Wenn es ohne Rechte mit der ‚Wildheit‘ schnell vorbei ist...

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"Zündlumpen"-Artikel "Einige Überlegungen zum Fall linksunten.indymedia"

 

Am Freitag hat hier Gen. systemcrash (Achim Schill) die Zusammenfassung einer Diskussion zwischen dem anarchistischen Wochenblatt Zündlumpen einerseits sowie Achim, Peter Nowak und mir andererseits über Pressefreiheit und Widerstand gegen das Verbot von linksunten.indymedia veröffentlicht.

Darunter gab es zwei kritische Ergänzungen – eine von „Freundin“ von 21.02. um 17:15 Uhr und eine von „only me“ vom 22.02. um 01:30 Uhr.

Da meine Rückantwort auf „Freundin“ seit 1 ½ Tagen in der Moderationsschleife hängt, hier nun ein Versuch, die Diskussion mit einem separaten Artikel fortzusetzen:

 

 

A.

I.

„Freundin“ schreibt u.a.:

 

Wer den zugestandenen Rechten des Staates vertraut*, gibt ihm das (Druck)Mittel der Illegalisierung und auch noch den Schein einer konstitutionellen Kraft, die i[h]n legitimiert (Einer Rechtmäßigkeit).

 

* = wer den zugestandenen Rechten nicht vertraut, misst ihnen auch keinen Wert bei. Alles andere wäre absurd.

 

 

 

a) Ich stelle die Frage nach dem „Vertrauen“ für einen Moment zurück und komme sogleich zu dem Kern; wenn der Umkehrschluß aus:

 

„Wer den zugestandenen Rechten des Staates vertraut, gibt ihm das (Druck)Mittel der Illegalisierung"

 

nämlich:

 

Diejenigen, denen zugestandene Rechte egal sind, machen – unbeeindruckt von Illegalisierung – trotzdem weiter“

 

auch gelten würde, dann würde ich meinerseits sofort einiges von unserer Kritik an dem Zündlumpen-Artikel widerrufen – aber dann hätten wir auch bereits eine vor-revolutionäre Situation (von der wir – wie hoffentlich unstrittig ist – in Wirklichkeit weit entfernt sind).

 

Gerade der ‚Fall‘ „linksunten“ zeigt doch aber, daß selbst diejenigen, die eine dicke Lippe wegen „all d[er] schönen Anschlagserklärungen“ riskierten, schnell weg vom Fenster waren, als der Staat zum Mittel der Illegalisierung griff, und keineswegs andere Medien mit gleichem Konzept und gleicher Reichweite ‚wild & unabhängig‘ weitermachten.

 

Das heißt: Gerade der ‚Fall‘ „linksunten“ zeigt doch, wie wichtig Rechte, die durchaus nicht immer nur gnadenhalber oder aus taktischem Kalkül zugestandene, sondern oft auch erkämpfte sind, in Wirklichkeit sind!

 

 

 

b) Nun zur Frage des Vertrauens:

 

„wer den zugestandenen Rechten nicht vertraut, misst ihnen auch keinen Wert bei. Alles andere wäre absurd.“

 

Warum? Warum sollte nicht vertrauensselig sein, das Gleiche sein, wie indifferent sein?

 

Es ist doch eher umgekehrt: Wenn nichts auf dem Spiel stünde, wäre Vertrauensseligkeit eine unproblematische Haltung. Aber gerade WEIL bei der Frage nach Umfang und tatsächlicher Geltung (oder Nicht-Geltung) von Rechten etwas auf dem Spiel steht, ist es notwendig, wachsam und kämpferisch (und nicht gleichgültig) zu sein.

Und auch der revolutionäre ‚Krieg‘ besteht nicht nur aus der „letzten Schlacht“, von der ‚uns‘ Ton, Steine, Scherben versprach, daß ‚wir‘ sie gewinnen, sondern aus vielen Schlachten – und nicht nur solchen, die mit Mollis und Steinen geführt werden.

 

 

II.

 

Der Staat behält sich nämlich immer das Mittel der ungesetzlichen Aktion vor.

