3. Prozesstag gegen Thunfisch wegen Rigaer Demo 2016
Prozessbericht vom 4. März
Das Gericht eröffnete die Verhandlung mit zwei rechtlichen Hinweisen. Der angeklagte Widerstand würde nach den alten Bestimmungen, also bevor der entsprechende Paragraph 113 § StGB verschärft wurde, verurteilt werden können. Beim Vorwurf des Landfriedensbruchs könne, im Gegensatz zur Entscheidung des Amtsgerichts, auch ein schwerer Fall angenommen werden. Auf ein Urteil würden 81 Tage Untersuchungshaft angerechnet werden.
Danach wurde Frau Michaela Thörmann (52) vom Landeskriminalamt als Zeugin vernommen. Sie war die Ermittlungsführerin in dem Verfahren gegen Thunfisch. Im Gegensatz zur Beamtin Boeck, die bei einer Einsatzhundertschaft an der Demo vom 9. Juli 2016 eingesetzt war und sich an gar nichts erinnern konnte, konnte Frau Thörmann diese Demo, bei der sie zu keinem Zeitpunkt anwesend war, in unglaublichen Details in ihrer zweistündigen Rede darstellen, als ob es gestern gewesen wäre.
Sie sagte aus, dass sie die beiden Tabos Haase und Peetsch vernommen habe. Auf der Demo sei der Polizei eine aggressive Stimmung entgegen geschlagen, ununterbrochen seien Flaschen und Steine geworfen worden. Am Endpunkt an der Warschauer / Ecke Revaler Str. seien 800 Leute gewesen. B. habe einen Riesen Stein geworfen, der einen Bupo in der Leistengegend getroffen habe. Haase und Peetsch hätten ihn dann verfolgt. B. und Thunfisch hätten mit Spitznamen kommuniziert. Frau Thörmann kann sich ohne dabei gewesen zu sein genau an den Moment erinnern, an dem B. nicht mehr vermummt gewesen sei. Am Bart habe man erkannt, dass er Ausländer sei.
Konkret: ‘’Er hatte so einen spitzigen Bart, so ein Salafistenbart’‘. Als im Saal Aufschrei war, die beschuldigte Person mit „gehts noch“ kommentierte und der Richter alle angemault hat, weiter: ’’Ich sage es weil es eine wichtige Rolle gespielt hat, durch seinen Aussehen wussten wir erst nicht, ob er ein Deutscher war, er sah wie ein Ausländer aus."
Wie B. und Thunfisch bekleidet waren, weiss Thörmann nicht. Es gab Festnahmen anderer Menschen und Befreiungsversuche, habe ihr Herr Trap (phon) berichtet. Thunfisch war dabei als B. warf, deshalb sollte sie auch festgenommen werden. Sie habe einen französischen Ausweis, also ihren Aufenthalt verschleiern wollen. Sie, Frau Thörmann, habe von Oberstaatsanwalt Fenner den Auftrag bekommen das ganze Videomaterial der Demo nach Aufnahmen von Thunfisch zu sichten. Zwischendurch referiert sie ununterbrochen über die juristische Definition von schwerem Landfriedensbruch und Steinen. Sie sei auf die Anzeige gegen Unbekannt von Zugführer Vater, 25. Ehu. aufmerksam geworden. Den habe sie zum Videogucken eingeladen, Thunfisch habe einen seiner Beamten gegen den Helm geschlagen. „Die Zugführer erkennen ihre Leute auf den Videos an der Art wie sie laufen“ (Im Gegensatz zu den Verfahren gegen Bullen wegen Körperverletzung im Amt bei Demos, wo genau das Gegenteil gesagt wird).
Auf die Frage des Richters, wo Thörmann an dem Tag war: „Nicht vor Ort aber die Demo ist mir wegen der vielen zerstörten Einsatzhelme in Erinnerung geblieben. Ja, mein Auftrag ist von Fenner persönlich gekommen.“
„Bei Einsätzen dieser Art, z.B. 1. Mai, wird grundsätzlich das gesamte Videomaterial nach belastbaren Sequenzen durchgeschaut. Die Fotos der Verdächtigen hängen dann an der Wand.“
Frau Thörmann ergeht sich in weiteren dramatischen Schilderungen von Steinwürfen, die Demo scheint die Berliner Polizei traumatisiert zu haben.
Frage des Richters: „Wer hat die Videosequenzen der Angeklagten zugeordnet?“
Sie war es nicht. Das Gericht weiß nicht wer Thunfisch als Verursacherin der „Verletzung“ von Ramirez Acosta zugeordnet hat. Sie weiss es auch nicht.
Auf die Frage ob das Video, welches Vater gezeigt wurde schon bearbeitet war? – „Nein“
Es gab an diesem Tag drei Haftbefehle, in allen sei sie die Ermittlungsführerin, berichtet sie stolz.
Auf Nachfrage: „Ich musste mich nicht auf die Verhandlung vorbereiten, die Demo hat Eindruck gemacht bei mir.“
Auf Frage der Verteidigerin: „Thunfisch hat einen Stein in der rechten Hand gehabt.“ – Sie macht eine entsprechende Bewegung. Auf Vorhalt, dass Tabo Haase laut Protokoll der ersten Instanz gesagt habe, dass sie nicht wisse ob es die rechte oder linke Hand war, fällt ihr nicht mehr ein. Thunfisch habe einen roten Jutebeutel auf dem Rücken mitgeführt.
Ende der Aussage, es werden drei kurze Videos gezeigt. Auf dem ersten stürmt eine Hundertschaft in eine Menschenmenge, die Parolen skandiert. Ein gelber Pfeil soll Thunfisch markieren, eine Tathandlung wird nicht gezeigt. Auf dem zweiten Video ist Thunfisch zu sehen, wie sie im Bereich Warschauer Straße von Bereitschaftsbullen geschubst wird und ihnen dafür den Stinkefinger zeigt.
Auf dem letzten Video sitzen zwei Menschen vor einem Supermarkt, als sie von Bullen überfallen werden, es soll die Festnahme von Thunfisch sein. Ein roter Jutebeutel ist auf keinem Video zu sehen.
Auf der Statistenseite saßen an diesem Prozesstag wieder viele solidarische Menschen. Nur einmal kurz und sehr zurückhalten brachen diese aus der Rolle aus. Das war der Moment an dem Frau Thörmann es für entscheidend hielt, ob Menschen Ausländer sind oder nicht. Ansonsten scheinen wir generell gelernt zu haben, im Gericht still zu sein und die Konfrontation zu meiden. Das könnte im Vorfeld besprochen werden, um ein gemeinsames Agieren zu ermöglichen. Grundsätzlich gibt es kaum Diskussionen darüber wie wir uns im Gerichtssaal und gegenüber Polizei verhalten.
Sexismus und auch Rassismus des Gerichtes waren mal wieder überdeutlich zu sehen. Wie schon mit dem ersten Prozesstag ging es auch heute um einen weiteren Beschuldigten, der aber schon längst ein Urteil hat. Bei seinem Prozess kam die LKA-Beamtin allerdings nicht, denn bei ihm war die Schuld allen Vorurteilen gemäß für sie eindeutig. Heute aber kam sie und wie sie ihn auch heute rassistisch als Bartträger etc. beschrieb verschob sie abermals den Fokus auch wieder nur auf den Typen, mit dem Thunfisch wohl festgenommen wurde. An dem Typen scheint das Gericht natürlich messen zu wollen, wie gefährlich sie ist.
Das Gericht kann sich nicht alleine auf die Frau konzentrieren, natürlich kann sie nur der Sidekick von irgendeinem Mann sein. Genauso oft betonten Zeugen eine Beziehung zwischen Thunfisch und ihrem Begleiter auf der Demo. Alles was sie auf der Demo getan haben soll, war nicht in Solidarität mit der zu diesem Zeitpunkt teilgeräumten und polizeilich belagerten Rigaer94, sondern nur um dem Typen zuzuarbeiten.
Nächster und vermutlich letzter Prozesstermin: 22. März, 09:30, Saal 739, Kriminalgericht Moabit
Aufruf: https://de.indymedia.org/node/175071
Bericht 1. Verhandlungstag: https://de.indymedia.org/node/178542
Bericht 2. Verhandlungstag: https://de.indymedia.org/node/178878
Blog zum Fall: https://freethunfisch.blackblogs.org/