrönter Reporter für National Public Radio (NPR), der über Kultur, Wohnprobleme und Musik berichtete. Er war gerade Präsident der Philadelphia Association of Black Journalists gewesen und hatte eine hoffnungsvolle Zukunft vor sich. Genau das machte Abu-Jamals Verhaftung wegen der Ermordung des Polizeibeamten Faulkner so merkwürdig und schwer zu glauben.
Im Prozess behauptete die Anklage, Faulkner habe Abu-Jamals Bruder William Cook an den Straßenrand gewinkt und Abu-Jamal, der damals auch als Taxifahrer arbeitete, sei zufällig vorbeigekommen und habe ebenfalls angehalten. Nachdem es, wie die Polizei und einige weitere Zeugen der Anklage berichteten, zu einer physischen Auseinandersetzung kam, rannte Abu-Jamal laut der Staatsanwaltschaft über die Straße, feuerte dabei ein Waffe ab und tötete Faulkner, während er selbst durch eine Kugel in die Brust verletzt wurde. Die Staatsanwaltschaft legte dem Gericht Beispiele für politische Äußerungen Abu-Jamals aus seiner Zeit als Panther vor, die ihrer Meinung nach seine feindselige Haltung gegenüber gegenüber der Polizei belegten. Abu-Jamal hat immer darauf bestanden, dass er ein politischer Gefangener ist, der sich aufgrund einer reaktionären Kampagne von Polizei und Staatsanwaltschaft gegen radikale Kräfte in Philadelphia hinter Gittern befindet. Sein Verfahren und seine zahlreichen Berufungsversuche waren haben nicht dazu geführt, dass er frei kam, selbst wenn sich neue Augenzeugen meldeten, die der Tatversion der Polizei widersprachen.
Als 1995 und 1999 zwei Hinrichtungstermine immer näher rückten, wurde der Fall Abu-Jamals zu einem zentralen Anliegen der Musik-Community. Rage Against The Machine, die Beastie Boys, KRS-One, Anti-Flag und viele andere produzierten Singles oder gaben Konzerte, mit denen sie sich für seine Freilassung einsetzten. Aber nachdem er zu einem „Lebenslänglichen“ ohne einen Hinrichtungstermin wurde, verschwand sein Fall weitgehend aus der Öffentlichkeit. Aber selbst wenn die Rufe „Freiheit für Mumia“ leiser geworden sind, weiß er die Unterstützung, die er immer noch genießt, zu schätzen. „Ich höre immer noch von vielen Leuten und ich bin weiter froh über jeden einzelnen Rap, jedes einzelne Wort“, sagt er.
Abu-Jamal ist laut eigener Auskunft ein „Geschichts-Freak“ und C-Span-Junkie“ und hat im Gefängnis 15 Bücher geschrieben oder herausgegeben, darunter den jüngst erschienenen Band Beneath The Mountain: An Anti-Prison Reader, der bei City Lights erschien. Derzeit legt er letzte Hand an eine Doktorarbeit an der University of California Santa Cruz (UCSC) über den höchst einflussreichen Arzt und Revolutionär Frantz Fanon an. Hier haben wir jemanden, der nicht nur über die hässlichsten Seiten unseres Landes schreibt, sondern sie auch jeden Tag erlebt. Mumia und ich als Journalist von Rolling Stone haben uns persönlich in Frackville getroffen und diese Konversation wurde dann durch ein auf Band aufgenommenen Telefongespräch ergänzt. Ich hatte ihn vor 15 Jahren schon einmal interviewt, aber jetzt, angesichts des derzeitigen politischen Aufruhrs, steht noch wesentlich mehr auf dem Spiel, diskutierten wir doch, ob der vielbeschworene „Weg zum Faschismus“ schon an sein Ziel gekommen ist.
Frage: Wie sieht dein Leben in einer Situation aus, die du als „Todesstrafe in Zeitlupe“ bezeichnet hast?