 

 

 

Das ist schon wahr (und das haben wir auch unsererseits bereits in verschiedenen Texten angesprochen – einschließlich der Notwendigkeit, darauf vorbereitet zu sein); nur ist das immer noch kein Argument dafür, daß kein Unterschied zwischen dem Vorbehalt einerseits und der Realisierung bzw. der Ausübung des Vorbehalts andererseits bestehe.

 

 

 

 

 

III.

 

Beispiele [ungesetzlichen Aktion] gibt es davon genug und diese sind keine Fehler im System, sondern schlicht ein Mittel, welches je nach Situation genutzt wird oder nicht. Den Wert in der Widersprüchlichkeit solcher Aktionen zu sehen ist Quatsch

 

 

 

a) Die Widersprüche im System sind in der Tat keine Fehler des Systems, sondern dessen Existenzbedingung; aber sie zu erkennen und auszunutzen ist zugleich eine Bedingung für revolutionäre Erfolge:

 

„Einen mächtigeren Gegner kann man nur unter größter Anspannung der Kräfte und nur dann besiegen, wenn man unbedingt aufs angelegentlichste, sorgsamste, vorsichtigste, geschickteste sowohl jeden, selbst den kleinsten ‚Riß‘ zwischen den Feinden, jeden Interessengegensatz zwischen der Bourgeoisie der verschiedenen Länder, zwischen den verschiedenen Gruppen oder Schichten der Bourgeoisie innerhalb der einzelnen Länder als auch jede, selbst die kleinste Möglichkeit ausnutzt, um einen Verbündeten unter den Massen zu gewinnen, mag das auch ein zeitweiliger, schwankender, unsicherer, unzuverlässiger, bedingter Verbündeter sein.“

 

(Lenin, Werke. Band 31 – http://kpd-ml.org/doc/lenin/LW31.pdf –, S. 56 f.)

 

 

 

b) Auch wenn wir mit dem gerade angeführten Zitat vielleicht bei der Grundsatz-Kontroverse zwischen ‚Leninismus‘ und ‚linkem Radikalismus‘ sind, möchte ich konkret beim Text bleiben: „ein Mittel, welches je nach Situation genutzt wird oder nicht.“

 

Ja, aber die „Situation“ ist nicht außerhalb unseres Einflussbereiches – sie hängt auch davon ab, ob es uns gelingt, Verbündete zu gewinnen – und seien es „zeitweilige, schwankende, unsichere, unzuverlässige, bedingte Verbündete“.

 

Und keinesfalls erscheint mir realistisch, auf einen einzigen großen Umschlag des Kräfteverhältnisses zu setzen – ohne eine Vielzahl von vorbereitenden Kämpfen und vorbereitenden Bündnissen.

 

 

 

IV.

 

Hoch leben die unabhängigen wilden Medien!

 

 

 

Schön und gut – aber auch „unabhängige wilde Medien“, die GELESEN werden, entstehen nicht aus dem nichts, sondern müssen mühsam aufgebaut werden.

 

Eine Haltung nach dem Motto, ‚Gut, solange ein bestimmtes unabhängiges, wildes Medium erscheinen kann; wenn es irgendwann nicht mehr erscheinen kann, wird sich schon etwas Neues ergeben‘, wäre meines Erachtens eine fatale Unterschätzung der Bedeutung von organisatorischer und publizistischer Kontinuität!

 

 

 

B.

 

Peter Nowak möchte seinerseits zu der Stelle

 

 

 

den zugestandenen Rechten des Staates vertraut

 

 

 

noch folgende Antwort ergänzen:

 

 

 

Es sind ja nicht zugestandene Rechte; da wird ein Verhältnis wie in der Feudalgesellschaft vorausgesetzt. In der kapitalistischen Gesellschaft werden Rechte immer von unten erkämpft und schreiben sich dann auch in die Justiz und die verschiedenen Staatsapparate ein. Allerdings ist es natürlich oft so, dass die Rechte von unten kapitalismuskompatibel verändert werden.

