[HH] Was wir sehen, Teil 1: Der Angriff von Dulsberg

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"Ich wurde angefahren, brach zusammen, konnte aber kurz davor noch rausgezogen werden, es sitzt tief in den Knochen, sich auszumalen, was sonst passiert wäre. Es hätten Menschen sterben können."
Zitat eines Betroffenen des rechten Auto-Angriffs am letzten Sonntag (1).

 

In diesem Klima fand am 15.11. in Hamburg-Dulsberg der Landesparteitag der faschistischen Partei AfD statt. Die AfD ist die einzige Partei, die trotz Corona-Maßnahmen Parteitage in Präsenz abhält. An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass z.B. die Demonstration in Gedenken an die Opfer von Hanau in Wilhelmsburg im Sommer von den Bullen unter Verweis auf Corona-Bestimmungen verhindert wurde - nochmal danke für nichts von uns (2).
Der Protest gegen die Veranstaltung fiel kleiner aus als im Januar, als ebenfalls ein Landesparteitag in denselben Räumen stattfand (3). Das ist wegen kurzfristiger Mobilisierung und Corona-Situation verständlich, trotzdem schade. Um so mehr bedanken wir uns bei allen, die Sonntag früh dabei waren. Die Veranstaltung lief zuerst so ab wie von uns erwartet: Kundgebung, bisschen nervige Cops, ein paar AfD-Leute, die hinter Absperrungen rumlungern. Nun wurde es aber zunehmend hektisch: die Bullen fingen an, willkürliche Anweisungen darüber zu erteilen, wo wir uns aufhalten sollten. Bereits hier kam es zu ersten kleineren Konflikten, in denen klar wurde: die haben richtig Bock heute.

Die Eskalation erfolgte dann, als ein Auto das Gelände des Parteitags verlassen wollte. Im Auto saßen zwei Personen, die eindeutig mit der Veranstaltung in Verbindung standen und dies auch nicht leugneten. Das Auto fuhr in Richtung einer Gruppe Demonstrant*innen, die sich daraufhin in den Weg stellten. Die Bullen kamen sofort dazu und versuchten, dem Auto den Weg freizumachen, was sich aber als schwierig erwies. In einem Video aus einem Beitrag des NDR ist zu sehen, was dann passierte: Das Auto fuhr immer weiter, die Cops eskalierten komplett (vor allem mit Pfefferspray) und der Fahrer gab plötzlich Vollgas (4). Während Menschen vor dem Auto standen. Mehrere Personen wurden getroffen, das Zitat oben zeigt die Dramatik der Situation sehr deutlich. Auch unsere Einschätzung vor Ort war: das war ein potenziell tödlicher Angriff. Wir wünschen allen Verletzten alles Gute und eine schnelle Genesung, ihr habt unsere volle Solidarität.

Die Bullen wurden ihrem Ruf als Knüppelgarde und Freunde der Rechten auch heute gerecht. Direkt nach dem Angriff äußerten Bullen, die Betroffenen seien "selbst schuld, wenn sie nicht weggehen". Auch danach hatten sie die Gelegenheit, ihre Nähe zur Veranstaltung unter Beweis zu stellen: Mehreren Besucher*innen wurde mit Pfeffer, Knüppeln und Tritten die Teilnahme ermöglicht - fast selbstverständlich, dass von den AfD-Leuten niemand einen Mund-Nasen-Schutz trug. Für uns steht das Verhalten der Bullen in einer Linie mit den zahlreichen aufgedeckten Verbindungen zwischen ihnen und den Faschist*innen. Die Unterscheidung zwischen beiden Gruppen fällt zunehmend schwer und ist bei Veranstaltungen wie am Sonntag eigentlich nicht mehr möglich.

Ein paar Worte noch zum Angriff selbst: Rechte benutzen Autos zunehmend als Waffe bei Veranstaltungen, dramatisch sichtbar beim Tod von Heather Heyer in Charlottesville 2017 (5). Die Situation gestern steht für uns in einer Reihe mit all diesen Angriffen, von denen sich der letzte vor wenigen Wochen in Henstedt-Ulzburg ereignete - ebenfalls bei einem AfD-Parteitag (6). Zu diesem Vorfall wird ein Text von uns folgen. Unabhängig von der Tatwaffe nehmen wir aber eine generell gestiegene Gewaltorientierung bei rechten Veranstaltungen wahr. Die Bereitschaft war schon immer da, Faschismus ist eine Ideologie, die in ihrem Herzen auf Gewalt gegen ihre Gegner aufgebaut ist. Die Gründe für die gestiegene Bereitschaft, diese Gewalt auch anzuwenden, sehen wir vor allem in der breiten Akzeptanz von rechten Positionen im öffentlichen Diskurs - repräsentiert durch die AfD in den Parlamenten und an den ausbleibenden Reaktionen auf diese Taten. Von den Bullen können wir auf dieser Ebene nichts erwarten, das tun wir auch nicht. Die Geschichte zeigt: die schlagkräftigste Waffe gegen den Faschismus ist organisierter Druck von unten - auf der Straße, in Schule und Betrieb, aber auch im öffentlichen Diskurs. Solange dieser nicht stark genug ist, werden wir solche Angriffe immer wieder erleben - und es ist nur eine Frage der Zeit, bis Menschen auch bei Demonstrationen sterben. Die Tötungsabsichten der Faschist*innen haben die Anschläge von Halle und Hanau mehr als deutlich gezeigt.

Wir schreiben diesen Text als Beginn einer dreiteiligen Reihe. Neben einem Kommentar zum erwähnten Angriff in Henstedt-Ulzburg wird es darin auch um eine Gesamtbetrachtung der aktuellen Lage gehen. Wir hoffen, dass diese Beiträge auf Widerhall stoßen und einen Teil dazu beitragen können, den Kampf gegen den Faschismus auch und gerade in schwierigen Zeiten zu stärken.
Wenn ihr Berichte vom Sonntag habt: lasst sie uns zukommen, wir veröffentlichen sie gerne.

Alle zusammen gegen den Faschismus!

Antifa 22309,
16.11.2020

1 Instagramseite der Antifa Norderstedt

2 https://taz.de/hanau-gedenken-in-hamburg/!5703263/

3 https://twitter.com/antifa309/status/1216378224587964416

4 https://www.ndr.de/…/rangeleken-am-rande-des-afd-parteitags…

5 https://www.antifa-berlin.info/…/1619-remember-heather-heyer

6 https://antifapinneberg.noblogs.org/post/2020/10/18/1219/

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