Es ist sicherlich ruhiger, aber auch auf sehr persönliche Arten intensiver. Ich habe den größten Teil meines Lebens im Todestrakt verbracht, und der Todestrakt war mein Zuhause. Er war außerdem mein Büro. Er war ein Ort, an dem ich unablässig arbeitete, indem ich las und studierte. Ich erinnere mich, dass ich zeitweise zwei Bücher am Tag las, und das dann über Wochen und Monate. Nicht wegen des Bildungsprogramms eines Colleges, sondern aus Neugier und weil ich wissen wollte, wie die Welt organisiert war und die Freiheit hatte, zu studieren und die Antwort auf einige dieser Fragen zu finden. Nichts macht den Geist konzentrierter als der Tod und wenn man im Todestrakt ist, kann man dahin reisen, wo der eigene Geist ist: Wenn ich i Todestrakt las, befand ich mich in anderen Ländern und anderen Epochen. Was die jetzige Zeit betrifft, ist der Todestrakt in Zeitlupe immer noch ein Todestrakt. Es ist kein Ort, wo es Licht am Ende des Tunnels gibt, sondern nur noch mehr von diesem Tunnel und noch mehr Dunkelheit. (Lacht.) Es ist eine lang ersehnte Freude, seine Kinder zu umarmen und seine Frau zu umarmen und Freunde zu umarmen und mit ihnen zu reden, besonders nach 29 Jahren ohne Körperkontakt, aber es ist immer noch ein Leben in einem Käfig und das ist keine Art zu leben.
Frage: Wie verstehst du das, was du sich derzeit politisch außerhalb der Gefängnismauern abspielen siehst?
Es ist schwer, sich die Welt von heute zu betrachten und nicht das Gefühl eines tiefgreifenden Chaos zu empfinden, das einen jeden Tag erfasst. Das liegt zum Teil daran, dass das, wofür dieses Land sich entschieden hat, eine Art von Politik des Wahnsinns, der Niedertracht und – entschuldige, wenn ich das sage, aber ich bin zutiefst davon überzeugt – eine Art von Massenignoranz ist, die man nicht übersehen kann. Das ist das Wesen dieser Sache. Es ist ein außergewöhnlicher und schreckenerregender Moment.
Frage: Trump sagt, er wisse nicht, ober er mit der Verfassung übereinstimmt, und als gegeben angenommene fundamentale Prinzipien wie Rechtsstaatlichkeit, ein fairer Prozess oder eine Jury von Gleichgestellten scheinen jetzt zu Opfern seines Justizministeriums zu werden.
Die Wahrheit in dieser Sache ist, dass es schon immer diese Rhetorik über einen ordentlichen Prozess, das Recht auf eine Jury von Gleichgestellten und andere von der Verfassung garantierte Rechte gab. Aber es kommt nicht darauf an, was die Verfassung sag, sondern darauf, was in der Praxis stattfindet. Es gibt die Rhetorik und es gibt die Realität, diese beide Ströme fließen nur selten zusammen. Wenn ich etwas von Rechtsstaatlichkeit höre, denke ich automatisch nicht an mich und meinen Fall zurück, sondern an Fred Hampton, den ehemaligen Vorsitzenden der Chicagoer Ortsgruppe der Black Panther Party, der vom Staat in seinem Bett getötet wurde, nur weil er ein Panther war. Das war am 4. Dezember 1969. Ich spreche hier als jemand, der nicht nur Artikel darüber gelesen hat. Ich war einer von vier Panthers aus Philadelphia, die sofort, nachdem wir von seiner Ermordung gehört hatten, nach Chicago fuhren, und wir standen nur Stunden nach der Hinrichtung Fred Hamptons in diesem Haus. Wir standen nur einen halben Meter von seiner blutdurchtränkten Matratze und nicht weit von der Tür entfernt, die wie ein Schweizer Käse aussah, weil das Feuer aus automatischen Waffen sie in den frühen Morgenstunden zersiebt hatte. Rechtsstaatlichkeit, von wegen.
Frage: Wir outsourcen jetzt auch Gefangene, die ohne Verfahren auf unbegrenzte Zeit festgehalten werden, an ein Arbeitslager in El Salvador, das von Geo Group gebaut wird.