 

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Creative Commons by-sa: Weitergabe unter gleichen Bedingungen

Ergänzungen

vielleicht anders als dg sehe ich die (notwendige?, erzwungene?)
bezugnahme auf den bestehenden rechtsrahmen (unabhängig davon, ob das
was mit vertrauen oder abhängigkeit zu tun hat) erst mal für die
emanzipatorischen ziele als kontraproduktiv an. diesen aspekt sehe ich
durchaus auch (wie only me).
der 'umkehrschluss' kann aber nur darin bestehen, den gegebenen
rechtsrahmen so weit wie möglich in unserem sinne (taktisch) zu nutzen
(auszunutzen), solange wir nicht die kraft für eine strukturelle
veränderung der gesellschaft besitzen.
ein plädoyer für klandestinität würde nur wieder die repressionsgefahr
aktualisieren und der bürgerliche staat hätte wieder das 'argument':
'sehr her, die linken wollen ja nur den schönen rechtsstaat zerstören.'
klandestinität hätte nur sinn, in einer (vor)revolutionären situation
als TAKTIK.

und was die 'letzte schlacht' betrifft, da müsen wir erst einmal ein paar theoretische siege erringen (also grössere hegemonie), bevor das wirklichkeit werden kann. ;) 

Auch außerhalb von (vor-) revolutionären Situationen sind meiner Meinung nach militante Aktionen und die Schaffung von Strukturen, die für den Staat nicht erreichbar sind, unverzichtbar. Die Revolution fällt nicht vom Himmel, Fähigkeiten, sie voranzutreiben, müssen ausprobiert und erlernt werden. Dass in den zwei Jahren nach dem linksunten -Verbot kein offensiver Umgang damit erfolgte, war ein kollektiver Fehler der gesamten radikalen/revolutionären Linken. Niemand sollte sich darauf ausruhen, um für die Zukunft ausschließlich legale Plattformen zu unterstützen.

 

 

 

Dennoch stellen sich einige taktische Fragen.

 

 

 

Die eine ist die des politischen Gebrauchswerts über die radikale Linke hinaus. An linksunten.indymedia war bedeutsam, dass - neben Demoberichten und solchen über Zivilen Ungehorsam- Anschlagserklärungen regelmäßig dort standen, aber auch viel und kontrovers diskutiert wurde. Die Presse zitierte das Medium häufig. Bei „chronik.blackblogs.org“. stehen nur aufgereihte Anschlagserklärungen und sogar Bericht aus bürgerlichen Zeitunegn - ohne open posting und vor allem ohne Diskussion oder gesellschaftliche Einbettung; es sei denn, die Erklärung der Militanten bekommt das im Einzelfall hin. De.indymedia.org funktioniert derzeit nicht immer zuverlässig; der Umgang mit militanten Interventionen erscheint mitunter widersprüchlich.

 

 

 

Ein Forum wie linksunten im legalen Rahmen auszuprobieren, stellt sich für mich als ein Wagnis dar,das für die HerausgeberInnen zu ständigen Repressionsproblemen , oder zu einer „Schere im Kopf“ mit vielen Löschungen führen könnte. Ohne „Plan B“ eines Verbots im Hinterkopf wäre das fatal.

 

 

 

Dennoch stimme ich DGS zu, dass so vermutlich mehr LeserInnen erreicht werden könnten als bei einer wenig bekannten klandestinen Plattform, wo der Zugang via darknet empfohlen wird.

 

 

 

Ich finde es richtig, bei einer weiter führenden Diskussion, für die ich auch keine fertigen Antworten habe, die Erfahrungen kriminalisierter, aber weiterhin erscheinender Medien zu berücksichtigen, wie z.B. die Zeitschrift „radikal“.

 

 

 

Eine weitere Taktik wäre das Verteidigen des juristisch gerade noch Erlaubten-- aber ohne Naivität oder Vertrauen, dass es immer gelingt . Da ja Lenin zitiert wurde: GenossInnen aus ML-Gruppen würden hier von einer „demokratischen Massenlinie“ oder so sprechen… die ganz sicher keine revolutionäre Strategie ersetzt; ggf. aber ergänzt.

