BRUTTO – LIEDER FÜR UKRAINISCH-BELORUSSISCHE PATRIOT*INNEN

Regionen: 
Mikhalok und Gurkov von BRUTTO Backstage mit Azov und Misanthropic Division

 

Im November 2013 formierte sich in Kyiv auf dem Kiever Platz der Unabhängigkeit der sogenannte Euromaidan. Über die sozialen Netzwerke versammelten sich vor allem junge Ukrainer*innen, um gegen Korruption und Vetternwirtschaft zu demonstrieren sowie die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union (EU) doch noch zu erzwingen. Nachdem bereits im Jahr 2004 von diesem Ort die „Orangene Revolution“ ausging, wurde der Platz erneut zum Zentrum eines zivilgesellschaftlichen Aufbruchs, der aber schon nach wenigen Wochen durch die zunehmende Hegemonie militanter Nationalist*innen und Neo-Nazis in eine anti-progressive Richtung kippte.

 

Auf dem Maidan entstanden selbstverwaltete Institutionen. Eine Freie Universität wurde etabliert. Medizinische Hilfe und die Versorgung der Aktivist*innen wurde organisiert. Verschiedene militante Gruppen, von Anarchist*innen bis zu Neo-Nazis organisierten Selbstschutzeinheiten, wobei letztere sich im sogenannten „Rechten Sektor“ zusammenschlossen und zunehmend neben den Einheiten der „Selbstverteidigung“ (Samooborona) die Führungsrolle übernahmen. Der zunächst friedliche Protest eskalierte vollends am 21. Februar 2014, nachdem Viktor Janukovic, Arsenij Jazenjuk (Vaterlandspartei), Vitali Klitschko (Ukrainische Demokratische Allianz für Reformen, UDAR) und Oleh Tjahnybok (Svoboda) im Beisein des deutschen und polnischen Außenministers ein Abkommen unterzeichnet hatten, in dem der Rückzug der alten Regierung und Neuwahlen für Dezember 2014 vereinbart wurden. Es kam zu massiven Auseinandersetzungen zwischen den Sicherheitskräften, der Spezialeinheit Berkut, dem Regime treue Zivilist*innen sowie den Aktivist*innen und Militanten des Maidan, in dessen Verlauf viele Menschen getötet wurden und Janukovic aus dem Land floh.

Nachdem der Maidan gesiegt hatte, kam es zu Konflikten im Osten der Ukraine. Zunächst wurde die Krim völkerrechtswidrig von der Russischen Föderation besetzt und, nach einem von den russischen Besatzer*innen eilig einberufenen Referendum auf der Halbinsel, annektiert. Weitere Konflikte verschärften sich im Donbass, wo der sogenannte Anti-Maidan die Kritik an den Entwicklungen in Kyiv und in der Westukraine bündelte. Seit April 2014 eskalierte dieser Konflikt im Osten der Ukraine zum Bürgerkrieg, der bis heute anhält und die Region in Schutt und Asche gelegt hat.

Die Entwicklung in der Ukraine führte in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion zu einer von den Politikern sowohl in der Ukraine als auch in Russland forcierten nationalistischen und patriotischen Hysterie, von der neben Neonazis auch antifaschistische und andere progressive Strukturen betroffen sind. Es muss in diesem Zusammenhang leider von einer Spaltung oder sogar von der Abkehr vom antifaschistischen Grundkonsens gesprochen werden. Ein gutes Beispiel dieser Entwicklung sind die Ultras von Arsenal Kyiv, die bis zum Konflikt in der Ukraine eher dem antifaschistischen Spektrum zuzuordnen waren. Sie haben sich offenbar vollständig von ihren alten Idealen verabschiedet. Nachdem sie während der Maidan-Zeit einen Nicht-Angriffspakt mit faschistischen und neonazistischen Ultras eingegangen sind und sich aktiv an der sogenannten Anti-Terroristischen-Aktion (ATO) der ukrainischen Regierung beteiligt haben, bei der sie auch an der Seite organisierter Neonazis gegen die Separatist*innen im Donbass kämpften, ist nun Merchandise aufgetaucht, auf dem faschistische und neonazistische Symbole wie zum Beispiel die Schwarze Sonne zu finden sind.

Diese Entwicklung betrifft nicht nur das politische Spektrum der Länder im Osten, sondern setzt sich auch in der subkulturellen Sphäre fort. Während sich einige Musiker*innen, Label, politische Initiative, Ultra-Gruppen usw. aus der ganzen Welt in einer eigenen Erklärung „Gegen den Krieg in der Ukraine“ positionierten [1], stellen sich andere an die Seite der ukrainischen Regierung oder der Separatist*innen. Das prominenteste Beispiel einer völlig unkritischen und sektiererischen Parteinahme für großrussische Interessen und nationalistische Milizionäre der sogenannten Volksrepubliken von Donezk und Luhansk ist die italienische Musikgruppe Banda Bassotti. Die Band organisierte bereits im vergangenen Jahr eine zur „Antifaschistischen Karawane“ verklärte Tour von Moskau über Rostov bis nach Donezk zur Unterstützung der Separatist*innen. Aktuell sammeln die sich in einen sowjetisch-kommunistischen Glaubenskrieg verabschiedeten Musiker*innen erneut für eine neue Tour. Aber auch die ukrainischen Patriot*innen haben nun ihre subkulturellen Propaganda-Musiker*innen gefunden. Gemeint ist die Band BRUTTO aus Minsk. [2]

Die Band gründete sich am 1. September 2014 als Projekt des Sängers Sergej Mikhalok. Nachdem seine in Osteuropa populäre Band Ljapis Trubetskoj aufgrund interner Streitereien in der Positionierung zum Konflikt in der Ukraine sowie der kommerziellen Entwicklung zerbrach, sammelte Mikhalok neue Mitstreiter*innen, mit denen er seinen Traum einer patriotischen Gruppe, welche die „nationalistischen Ukrainer*innen unterstützen sollte, verwirklichen konnte. Er fand Mitstreiter*innen in Minsk, Grodno, Kyiv und in Odessa. [3]

Der Name BRUTTO steht für Brigada Revolucionnogo Ugara Tvorcheskogo Otpora Ornella Mutti (dt. Brigade des Revolutionären Abfalls und Künstlerischen Widerstand Ornella Mutti), behauptet zumindest die Band selbst. [4] Bei einem Konzert am 3. März bezeichnete Mikhalok die Band als Belorussko-ukrainskujuBrigada Tvorchestkovo Terrora i Otpora (dt. Belorussisch-ukrainische Brigade des Künstlerischen Terrors und Widerstands). In Interviews tönt er übrigens, dass BRUTTO mehr als eine Band sein soll – und zwar ein Underground Dream Team, eine paramilitärische Einheit, und zwar zur Unterstützung ukrainischer und belorussischer Patriot*innen. [5]

Die Band versammelt durchaus interessante Persönlichkeiten aus verschiedenen Subkulturen. Unter ihnen sind Sportler*innen, Fußballfans, Hooligans und gestandene Musiker*innen. Neben Mikhalok singen die Minsker Vitalij „Ogurez“ Gurkov, belorussischer Meister im Thai-Boxen, und Sergej „Brazil“, Gewichtheber, sowie Pjotr „Aist“ Losevskij und Denis „Left“ Mel'nik aus Odessa. Gurkov und Brazil haben bislang noch nicht gesungen. Sie scheinen die sportliche Fraktion zu bilden. Losevskij und Mel'nik, letzterer Arsenal-Kyiv-Fan, dagegen haben bereits musikalische Erfahrungen gemacht. „Left“ singt nicht nur, sondern spielt auch Gitarre, was er bereits in zahlreichen Hardcore-Bands wie zum Beispiel Clearsight, Conclusion, Still, Aspire und Homesick unter Beweis stellen konnte. Auch „Aist“ hat eine Vergangenheit in ukrainischen Hardcore Bands, in denen er Schlagzeug spielte. Den Bassisten Denis „Dynja“ Sturchenko sowie den Schlagzeuger Denis „Shurup“ Shurov brachte Mikhalok aus seiner letzten Band Ljapis Trubetskoj mit. Pavel „Rudeboy aka Lanister“ Tretjak aus Grodno kümmert sich um das Klavier und spielt Gitarre sowie Mandoline. Dmitrij „Topor“ Kozlovskij singt im Background und ist der Regisseur der Videoclips der Band.

Die Zusammensetzung der Band könnte sowohl musikalisch als auch politisch interessante neue Wege eröffnen, allerdings wird die Hoffnung einer progressiven Ausrichtung nicht erfüllt. Vielmehr verheimlichen die Mitglieder der Band ihre Sympathien mit Faschist*innen und Neonazis nicht, sondern zeigen offen, wen sie mögen und wen nicht. Gegner*innen sind in jedem Fall „Russ*innen“ und Menschen der ehemaligen Sowjetunion, die sich der nationalistischen und patriotischen Hysterie verweigern. Freund*innen sind zum Beispiel die Neonazis der Misanthropic Division sowie Milizionäre, die im berühmt berüchtigten Bataillon Azov kämpfen. Die hatte nämlich die Band zu einem Konzert am 3. März 2015 eingeladen. Während des Konzert in einer Pause erzählt Mikhalkov ganz aufgeregt über den Konflikt in der Ukraine, seinen Wunsch nach Frieden, dass junge Menschen in den Krieg ziehen (müssen), und beschreibt stolz, wie die Band mit ihren faschistischen und neonazistischen Gästen zusammen saßen, sich unterhalten hat sowie wie sie Tee und Kaffee getrunken haben. [6] Auf einem Bild, das bei diesem Konzert Backstage aufgenommen wurde, posieren übrigens Mikhalok und Gurkov bereitwillig mit ihren Neonazi-Gästen von Misanthropic Division (MD). [7] Die Typen tragen in ihren Tattoos unübersehbar Hakenkreuze mit sich rum. Und ein Combat-44- sowie ein Azov-Terror-Machine-Shirt darf ebenfalls nicht fehlen.

Die Sympathien des Regisseurs und Backvokalisten Dmitrij „Topor“ Kozlovskij sind ebenfalls unverkennbar. In seinem Instagram Account [8] postete er am 5. Dezember 2013 – also während der sogenannte Euromaidan noch in den Anfängen war, aber rechte Militante sich bereits um die Vorherrschaft auf dem besetzten Platz bemühten – mehrere Bilder mit Symbolen ukrainischer Faschist*innen sowie der SS. Darunter war ein Shirt mit der Aufschrift „Rechtgläubigkeit oder Tod“ [9], den Totenschädel der SS [10] sowie eine Tätowierung mit dem Wahlspruch der SS („Meine Ehre heißt Treue“), Runenschrift und dem SS-Totenschädel [11]. Alle diese Bilder sind bis heute abrufbar. Nicht abrufbar sind allerdings Bilder eines Sweatshirts mit Hakenkreuzen und einem C18 Tag auf einem Baumstumpf, die Anfang 2014 von Kozlovskij veröffentlicht wurden.

Der patriotisch militante Hintergrund des Projekts BRUTTO kann außerdem in den Texten gefunden werden. Während „Underdog“, der erste Track, der am 8. September 2014 veröffentlicht wurde [12], noch mit einem eher hooliganistischen Außenseiter-Image spielt und das dazugehörige Video ohne klares politisches Statement daher kommt, ändert sich das bereits beim nächsten Track. Die Nähe und Sympathie zur faschistischen und neonazistischen Ideologie wird im Song "Garri" und erst recht im dazugehörigen Clip [13], der am 19. Januar 2015 online ging, nicht mehr verheimlicht. Darin geht es um den Fußballfan Garri, ein vermeintlich ganz normaler junger Mann, der gezwungen wurde für sein Land in den Krieg zu ziehen, weil "wilde Hunde die Heimat überfallen" haben sollen. Gemeint ist wahrscheinlich die Annextion der Krim und der Konflikt im Donbass. Der Held des Liedes kämpft offenbar in der sogenannten Anti-Terror-Operation (ATO) und scheint getötet worden zu sein.

Ein Hinweis auf die Fansymphatien sowie den Einsatzort von Garri finden sich im offiziellen Video zum Track. Darin sind verschiedene Kurven wie Dneppetrovsk, Lviv, Kharkiv, Dynamo Kyiv usw. zu sehen. Alle diese Szenen sind zumindest ultra-patriotisch wenn nicht gar faschistisch. Außerdem wird Material von der ATO gezeigt. Bei den Beerdigungsszenen ist das Wasserzeichen der faschistischen Miliz Azov zu finden. Außerdem ist im Video Material von einem Marsch der Partei Svoboda sowie des Rechten Sektor genutzt worden. Besonders unerträglich ist aber das Ende, worin ein armes, ängstliches Kätzchen im Kerzenlicht sanft von einem Milizionär im Kriegsgebiet gestreichelt wird, während in der Dunkelheit die Schüsse peitschen.

Die aktuellste Single heißt "Partizan Rok" und kam am 2. März 2015 mit dem dazugehörigen Musicclip raus. [14] Dieser Track ist eine aggressiv gewaltvolle Abrechnung mit ehemaligen Freund*innen aus Russland sowie ein Aufruf zum Krieg. In der ersten Strophe werden statt Graffiti und Flyern neuerdings Granaten und Waffen benutzt. Im Refrain stellt sich BRUTTO an die Seite der "Antisovok". Damit sind antisowjetische Faschist*innen und Patriot*innen gemeint. Die Bezeichnung „Sovok“ für die Gegner*innen ist hierbei als Schimpfwort ähnlich wie „Ossi“ gemeint und soll Menschen beleidigen, die in der ehemaligen UdSSR geboren wurden. Sie werden darüber hinaus ultimativ als „schwul“ (oder pädophil) und als „Kreml-Lakaien“ , denen der Tod sicher ist, beschimpft.

BRUTTO ist tatsächlich nicht einfach nur eine Musik-Band, sondern ein patriotisches Musik-Projekt, das in verschiedenen Subkulturen verankert ist, und offen mit faschistischen und neonazistischen Ideologien und Organisationen sympathisiert. BRUTTO startet Ende März zu einer Tour durch Polen, Österreich, Tschechien und Deutschland. [15] Am 25. März spielen sie in Wien, im Chaya Fuera, am 27. März in der Prager Futurum Music Bar, am 28. März in der Rockfabrik Nürnberg, am 29. März im Münchener Technicum, am 31. März im Universum in Stuttgart, am 1. April in Frankfurt / Main im Orange Peel, am 3. April im MusikZentrum Hannover, am 4. April in der Kölner Essigfabrik, am 5. April in Hamburg im Gruenspan und zum Abschluss der Tour am 6. April im Berliner FritzClub im Postbahnhof. In all diesen Städten will BRUTTO seinen patriotischen Müll verbreiten. Das muss nun wirklich nicht sein. Deshalb:

KEINE BÜHNE DEN PATRIOT*INNEN

 

Quellen

[1] Die Erklärung „Protiv Bojny“ (Gegen den Krieg) unterschrieben von über hundert Bands, Label, DIY Initiativen, Organisationen, Portalen, Gruppen usw. wurde am 7. August 2014 veröffentlicht, siehe https://vk.com/againstwar2014. Die deutsche Übersetzung ist hier zu finden: https://linksunten.indymedia.org/en/node/120174

[2] Die offizielle Internetseite der Band ist hier zu finden: http://brut.to

[3] Die Bandmitglieder sind hier zu finden: http://bruttoband.ru/crew.html

[4] Siehe http://bruttoband.ru/history.html

[5] Interview mit Mikhalok, siehe http://bruttoband.ru/interview_3.html

[6] Ein Video von Mikhaloks Ansage veröffentlichte die ukrainische Sektion von Misanthropic Division, siehe https://vk.com/misanthropic_info?w=wall-73617306_94933

[7] Das Bild ist hier zu finden: https://vk.com/wall-73617306_94913, https://vk.com/no88tolerance?w=wall202223112_2237

[8] Siehe https://instagram.com/davidovsky79

[9] Siehe https://instagram.com/p/hhkGPyTTY-/?modal=true

[10] Siehe https://instagram.com/p/hhnRpkzTdd/?modal=true

[11] Siehe https://instagram.com/p/hhp1tXzTRQ/?modal=true

[12] Video „Underdog“, siehe https://www.youtube.com/watch?v=8cSdiTPMYME

[13] Video „Garri“, siehe https://www.youtube.com/watch?v=JZN8Xaebs_U

[14] Video „Partizan Rock“, siehe https://www.youtube.com/watch?v=4G8fNhOyj78

[15] Alle Tour-Termine sind hier zu finden: http://www.peepl.de/de/event-info/80

 

Bilder: 
webadresse: 
Lizenz des Artikels und aller eingebetteten Medien: 
Creative Commons by-sa: Weitergabe unter gleichen Bedingungen

Ergänzungen

MH17-Abschuss ............... http://de.sputniknews.com/panorama/20150305/301378363.html
Die niederländische Staatsanwaltschaft hat ukrainische Medienberichte als falsch zurückgewiesen, laut denen die Ermittler Russland für den Abschuss der Verkehrsmaschine MH17 über der Ost-Ukraine verantwortlich gemacht hätten.

Ukrainische Medien hatten berichtet, dass die internationale Ermittlungskommission, die den MH17-Absturz vom Juli 2014 untersuchen, festgestellt hätten, dass die Maschine der Malaysia Airlines mit einem Flugabwehr-System des Typs Buk abgeschossen worden sei, das kurz davor aus Russland in die Ukraine gebracht worden sei.

Daraufhin bat der russische TV-Sender RT die niederländische Staatsanwaltschaft um eine offizielle Stellungnahme. Die Behörde wies die ukrainischen Berichte als falsch zurück. „Ich kann mit Sicherheit sagen, dass sie falsch liegen“, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft Wim de Bruin. „Wir ermitteln weiter zu den Umständen des Absturzes und können vorerst noch keine Schlüsse ziehen.“