Es ist die Ausdehnung eines gefängnisindustriellen Komplexes, der sich nicht damit zufriedengibt, in unseren eigenen Grenzen zu verbleiben, auf den Rest der Welt. Wir sehen jetzt außerdem, wie leicht es ist, diese privaten Gefängnisse in Orte der Repression, der Folter und des Todes umzufunktionieren. Diese Gefängnisse, die Aktien an der New Yorker Börse verkaufen, sind die neuen Pioniere dessen, was man früher black sites genannt hat. Black sites waren von der CIA betriebene Geheimgefängnisse. Wir wussten nie, wo sie sich befanden, weil sie nie in den Nachrichten auftauchten und wir sagten: „Reden wir doch mal darüber, wo die black sites sind.“ Jetzt trompeten wir es hinaus und sagen: „Wir werden da drüben ein Gefängnis aufmachen. Und da noch und da noch.“ Das ist wirklich die Privatisierung von Gefängnissen in durchgedrehter und weltweiter Form. Man denke an die Leute aus Deutschland und Südafrika, die vor etwa einem Jahrhundert in die Vereinigten Staaten kamen, um das Jim-Crow-System zu studieren, damit sie ihr eigenes System rassistischer Ungleichheit und Unterdrückung perfektionieren konnten. Die USA sind ein Exporteur von Ketten.
Frage: Die Brutalität Trumps hat man in den letzten Jahren oft auch bei von Bürgermeister*innen der Demokraten befohlenen Angriffen auf Protestierende von Occupy Wall Street, Protestierende von Black Lives Matter, Protestierende gegen Cop City gesehen.
Auch hier kommt es wieder nicht darauf an, was die Verfassung sagt, sondern was die verfassungsmäßige Praxis ist. Heute ist der 40. Jahrestag der Bombardierung von MOVE in Philadelphia. Es war das Büro eines liberalen Bürgermeisters der Demokraten in Philadelphia, das ein Haus mit Männern, Frauen, Kindern und Tieren bombardieren und mehrere Häuserblocks abbrennen ließ und der Feuerwehr befahl, das Wasser abzustellen. Und sie tat es. Elf Menschen, darunter fünf Kinder, starben durch das Feuer und Gewehrschüsse. Um einmal sarkastisch zu sein: Wie viele dieser Leute, die in der fünftgrößten Stadt der USA einen Massenmord begingen, kamen dafür in den Todestrakt?
Frage: Als jemand, der einmal der bekannteste Gefangene im Todestrakt in den USA war – was sagst du zu den Bemühungen Trumps, mit aller Macht die Todesstrafe zurückzubringen?
Auch das ist wieder die Politik der Repression, ganz groß geschrieben und in Farbe. Trumps Justizministerium spricht auch von der Wiederinkraftsetzung der Todesstrafe für Menschen, deren Urteil, umgewandelt wurde. Wir befinden uns in einem Zeitalter des Wahnsinns. Der Wahnsinn erscheint mittlerweile normal, oder? Wenn man jedem Tag eine Dosis von Wahnsinn verabreicht bekommt, vergisst man nach einer Weile fast, wie wahnsinnig man ist und wie irrsinnig alles um einen herum ist, weil es normalisiert worden ist. (Lacht.) Es kann nur irrsinnig werden, weil es vor 30 Jahren mit einer Art von Irrsinn begann.
Frage: Was meinst du, wenn du sagst, „weil es vor 30 Jahren mit einer Art von Irrsinn begann“?
Wir hätten diesen gegen die Verfassung gerichteten Law-and-Order-Trumpismus nicht ohne den Clintonismus. Bill Clinton war der Pate der Masseneinkerkerung, und man kann nicht von der Erweiterung der Todesstrafe sprechen, ohne sie als eine Erweiterung der Masseneinkerkerung zu verstehen. Es hätte in den USA auch keine Masseneinkerkerung geben können, wenn in den 1990er Jahre nicht schon der Neoliberalismus die Ökonomie bestimmt hätte. Und der Neoliberalismus ist dem Wesen nach Konservatismus, weil es sich bei ihm um eine Ehe zwischen Staat und Konzernen handelt, was wiederum eine sehr treffende Definition für was ist? Faschismus. Er ist wie eine Art höflicher Faschismus. Er ist nicht so niederträchtig, aber er hat dasselbe Ziel und dieselbe Absicht. Wir hätten jetzt nicht den Ausnahmezustand des Trumpismus, wenn es nicht zuvor die Clinton/Biden-Gesetzesvorlagen zur Verbrechensbekämpfung und die gewaltige Expansion der Gefängnisse gegeben hätte, die den Weg dorthin gebahnt haben.
