Todesstrafe - Terrorinstrument des Staates

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Anfang Februar 2015 sorgte die Nachricht vom zeitweiligen Aussetzen der Todesstrafe im US Bundesstaat Pennsylvania für große Freude unter Gefangenen, Angehörigen und Unterstützer*innen. Pennsylvania gehört damit (zur Zeit) zu den 20 US Bundesstaaten, die keine Gefangenen ermorden.

In einigen  linken Medien gab es aus  diesem Anlass  Berichte (1) und Analysen. Allerdings setzte sich unserer Beobachtung nach niemand mit der Todesstrafe an sich und ihrer Funktion in einer kapitalistischen Demokratie wie den USA auseinander. Dies wollen wir im folgenden nachholen.

 

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Die Todesstrafe an Gefangenen ist eins der grausamsten Überbleibsel aus dem Zeitalter des Absolutismus, der Leibeigenschaft und der Sklaverei. Noch knapp 60 Staaten auf diesem Planeten nehmen sich das Recht heraus, Gefangene zu ermorden.

 

Am häufigsten passiert das aktuell in China, Saudi-Arabien, dem Iran, Irak und den USA.

 

Bereits 1955 verfasste Albert Camus den Essay “Die Guillotine. Betrachtungen zur Todesstrafe“:

Um das rechte Verhältnis herzustellen, müsste die Todesstrafe gegen einen Verbrecher verhängt werden, der sein Opfer zunächst warnt, dass er es an einem bestimmten Tag auf schreckliche Weise ermorden wird, und es von diesem Moment an monatelang in seiner Gewalt gefangen hält. Ein solches Ungeheuer wird man im privaten Bereich nicht finden.“
 

Wir wissen um die rassistische und repressive Funktion von Polizei, Justiz und Gesetzgebung in den USA. Überall in Europa sehen wir mit Schrecken, wie die kommerzielle Ausbeutung von Gefangenen aus den USA kopiert wird – auch hier entsteht eine Gefängnisindustrie, die Sklaverei unter anderem Namen. Wir wissen, dass der Todesstrafe als ultimativer Machtanspruch der Herrschenden dabei eine wichtige Rolle der Abschreckung zukommt. Ein Staat, der Minderheiten beinahe wöchentlich vorführt, dass er sie ungehindert "legal" hinrichten kann, festigt damit seine Herrschaft. Kaum verwunderlich, dass rechte Gruppierungen die Wiedereinführung der Todesstrafe auch in Europa fordern, die die neue EU Menschenrechts-Charter im Kriegsfall ja bereits vorsieht.

 

In den vergangenen vier Jahren konnten die Hinrichtungskammern der USA mehrfach durch den weltweiten Widerstand von Todesstrafengegner*innen blockiert werden. In den meisten Bundesstaaten werden medizinische Präparate eingesetzt, mit denen die Gefangenen einem langsamen Erstickungstod ausgesetzt werden, den sie bewegungsunfähig über sich ergehen lassen müssen. Öffentliche Skandalisierungen haben verschiedene Pharma-Konzerne dazu bewogen, sich aus dem Geschäft mit den Henkern zurück zu ziehen. Selbst EU und BRD, die meist ohne zu zögern Waffen zum Töten überall hin liefern, sahen sich gezwungen, dem Handel mit den Hinrichtungschemikalien aus Europa gegenüber einige Hürden aufzubauen. Ohne die ständige Wachsamkeit der Todesstrafengegner*innen wären diese Verordnungen jedoch das Papier nicht wert, auf dem sie stehen. (Achtet dabei auf Ankündigungen, Petitionen und Artikel, z.B. die der Londoner Menschenrechtsorganisation REPRIEVE http://www.reprieve.org.uk/topic/death-penalty/ )

 

Aus unserer Arbeit für das Leben und die Freiheit von Mumia Abu-Jamal wissen wir, dass die wichtigste Unterstützung im Kampf gegen die Todesstrafe immer die Zusammenarbeit mit den bedrohten Gefangenen und ihren Angehörigen ist. Gefangene stehen überall auf der Welt in der ersten Reihe im Kampf zur Abschaffung des staatlichen Morden.

 

 

 

Überleben als Widerstand in den Todestrakten

 

Das Leben und Überleben in Jahrzehnte anhaltender Isolation fordert von denen, die es überleben mehr ab, als zu beschreiben in der Lage ist, wer noch nie in einem Todestrakt war. Einen Versuch unternahmen wir 2010 trotzdem, als einige von uns die Gelegenheit hatten, Mumia Abu-Jamal im Todestrakt des SCI Greene in Pennsylvania zu interviewen (2).

 

Physische und psychische Gewalt, das Abstumpfen der Sinne, Bewegungsmangel, fehlendes Sonnenlicht und schikanöse Besuchs- und Kommunikationsregelungen sind in jedem Knast der Welt ein Problem. Was aber fühlt ein*e Gefangene*r, die sich täglich motivieren muss, dass durchzustehen um schließlich nach Jahrzehnten des Wartens ermordet zu werden?

 

Woher nimmt sie*er die Kraft des täglichen Widerstands, der Eingaben, des Kampfes um so banal wirkende Dinge wie einen Briefbogen, ein Schreibmaschinen Farbband oder Briefumschläge. Auf der Suche nach gerichtlichen Aktenzeichen vergehen oft Monate und Jahre. Eingaben, an denen alles hängt, werden unter den Bedingungen von Isolationshaft mit Unterstützer*innen draußen und Mitgefangenen drinnen ausgetauscht. Oft braucht ein Halbsatz mehrere Wochen, um von einem Trakt in den anderen zu gelangen. Ohne Geld und fachlich juristischen Beistand haben sich in den Todestrakten der USA hunderte „Jailhouse Lawyer“ selbst ausgebildet und Millimeter für Millimeter eigene Freiräume gefunden und verteidigt. Bei manchen wächst aus jeder, meist mit wenigen Worten abgelehnten juristischen Eingabe der Wille, noch entschlossener dagegen anzugehen. Jeder dieser Anläufe überwindet die staatliche Isolation und ist das einzig lebendige, was diese Gefangenen zum Teil über Jahrzehnte erfahren, wenn mensch von den wenigen Besuchen mit Trennscheiben ab sieht.

 

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Andere wiederum resignieren, sehen 24/7 Kabelfernsehen und begehen lange vor ihrer Hinrichtung Selbstmord, da sie es einfach nicht mehr aushalten. Viele erkranken an den menschenfeindlichen Lebensbedingungen und sterben unter großen Schmerzen weitestgehend ohne ärztliche Versorgung.

 

 

Wie wirkt die Todesstrafe außerhalb der Gefängnis Trakte?

 

Zunächst gehören zu den Verurteilten Angehörige, deren Leben davon genauso zerstört wird, wie das der Gefangenen. Die meisten Todestraktgefangenen entstammen innerstädtischen Communities of Color. Die Todestrakte sind i.d.R. in entlegenen Landstrichen der USA. Den überwiegend mittellosen Angehörigen ist es nur selten möglich, die Reise in die „man-made-hell“ anzutreten. Zusätzlich schikanieren bürokratische und sich häufig ändernde Besuchsbestimmungen die  weit gereisten Angehörigen und verhindern den Besuch nicht selten in allerletzter Minute am Eingang des Gefängnisses. Familiäre und freundschaftliche Kontakte unter diesen Umständen über einen längeren Zeitraum aufrecht zu erhalten, gelingt den wenigsten.

 

Der gängige Strafdiskurs in den USA suggeriert Angehörigen von Verbrechensopfern, dass es ihnen besser ginge, wenn die/der vermeintliche Täter*in (in den allermeisten Todesstrafenverfahren ist die Tatschuld der Verurteilten heftig umstritten) leide. Tatsächlich gibt es aber sehr viele Angehörige von Mordopfern, die sich ebenfalls für die Abschaffung der Todesstrafe einsetzen, weil sie entweder gar keine Rache wollen oder aber selbst davon überzeugt sind, dass ihr traumatischer Verlustschmerz nicht durch die brutale Realität des Todestraktes gegen die*den vermeintliche*n Täter*in gelindert wird.

 

Darüber hinaus kommt der Todesstrafe aus staatlicher Sicht eine ordnungspolitische Funktion zu. Wenn in einem Land wie den USA ¼ aller weltweit Inhaftierten festgehalten werden, obwohl das Land nicht mal 5% der Weltbevölkerung ausmacht, spielt Gefangenschaft eine allgegenwärtige Rolle im gesellschaftlichen Leben. Statistiken des US Justizministeriums zufolge unterliegen neben den 2,3 Millionen Gefangenen noch weitere 4,2 Millionen Menschen restriktiven Auflagen wie elektronischen Fußfesseln, Hausarrest und ähnlichem. Das bedeutet, dass derzeit jede*r 31 Erwachsene*r in der einen oder anderen Form unter Überwachung der Justiz steht.

 

Um es vorweg zu nehmen: es gibt derzeit keinen Vergleich für ein so intensives Einsperren der eigenen Bevölkerung. Nicht einmal China und Russland zusammen kommen auf diese Inhaftierungsraten.

 

Die Gründe für dieses gigantische Knastsystem liegen in der ökonomischen Verwertbarkeit von Gefangenen. Public Private Partnerships schöpfen enorme Gewinne aus der staatlich/privaten Gefängnisindustrie ab und bürden die Kosten den Gemeinden auf. Das ist gängige neo-liberale Politik und an anderer Stelle ausführlich beschrieben (3).

 

 

 

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Wie ist es möglich, ein für die Masseninhaftierung ausgelegtes Justizsystem zu betreiben?

 

Die Antwort ist unerwartet einfach: 97% der Gefangenen in den USA haben gar keine Verfahren, sondern gelangen durch „Plea Bargains“ (dt. Schuldhandel) für einen Großteil ihres Lebens ins Gefängnis. Es kostet die US Justiz also vergleichsweise wenig Mühe, die weltweit größte Gefängnisbevölkerung zu haben. Sie haben ihnen einfach den Zugang zu den Gerichten versperrt.

 

Durch Polizeipraktiken wie "racial profiling" werden sehr häufig mittellose junge Männer aus den Communities of Color in Untersuchungshaft genommen. Sie sind in der Regel weder in der Lage, eine Kaution noch für eine eigene Verteidigung zu zahlen. Also bleiben sie in Haft und bekommen kurz vor dem Gerichtstermin Pflichtverteidigung zugewiesen. Diese Verteidiger*innen sind meist unterqualifiziert, unterbezahlt und haben zeitgleich so viele Fälle, dass sie kaum Zeit für die einzelnen Angeklagten haben, geschweige denn, eigene Ermittlungen in der Sache zu unternehmen. Ganz anders die Gegenseite, die Staatsanwaltschaft, der eine Menge -  dabei ist wichtig zu betonen - einseitige und unbewiesene Vorwürfe und „Beweise“ von der Polizei zur Verfügung stehen. Außerdem hat der Staatsanwaltschaft beinahe unbegrenzte finanzielle Mittel für weitere Untersuchungen, wenn es in ihrem Interesse liegt.

 

Staatsanwält*innen in den USA sind politische Ämter, die einem Wahlkampf mit Lobby Unterstützung, z.B. durch Wahlkampfspenden der Fraternal Order of Police (FOP) bestreiten müssen, um ins Amt zu kommen. Gewählte Staatsanwält*innen haben ein Interesse an zahlreichen Verurteilungen. Nur so können sie in einer "Law And Order" Debatte ihre Wiederwahl und ihren anschließenden politischen Aufstieg sichern. Sie üben Druck auf alle Beteiligten aus, um die Verfahrensdauer abzukürzen. Zu diesem Zwecke wurden z.B. die „Plea Bargains", sog. „Schuldhandel" sowie etxrem hohe Mindeststrafen für alle möglichen Formen von Delikten eingeführt. Ein*e Staatsanwalt*in hat es in der Hand, der überforderten Verteidigung und den schutzlosen Mandant*innen mit zahlreichen Anklagen zu drohen, die in der Praxis oft lebenslänglichen Freiheitsentzug oder gar die Todesstrafe involvieren.

 

Es macht halt einen Unterschied, ob ein Kiffer mit unter 1g gefundenen Grass für den Besitz eben dieses angeklagt wird, oder aber als ein vermeintlich Beteiligter an einem großen Rauschgiftring zu gelten, dem wohlmöglich auch Morde angelastet werden. Um ein solches Verfahren zu vermeiden, willigen laut jüngeren Berichten ca. 97% aller Angeklagten darin ein, sich zu irgendetwas schuldig zu bekennen, was sie nicht begangen haben, um so wesentlich größeren Bedrohungen zu entgehen (4).

 

Es ist also im vollen Wissen aller Justizbeteiligten, dass 97% der Inhaftierten in den USA niemals vor Gericht bewiesen wurde, dass sie die Straftat begangen haben, für die sie im Gefängnis sind. Den Armen und rassistisch Ausgeschlossenen ist der Weg zu einem Verfahren in – noch einmal –  97% der Fälle versperrt.

 

Dieses Verständnis sog. "Rechtsstaatlichkeit" ist inzwischen nicht mehr auf die USA allein beschränkt. In der EU haben Schuldhandel in der einen oder anderen Form Einzug gehalten, so z.B. in Frankreich, Belgien, Italien oder der Bundesrepublik. Auch andere sog. "Demokratien" außerhalb Europas greifen inzwischen verstärkt auf diese sog. "Entlastung der Justiz" zurück. Staatsanwaltschaften bestimmen also in vielen Ländern allein durch die Form der Anklageerhebung, wer inhaftiert wird und wer nicht. Das Instrument der Todesstrafe ist dabei eines der wirksamsten zur Einschüchterung von Angeklagten.

