[S] Auswertung der Aktivitäten im Rahmen der Kampagne „die Geschichte von unten schreiben“

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Auch wenn es sicherlich jedes Jahr viele Tage gibt, an denen man an historische Ereignisse gedenken und sich mit ihnen auseinandersetzen sollte, so boten 100 Jahre Oktoberrevolution und 40 Jahre nach den Morden von drei RAF-Mitgliedern im Hochsicherheitstrakt in Stuttgart-Stammheim, einen passenden Anlass einen Blick zurück zu werfen, um in der Auseinandersetzung mit den gemachten Erfahrungen, in unserer heutigen politischen Arbeit voran zu kommen.

Denn die Auseinandersetzung mit und Lehren aus der Geschichte können keine bürgerlichen Historiker für uns übernehmen, sie schreiben Geschichte aus der Sicht der Herrschenden. Es liegt an uns, uns unsere eigene Geschichte anzueignen und sie als Werkzeug für die aktuellen und anstehenden Herausforderungen zu nutzen. Als Werkzeug, um aus ihnen zu lernen um Fehler nicht zu wiederholen und richtige Ansätze zu erkennen und weiterzuentwickeln. Natürlich lässt sich nichts eins zu eins übertragen – aber die Auseinandersetzung mit uns vorangegangenen Kämpfen schärft dennoch unsere politische Linie und verhilft zu mehr Klarheit in Analyse und Praxis.

Oktoberrevolution, RAF... und heute?!

Auch wenn natürlich jede historische Situation eigene Herausforderungen mit sich bringt und wir die Verhältnisse heute nicht mit denen vor 40 oder 100 Jahren vergleichen können, so gibt es doch einen roter Faden, eine Kontinuität, die sich – nicht ohne Verirrungen und Brüche – von den Bauernkriegen, über die theoretischen Ausarbeitungen von Marx und Engels, den ersten Versuch ihrer theoretischen Umsetzung mit der Pariser Commune, über die Oktoberrevolution in Russland, die niedergeschlagene Novemberrevolution in Deutschland, den Widerstand gegen den Faschismus in ganz Europa, die Revolten 1968 und alle anderen sozialistischen Versuche, bis zu den heutigen Kämpfen erstreckt. Damals wie heute versuch(t)en Menschen das herrschende System zu stürzen und es durch ein menschenwürdigeres zu ersetzen. Es ging und geht darum, die Machtfrage konkret zu stellen, die Herrschenden zu entmachten und den Unterdrückten an die Macht zu verhelfen.

Sozialistische Revolutionen entstehen aber leider nicht, weil wir es unbedingt wollen, oder weil auf einmal eine Erkenntnis in den Massen - von alleine oder durch kommunistische Propaganda - entsteht, dass der Kapitalismus überwunden gehört.

Sie entstehen aus dem sich in Kämpfen verschiebenden Kräfteverhältnis zwischen den Klassen, aufgrund der materiellen historischen Reife der Zeit und nicht als Kopfgeburt einzelner. In Russland war die Aktualität der Revolution praktisch auf der Tagesordnung der Geschichte, die Oktoberrevolution war ein von den KommunistInnen vorbereiteter Aufstand. Als die Novemberrevolution hingegen in Deutschland ausbrach, gab keine kommunistische Massenorganisation und die Sozialdemokraten gingen brutal und erfolgreich gegen revolutionäre Ansätze vor. Die RAF hingegen versuchte in einer nicht-revolutionären historischen Phase die Revolution auf die Tagesordnung zu setzen, ohne dass es dafür das nötige (Massen-)Klassenbewusstsein gab.

Wir können aus all den unterschiedlichen Erfahrungen lernen, denn jeder errungene Sieg und jede erlittene Niederlage sind eine Lehre und können uns für den heutigen Aufbau von Strukturen und für die aktuellen Kämpfe weiterhelfen. Es geht dabei nicht darum, Geschichte der revolutionären Linken aus einer moralischen und scheinbar zeitlosen Warte zu beobachten und einer reinen Kritik zu unterziehen, sondern die Erfahrungen und Fehler in ihrem historischen Kontext zu betrachten und zu diskutieren.

Es ist unsere Aufgabe das weiterzuführen, was damals begonnen wurde. Und heute haben wir bessere Möglichkeiten als damals, können wir doch auf einen viel größeren historischen Erfahrungsschatz zurück greifen.

 

Was gab es alles?

Die erste Veranstaltung fand im Mai mit ReferentInnen des Revolutionären Aufbaus Schweiz zur Kulturrevolution in China statt. Hier ging es unter anderem um die Frage, dass nach der erfolgreichen sozialistischen Machtübernahme, der weitere Weg in Richtung Kommunismus keineswegs automatisch vorgezeichnet ist. Sondern im Gegenteil der Klassenkampf nur in eine neue Phase tritt, die letztlich auch mit der Restauration des Kapitalismus enden kann. Die Kulturrevolution stellte sich diesem und andern Widersprüchen und wir können aus den gemachten Erfahrungen und Ansätzen viel lernen. Sicher auch über die Gefahr der Bürokratisierung von Partei und sozialistischem Staatsapparat, aber auch generell über die Bedeutung und Funktion der Kommunistischen Partei nach einem Systemsturz.

Anlässlich des Mordes an Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe – und des versuchten Mordes an Irmgard Möller, die jedoch schwerverletzt überlebte – fand eine Veranstaltung im Württembergischen Kunstverein am 18.10.2017 mit dem Autor Helge Lehmann statt, die mit 180 TeilnehmerInnen gut besucht war. Lehmann hat jahrelang recherchiert und ist den Widersprüchen der offiziellen Todesermittlungsakten nachgegangen. Bei der Veranstaltung legte er fundiert dar, dass die offizielle Selbstmordversion konstruiert wurde. Der Mord an den dreien sowie weitere Morde gegen Mitglieder der Stadtguerilla zeigen, wie weit die Herrschenden gehen, um ihre Macht sicher zu stellen.

Auch wenn die RAF sicher Unzulänglichkeiten hatte, den proletarischen Klassenstandpunkt mehr und mehr zu Gunsten der antiimperialistischen Kämpfe im Trikont verließ und das Konzept Stadtguerilla in dieser Form letztlich gescheitert ist, so war es dennoch zu dieser Zeit der wohl entschiedenste Versuch den herrschenden Verhältnissen und ihren post-faschistischen Trägern und Profiteuren, den Kampf anzusagen.

Die Veranstaltung mit Helge Lehmann wurde von einigen AktivistInnen unterstützt, in dem sie für die Veranstaltung großflächig in Stuttgart eigene Plakate anbrachten. Auch kam es ein paar Tage später im Vorfeld einer Gedenkveranstaltung zu Hans Martin Schleyer zu einer kleinen Aktion.

Am 7.11.2017 fand der Stadtrundgang „Auf den Spuren unserer roten Ur-Großeltern“ in der Stuttgarter Innenstadt statt. Dieser verknüpfte die Ereignisse in Stuttgart in der Novemberrevolution mit denen in Russland. Der Stadtrundgang machte unter anderem am Rotebühlplatz beim Finanzministerium und bei der Liederhalle halt. Das Finanzministerium war 1908 eine Kaserne gewesen und als am 7.11.1908 ein großer Streik statt fand, wurden die Soldaten hier entwaffnet. Bei der Liederhalle wurde auf den Sozialistenkongress eingegangen, dort zeigte eine Wandzeitung Bilder von damals – auch vom sozialistischen Frauenkongress der ebenfalls dort stattfand. Der Stadtrundgang war mit etwa 35 Menschen trotz Regen und winterlicher Kälte gut besucht und es wurden während dem Laufen Aufkleber in der Stuttgarter Innenstadt angebracht. Die anwesenden Stuttgarter Ordnungshüter nahmen das mal wieder zum Anlass, einen Teilnehmenden zu kontrollieren – ansonsten ließen sie den unangemeldeten Stadtrundgang weitestgehend in Ruhe.

In der Furtbachstraße 12 wurde an dem ehemaligen Haus des sozialdemokratischen Dietzverlags, in dem Lenin für ein paar Wochen im April 1902 lebte, eine Plakette angebracht, um auf ihn und seine Bedeutung, damals wie heute, hinzuweisen. Der Dietz Verlag verlegte „Was tun?“, eine der bedeutendsten Schriften Lenins.

Die Veranstaltung vier Tage später zur Oktoberrevolution im Linken Zentrum Lilo Herrmann war mit etwa 50 TeilnehmerInnen gut besucht. Anders als viele linken Beiträge zum dreistelligen Jubiläum der proletarischen Machtergreifung in Russland, setzte sich die Veranstaltung nicht ausschließlich mit dem historischen Ablauf auseinander. Vielmehr standen die Entwicklung der russischen Revolutionäre und ihrer Partei, sowie die Lehren und Erfahrungen der Oktoberrevolution im Fokus. Was davon ist übertragbar, welche Prinzipien sind zentral? Die mehrere Stunden andauernde Veranstaltungen wurde durch den kulturellen Beitrag eines Schweizer Genossen, der in der Pause Lieder der revolutionären Linken zum Besten gab, gelungen abgerundet.

Im Rahmen der Geschichtsaktivitäten wurde bei der Veranstaltung zur Oktoberrevolution außerdem eine Plakatausstellung im Cafébereich des Linken Zentrum Lilo Herrmann eröffnet. 25 Reprints aus den Jahren 1917-1923 geben einen Einblick in die revolutionäre Bewegung Russlands und die ersten Jahre sozialistischer Aufbau. Die Ausstellung ist noch bis Mitte Februar zu sehen, im Anschluss werden die Plakate versteigert.

 

Ausblick:

Insgesamt wurden die Veranstaltungen gut besucht und es kam zu wichtigen Diskussionen.

Wir werden in der kommenden Zeit die aktive Aneignung unserer revolutionären Geschichte – auch abseits der Jubiläen des Jahres 2017 – fortsetzen. Die Novemberrevolution 1918, der Mai 68 und vieles mehr liefern hierzu genügend Material..

 

Der Aufruf zur Geschichtskampagne

Broschüre "Geschichte von unten schreiben"

www.revolutionaere-aktion.org

 

 

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