Frage: Leben wir jetzt unter dem Faschismus, ein Wort, von dem du weißt, dass es meiner Meinung nach in der Vergangenheit zu oft verwendet worden ist?
Ja, es ist Faschismus. Wir haben das Wort in den 1960ern wegen seines politischen Effekts verwendet. In Wirklichkeit benutzten wir es nicht, um unsere politische Analyse zu vertiefen, sondern um unsere Rhetorik aufzupeppen. Wir sind jetzt in einem anderen Zeitalter. Mein Verständnis von Faschismus hat immer besagt, dass er eine Ehe zwischen Staat und Unternehmen ist. Wenn man sich alles betrachtet, was um uns herum geschieht, wird diese Ehe immer wieder geschlossen. Die Konzerne sind in unserem politischen Leben die wichtigste Quelle der Macht. Die Gesetze werden für sie geschrieben, ganz gleich, worum es sich handelt. Und der Oberste Gerichtshof hat verkündet, dass Konzerne verfassungsmäßige Rechte haben und dass es sich bei ihnen letztlich um Personen handelt, die verfassungsmäßigen Schutz genießen.
Frage: Gibt es einen Weg, eine Bewegung aufzubauen, um diese faschistische Rump-Agenda zu besiegen?
Den Wellen der Repression muss mit Wellen des Widerstandes begegnet werden und wir haben es jetzt mit Wellen des Wahnsinns zu tun. Jede Bewegung wird die Jugend brauchen und die heutige Generation ist in vieler Hinsicht ganz wunderbar. Es ist die Jugend, die immer auf den Plan tritt und auf eine Art von „Freiheitsträumen“ spricht, wie es ihre Eltern nicht wagen. Wenn man jung ist – besonders, wenn man jung ist und ans College geht – ist das die freiste Zeit im Leben. Das eigene Gehirn wir auf eine Weise genährt, wie das in der Zeit an der Highschool nicht geschah und wie es in der Zeit nach dem College nicht mehr sein wird. Viele haben noch keine Kinder, sie sind nicht dem Druck einer Karriere oder eines Jobs ausgesetzt, und daher befinden sie sich auch nicht auf eine Weise unter der Knute, wie das bei einem Großteil der Arbeiterklasse der Fall ist. Sie sind frei und sie können auf eine Art sprechen, die nicht nur von ihrem Willen, sondern von ihrem Herzen und ihrem Geist ausgeht, und daher sind sie in der Lage, wie niemand sonst klar zu sehen und zu rebellieren.
Man denke nur daran, was geschah, als eine 17-jährige in Minneapolis sich ihr Telefon schnappte und aufnahm wie ein Polizeibeamter jemanden direkt vor ihren Augen tötete. Sie verschickte es über Livestream und es ging um die ganze Welt. Wir erlebten die größten Demonstrationen seit Jahrzehnten und sie fanden überall auf der ganzen Welt statt. Es war, als reiste George Floyd rund um die Welt und ginge dabei von Telefon zu Telefon, und das löste eine bemerkenswerte Bewegung aus. Eine 17-jährige hatte das möglich gemacht. Ich finde diese jungen Leute wirklich unglaublich, und aufgrund dieses mächtigen Kommunikationsinstruments konnten sie Dinge tun, von denen Huey Newton und Eldridge Cleaver nur träumen, die sie aber nicht realisieren konnten! (Lacht.) Weil die Kommunikationsmittel sich verändert haben.
Frage: Du hast davon gesprochen, dass du Karl Marx zum ersten Mal im Alter von 41 Jahren gelesen hast. Vielleicht kannst du einmal davon sprechen, was der Marxismus als Analyse unseres gegenwärtigen Chaos zu bieten hat.
Als ich ein junger Panther war, versuchte ich, Marx zu lesen. Er war vollkommen unverständlich. Ich versuchte, Das Kapital zu lesen, aber ich kam nicht weiter als bis zur zweiten Seite. Es brachte mich zum Einschlafen! Aber Jahre später, als ich schon im Todestrakt war, nahm ich es mir noch einmal vor und ich lernte einige Dinge, die ein 14- oder 15-jähriger hätte unmöglich verstehen können, wenn er sich mit dieser Materie beschäftigte. Ich begann, die Kraft zu sehen, die darin lag, eine ökonomische Analyse zu haben, um zu verstehen, wie die Welt organisiert ist. Marx sagte, der Kapitalismus selbst sei eine revolutionäre Idee, die sämtliche chinesischen Mauern niederreißt. Er ist eine destruktive Kraft, die „Dingen“ einen Preis, aber nichts einen Wert zuschreibt. Diese wirtschaftliche Kontrolle über unsere Leben – und unsere Versklavung durch das Auf und Ab ökonomischer Krisen wird nicht aufhören, solange die Menschen nicht anfangen, auf neue Art nachzudenken. Dieser Punkt ist wichtig, weil der Kapitalismus Gangstertum in globalem Maßstab ist und weil man sich dem entgegenstellen muss.
Frage: Ja, jedes Mal, wenn es eine Krise gibt, zitieren sie Marx im Wall Street Journal.
(Lacht.) Was beweist, dass sie Marx lesen!
Frage: Sie sagen dann, „Wir stimmen mit der wirtschaftlichen Analyse des Kapitalismus überein und haben bloß etwas gegen den Teil mit der Revolution und dem Sturz des Systems!“
Genau. Aber sie kennen seine destruktive Macht, weil sie selbst Teil davon sind. Und wir sehen die Resultate eines Systems in einem permanenten Zustand der Krise jeden Tag: in der Welt und ganz gewiss in unserer Politik in diesem Land. Wir befinden uns inmitten einer weißen nationalistischen Konterrevolution in Washington. Denk einmal an all die Staatsangestellten, die jetzt angegriffen werden. Denkt da einer, die seien wirklich ein Haufen von linken Verrückten und Sozialkisten und Liberalen? Nein. In Wirklichkeit sind sie konservativer als der Durchschnittsbeschäftigte, aber dieses Regime behandelte sie wie Müll, weil es Steuererleichterungen für die Ultrareichen durchsetzen wollte. Und sie behandelten diese Leute, die sich den Arsch abarbeiteten – diese Leute, die zur Schule gingen, um die Qualifikation für einen Job zu erwerben und dann ihr Bestes zu tun, um das Land zu unterstützen – wie Abfall. Man denke einmal daran, wie Leute heute über Lehrer reden. Einer der härtesten Job der Welt ist es, junge Leute zu unterrichten. Das ist eine der härtesten und eine der am schlechtesten bezahlten Arbeiten im Land. Und wenn man Politiker über Lehrer sprechen hört, reden sie über sie, als seien sie Dreck.
Frage: Aber warum hassen sie Lehrer so sehr?
Zum Teil, weil Lehrer einen gebildeten Teil der Arbeiter*innenklasse darstellen, der die Aussagen, die Politiker so von sich geben, kritisch infragestellt. Man denke an den Krieg gegen die Universitäten. Wahrscheinlich das Beste, was die Gesellschaft je im Bereich der höheren Bildung hervorgebracht hat. Faschismus ist leichter mit ungebildeten Arbeitskräften durchzusetzen. Trump h<at gesagt: „Ich mag die Ungebildeten. Das sind meine Lieblingsleute.“ Vor ihm habe ich einen Politiker noch nie diese Worte sagen gehört. Aber er meint sie ernst! In meiner Zelle denke ich darüber nach, wie viele der Bewegungen der 1960er Jahre ihren Ursprung an Universitäten hatten – oder? Berkeley, San Francisco State, Columbia. Die Trumpisten befinden sich in einem permanenten Krieg gegen die 1960er Jahre, die wahrscheinlich freieste Zeit des 20. Jahrhunderts. Und sie befinden sich in einem Krieg mit der höheren Bildung, weil sie die Encampments für Palästina gesehen haben und so etwas in Zukunft nicht noch einmal sehen wollen.
Frage: Ich schreibe ja für Rolling Stone und du warst ja unter anderem auch Musikreporter. Ich weiß, dass du eines meiner Idole, Bob Marley, interviewt hast. Ich habe gehofft, du könntest ein bisschen darüber sprechen, wie das war.
Das war eines der bemerkenswertesten Interviews, die ich damals geführt habe. Mein jüngster Bruder, meine Frau und ich begaben uns zu einem großen Hotel in Center City, Philadelphia. Wir hatten mit Marleys Manager Arrangements getroffen und dann kamen wir hoch und da waren Rastas, die im Raum umherliefen und Reggae-Musik zuhörten , und im Schlafzimmer befand sich Robert Nesta Marley. Wir setzten uns hin und ich muss zugeben, dass er einen Riesen-Joint hervorzog, und ich schaltete mein 90-Minuten-Band an, um ihn aufzunehmen. Und er redete einfach immer weiter. Wir redeten in diesen 90 Minuten über alles auf der Welt, bis ich kein Band mehr hatte und wir dann noch einmal eine Stunde redeten. Es war zum Teil der Joint, den er bereitwillig mit uns teilte, aber noch mehr war es der weit offene globale Geist Bob Marleys. Es war bemerkenswert. Er erzählte uns einfach, wie er die Dinge sah. „Wenn ich nach Amerika komme, Mann, möchte ich hier Leute sehen, die rebellisch sind, Mann, Leute auf Rasta.“
Übersetzung: Team Abu-Jamal, Heidelberg/Berlin

Ergänzungen
neue Free Mumia Bewegungszeitung in den USA
In den USA haben Unterstützer*innen von Mumia Abu-Jamal eine neue Bewegungszeitung gegründet, die mehrmalls im Jahr erscheinen und bei Protesten kostenlos verteilt werden soll. Die erste Ausgabe vom Juli 2025 ist hier online zu finden und kann selbstverständlich auch als PDF heruntergeladen und kopiert werden: https://www.freiheit-fuer-mumia.de/#newsbulletin1
Rezension von Mumias und Jennifer Blacks Buch "Beneath The Mount
Rezension von Mumia Abu-Jamals und Jennifer Blacks Buch "Beneath The Mountain" in deutscher Übersetzung:
"Kampf gegen die Sklaverei, Kampf gegen das Gefängnis" von Ron Jacobs
https://www.freiheit-fuer-mumia.de/#RezensionBeneathJacobs
Frantz Fanon und Mumia
In einer neuen Besprechung des Werks von Autor Frantz Fanon beschreibt Harsh Thakor die Auswirkungen auf Mumia Abu-Jamal und andere Black Panthers: "Frantz Fanon: A pathbreaking thinker whose work continues to inspire global liberation struggles"
https://www.counterview.net/2025/07/frantz-fanon-pathbreaking-thinker-wh...
Es ist kein Zufall, dass Mumia selbst das Werk von Frantz Fanon in seiner Abschlußarbeit in seinem Fernstudium behandelt.
Demobericht aus Philadelphia: Mumia out of prison!
(Workers World) Philly, July 4-5: Mumia out of prison! U.S. out of everywhere! https://www.workers.org/2025/07/86741/
Berlin: 2x Free Mumia Infotische im September
Sa. 6. September 2025 Berlin - Weisestrassenfest ab 14:00 Uhr
Infotisch von Free Mumia Berlin - kommt und vernetzt euch mit uns
weitere Infos zum Weisestraßenfest: https://weisestrasse.nostate.net/
Weisestrasse zwischen Herfurth und Selchowerstr - 12049 Berlin-Neukölln, U8-Boddinstr
So. 14. September 2025 Berlin - Tag der Mahnung und Erinnerung ab 15:00 Uhr
Infotisch von Free Mumia Berlin - kommt und vernetzt euch mit uns
weitere Infos zum Tag der Mahnung: https://tag-der-mahnung.vvn-bda.de/
Werner-Seelenbinder-Sportpark, Oderstraße 182, 12049 Berlin-Neukölln, S+U8-Hermannstrasse
Sommeröde im Knast: Gefangenen schreiben
In der Ferienzeit sind Gefangene besonders abgeschnitten von familiären Kontakten und Angeboten in Haft. Vorschlag: schickt Mumia und anderen kämpfenden Gefangenen eine Karte oder Brief, z.B. aus eurem Urlaub. Sonne und helle Farben freuen Menschen in Haft. Adressen findet ihr in unserem Online "Postamt für Gefangene":
https://www.das-mumia-hoerbuch.de/post.htm