 

Da hier und in vorangehenden Diskussionsbeiträgen, ebenso wie bei der ursprünglichen Stellungnahme auf den diese Disskussion auslösenden Artikel im Zündlumpen immer wieder von Hegemonie innerhalb eines Staates die Rede ist, kommt bei mir eine ganz andere Frage auf: Warum sollten militante Interventionen überhaupt auf eine Plattform wie linksunten.indymedia angewiesen sein: Sicher ist das kein Konsens unter Militanten und für mich ist es auch gar nicht der Punkt, um den ich eine Debatte auslösen will, aber m.E. wirken die meisten militanten Interventionen ohnehin lokal. Ein überregionaler Austausch zu derartigen Interventionen wirkt also eigentlich auch vorrangig nach innen (und da gibt es weitaus bessere Medien als linksunten.indymedia). Ansonsten greifen meist lokal verteilte Zeitungen/Publikationen oft militante Interventionen auf und betten diese in einen Kontext ein. Die Stärke dieser Publikationen ist dabei nicht eine große überregionale Reichweite, sondern die lokale Präsenz. Spezifische Publikationen, in denen Menschen mit ähnlichen Ideen diskutieren, die also nach innen wirken, gibt es sowieso. Eine Plattform wie linksunten.indymedia füllt also nur eine Lücke, die sicher kaum eine*r der Militanten braucht, nämlich die, in der irgendwelche Leute, die begeistert Marx, Lenin und Co. zitieren und eine Hegemonie hin zu einem kommunistischen Staat (ich nenne das trotz der Anmerkung, dass es nur einen sozialistischen Staat gäbe so, weil für mich klar ist, dass eine kommunistische Vorstellung, die diesen Staat enthält, niemals über ihn hinauskommen wird) erreichen wollen, diese Interventionen für sich vereinnahmen, indem sie diese in ihren "theoretischen" Kontext einbetten.
Dabei bekommt mensch ja (sofern mensch sich auf den deutschsprachigen Raum beschränken will) zum Beispiel bei chronik.blackblogs.org durchaus mit, was so passiert, mensch kann das Autonome Blättchen lesen oder sich bei den ebenfalls meist online verfügbaren, sonst aber in jedem guten Infoladen/jeder guten anarchistischen Bibliothek ausliegenden, regionalen und überregionalen Printpublikationen informieren, was so geht. Und das ohne, dass irgendwer militante Interventionen für irgendeine autoritäre Theoriebildung vereinnahmt.

 

Wie schon in unserer Replik auf den Zündlumpen-Artikel geschrieben: Wir „sind […] trotz enger Zusammenarbeit nicht in allen Punkten immer einer Meinung.“

Das läßt sich auch anhand der Ergänzung von systemcrash vom 24.02. von 00:24 Uhr zeigen:

Während ich in der Bezug auf Klandestinität dichter an der ‚autonomen‘, ‚anarchistischen‘ bzw. ‚linksradikalen‘ Position bin als systemcrash, bin ich, was die „bezugnahme auf den bestehenden rechtsrahmen“ bzw. überhaupt den Kampf um Rechte anbelangt, dagegen noch entschiedener als Achim der Ansicht, daß eine solche Bezugnahme und ein solcher Kampf notwendig sind.

 

 

I.

 

 

ein plädoyer für klandestinität würde nur wieder die repressionsgefahr aktualisieren und der bürgerliche staat hätte wieder das 'argument': 'seht her, die linken wollen ja nur den schönen rechtsstaat zerstören.' klandestinität hätte nur sinn, in einer (vor)revolutionären situation als TAKTIK.

 

 

Anders als systemcrah, denke ich nicht, daß „klandestinität [...] nur sinn in einer (vor)revolutionären situation“ hätte.

 

 

1. Die minimale Form von ‚Klandestinität‘ ist – selbstverständlich mit den üblichen Schranken und Fallstricken – ja sogar grundrechtlich garantiert – als Post- und Fernmeldegeheimnis: „(1) Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich. (2) Beschränkungen dürfen nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden. Dient die Beschränkung dem Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetz bestimmen, daß sie dem Betroffenen nicht mitgeteilt wird und daß an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt.“

Außerdem ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannt: „Das Grundrecht der Pressefreiheit schützt [...] auch die Entscheidung, Zuschriften Dritter anonym zu veröffentlichen. Damit wird dem Grundsatz Rechnung getragen, daß sich die Freiheitsgarantie nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf die Form der Publikation bezieht (vgl. BVerfGE 60, 234 [239 f.]). Zur Form gehört es auch, ob die Veröffentlichung eines Beitrags mit oder ohne Autorenangabe erfolgt. Soweit die Anonymität den Zweck hat, Autoren vor Nachteilen zu bewahren und der Zeitung den Informationsfluß zu erhalten, fällt ins Gewicht, daß sich die Pressefreiheit auch auf das Redaktionsgeheimnis sowie das Vertrauensverhältnis zwischen Presse und Informant erstreckt (vgl. BVerfGE 20, 162 [176]).“ (BVerfGE 95, 28 [35 f. = DFR-Tz. 27 f.] – Werkszeitungen; Hv. hinzugefügt)

Auch diese Rechte bestehen nicht schrankenlos – aber im Grundsatz bestehen sie.

Des weiteren ist auch die Nicht-Einhaltung der Impressumspflicht nach dem geltenden Recht kein Grund, das fragliche Medium dauerhaft zu verbieten. Aber es können Bußgelder gegen diejenigen, die die Impressumspflicht nicht einhalten, verhängt werden (vorausgesetzt, dem Staat gelingt es, diejenigen zu ermitteln); außerdem existieren Druckmittel, um die Einhaltung der Impressumspflicht zu erzwingen; aber Medienverbote als Strafe für vergangene Nicht-Einhaltung der Impressumspflicht gibt es im deutschen Recht nicht.

 

2. Auch unabhängig von linksunten und überhaupt unabhängig von Medien gilt: Der Einsatz von Verschlüsselungstechnologien ist legitim (und auch legal). Der Staat darf – unter bestimmten Voraussetzungen – bespitzeln; aber die BürgerInnen dürfen auch versuchen, Bespitzelung abzuwehren. Keine politische Gruppe ist verpflichtet, V-Leute in ihre Reihen aufzunehmen.

In diesem Sinne wird Klandestinität auch nicht erst relevant, wenn es um die Ausübung revolutionärer Gewalt geht; es gibt gute Gründe zwischen öffentlichen Diskussionen sowie gruppen- oder organisationsinterne Diskussionen zu unterscheiden:

Auch wenn es z.B. nötig ist, Demoaufrufe zu veröffentlichen, damit Leute zur Demo kommen können, besteht weder politische Notwendigkeit noch rechtliche Verpflichtung, auch die vorherige Diskussion über Demoaufrufe öffentlich oder für den Staat transparent zu führen. Das Entsprechende gilt für der Erarbeitung umfassenderer programmatischer oder strategischer Dokumente.

 

3. a) Schließlich gilt noch – und zwar ebenfalls unabhängig von der Ausübung revolutionärer Gewalt (da in der Bundesrepublik Organisationsverbote auch allein schon wegen der ideologischen Ausrichtung zulässig sind) – worauf die RAF hinwies:

„Das Schicksal der Black Panther Partei [*] und das Schicksal der Gauche Proletarienne [**] dürfte auf jener Fehleinschätzung basieren, die den tatsächlichen Widerspruch zwischen Verfassung und Verfassungswirklichkeit und dessen Verschärfung, wenn Widerstand organisiert in Erscheinung tritt, nicht realisiert. Die nicht realisiert, daß sich die Bedingungen der Legalität durch aktiven Widerstand notwendigerweise verändern und daß es deshalb notwendig ist, die Legalität gleichzeitig für den politischen Kampf und für die Organisierung von Illegalität auszunutzen und daß es falsch ist, auf die Illegalisierung als Schicksalsschlag durch das System zu warten, weil Illegalisierung dann gleich Zerschlagung ist und das dann die Rechnung ist, die aufgeht.“  (https://www.nadir.org/nadir/archiv/PolitischeStroemungen/Stadtguerilla+RAF/RAF/raf-texte+materialien.PDF, S. 48)

 

[*] „Die Black Panthers wurden 1966 als schwarze Selbstverteidigungsorganisation in den Ghettos US-amerikanischer Großstädte gegründet. Sie entwickelten neben Sozialprogrammen eine offensiv propagierte Militanz und bestimmten mit der Theorie von den Inneren Kolonien und der Übernahme des sozialistischen Befreiungsnationalismus in die Metropolen den Kampf von rassistisch Unterdrückten, vor allem in den USA. Sie wurden in einer beispiellosen Repressionskampagne (COINTELPRO) 1971 zerschlagen.“ (S. 38, FN 31)

[**] „Gauche Proletarienne: Maoistisch geprägte Organisation der französischen Neuen Linken. Sieversuchte nach 1968 eine Betriebsguerilla aufzubauen und den gesellschaftlichen Abstand zwi-schen studentischen und proletarischen Kämpfen zu überwinden; wurde 1970 verboten.“ (S. 48, FN 44)

 

b) Und für diejenigen, die lieber einen kanonischen Text der ‚leninistischen‘ Tradition als Referenz haben wollen: Die Kommunisten „sind verpflichtet, überall einen parallelen illegalen Organisationsapparat zu schaffen, der im entscheidenden Moment der Partei helfen soll, ihre Pflicht gegenüber der Revolution zu erfüllen. In allen Ländern, wo die Kommunisten infolge des Belagerungszustandes und der Ausnahmegesetze nicht die Möglichkeit haben, ihre gesamte Arbeit legal zu leisten, ist die Verknüpfung der legalen mit der illegalen Tätigkeit eine unbedingte Notwendigkeit.“ (3. Aufnahmebedingung der Kommunistischen Internationale; https://www.1000dokumente.de/pdf/dok_0010_int_de.pdf, S. 6)

Jedenfalls der erste der beiden zitierten Sätze war zwar wohl auf eine Zeit bezogen, für die die KomIntern annahm, daß „der Klassenkampf in die Phase des Bürgerkrieges ein[tritt]“. Aber inzwischen wissen wir, daß Organisations- und Medienverbote nicht erst in einer Zeit des BürgerInnenkriegs drohen.

 

 

 

II.

 

Trotzdem gibt es aber keinerlei Grund, auf legale Möglichkeiten und den Kampf um die Ausweitung von politischen Freiheitsrechten zu verzichten; und insofern handelt es sich m.E. auch nicht nur um „(taktisch) zu nutzen (auszunutzen)“ [***], sondern um eine Frage strategischer Ernsthaftigkeit.

Das eine zu sagen, aber etwas anderes zu tun; heute das eine und morgen das Gegenteil – so wie es gerade in den ‚taktisch-ausnutzenden‘ Kram paßt – zu sagen, ist meines Erachtens weder geeignet, Leute zu überzeugen, noch nachhaltig etwas aufzubauen – und das gilt m.E. auch in Bezug auf juristische Argumente im Rahmen von Antirepressionsarbeit; siehe dazu:

 

[***] In diese Richtung aber systemcrash: „[...] sehe ich die […] bezugnahme auf den bestehenden rechtsrahmen […] erst mal für die emanzipatorischen ziele als kontraproduktiv an. […]. der 'umkehrschluss' kann aber nur darin bestehen, den gegebenen rechtsrahmen so weit wie möglich in unserem sinne (taktisch) zu nutzen (auszunutzen), solange wir nicht die kraft für eine strukturelle veränderung der gesellschaft besitzen.“

 

Bilder: 

ich bestreite gar nicht, dass eine gewisse geheimhaltung in politischen zusammenhängen sinn macht. 

ich bin schliesslich in der tradition der leninschen parteitheorie aufgewachsen. 

aber hier geht es nicht um parteiförmige organisationen, sondern um MEDIEN. 

und medien leben nun mal von der öffentlichkeit. es ist ja gerade das problem der linken, dass sie 

nicht über ihre jeweiligen szenen hinausgelangen. wenn man das ändern will, braucht man ein medium, 

das plural genug ist, um auch grössere gesellschaftsrelevante debatte anzustossen, die nicht nur im

zentralorgan von K-, ML-,T- und A-gruppen auf interesse stossen; sondern es wäre nett, wenn auch 

mal taz, FREITAG, FR oder vlt. sogar der SPIEGEL darüber mal eine notiz bringen würden. 

linksunten ist dies zumindest zum teil gelungen. und sowas brauchen wir wieder. 

