Die Ukraine und die Linke
Eine Berliner Veranstaltung stellte die Frage, nach einer linken Positionierung im Ukrainekonflikt ohne nationalistische Konstruktionen.
Am 8. Mai wurde die Spaltung in der Ukraine besonders deutlich. Im Ostteil wurde der Jahrestag des Sieges über den Nationalsozialismus gleichzeitig eine Manifestation gegen die Rechtsregierung in Kiew. Im Westen der Ukraine wäre es gefährlich gewesen, allzu offen seine Freude zu zeigen. Dort gilt der 9. Mai jetzt als Tag der Trauer, denn mit den Nazis verschwanden auch deren Kollaborateure im Dunkeln der Geschichte, und auf diese berufen sich wesentliche Teile der neuen Kiewer Regierung. Ein großer Teil der Bevölkerung im Osten der Ukraine sieht im Bündnis mit Putin die letzte Chance und ein Teil der Linken in Deutschland inszeniert Russland jetzt noch einmal als das Vaterland aller Antifaschist_innen, andere mokieren sich über sogenannte Putinversteher_innen in und außerhalb der Linken. Dabei sollte es der nicht darum gehen, Putin oder einen anderen Politiker zu verstehen, sondern die gesellschaftlichen und sozialen Prozesse, die zu dieser Situation geführt haben. Diesem Ziel diente eine Veranstaltung in Berlin, auf der die ukrainische Fotografin Yevgenia Belorusets einen subjektiven Bericht über die Maidan-Bewegung, die Motivation und eines Großteils der Aktivist_innen gab. Die Fotografin gehörte zu den bekannten Künstlerinnen der unabhängigen Linken in der Ukraine. Eine religionskritische Ausstellung von ihr wurde noch vor dem politischen Umbruch von Rechten angegriffen. Yevgenia Belorusets hat die Maidan-Bewegung kritisch mit der Kamera begleitet und auch nationalistische Positionen, die dort vorherrschten kritisiert. Allerdings weigerte sie sich, die gesamte Bewegung als Werk von Faschist_innen zu bezeichnen. Die Maidan-Bewegung hatte tatsächlich soziale Ursachen. Unter der nun gestürzten Regierung nahm die Armut großer Teile der Bevölkerung ebenso zu wie die Korruption der Oligarch_innen. Doch es habe keine gewerkschaftliche Bewegung gegeben, die soziale Forderungen gestellt habe. Einen Grund dafür sieht Yevgenia Belorusets in den vergangenen autoritären Strukturen, die verhindern haben, dass die Menschen für ihre Interessen auch konfrontativ gegen Staat und Kapital kämpfen. Zudem hat die falsche Alternative EU versus Russland die Herausbildung von kämpferischen sozialen Forderungen verhindern. Wenn ein Großteil der Menschen der Meinung ist, ihnen wird es besser gehen, wenn sie sich für eines dieser Bündnisse entscheiden, werden sie nicht im hier und jetzt kämpferische Forderungen stellen.
Die Rechten am Maidan Viele Diskussionen gab es über den Einfluss der ultrarechten, nationalistischen und offen neonazistischen Kräfte in der Maidan-Bewegung und der Regierung auf der Veranstaltung. Yevgenia Belorusets betonte, dass die Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung im Allgemein und der Maidan-Aktivist_innen im Besonderheiten nicht in den Kategorien Rechts – Links denken. Es gehe um Fragen, ob das Land mit Russland oder mit der EU verbunden sein soll, die sich eben nicht in den Rechts – Links- Schema passten. Tatsächlich aber hätten rechte Gruppierungen und Parteien eine rechte Hegemonie bei den Maidan-Protesten. Obwohl sie zahlenmäßig eine Minderheit gewesen sind, hatten sie die Infrastruktur, bezahlte Funktionär_innen und konnten so in der diffusen Bewegung Einfluss gewinnen. Yevgenia Belorusets nannte ein Beispiel, das noch vor dem Umschwung geschehen ist. Eine Bürgerinitiative gegen die Zerstörung eines alten Stadtviertel in Kiew hatte sich gegründet und nach einiger Zeit tauchten zwei Funktionär_innen der faschistischen Swoboda-Partei mit Transparenten und Slogans auf. In der Öffentlichkeit entstand nun der Eindruck, die Initiative sei von dieser Partei kontrolliert worden. Dabei hätten nur die Aktivst_innen nicht die Möglichkeiten gesehen, sich gegen diese Vereinnahmung zu wehren. Gerade dieser Punkt sorgte für große Diskussionen. Werde die Mehrheit der Bevölkerung nicht auf diese Weise als Manövriermasse ohne eigene Meinung hingestellt, lautete die Frage? Auch ein in Kiew lebender Historiker aus Deutschland stellte heraus, dass diese Unterstützung der Rechten nur gelingen konnte, weil es einen rassistischen, homophoben und auch antisemitischen Konsens in großen Teilen der Bevölkerung gäbe. Die rechten Parteien würden also eine Hegemonie bei großen Teilen der Bevölkerung bekommen, weil sie in den politischen Grundaussagen übereinstimmen. Vom kommunistischen Kosmopolitismus zum GroßrussentumDer Ausland-Redakteur der Wochenzeitung Jungle World Jörn Schulz setzte sich kritisch mit linken Positionen auseinander, die in Putin einen Retter vor dem „ukrainischen Faschismus sehen. Mit einem kurzen Exkurs in die Frühgeschichte der Sowjetunion verteidigte Schulz die Nationalitätenpolitik der frühen Bolschewiki auch gegenüber der Kritik von Rosa Luxemburg. Einerseits würde sich die Kritik Luxemburgs antinationalistische Kritik gut anhören, doch in der Praxis hätte sie nur mit großer Gewalt umgesetzt werden können, weil ein Großteil der Bevölkerung nicht bereit gewesen wäre, sich jenseits von Nation und Ethnie zu organisieren. Schulz wies allerdings mit Verweis auf eine Kritik von Lenin darauf hin, dass sich auch unter den Kommunist_innen oft viele Großruss_innen versteckten. Vor allem mit der zunehmenden Stalinisierung und der Etablierung autoritärer Strukturen hätten sich diese grossrussischen Tendenzen immer mehr durchgesetzt. Dass erklärt auch, worum viele nominalkommunistische und –sozialistische Gruppen in der ehemaligen Sowjetunion besonders vehement ein Eingreifen russischer Truppen in der Ukraine und anderen Ländern der ehemaligen SU fordern. Der Große Vaterländische Krieg wird so zu einem Mythos, der auch mit nationalistischen Inhalten gefüllt werden kann. Deshalb sind nicht nur in der Ukraine ultrarechte Gruppierungen mit an Regierung und der Protestbewegung beteiligt. Auch auf russischer Seite sind diverse nationalistische und antisemitische Gruppierungen aktiv und Faschist_innen und Nationalist_innen aus vielen europäischen Länder sehen in Putin-Russland ein konservatives Bollwerk gegen die EU, wo Transpersonen, Schwule und Lesben noch in ihre Schranken gerückt werden, wo Großprojekte nicht an daran scheitern, weil dort Vögel nisten oder seltene Käfer leben. Das Modell Putin wird so als Vorbild für einen autoritären Politikstil verklärt. Obwohl sich dabei auch nominal Linke beteiligen, ist Putin nicht einmal ein Wiedergänger Breshnews, obwohl er von seinen Anhänger_innen so gesehen wird. Was tun?Nachdem also so die beiden Referent_innen deutlich gemacht haben, dass Putin-Russland oder EU-Europa für eine emanzipatorische Linke die falsche Alternative ist, der mensch sich verweigern sollte, machte ein Genosse der einladenden Gruppe Internationale Kommunist_innen mit dem Konzept des revolutionären Defätismus gekannt. Entwickelt wurde es vom linken Flügel der Arbeiter_innenbewegung vor 100 Jahren im Kampf den 1. Weltkrieg. Auf Konferenzen wie in Zimmerwald entwickelten sie ein Konzept gegen die Vaterlandsverteidiger_innen in der Mehrheitssozialdemokratie aller Länder und die Zentrist_innen, die für ein Kriegsende ohne Annexionen eintraten. Die Linken entwickelten das Konzept des revolutionären Defätismus, das einerseits deutlich macht, dass man sich auf keine Seite innerhalb des Kampfs von bürgerlichen Blöcken stellt. Dabei ist es auch wichtig, nicht nur die Zusammenarbeit mit offenen Faschist_innen sondern auch mit dem bürgerlichen Block insgesamt abzulehnen. Stattdessen sollen die Lohnabhängigen in ihren jeweiligen Ländern offensiv für ihre Interessen eintreten. Dass bedeutet konkret, den Kampf um ein schöneres Leben, für weniger Lohnarbeit, mehr Freizeit, mehr Lohn, mehr kommunale Dienste zu verstärken und sich nicht von Standortlogik etc. davon abhalten zu lassen. Besonders in Krisen- und Kriegszeiten wird versucht, die Identifikation mit dem „eigenen“ nationalen Standort auch repressiv