Presseschau zur Anklage gegen einen Journalisten des Freiburger Radios Dreyeckland (RDL)

Bebilderung eines von der Staatsanwaltschaft Karlsruhe kriminalisierten Artikels des Freiburger Senders Radio Dreyeckland. In der dortigen Beschriftung des Bildes wurde darauf hingewiesen, daß die im Bild zu sehende Parole bei einer Podiumsdiskussion zum Thema strittig blieb – eine Behauptung deren Wahrheit zu bezweifeln, ich keinen Anlaß habe.

 

Das nebenstehende Foto bebilderte auch bereits einen Artikel auf der Webseite von Radio Dreyeckland vom 30. Juli 2022.

 

  • Da die Staatsanwaltschaft der Auffassung ist, der Artikel-Autor habe sich die in dem Bild zu sehende Parole „zu eigen“ gemacht,

    und

  • da in dem Artikel der wahre Satz, Im Internet findet sich linksunten.indymedia.org als Archivseite, steht,

 

hat die Staatsanwaltschaft Karlsruhe jetzt Anklage gegen den Artikel-Autor erhoben. Er soll sich mit dem Artikel gemäß § 85 Absatz 2 Strafgesetzbuch wegen Unterstützung eines verbotenen Vereins (Vereinigung) strafbar gemacht haben. Bei dem unterstützten verbote­nen Verein soll es sich um die „Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘“ handeln.

 

 

Erster Haken an der Anklage – das Bild war folgendermaßen beschriftet: „‚Wir sind alle linksunten‘ – ob dem so ist, war auch ein Streitpunkt auf der Podiumsdiskussion über das Verbot der Internetplattform.“ (Hv. hinzugefügt) – Worin soll also die Identifikation des Arti­kel-Autors mit der (das Zueigenmachen der) in dem Bild zu sehenden Parole liegen? Der Satz unter dem Bild ist rein deskriptiv; es wird sogar berichtet, daß die Parole bei der Podi­umsdiskussion umstritten war – und auch das Foto selbst ist rein deskriptiv und vermutlich sogar wahr – ich vermute: Die Parole war tatsächlich mal an der Wand – und ist es viel­leicht immer noch. [1] Das Foto dürfte also zur Stilrichtung „Realismus“ gehören. (Daß der Artikel-Autor auch die Parole an die Wand gesprüht habe, behauptet auch die Staatsan­waltschaft nicht.)

 

Zweiter Haken an der Anklage – das Bundesverwaltungsgericht hatte 2020 klargestellt, die internet-Plattform linksunten.indmedia sei gar nicht verboten worden, sondern ‚bloß‘ der „dahinter stehenden Personenzusammenschluss“: „Regelungsgegenstand des Verbotsbe­scheids ist nicht das Verbot des unter der Internetadresse ‚http://linksunten.indymedia.org‘ betriebenen Veröffentlichungs- und Diskussionsportals, sondern das Verbot des dahinter stehenden Personenzusammenschlusses ‚linksunten.indymedia‘ als Organisation“ (BVerwG, Urteil vom 29.01.2020 zum Aktenzeichen 6 A 1.19; https://www.bverwg.de/de/290120U6A1.19.0, Textziffer 33).

 

Dabei ist allerdings weder dem Bundesverwaltungsgericht, noch der Staatsanwaltschaft Karlsruhe noch dem Bundesinnenministerium, das das Verbot 2017 mit dem Anspruch verfügt hatte, auch das internet-Portal zu verbieten [2], aufgefallen (oder es wurde bewußt ignoriert), daß der nämliche „Personenzusammenschluss“ nicht genauso wie die internet-Plattform hieß, sondern „IMC [Independent Media Center] linksunten“ [3]. [4]

 

Das heißt: Abgesehen von der – von vielen in den Vordergrund gerückten Frage, ob der „Personenzusammenschluss“ vereinsförmig (siehe § 2 Vereinsgesetz [5]) organisiert war, gibt und gab es schon deshalb nie eine „Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘“, weil der ge­meinte „Personenzusammenschluss“ vielmehr „IMC linksunten“ hieß. –

 

Dies ist allerdings nicht die einzige Merkwürdigkeit an der Anklage, die einiges an Medien­aufmerksamkeit erlangt hat. – Dazu habe ich bei publikum.net eine kleine Presseschau veröffentlicht:

https://publikum.net/staatsanwaltschaft-karlsruhe-klagt-redakteur-von-radio-dreyeckland-rdl-an-presseschau/.

 


 

Es folgen hier die Gliederung und des Artikels sowie als Artikel-Anhang eine .pdf-Datei des Textes, die ich dort nicht hochladen konnte:

 

1. Artikel auf der Webseite von Radio Dreyeckland

https://rdl.de/beitrag/staatsanwaltschaft-karlsruhe-erhebt-anklage-gegen-kritische-berichterstattung

 

 

2. Das corpus delicti

https://rdl.de/beitrag/ermittlungsverfahren-nach-indymedia-linksunten-verbot-wegen-bildung-krimineller

 

 

3. Artikel bei heise.de vom 04.05.2023

https://www.heise.de/news/Link-auf-linksunten-indymedia-Staatsanwaltschaft-erhebt-Anklage-gegen-Autor-8987100.html

 

 

4. MDR-Altpapier vom 04.05.2023

https://www.mdr.de/altpapier/das-altpapier-3132.html#sprung6

 

 

5. turi2 vom 03.05.2023

https://www.turi2.de/aktuell/staatsanwaltschaft-karlsruhe-klagt-freiburger-radio-redakteur-an/

 

 

6. Badische Zeitung vom 02.05.2023

https://www.badische-zeitung.de/radio-dreyeckland-staatsanwaltschaft-karlsruhe-erhebt-anklage-gegen-einen-redakteur--258865657.html

 

 

7. nd vom 02.05.2023

https://www.nd-aktuell.de/artikel/1172875.justiz-redakteur-von-radio-dreyeckland-angeklagt.html

 

 

8. Kontext: Wochenzeitung vom 03.05.2023

https://www.kontextwochenzeitung.de/editorial/631/palmer-braucht-palmerpause-8843.html

 

 

 9. taz vom 04.05.2023

https://taz.de/Redakteur-verlinkt-Indymedia-Linksunten/!5928846/

 

 

10. Perspektive. Zeitung für Solidarität und Widerstand vom 04.05.2023

https://perspektive-online.net/2023/05/zahl-der-angriffe-auf-reporterinnen-in-deutschland-auf-rekordhoch/

 

 

11. netzpolitik.org vom 03.05.2023

https://netzpolitik.org/2023/wegen-einer-nachrichtenmeldung-staatsanwaltschaft-klagt-freiburger-journalisten-an/

 

 

12. taz-Blogs vom 05.05.2023

https://blogs.taz.de/theorie-praxis/wie-die-karlsruher-staatsanwaltschaft-den-gesetzlichen-straftatbestand-verfaelscht-um-einen-journalisten-von-radio-dreyeckland-anzuklagen/

 

a) „billigend in Kauf genommen“ = der Vorwurf bedingten Vorsatzes

b) Haben nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Karlsruhe auch die GeschäftsführerInnen und andere MitarbeiterInnen der Google Germany GmbH sowie der Google Ireland Limited bedingten Vorsatz zur Unterstützung einer verbotenen Vereinigung?

 

 

13. (M)ein Beitrag bei labournet.de

https://www.labournet.de/wp-content/uploads/2023/05/indymedia-schulze060523.pdf

 

 

Anhang

 

Anhang 1: Zum Begriff der „allgemeinen Gesetze“ in Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz

 

Anhang 2: Das Bundesverwaltungsgericht zur Notwendigkeit der hinreichend bestimmten Bezeichnung der Objekte von Vereinsverboten

 

Anhang 3: Zu den unterschiedlichen Vorsatzformen sowie zur Abgrenzung von bedingtem Vorsatz und bewußter Fahrlässigkeit

 

 


 

 

1 Falls ja, dürfen gerne Fotos von dem aktuellen Zustand der Wand unter dem hiesigen Artikel gepostet werden. :-) Denn der einem Strafverfahren zugrundeliegende Sachverhalt sollte sorgfältig dokumentiert werden.

 

2 „Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière hat heute die linksextremistische Internetplattform ‚linksunten.indyme­dia‘ auf Grundlage des Vereinsgesetzes verboten und aufgelöst.“ (https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2017/08/vereinsverbot.html)

 

3 https://web.archive.org/web/20200320103618/http://links-wieder-oben-auf.net/wp-content/uploads/2020/01/Bf_11_Antrag_ans_BMI__FIN.pdf, S. 38 f.

Siehe auch

den dort genannten account „IMC linksunten“ mit einer Liste der Artikel, die mittels dieses accounts gepostet wurden.

 

4 Das ist deshalb wichtig, weil das Bundesverwaltungsgericht in einem älteren Fall – dem Fall des Verbots des rechten „Verlag[es] Hohe Warte“ – entschied, daß im Falle der dortige Verbotsverfügung aus dieser nicht hinreichend bestimmt hervorging, welche Struktur konkret mit der Bezeichnung „Verlag Hohe Warte“ gemeint war – und das Verbot deshalb aufhob (BVerwG, Urt. v. 23.03.1971 zum Az. I C 54.66; zu den konkreten Umständen des dortigen Falls siehe den hiesi­gen Anhang 2 [S. 16]).

Seiner damaligen Entscheidung hatte das Bundesverwaltungsgericht unter anderem folgenden Leitsatz vorangestellt: „Eine Verbots- und Auflösungsverfügung (Art. 9 Abs. 2 GG) muß die betroffene Vereinigung so bestimmt bezeichnen, daß ihre personelle Zusammensetzung im wesentlichen und in einer die Vollziehung ermöglichenden Weise gekenn­zeichnet wird und daß die mißverständliche Vollziehung von Verbots- und Auflösungsfolgen gegen nicht betroffene Per­sonen ausgeschlossen ist.“ (https://research.wolterskluwer-online.de/document/787ef32e-74dd-484e-ba9c-f886697e5896)

 

5 „Verein im Sinne dieses Gesetzes ist ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat.“ (§ 2 Absatz 1Vereinsgesetz; https://www.gesetze-im-internet.de/vereinsg/__2.html)

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