***

was die erkämpfung demokratischer freiheitsrechte anbelangt, bin ich weitgehend mit DGS einer 

meinung. allerdings unterscheidet uns trotzdem etwas: während DG glaubt, der kampf ginge 

NUR um freiheitsrechte, weil es keine 'revolutionäre arbeiterbewegung' mehr gibt (was stimmt!), 

denke ich, dass die demokratischen rechte nur erhalten werden können, wenn die linke in die 

offensive kommt. der kampf um demokratie kann also vom kampf um sozialismus nicht künstlich

abgetrennt werden. und auch wenn politisch und gesellschaftlich NICHTS für diese these spricht, so 

gibt es trotzdem keinen anderen historischen weg. 

wenn es auch nur den hauch einer chance für eine strukturelle systemveränderung geben soll, dann 

brauchen wir ein überparteiliches, strömungsübergreifendes informations- und diskussionsmedium, wie es linksunten 

vorgemacht hat. die linken sekten werden niemals aus eigener kraft einen grösseren einfluss bekommen. 

theoretische 'reinheit' ist kein ersatz für eine bewegung, die millionen herzen entflammen soll. 

"„Die sozialistische Revolution in Europa kann nichts anderes sein als ein Ausbruch des Massenkampfes aller und jeglicher Unterdrückten und Unzufriedenen. Teile des Kleinbürgertums und der rückständigen Arbeiter werden unweigerlich an ihr teilnehmen – ohne eine solche Teilnahme ist ein Massenkampf nicht möglich, ist überhaupt keine Revolution möglich -, und ebenso unweigerlich werden sie in die Bewegung ihre Vorurteile, ihre reaktionären Phantastereien, ihre Fehler und Schwächen hineintragen. Objektiv aber werden sie das Kapital angreifen, und die klassenbewußte Avantgarde der Revolution, das fortgeschrittene Proletariat, das diese objektive Wahrheit des mannigfaltigen, vielstimmigen, buntscheckigen und äußerlich zersplitterten Massenkampfes zum Ausdruck bringt, wird es verstehen, ihn zu vereinheitlichen und zu lenken, die Macht zu erobern, die Banken in Besitz zu nehmen, die allen (wenn auch aus verschiedenen Gründen!) so verhaßten Trusts zu expropriieren und andere diktatorische Maßnahmen durchzuführen, die in ihrer Gesamtheit den Sturz der Bourgeoisie und den Sieg des Sozialismus ergeben, einen Sieg, der sich durchaus nicht mit einem Schlag aller kleinbürgerlichen Schlacken ‚entledigen‘ wird." (Lenin, die Ergebnisse der Diskussion über die Selbstbestimmung)

 

wer das will, braucht einen langen atem. wir müssen wieder ganz von vorne und von unten neu beginnen.

"Der Kampf um den Sozialismus ist der gewaltigste Bürgerkrieg, den die Weltgeschichte gesehen, und die proletarische Revolution muß sich für diesen Bürgerkrieg das nötige Rüstzeug bereiten, sie muß lernen, es zu gebrauchen – zu Kämpfen und Siegen.

"Eine solche Ausrüstung der kompakten arbeitenden Volksmasse mit der ganzen politischen Macht für die Aufgaben der Revolution, das ist die Diktatur des Proletariats und deshalb die wahre Demokratie. Nicht wo der Lohnsklave neben dem Kapitalisten, der Landproletarier neben dem Junker in verlogener Gleichheit sitzen, um über ihre Lebensfragen parlamentarisch zu debattieren, dort, wo die millionenköpfige Proletariermasse die ganze Staatsgewalt mit ihrer schwieligen Faust ergreift, um sie, wie der Gott Thor seinen Hammer, den herrschenden Klassen aufs Haupt zu schmettern: dort allein ist die Demokratie, die kein Volksbetrug ist." (Rosa Luxemburg, was will der Spartakusbund [1918]

 

A. zu systemcrash

 

 

 

I.

 

 

 

während DG glaubt, der kampf ginge NUR um freiheitsrechte, weil es keine 'revolutionäre arbeiterbewegung' mehr gibt (was stimmt!), denke ich, dass die demokratischen rechte nur erhalten werden können, wenn die linke in die offensive kommt.

 

 

 

Damit fühle ich meine Position mißverstanden oder mißverständlich dargestellt ist. Ich würde keinesfalls sagen, daß der Kampf um (politische) Freiheitsrechte der einzige Kampf ist.