umzusetzen. Der revolutionäre Defätismus setzte dagegen auf Kämpfe im eigenen Land in solidarisch mit den Lohnabhängigen und Ausgebeutete in allen Ländern. Es waren die dissidenten Kräfte in der internationalen kommunistischen Bewegung, die schon sehr früh in Widerspruch zur autoritären Entwicklung in der Sowjetunion geraten waren, die am Konzept des revolutionären Defätismus festhielten. Wäre es heute, 100 Jahre nach dem ersten Weltkrieg nicht an der Zeit, solche Konzepte daraufhin zu untersuchen, ob sie auch im Jahr 2014 beim heutigen Stand der Produktivkräfte und der heutigen Regulationsphase des Kapitalismus noch anwendbar sind, fragte der Genosse der Internationalen Kommunist_innen. Die lebhafte Diskussion mit dem Publikum ging bis fast bis Mitternacht. Es wurden keine Wahrheiten verkündet, aber viele Fragen beantwortet und neue gestellt, dass ist das beste was man über eine im emanzipative linke Veranstaltung sagen kann. Lage der in Ostukraine blieb unklar?Ein Manko hatte die Veranstaltung allerdings. Es wurde zu wenig die Gespaltenheit der Ukraine berücksichtigt. Es ging vor allem um die Situation in der Westukraine und im Kiew, die Situation in der Ostukraine blieb dabei aber weitgehend unberücksichtigt. Dass ist nun kein Vorwurf an die Referent_innen sondern spiegelt nur eine Problematik wieder, die auch für die Rezeption des Ukraine-Konflikts in der linken zu beachten ist. Viele Gesprächspartner_innen kommen aus dem Westen und sind dann in der Regel auch eher proeuropäisch. Dass liegt auch an ihrer persönlichen Situation. Nur wenige Menschen aus der Ukraine haben die Möglichkeit in EU-Länder zu reisen, es sind dann meistens Stipendiat_innen wie Yevgenia Belorusets. Sie sprechen oft gut englisch oder deutsch, was natürlich auch ihre pro-EU-Position eher bestätigt. Dass ist überhaupt kein Vorwurf an die Referent_innen sondern sollte die Schwierigkeiten verdeutlichen, Positonen zum Ukraine-Konflikt zu beziehen. Daher wurde gleich am Anfang der Veranstaltung gesagt, hier würde keine Wahrheit präsentiert sondern eine subjektive Sicht. Es wäre natürlich auch interessant, eine ebenso subjektive Sicht von Aktivist_innen aus der Ukraine zu hören, die sich dort für die Volksabstimmung und die Republik Donesz ausgesprochen haben. Diese Bewegung ist als Selbstorganisation genau so ernst zu nehmen wie die Maidan-Bewegung in der Westukraine. Nur weil viele der Aktivsit_innen vielleicht eher russisch statt englisch sprechen und eher zu Russland als zur EU wollen, ist diese Bewegung nicht etwa von Außen gesteuert, genauso wenig wie die gesamte Maidan-Bewegung von der EU gesteuert ist. Wenn sich eine linke Bewegung zumindest darauf einigen könnte, wäre es auf jeden Fall ein Fortschritt. Anstatt immer nur die geopoltischen Interessen von Russland/Putin und der EU/USA in den Mittelpunkt der Debatte zu stellen, sollte mehr auf die Bewegungen, ihre Entstehung und ihre Dynamik geblickt werden. Das sollte nun nicht dazu führen, die Bewegung unkritisch zu bejubeln. Sowohl die Maidan-Bewegung in der Westukraine als auch die Föderalismusbewegung in der Ostukraine werden zur Überwindung von Herrschaft und zur Emanzipation der Lohnahängigen beitragen, solange sie in den falschen Polaritäten EU/Russland gefangen bleiben, statt konkrete Verbesserungen ihrer aktuellen Lebens- und Arbeitssituation nicht auf solche nationalen Kollektive zu verlagern sondern aktuell auch konfrontative durchzusetzen.
Ergänzungen
Dank an die GenossInnen
Das war eine gute Zusammenfassung, ich bedauere nicht dort gewesen zu sein. Gibt es vielleicht einen Mitschnitt, den ihr demnächst zugänglich machen könntet?
Gut gesagt
"Anstatt immer nur die geopoltischen Interessen von Russland/Putin und der EU/USA in den Mittelpunkt der Debatte zu stellen, sollte mehr auf die Bewegungen, ihre Entstehung und ihre Dynamik geblickt werden."
Ja. Das sollte getan werden. Aber wie sollte eine Linke in D´land dies schaffen? Es fehlt doch schon an den Sprachkenntnissen... Von Begriffen mal ganz ab.