 

Dieses Instrument muss ihnen genommen werden, nicht nur in den USA. Menschenrechte gibt es nie geschenkt – die müssen wir uns erkämpfen. Daher möchten wir alle aufrufen, sich direkt an Gefangene zu wenden, sie in ihrem Kampf zu bestärken und nach Möglichkeit öffentlich zu unterstützen. Adressen und entsprechende Webseiten findet ihr u.a. auf http://www.mumia-hoerbuch.de/post.htm .

 

Eine Gelegenheit dazu besteht am Sonntag, den 1. März 2015 in Berlin: vor der US Botschaft am Brandenburger Tor demonstrieren wir um 15 Uhr gegen die in Texas angesetzte Hinrichtung von Rodney Reed (5) – Come and join us!

 

 

 

Weg mit der Todesstrafe - überall!

 

FREE MUMIA Berlin, Februar 2015

 

http://www.mumia-hoerbuch.de

 

 

 

 

 

 

 

 

 

(1)  linke Medienberichte zum Moratorium der Todesstrafe in Pennsylvania, USA:

 

Radio Aktiv Berlin (15.02.2015): " Aussetzung der Todesstrafe in Pennsylvania - ein Kommentar“   https://www.freie-radios.net/68875      

 

(Junge Welt) »Dass diese Verfahren unfair sind, ist kein Versehen« Gerichtsprozesse gegen Afroamerikaner oft rassistisch. Aktionen vor US-Botschaften gegen Todesstrafe. Gespräch mit Andrea Tams (17.02.2015)https://www.jungewelt.de/2015/02-17/024.php

 

(Junge Welt)  Trend weg von der Todesstrafe - Gouverneur setzt Hinrichtungen im US-Bundesstaat Pennsylvania aus (17.02.2015) https://www.jungewelt.de/2015/02-17/008.php (17.02.15)

 

(Neues Deutschland) Der Henker hat frei - Todesstrafen-Moratorium im US-Bundesstaat Pennsylvania (17.02.2015) https://www.neues-deutschland.de/artikel/962100.der-henker-hat-frei.html

 

 

(2) Besuchsbericht „Das ist ein gefährlicher Ort - Zu Besuch bei Mumia Abu-Jamal“ (April 2010) http://mumia-hoerbuch.de/archivbundnis.htm#mumiaingrossergefahr

 

(3) „Der Gefängnisindustrielle Komplex der USA und ein Ausblick auf die BRD“ (FREE MUMIA Bündnis - Nov 2012) http://mumia-hoerbuch.de/text/Gefaengnisindustrie+USA+BRD_Nov_2012.pdf

 

 

(4) US Bundesrichter Jed S. Rakoff: “Why Innocent People Plead Guilty” (November 20, 2014)

www.nybooks.com/articles/archives/2014/nov/20/why-innocent-people-plead-guilty/

 

 

(5) So, 1. März 2015: „Stoppt die Hinrichtung von Rodney Reed!“ http://mumia-hoerbuch.de/bundnis.htm#stopptdiehinrichtungvonrreed 

 

 

 

 

 

 

 

Bilder: 
Lizenz des Artikels und aller eingebetteten Medien: 
Creative Commons by-sa: Weitergabe unter gleichen Bedingungen

Ergänzungen

Wir bitten alle Leser*innen aus dem Berliner Raum, sich am Sonntag, den
1. März um 15 Uhr an der Anti-Todesstrafen Kundgebung vor der US
Botschaft am Brandenburger Tor zu beteiligen. Es geht darum, die für den
darauf folgenden Donnerstag (5. März) in Texas angesetzte Hinrichtung
von Rodney Reed abzuwenden (
http://mumia-hoerbuch.de/bundnis.htm#stopptdiehinrichtungvonrreed ).

Darüber hinaus ist es auch möglich, Begnadigungsbriefe für Rodney Reed
an den texanischen Gouverneur Abbott und den zuständigen
Begnadigungsausschuss zu schreiben, um den Behörden deutlich zu machen,
dass ihr Handeln unter weltweiter Beobachtung steht. Vordrucke,
Adressen etc. hier: http://justice4rodneyreed.org/clemency-letter/

Das Briefporto in die USA beträgt 80ct. Eine Briefsendung nach Texas
dauert aus der BRD ungefähr 5 Tage. Anfang der kommenden Woche ist ein
guter Zeitpunkt, die Briefe abzusenden.

 

A Texas-sized travesty of justice is finally moving into the spotlight, reports Alan Maass.
February 20, 2015
http://socialistworker.org/2015/02/20/turning-up-the-heat-for-rodney-reed

Bilder: