Disziplin ist kein Gehorsam!

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Die hitzigsten Diskussionen gibt es immer, wenn das Wort „Disziplin“ in linken Gruppen auftaucht.

Dabei ist allgemein erst einmal festzuhalten, das Disziplin nicht automatisch den (sehr deutschen) Kadavergehorsam des Militärs oder die leistungsorientierte (Selbst)Disziplinierung des neoliberalen Markts meint.

Wenn Anarchisten von Disziplin reden – und das tun sie dieser Tage viel zu wenig – dann meinen sie oft eine emanzipierte Selbstdisziplinierung, die sich für Dinge und Strukturen einsetzt, weil sie es will und nicht weil sie es muss.

In Verbindung mit dem Plattformismus ist die anarchistische Disziplin die wichtigste Organisationseigenschaft. Nur durch strikte Selbstdisziplin kann man gemeinsam Ziele erreichen und soziale Kämpfe führen.

Wenn man in deutsche Anarchogruppen schaut, dann sieht man eher das Gegenteil. Jede Form von Disziplin wird abgelehnt, weil auch der Wille fortzuschreiten frustrierend gering ist. Obwohl man sich Anarchist nennt hat man keine Vision und keine Utopie für die man eintritt. Man „revolutioniert vor sich hin“ in geschlossenen geistigen Ghettos, die kaum Zugang zum Rest der Gesellschaft bieten.

Sieht man in die Vergangenheit der Bewegung, dann sieht man, dass es vor allem Anfang des 20. Jahrhunderts viele starke, disziplinär ausgerichtete Gruppen im Anarchismus gab – auch hier in Deutschland. Dazu gehörten Anarchosyndikalisten wie die FAUD (Freie ArbeiterInnen Union Deutschlands) ebenso wie die im spanischen Bürgerkrieg kämpfende DAS (Deutsche Anarchisten in Spanien) oder die Schwarzen Scharen. Alles Verbindungen, die revolutionäre Arbeit schufen unter Bedingungen, die weitaus schlechter waren als die heutigen.

Wenn man heute jedoch versucht über Disziplin in anarchistischen Zusammenhängen zu sprechen wird jede Diskussion erstickt von Leuten, die sagen das sei autoritär oder gar faschistisch. Oft dienen diese Versuche jedoch einzig dazu einen „anarchistische Orthodoxie“ zu forcieren, die nichts anderes tut als über Theorien sinnierend in Cafés zu sitzen, Rotwein zu trinken und mit der Mentalität von religös anmutenden Predigern zu erklären warum dieses oder jenen nicht geht und warum gefälligst alles so bleiben soll wie seit 40 Jahren. Jede mögliche Idee und Überlegung wird eingestampft mit dem Satz „Das ist doch autoritär.“, so dass man wieder zur Tagesordnung des genüsslichen Chillens in politischen Gruppen übergehen kann.

Politische Gruppen sind und sollen aber keine Selbsthilfekindergärten sein zu denen gerade auch viele anarchistische Projekte verkommen sind. Politische Gruppen sollen raus gehen und etwas bewirken. Und das tut man selten beim Kaffee und Kuchen (oder Joint und veganem Aufstrich)

Daher braucht es nicht noch mehr Theoriezirkel, die so unglaublich bieder und deutsch sind, dass es die Mitglieder niemals freiwillig zugeben würden.

Die Disziplinierung ist eines der wichtigsten Mittel. Sie schafft Vertrauen durch Aktion. Niemand vertraut einer Gruppe, die es nicht einmal schafft sich 15.00 Uhr irgendwo zu treffen und E-Mails auszutauschen, weil das ja angeblich bürgerlich sei – und sowieso jeder Unbekannte, der sich dafür interessiert ein potenzieller Agent des Verfassungsschutzes ist.
Das stetige Misstrauen gegenüber allem und jeden sowie das nicht gebacken kriegen von Organisationsaufgaben („Weil ich hab heute keine Lust. Außerdem bin ich Anarchist!“) sind die größten und häufigsten Gruppenkiller und sorgen zudem dafür, dass anarchistische Gruppen kleine, sektiererische Zirkel bleiben in denen sich nichts bewegt außer die Frage „Mate oder Fritz Cola?“

Oft steckt hinter der Verweigerungshaltung und der unterschwelligen Furcht „Gehorsam“ zu sein die schiere Angst Verantwortung übernehmen zu müssen – für sich selbst und für andere. Gerade in heißen Planungsphasen vor einer Demo oder Aktion brechen oft genug die Leute weg, die der Verantwortung entgehen wollen durch Rückzug in die Verantwortungslosigkeit. So kommt es oft zu Vereinbarungs- und Vertrauenbrüchen, die schließlich die gesamte Struktur erschüttern und Gruppen komplett handlungsunfähig machen können.

Anarchismus bedeutet nicht nur Spaß und revolutionäres Remmidemmi. Es bedeutet die volle Verantwortung für sich und seine Handlungen zu übernehmen, als Einzelperson und als Gruppe.

 

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Ergänzungen

Eure Ideen in allen Ehren, doch gibt es in euren Theorien noch einige starke Widersprüche. Sicher würde etwas mehr Organisation und Vernetzung innerhalb der verschiedenen Splittergruppierungen der Linken auf keinen Fall schaden, auch euer SVE-Konzept als militante Schutzstrategie klingt interessant, allerdings kommen eure Ansätze eben leider auch eher Machistisch und Identitär daher, wobei sie dies doch gerade zu vermeiden scheinen wollen.

Jedenfalls kann ich mir nicht erklären, wo ihr das Vertrauen und die Verantwortung her nehmen wollt, welche Überhaupt erst mal die Basis einer gemeinschaftlichen Solidarität bilden, wenn ihr direkt am Anfang, den Leuten welche sich nicht dem Tenor eurer Disziplinierungspläne unterordnen, vorwerft, faul und unverantwortlich zu sein, sowie doch nur die Schutzräume und Energie Linker MitstreiterInnen und Strukturen auszunutzen.

Wie sehr unterscheidet sich das dann davon jemandem vorzuwerfen ein Sozialschmarotzer zu sein, der doch nur die Volksgemeinschaft ausnutzen würde?

Anstatt zu versuchen Affinitäten zu knüpfen oder aufzubauen, kommen eure Argumente mit Vorwürfen daher, und werfen den Personen, die sich mit euren politischen Zielen identifizieren würden, erst mal mangelnden Willen aus Eigennutz, wie auch unsoziales arrogantes Verhalten vor, "Ego-Anarcho"(?). Demgegenüber kommt ihr, ohne auch nur deren mögliche Beweggründe zu analysieren oder euch für deren Bedürfnisse zu interessieren, von der Denunzierung und Stigmatisierung direkt zur Forderung nach Unterordnung und Anpassung gegenüber den Gruppenbedürfnissen.

Nicht, dass ich euch jetzt Machismus und Selbst-Profilierung vorwerfen wollte, doch zu was soll das anderes führen?

Ein solches Verhalten, was sich vorallem durch seine Vergessenheit und Ignoranz gegenüber widerstrebenden Kollektiv- und Einzel-Interessen auszeichnet, wird eben gerade zu Machtgefällen in der angestrebten Organisation führen, und mit diesen Hierarchien, Ausschlüsse und Effekivtitätszwänge fördernden Strukturen, auch zum Missbrauch dieser Macht führen. Eine Strukturbildung welche bereits auf jenen dominanten Elementen basiert, wird immer autoritäre Strömungen mit einschließen und begünstigen (ob nun beabsichtigt oder nicht), und letztlich den Kampf gegen die Herrschaft über das Individuum von vornherein verlieren.

Auch das Argument, der Egobewusstsein fördernden Ellenbogengesellschaft, die emotionale Abstumpfung des Individuums als Strategie des Widerstands gegenüberzustellen, wirkt wenig valide.

"Stattdessen gilt es die eigenen Ängste zu überwinden und sich für die Außenarbeit ein dickes Fell zuzulegen. Das heißt, dass nicht jede Kritik oder Anmerkung gleich völlig persönlich genommen wird." (Neue Militante Form - Die Linke Bewegung in der Krise)

Wie soll das funktionieren ohne Vertrauen? wenn real existierende Ängste einfach so unter den Tisch gefegt werden, ohne sich mit dem Individuum selbst auseinanderzusetzen. Das führt höchstens zu Ignoranz und Chauvinismus, was eben gerade auch die von euch befürchtete Gruppen-Paranoia fördert.

Auch dem empathischen Ansatz, sich mit Macht-Verhältnissen innerhalb der Gruppe zu beschäftigen und daraus erwachsenden Benachteiligungen und Ausschlüssen zu verhindern, setzt ihr einfach nur das Argument der Bevormundung und des Desinteresses gegenüber.

"Diese Art des „Ego-Anarchos“, dass vor allem in autonomen, informellen Gruppen beheimatet ist hat sich aus Entscheidungsfragen zurückzuziehen und Entscheidungen unterzuordnen bis es dazugelernt hat." (Neue Militante Form - Die Linke Bewegung in der Krise)

Was ist das anderes als Autoritär? Weil jemand persönliche Bedenken hat oder sich spezifischen Gruppenbedürfnissen nicht unterordnen kann oder will, dieser Person direkt die Kompetenz zu entziehen?

Es wird von euch die Verantwortung gegenüber ideologischen Zielen hochgehalten und selbstverständlich ist Widerstand gegen die Herrschaftsverhältnisse und allem was diese so an Hass, Ausbeutung und Repression mitbringen wichtig, doch kann dies eben nicht ohne die Individuen gedacht werden, welche diesen Widerstand leisten sollen, sonst kommt es lediglich zu einem Austausch von Machtpositionen und ersetzt die eine Unterdrückung durch eine Andere. (euer Stichwort "Maoismus"!?)

Wo ist dabei die Verantwortung und Solidarität gegenüber den MitstreiterInnen und der persönlichen Freiheit?

Sicher sollte es einen stärkeren Focus auf Inhalte geben, um schlagkräftige Strategien zu entwickeln, auch da muss ich euch recht geben, allerdings sollte dieser Raum für Inhalte nicht durch Gruppendominanz und Handlungs- wie Wirksamkeits-Chauvinismus (Abelismus) verdrängt werden.

Auch dass sich die Exklusion des Proletariats, sowie Prekariats, durch Stigmatisierung als dumm, ahnungslos und unfähig, aus dem linken Diskurs der letzten Jahrzehnte als falsch und gefährlich erweist/ erwiesen hat, ist richtig. Doch so sehr dieses Denken eine elitäre akademische Beherrschung des Diskurses und oppositioneller Strukturen gefördert hat, darf dies eben auch nicht in eine Opfermentalität umschlagen, in der sich darum gestritten wird, wer denn nun mehr Verantwurtung und Selbstbeherrschung, und damit auch mehr zu sagen hat, weil die eine oder andere Person nun mehr oder weniger von Unterdrückung und prekären Verhältnissen betroffen ist.

Auch gehe ich mit Realitätsverlust der mit Diskusionsübermacht einer verwöhnten Mittelschicht einhergeht d'accord, doch wenn ich von Bedürfnissen rede meine ich damit nicht die Konsumbedürfnisse irgendwelcher Privilegierter, die sich aus Angst vor den persönlichen und gesellschaftlichen Problemen in die materielle Betäubung fliehen, gemeint soll damit vor allem das Bedürfniss der persönlichen Selbstentfaltung und Mitteilungsfähigkeit sein, in der Probleme und Ängste, wegen einer widerspruchsfeindlichen Gruppenmoral und dem Geschichtsverlust gegenüber dem Disziplinardogma, nicht mehr ausgesprochen und aufgearbeitet werden dürfen.

Daher würde ich sagen, dass eure Ansätze auf den ersten Blick vielleicht interessant und durchaus richtig scheinen, als auch vielleicht durchaus mit einer anti-autoritären Intention gemeint sind, jedoch scheinen mir wie gesagt die Widersprüche und der mangelnde Wille diese Aufzuarbeiten, einer heterogenen und solidarischen Organisationsform eher im Wege zu stehen, als dass hier eine Synthese verschiedener Linker Strömungen möglich wäre. Offensichtlich bedeutet der Wert von Gruppen-Disziplin und ideologischem Hinterherlaufen dabei mehr, als eine individuelle Freiheit (welche mit Ego-Bewusstsein gleichgesetzt wird) und das austragen innerer Konflikte auf gleichberechtigter Ebene.

Einem militanten Ansatz gegenüber wäre ich durchaus aufgeschlossen, und auch das in der Aktion persönliche Interessen mal hinten angestellt werden müssen, doch kann dies nicht der Ansatz einer Anti-autoritären bewegung sein, diese Interessen von vornherein mundtot zu machen, zu banalisieren und zu delegitmieren. Dafür erscheinen mir diese Ansätze einer Widerstandsform zu sehr mit spalterischen Tendenzen durchwachsen, als auch für einen Ansatz, der sich gegen Herrschaft und Machtmissbrauch wendet, aufgrund der geschilderten pluralistisch vereinnahmenden Vorrangstellung, als auch der Widerspruch und Minderheiten negierenden Haltung, leider ungeeignet.

Das soll nicht heißen, dass ich eure Ansätze als Chancenlos betrachten würde, jedoch scheint mir das Element Disziplin von euch überbewertet zu werden, als taktisches Element mag diese zwar durchaus nützlich sein, jedoch sollte auch ein militanter Ansatz nicht zu der effiziensfanatischen und ideologieblinden Versteifung führen, die durch von euch eingebrachte persönlichkeits und mitbestimmungs ablehnende Vorurteile und Einstellungen erzeugt werden.

In dieser Hinsicht fehlt es mir an eurem Ansatz einfach an Offenheit, was letztlich nur zu dem, auch von euch befürchteten, weiteren Fortschreiten der Isolation und Hilflosigkeit linker Strömungen und Einzelpersonen führen dürfte.