 

Ich habe nur etwas dagegen, dasjenige, was objektiv nur ein Kampf um etwas mehr oder weniger Demokratie bzw. Liberalität (oder gar nur ein antifaschistischer Defensivkampf) ist, mit einer geschichtsphilosophischen Klassenrhetorik aufzuladen. Das scheint mir weder analytisch angemessen noch pragmatisch effektiv zu sein.

 

 

 

 

 

II.

 

Etwas deutlicher wird der tatsächliche Unterschied zwischen den Auffassungen von systemcrash und mir anhand folgender Formulierung von systemcrash:

 

 

 

der kampf um demokratie kann also vom kampf um sozialismus nicht künstlich abgetrennt werden. und auch wenn politisch und gesellschaftlich NICHTS für diese these spricht, so gibt es trotzdem keinen anderen historischen weg.

 

 

 

Ich würde auch meinerseits keiner ‚künstlichen Abtrennung‘ das Wort reden; aber ich sehe auch keinen natürlich oder quasi-natürlich Zusammenhang zwischen „Sozialismus“ und „Demokratie“. Sowohl sozialistische als auch kapitalistische Klassenverhältnisse können sowohl mit demokratischen als auch undemokratischen Überbauverhältnissen einhergehen (wobei sich auch noch die Institutionen und Mechanismen von bürgerlicher und sozialistischer Demokratie unterscheiden [Parlamente vs. Räte; freies vs. imperatives Mandat etc.][siehe dort, S. 31]).

 

Ich sehe keinen Sinn darin, die Unmöglichkeit eines „anderen historischen weg[es]“ (als der Harmonie von Sozialismus & Demokratie) zu beschwören, wenn wir in der tatsächlichen Geschichte sowohl die Erfahrung mit undemokratischem Sozialismus gemacht haben als auch die Erfahrung mit demokratischem Kapitalismus gemacht haben und machen.

 

 

 

Und schon gar nicht teile ich die Ansicht von Lenin, daß das „fortgeschrittene Proletariat“ der natürliche oder quasi-natürliche Hegemon aller demokratischen (oder gar: aller emanzipatorischen) „mannigfaltigen, vielstimmigen, buntscheckigen und äußerlich zersplitterten Massenk[ä]mpfe“ ist. Da hätte ich allein schon wegen des Verhältnisses von rassistischen Verhältnissen sowie patriarchalem Geschlechterverhältnis zu kapitalistischen Klassenverhältnissen grundlegenden Widerspruch.

 

 

 

B. zu Militante

 

I.

 

 

 

m.E. wirken die meisten militanten Interventionen ohnehin lokal.

 

 

 

Das mag so sein (oder auch nicht), aber in bloßen lokalen Wirkungen sehe ich keine revolutionäre, gesellschaftliche Perspektive – das läuft bestenfalls auf bloße Nadelstiche hinaus.

 

Während ich in der Position von systemcrash zu viel geschichtsphilosophisches Pathos sehe; fehlt es mir in der Position von Militante an strategisch-langfristiger Perspektive.

 

 

 

 

II.

 

 

Spezifische Publikationen, in denen Menschen mit ähnlichen Ideen diskutieren, die also nach innen wirken, gibt es sowieso. Eine Plattform wie linksunten.indymedia füllt also nur eine Lücke, die sicher kaum eine*r der Militanten braucht

 

 

 

Vielleicht benötigen Militante eine Plattform wie linksunten tatsächlich nicht ;-); aber eine Linke, die nicht nur eine innen-gerichtete, auf sich selbst bezogene community oder Szene sein, sondern gesellschaftsverändernde Wirkungen erzielen will, benötigt in der Tat Medien, die nicht nur nach innen, sondern auch nach außen wirken. Diesbezüglich war linksunten zwar noch nicht das mögliche Optimum, aber besser als viele andere linke Medien – und eben deshalb dem Staat ein Dorn im Auge.

 

Diesbezüglich scheint mir Aktivist (24.02. - 04:48) den entscheidenden Punkt anzusprechen: „An linksunten.indymedia war bedeutsam, dass – neben Demoberichten und solchen über Zivilen Ungehorsam – Anschlagserklärungen regelmäßig dort standen, aber auch viel und kontrovers diskutiert wurde“ – also die „gesellschaftliche Einbettung“.

 

Bilder: