[HH] Was wir sehen, Teil 3: Wer keinen Mut zum Träumen hat, hat keine Kraft zum Kämpfen

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Wir haben in den letzten Tagen zwei Texte zu faschistischen Angriffen auf Antifaschist*innen veröffentlicht und versucht, unsere Sicht auf die aktuelle Bedrohung von Rechts zu formulieren.
(de.indymedia.org/node/117641 / de.indymedia.org/node/117843)
Als Antifa-Gruppe sehen wir das als Teil unser Aufgabe, wir wollen aber nicht bei diesen Analysen stehenbleiben, sondern Vorschläge machen, wie wir als Bewegung damit umgehen können. Mit diesem letzten Text der Reihe wollen wir uns und euch zum Nachdenken anregen und hoffen, dass wir damit auf offene Ohren stoßen – bei Genoss*innen, die schon organisiert sind, vor allem aber bei allen, die in der aktuellen Situation unsicher sind, wie sie alleine oder mit ihren Freund*innen etwas tun können.

Uns ist wichtig, dass wir die aktuellen Bedrohungen ernst nehmen. Das gilt für das Erstarken der Rechten (durch Corona-Leugner*innen-Demos, Netzwerke in/mit staatlichen Behörden etc.), für die Corona-Krise (Pandemie, kommende Wirtschaftskrise, soziale Vereinzelung) und schließlich auch für die Klimakatastrophe, auf die wir ungebremst zusteuern. All diese Dinge – und vieles mehr – sind ernst und betreffen uns alle auf unterschiedliche Weise. Für uns steht aber auch fest: Geschichte wird gemacht, und zwar von uns allen. Wir sind handelnde, fähige Subjekte in politischen und gesellschaftlichen Prozessen und keine passiven Zaungäste, die höchstens reagieren können. Wir können und sollten unsere Ideen und Positionen selbstbewusst vertreten und auf unsere eigene Stärke vertrauen – schon Rio Reiser sang „unser Kopf ist groß genug“!

Dies kann auf unendlich viele Arten passieren, wir plädieren aber für einige Grundsätze:

Organisierung
Wir wollen hier nicht abstrakt zum „sich organisieren“ aufrufen, sondern fordern konkrete Schritte. Wenn ihr unsicher seid, was ihr machen könnt: meldet euch bei Gruppen in eurer Nähe! Facebook, Twitter, E-Mail – die meisten politischen Gruppen und Organisationen haben offene Kanäle. Traut euch, dort nachzufragen. Wenn es bei euch nichts gibt oder ihr etwas Neues schaffen wollt: schreibt erfahrene Gruppen an und fragt nach Tips. Sich kollektiv zu organisieren ist kein Hexenwerk und schafft so viel mehr Möglichkeiten, als alleine unterwegs zu sein! Und an die bestehenden Gruppen: sucht aktiv nach Nachwuchs und neuen Genoss*innen. Manchmal haben wir das Gefühl, dass manche Zusammenschlüsse gar nicht wachsen wollen. Schafft offene Angebote!

Basisarbeit
Zum Glück bilden sich in letzter Zeit immer mehr Gruppen, die sich auf Arbeit in und mit der Gesellschaft konzentrieren. Wir freuen uns über alle Genoss*innen, die regelmäßig zu Aktionen kommen, aber wenn wir bei diesen Leuten stehen bleiben, treten wir auf der Stelle. Die Orientierung der eigenen politischen Praxis auf breitere Verankerung ist eine Herausforderung und wirklich nicht einfach, für uns aber alternativlos. Wenn wir von offenen Angeboten sprechen, meinen wir also nicht nur Formate, die auf dem Papier offen sind. Unsere Arbeit sollte gerpägt sein von einer Kultur der Herzlichkeit und einem ehrlichem Interesse an den Problemen und Positionen interessierter Personen. Wir hoffen sehr, dass sich die zarten Wurzeln bestehender Basisarbeit ausbreiten und wir gemeinsam an einer breiteren Bewegung arbeiten können!

Gemeinsame Erzählung
Für diese breite Bewegung braucht es eine gemeinsame Erzählung, die verständlich ist und begeistern kann. Als positive Beispiele sehen wir z. B. die Kampagnen „Deutsche Wohnen&Co. enteignen“ oder „Seebrücke“, die in unserer Wahrnehmung eine breitere Basis an Menschen ansprechen können und klare Ziele formulieren. Wir können hier keinen Vorschlag machen, an welchen Punkten sich ein gemeinsame Programm orientieren sollte, das müssen wir schon gemeinsam in der Praxis erarbeiten. Ideen dazu gibt es aber viele, wir sehen die Schwierigkeit eher in der konkreten Umsetzung. Auch dazu braucht es Selbstvertrauen, Offenheit und vor allem die Überzeugung, dass unsere Ideen die Gesellschaft zum Besseren verändern – raus aus der Defensive, übernehmen wir die Initiative!

Which side are you on?
Wir können diesen Text in der aktuellen Situation leider nicht ohne ein paar Worte zum Umgang mit unseren Gegnern abschließen. Zwei kurze Einschätzungen dazu: Faschismus ist Faschismus, wir sollten ihn als solchen bezeichnen, wenn er auftritt. Diese Erkenntnis hat sich in den letzten Jahren zu unserer Freude durchgesetzt, trotzdem nochmal als Erinnerung: eine Partei oder Gruppe muss nicht ein Abziehbild der NSDAP sein, um faschistische Politik zu machen. Kräfteverhältnisse und Strukturen ändern sich mit der Zeit und wenn der Faschismus eines kann, dann sich anpassen und wandeln, um relevant zu bleiben. Uns ist dabei, wie im letzten Text erwähnt, das Auftreten der Faschos egal: ein AfD-Mensch im Parlament hat genau den gleichen Anteil am Rechtsruck wie seine Kamerad*innen auf der Straße.
Zum Umgang mit der Polizei: Kräfteverhältnisse sind wie sie sind, wenn wir etwas anmelden müssen, dann ist es so. Wir widersprechen aber jeder Hoffnung auf irgendeine Art eines positiven Verhältnisses. Als Beschützer*innen eines Systems, dass im Moment noch mehr als sonst zeigt, dass es unsere Interessen mit Füßen tritt und nicht mal eine ordentlich geplante Reaktion auf die seit Monaten angekündigte zweite Welle hinbekommt, können sie nicht unsere Freund*innen sein. Als überall im Land immer offener auftretende Verbündete von Rechten sowieso nicht.

Let‘s go!
Wie am Anfang gesagt: wir hoffen, mit unserer kleinen Textreihe ein paar Menschen zu erreichen. Ob ihr seit Jahren dabei seid und neue Wege gehen wollt oder gerade erst anfangt, euch über die unzumutbaren Zustände dieser Gesellschaft aufzuregen: wir alle Teilen eine Wut auf das Bestehende und die Hoffnung auf eine bessere Welt. Lasst uns mit eigenen Ideen nach vorne gehen! Ein Fokus auf das, was z. B. „Corona-Leugner*innen“ machen und ein Abarbeiten an unseren Unterdrücker*innen halten wir dabei nur begrenzt für sinnvoll – mit eigenen Angeboten, Aktionen, Stadtteilkämpfen, Streiks (und was uns noch alles einfällt) für eine bessere Zukunft zu kämpfen dafür umso mehr!

Antifa 22309

18.11.2020

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