„Sie wollen die Stimme der politischen Aktivisten unhörbar machen…“ – am Donnerstag soll die Gerhart-Hauptmann-Schule geräumt werden

Regionen: 
Event: 
Demoplakat für den 11.01. 7:45 Uhr

Am 11.01.2018 um 8 Uhr morgens soll die Gerhart-Hauptmann-Schule in der Kreuzberger Ohlauer Straße geräumt werden. Die Ohlauer wurde 2012 besetzt, temporär geduldet und ist ein Zentrum der Refugee Bewegung.

„Wir fordern Wohnungen für alle! Wir sind keine Opfer, wir sind Widerstandskämpfer_innen! Wir bleiben alle!“, so die erste Pressemitteilung nach der Doppelbesetzung zweier Kreuzberger Gebäude im Dezember 2012. Im Rekordwinter 2012/13 hatte es auch in Berlin so ausgiebig und andauernd geschneit, dass die Schneemassen am besetzten Oranienplatz Zelte zusammenbrechen ließen. So hatten sich an einem kalten Samstagnachmittag Aktivist*innen des Refugee Movement und der Bewegung gegen Gentrifizierung, Verdrängung,  Zwangsräumungen und kapitalistische Stadtumstrukturierungspolitik aufgemacht und sich genommen, was damals kaum jemand so richtig haben wollte, zwei leerstehende Gebäude der ehemaligen Gerhart-Hauptmann-Schule an der Ecke Ohlauer und Reichenberger Straße. Noch am selben Nachmittag gewährte der damalige Friedrichshain-Kreuzberger Bürgermeister Franz Schulz eine Duldung bis zum folgenden Dienstag und verlängerte diese schließlich als „Kältehilfe“ und Winterquartier für die Aktivist*innen vom Oplatz bis März 2013. Im Hauptgebäude entstand so das Refugee Strike Haus,  im Pavillon des Schulgeländes ein selbstorganisiertes barrierearmes Zentrum „für alle aus dem Kiez“, das Irving-Zola-Haus. Das erste große Banner an der Schule wiederholte die zentralen Forderungen des Oplatz-Protestes „Abschiebestopp! Residenzpflicht & Lager abschaffen! Freedom of Movement“. Auf einem Oplatz-Plenum wurde schließlich die Gründung des International Women’s Space in einer Etage der Schule verkündet:  „We are taking a floor in the occupied school and creating a space only for refugee women.“

Doch schon bald begannen die Versuche seitens des Bezirks, Konkurrenz zwischen Kiezinitiativen und Refugee-Bewegung zu schüren. Kurz vor Weihnachten wurden kleine Initiativen und Leute aus der Nachbarschaft vom Bezirksamt dazu aufgerufen, sich innerhalb von nur 4 Wochen für Räume in einem angeblich in der Schule geplanten "Projektehaus" zu bewerben, eine offizielle Raumvergabe sei für Frühjahr 2013 geplant. Ein selbstverwaltetes Zentrum sei hier allerdings nicht zu realisieren, so der Bürgermeister. Im Februar 2013 wurde das intransparente Auswahlverfahren für das „Projektehaus“ vom Bezirksparlament schwer kritisiert und von der Bezirksverordnetenversammlung ein neues Vergabeverfahren gefordert, zu viele freie Träger hätten sich vom Schnellverfahren des Bezirks ausgeschlossen gefühlt. Und so begann das „Interessenbekundungsverfahren“ von Neuem und ließ auf Ergebnisse warten. Die Schule jedoch blieb weiterhin in den Händen der Refugee-Bewegung, auch das Irving-Zola-Haus wurde schließlich von Geflüchteten genutzt.

 

"But we don’t know if we can trust the Senate“

Bereits während der Vorverhandlungen zu der als „Oplatz-Agreement“ bekannt gewordenen rassistischen Verarsche durch den Senat im Februar 2014 hatten Aktivistinnen des International Women’s Space aus der Ohlauer Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Verhandler*innen des Senats angemeldet: „But we don’t know if we can trust the Senate.“ Ab April bestätigten sich ihre Befürchtungen: es war dem Senat gelungen, die Bewegung am Oplatz so weit zu spalten, dass einige der unter Druck geratenen Aktivist*innen eine Vereinbarung, den Platz zu verlassen, unterzeichneten. Der Oplatz wurde trotz großen Widerstandes, einer tagelangen Baumbesetzung und eines Hungerstreiks Anfang April geräumt. Fast alle im „Agreement“ festgelegten Vereinbarungen wurden vom Senat in den Folgejahren gebrochen. Bis Februar 2015 wurden lediglich drei Aufenthaltserlaubnisse und eine temporäre Duldung für die Aktivist*innen des Oplatzes gewährleistet. Die Ablehnungsquote unter den Oplatz-Leuten war so hoch, das Aktivist*innen von einer "Lex Henkel" sprachen, benannt nach dem damaligen Innensenator, der der Refugee Bewegung äußerst ablehnend gegenüberstand.

Somit wurden die Gebäude in der Ohlauer Straße ab April 2014 verstärkt zum weiteren Zentrum des Refugee Movement, zur Anlaufstelle und zum einzigen selbstverwalteten Wohnraum für Geflüchtete, Non-Citizens und Sans Papiers. Die GHS entwickelte sich zu einem jener widerspenstigen Orte, die das rassistische europäische Migrationsregime und die neoliberalen Austeritätspolitiken der Ära Merkel fast überall in Europa und auch in Nordafrika notwendig gemacht haben. Solche temporär autonomen Zonen oder selbstorganisierten widerständigen Städte in oder neben den Städten für all diejenigen, die als ‚überflüssig‘ und unerwünscht gelten, gibt und gab es in Calais, in Idomeni und Athen, in Paris an der Metro Stalingrad oder am Canal Saint-Martin, in den Wäldern bei Oujda in Marokko, der Eisfabrik und der Cuvry-Brache in Berlin, der Piazza Venezia und dem Salaam Palace in Rom oder eben am Oranienplatz und in der Ohlauer Straße in Kreuzberg.
 

Eine Protestbewegung lässt sich nicht räumen
Als am 25. April 2014 in der Schule ein Mann im Streit von einem anderen erstochen wurde, nutzten Boulevardpresse und Politiker*innen diesen Akt der Gewalt, um gegen die Aktivist*innen in der Schule und das gesamte Refugee Movement Stimmung zu machen. Nach einer Sondersitzung der Bezirksverordnetenversammlung drängte der damalige Baustadtrat Hans Panhoff die Bewohner*innen darauf, ein „Umzugsangebot“, das dem „Oplatz-Agreement“ nicht so unähnlich war, anzunehmen. Am 24. Juni kam es schließlich zu einer de-facto Teilräumung der Schule. Ab 10 Uhr morgens riegelten um die 900 Polizist*innen die Schule und Teile der Reichenberger, der Ohlauer und der Lausitzer Straße ab, richteten eine Art „Sperrgebiet“ ein und brachten um die 380 Menschen mit Bussen in teilweise weit entfernte Lager. Kinder, die in der besetzten GHS wohnten und während der Räumung die Schule besucht hatten, wurden erst nach Stunden wieder zu ihren Eltern gelassen. Bewohner*innen,  die dem fragwürdigen "Umzugsangebot" nicht trauten oder am 24. auswärts waren – wie zum Beispiel die Teilnehmer*innen des March for Freedom, der zur selben Zeit in Brüssel stattfand, fanden sich obdachlos wieder. Von den Anwohner*innen durfte nur den Kiez betreten, wer in den umliegenden Häusern gemeldet war und einen Personalausweis oder eine Meldebescheinigung vorlegen konnte.

40 in der Schule verbliebene Aktivist*innen besetzten deswegen kurzerhand das Dach und protestierten dort gegen die Räumung: „Wir sind Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten und nun auch hier in Deutschland wieder vertrieben werden sollen. Wir brauchen die Schule - auch wenn die Bedingungen noch so schlecht sind, denn das ist immer noch besser als ein Lager, in dem wir von der Bevölkerung und damit auch der Öffentlichkeit isoliert sind. Und: wir trauen den Versprechen des Senates nicht mehr! Es hat sich gezeigt, dass die Zusagen des Berliner Senats nur dazu gedient haben, uns unser - für alle sichtbares - Zentrum zu nehmen und die Bewegung zu zerstreuen und unseren Widerstand zu brechen. Die Beweise dafür haben wir und es wird nichts helfen, dass man jetzt wieder auf dieselbe Art mit einer Mischung aus Angeboten und Drohungen versucht, uns zu überreden, auch noch die Schule aufzugeben…“, so die Aktivist*innen auf der ersten Pressekonferenz während der 10tägigen Belagerung des Kiezes durch die Polizei.

Während der 10 Tage nutzte die Polizei die Gelegenheit und probte mit Einheiten aus neun Bundesländern, zahlreichen Zivis und der Bundespolizei den innerstädtischen Ausnahmezustand. Es gab etliche Festnahmen,  massive Polizeigewalt gegen Protestierende und rassistische Verbalübergriffe gegenüber den Menschen auf dem Dach. Die Presse wurde nicht ins Sperrgebiet gelassen und eine Klage der taz gegen die Einschränkung der Pressefreiheit vor dem Berliner Verwaltungsgericht scheiterte in erster Instanz. Erst nach vier Tagen wurde Journalist*innen die Chance gegeben, mit Delegierten der Aktivist*innen auf dem Dach zu sprechen.

 

You can’t fool the people from the school
Anfang Juli wurde nach tagelangen Verhandlungen schließlich ein 10-Punktepapier mit Vereinbarungen präsentiert, das allerdings nicht von allen auf dem Dach unterzeichnet worden war. In dem Papier sicherten die Stadträte Hans Panhoff und Jana Borkamp den Aktivist*innen vom Dach unter anderem Wohnrecht, Sozialleistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz, Überführung aller Asylanträge nach Berlin, Verzicht auf strafrechtliche oder gerichtliche Verfolgung wegen des Aufenthalts in der Schule, Verzicht auf Räumung bis alle Forderungen erfüllt sind, Mitspracherecht bei der Auswahl der Projekte für das geplante selbstorganisierte International Refugee Center und Unterstützung bei den Verhandlungen um Bleiberecht mit dem Senat zu.

Kurz darauf nahm ein Sicherheitsdienst die Dauerbewachung der Schule und damit auch die permanente Überwachung der Bewohner*innen auf. M., eine der Aktivist*innen vom Dach, beurteilte in einem Interview mit der taz die Entwicklungen so: „Im Moment sehe ich keinen großen Unterschied zum Leben im Lager: Wir haben einen Hausausweis, der uns zu nichts berechtigt, außer dass wir damit ins Haus kommen. Wir müssen ihn vorzeigen, wenn wir das Gelände betreten und verlassen. Er dient nur dazu, uns zu kontrollieren.“ Wie schon am Oplatz erwies sich das Misstrauen gegenüber den Verhandlungspartner*innen des Bezirks als berechtigt. Im September wird der Versuch, das Social Center in der Schule zu eröffnen von der Polizei verhindert. Als die Bewohner*innen im Oktober versuchten, einen „Open Day“ zu veranstalten, verhängte der Bezirk schließlich ein generelles Besuchsverbot und verschickte eine Aufforderung, die Schule bis Ende Oktober zu verlassen.

Daraufhin beantragten einige Bewohner*innen Rechtsschutz vor dem Verwaltungs- und Amtsgericht, der ihnen gewährt wurde. Im Februar 2015 stellte der Bezirk eine Räumungsanordnung aus, die vor Gericht dank des Widerspruchs mehrerer Bewohner nicht standhielt. Dagegen legte der Bezirk wiederum Beschwerde ein, die Anfang 2016 abgewiesen wurde. Allerdings wurden bereits im Frühjahr 2015 mehrere Bewohner still geräumt, indem ihnen die Hausausweise entzogen und sie nicht mehr ins Haus gelassen und so obdachlos gemacht wurden. Die Betroffenen hatten gegen die Räumungsandrohung vom Februar keinen Widerspruch eingelegt, das Haus aber auch nicht verlassen, was die Bürgermeisterin Monika Herrmann dazu nutzte, ihre Hausausweise für ungültig zu erklären. Auch in Bezug auf das geplante selbstorganisierte International Refugee Center von Refugees für Refugees erwies sich der Bezirk als wenig zuverlässiger Verhandlungspartner. Zwar wurden von verschiedenen Initiativen und Aktivist*innen mehrere gemeinsame Konzepte erarbeitet, aber es kommt keines davon zur Realisierung. Einmal sind die Mietkosten zu niedrig veranschlagt, ein anderes Mal reicht ein freier Träger, der mit den Aktivist*innen kooperieren möchte, ein Konzept ein und bekommt eine mündliche Zusage – nur um später dann vom Bezirk zu erfahren, dass sich die Bedingungen für die Ausschreibung geändert hätten. Die Pläne für ein selbstverwaltetes Zentrum wurden vom Bezirk nie wirklich ernst genommen.

 

"Wenn ihr diesen Ort räumt, verlieren wir alle. Wir verlieren, was dieser Ort hätte werden können."
Im März 2016 entpuppte sich dann auch das 2012 angekündigte „Projektehaus“ als Windei und das Bezirksamt teilte mit, dass die Gerhart-Hauptmann-Schule zur Unterbringung von Geflüchteten – allerdings nicht von denen, die bereits dort wohnten – und für sozialen Wohnungsbau gebraucht würde. So werden nach 25 Jahren komplett verfehlter Wohnungspolitik Prekarisierte gegeneinander ausgespielt, anstatt aus Luxusneubauten, leerstehenden Büroflächen, nutzlosen Oberklassehotels und mit Hilfe einer breiten Reform des sozialen Wohnungsbaus Wohnraum für alle zu schaffen. Wenig später, im August, reichte das Bezirksamt Räumungsklage gegen die 24 Bewohner*innen des Hauses ein, der im Juli 2017 schließlich vom Landgericht stattgegeben wurde. Das Gericht begründete sein Urteil mit der Behauptung, die Vereinbarung von 2014 sei eine zeitlich begrenzte, rein aus Deeskalationsgründen geschlossene gewesen. Die Aktivist*innen aus der Ohlauer kommentierten die Entscheidung wie folgt: „Wir haben unsere Lager verlassen, sind an den Oranienplatz gegangen und seit 5 Jahren kämpfen wir für unser Recht zu bleiben. Und jetzt schicken sie uns zurück? Es ist politisch. Es ist eine manipulierte Entscheidung. Wir glauben, dass der Bezirk will, dass unser Kampf unsichtbar wird. Sie wollen die Stimme der politischen Aktivisten unhörbar machen. Wohin sollen wir gehen, auf die Straße oder in die Lager?“

Am Donnerstag, 11.01.2018, soll um 8 Uhr morgens die Schule geräumt werden. Verschiedene Gruppen rufen für 7:45 Uhr zu einer Kundgebung vor der Ohlauer mit anschließender Demo auf. Plätze lassen sich räumen, eine Schule lässt sich räumen, doch eine Protestbewegung kann man nicht räumen. Doch auch Bewegungen brauchen Orte. Orte, an denen Aktivist*innen ihr Menschenrecht auf Wohnen verwirklichen können. Orte, an denen sich getroffen werden kann. Orte, an denen der Kaffee nicht 3,50 kostet und kein Konsumzwang herrscht. Orte an denen im Kampf gegen Rassismus, Sexismus, Wohnungsnot und das europäische Migrationsregime die Stimmen von Betroffenen gehört werden. So ein Ort hätte das selbstorganisierte International Refugee Center werden können. "Wenn ihr diesen Ort räumt, verlieren wir alle. Wir verlieren, was dieser Ort hätte werden können.", sagen die Aktivisten aus der Schule. Deswegen gilt es diesen Donnerstag zu zeigen, dass dieser Ort nicht leise und ohne Widerspruch zerstört werden kann, dass wir uns nicht gegeneinander auspielen lassen und dass die Grundforderungen des Refugee Movements, "Close all Lagers. Stop Deportation. Abolish Residenzpflicht. Freedom of Movement for all" nach wie vor Leute auf die Straße bringen.

 

Demoaufruf für den 11.01.2018, 7:45 Uhr:
https://de.indymedia.org/node/16703

https://www.facebook.com/events/199234497292771

Suche nach Unterkünften für die Bewohner:

https://www.facebook.com/OhlauerInfopoint/photos/a.1433268130291133.1073...

Chronologie der GHS:
https://oplatz.net/wp-content/uploads/2018/01/Chronologie-GHS-PM-DE-0501...
https://oplatz.net/wp-content/uploads/2018/01/Chronologie-060118_PM-EN_.pdf

Solierklärung von aze*: https://de.indymedia.org/node/16496

webadresse: 
Lizenz des Artikels und aller eingebetteten Medien: 
Creative Commons by-nc-sa: Weitergabe unter gleichen Bedingungen - nicht kommerziell

Ergänzungen

Interessant ist das in Kallerts Team auch ein Dr. Donnerer zu sein scheint der aber seinen Namen einmal als Donerer und dann als Donnerer angibt... zum Vergleich Donnerer ist der germanische Gott des Donners

Bilder: