[HH] "Ships of Shame – SOS Antifa" Alles hört auf ein Kommando. Wer gestern Neonazis schützte, steht heute neben euch – wie lange wollt ihr das noch zulassen?
Am Samstag, den 20. September 2025, soll in Hamburg eine "deutschlandweite Demo" unter dem Motto "Ships of Shame – SOS Gaza" stattfinden. Aufgerufen hat ein Bündnis, das auf den ersten Blick nach einem breiten Spektrum linker Solidaritätsgruppen aussieht, tatsächlich aber längst von einer Querfront geprägt ist. Hier treffen Linke, Rechte, Verschwörungsideolog:innen, reaktionäre und autoritäre Kräfte ebenso wie offen antisemitische Akteur:innen zu einem gemeinsamen Stell-dich-ein auf Hamburgs Straßen.
In Hamburg zeigt sich seit einigen Jahren ein bemerkenswertes Phänomen: Politische Protestbewegungen entstehen nicht einfach neu, sondern bauen auf bereits bestehenden Strukturen auf. Ein besonders prägnantes Beispiel ist die Entwicklung von "UMEHR" über "Demokratie für die Straße (DfDS)" hin zum "Bürgerbündnis Hamburg". Was zunächst als Organisation von Corona-Protesten begann, tritt nun bei vermeintlichen Palästina-Solidaritätsdemonstrationen wieder in Erscheinung. Die Geschichte dieser Gruppen wirft Fragen auf – insbesondere dann, wenn linke Organisationen Schulter an Schulter mit jenen laufen, die noch vor wenigen Jahren Neonazis aktiv vor Antifa-Protesten geschützt haben.
Während der Corona-Pandemie 2020 formierte sich in Hamburg die Gruppe "UMEHR e.V.". Sie übernahm nicht nur die Anmeldung von Demonstrationen aus dem verschwörungsideologischen Spektrum, sondern stellte für den Protest auch ihr Vereinskonto zur Verfügung, organisierte Ordner:innendienste und trat in juristischen Fragen auf. Besonders sichtbar wurde diese Struktur bei den sogenannten "Kunsthallendemos" in Hamburg [1], die 2021 und 2022 regelmäßig stattfanden und Hunderte Menschen aus dem Querdenken-Milieu mobilisierten. Zum Ende des Jahres 2022 wandelte sich "UMEHR" schließlich in das "Bürgerbündnis Hamburg" um – ein Rebranding, das die organisatorische Infrastruktur sicherte und unter der Leitung von Andreas Padelt [Bild 2] fortgeführt wurde.
Wie problematisch die Rolle dieser Gruppe schon damals war, zeigte sich spätestens am 22. Januar 2022 in Hamburg-Barmbek. Dort fand eine große Querdenken-Demonstration statt, begleitet von antifaschistischen Gegenprotesten. Fotos und Berichte [2] [3] [4] belegen eindeutig, dass UMEHR-Ordner an diesem Tag einen Block der extrem rechten "NPD/JN" und "III.Weg" schützten, in dem u.a. der bekannte JN-Kader Micha Müller und Hannes Ostendorf, Sänger der Rechtsrockband "Kategorie C", mitliefen. Aufnahmen zeigen UMEHR-Ordner mit Buttons und Binden direkt vor dem Block der Neonazis. Sie fungierten damit faktisch als Schutzschild der Neonazis nach innen und außen. Dass dies kein einmaliger Vorfall war, bestätigen weitere Dokumentationen: Bereits im November 2021 trat Andreas Padelt selbst als Ordner auf, im Dezember desselben Jahres war auch Jürgen Michael Hackbart Teil des Ordnerteams auf verschwörungsideologischen Demonstrationen. UMEHR war also keineswegs ein neutraler Verein zur Organisation von Demonstrationen, sondern eine Struktur, die aktiv extrem rechte Akteur:innen absicherte.
Nach dem Abebben der Corona-Proteste verschwanden diese Strukturen nicht, sondern suchten sich neue Betätigungsfelder. Seit dem 7. Oktober 2023 treten "UMEHR", "DfDS" und das "Bürgerbündnis Hamburg" erneut auf.
Am 7. Oktober 2023 verübte die Hamas einen beispiellosen Angriff auf Israel und damit das größte antisemitische Massaker seit der Shoah. Bei Angriffen auf das Nova-Musikfestival sowie auf verschiedene Kibbuze und Ortschaften wurden mehr als 1.200 Menschen ermordet. Hunderte Menschen wurden nach Gaza verschleppt und als Geiseln genommen. Zudem kam es zu massenhafter sexualisierter Gewalt durch die Angreifer. Die brutale Gewalt markierte den Beginn eines erneuten Krieges in Gaza, der seitdem anhält, Tausende zivile Opfer forderte und die internationale Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung neu entfachte. Dass Palästina seit Jahrzehnten als Projektionsfläche für sehr unterschiedliche politische Strömungen dient – von linker Antiimperialismus-Rhetorik bis hin zu offen antisemitischen und rechten Akteur:innen – ist dabei kein neues Phänomen. [5]
Auch in Hamburg kam es in der Folge zu zahlreichen Palästina-Solidaritätsprotesten – und genau hier traten die alten Strukturen von "UMEHR", "DfDS" und dem "Bürgerbündnis" erneut auf den Plan. Dabei übernehmen sie wieder regelmäßig Ordner:innendienste und organisatorische Aufgaben. Besonders sichtbar wurde dies am 17. Mai 2025 bei der "Nakba-Demonstration" in Hamburg, wo sie u.a. gemeinsam mit der Gruppe "Thawra" auftraten. [Bild 4; Bild 5] Ebenso wenig später am 7. Juni 2025 bei einer Demonstration gegen die Rote Flora, bei der u.a. Jürgen Michael Hackbart als Ordner fungierte. Damit wiederholt sich ein Muster: Bestehende organisatorische Infrastruktur wird flexibel auf neue Themen angewandt, unabhängig von der politischen Kohärenz der beteiligten Akteur:innen. [6]
Das Umfeld dieser Gruppen ist breit vernetzt und keineswegs ideologisch homogen. So trat etwa Tarik Karakurt, ein Kader der Gruppierung "Thawra", bereits 2021 neben AfD-Akteuren wie Oliver Hallmann und Eckbert Sachse auf. [Bild 3] Außerdem bestehen Verbindungen zur Protestbewegung bei der Blauen Moschee Hamburg [Bild 9], etwa bei Protesten gegen deren Schließung 2024 und Folgeaktionen im Jahr 2025.
Die sogenannte Blaue Moschee in Hamburg, offiziell das Islamische Zentrum Hamburg (IZH), gilt seit Jahrzehnten als wichtigster Stützpunkt des iranischen Regimes in Europa. Das IZH ist ein zentraler Akteur, direkt der Führung in Teheran unterstellt, und propagiert die politische Linie der Islamischen Republik. Dabei geht es nicht nur um religiöse Angebote, sondern auch um die Verbreitung eines autoritären, antisemitischen und queerfeindlichen Weltbildes. Aus linker Perspektive ist das IZH deshalb kritisch zu sehen: Es steht für eine reaktionäre, theokratische Ideologie, die Frauenrechte, queere Rechte und emanzipatorische Prinzipien systematisch ablehnt und gleichzeitig enge Verbindungen zu antisemitischen Akteur:innen pflegt.
Die rechte Aktivistin Nina Maleika war während der Corona-Zeit als Verschwörungsideologin aktiv. Nach dem 7. Oktober 2023 vollzog sich bei ihr ein Sinneswandel: Sie wurde "Palästina-Aktivistin" und konvertierte zum Islam. In dieser Rolle gab sie 2024 dem rechten Compact-Magazin ein Interview [Bild 7] und verbreitete in sozialen Netzwerken offen Sympathien für die AfD und die Hamas. [7]
Die Hamas ist eine islamistisch-politisch-militante Organisation, die seit ihrer Gründung in den 1980er-Jahren die Auslöschung Israels im Sinne einer „Ein-Staaten-Lösung“ zum Ziel hat.
Dieses Milieu vereint also rechte Verschwörungsideolog:innen, Neonazis, AfD-Akteur:innen und islamistische Sympathisant:innen – ideologisch unvereinbar, allerdings verbunden durch gemeinsame Feindbilder.
Genau hier kommt der Begriff der Querfront ins Spiel. Historisch stammt er aus der Weimarer Republik, wo radikale politische Kräfte versuchten, Allianzen über die traditionelle Links-Rechts-Grenze hinweg zu bilden. Heute bezeichnet er Bündnisse, die sich nicht über gemeinsame Werte oder politische Ziele definieren, sondern über gemeinsame Feindbilder: "Die da oben", "die Eliten", "die Lügenpresse". Verschwörungsideologien, Antisemitismus und Anti-Globalisierung dienen dabei oft als verbindendes Element. Der Historiker Volker Weiß beschreibt Querfront-Strategien zudem als bewusste Taktiken, mit denen rechte Bewegungen versuchen, sich durch Annäherung an linke Themen – etwa Antikapitalismus oder Antiimperialismus – neue Bündnispartner:innen zu erschließen. Ziel ist letztlich, autoritäre Politik gesellschaftsfähig zu machen. [8]
In Hamburg lassen sich diese Muster immer klarer erkennen. "UMEHR" und das "Bürgerbündnis" operieren nicht aus einer konsistenten ideologischen Haltung heraus, sondern aus einer Feindbild-Orientierung. Ihre Strukturen sind flexibel: Gestern Corona, heute Palästina, morgen vielleicht ein anderes Thema. Sie stellen die Infrastruktur, die eine Querfront ermöglicht, und laden Akteur:innen aus unterschiedlichen politischen Spektren ein, gemeinsam aufzutreten. Damit kommt es zu einer Formierung der Querfront, in der Rechte, Verschwörungsgläubige und Teile der Linken auf derselben Seite stehen.
Besonders problematisch ist, dass sich auch Teile der Hamburger Linken an diesen Demonstrationen beteiligen. Besonders deutlich wird dies in einem Aufruf zur Demonstration der Interventionistischen Linken (IL) auf Instagram, die schreibt: "Als Linke hier vor Ort müssen wir lernen, Differenzen auszuhalten und die Zerrissenheit überwinden. Gehen wir gemeinsam […] auf die Straße […]" Was hier nach einem Plädoyer für Geschlossenheit klingt, bedeutet in der Praxis, bewusst die Augen vor den reaktionären und rechten Kräften in den eigenen Reihen zu verschließen. Wer "Differenzen aushalten" will, akzeptiert damit faktisch auch Neonazis, Verschwörungsideolog:innen oder islamistische Akteur:innen als Teil derselben Protestbewegung.
Hinzu kommt, dass zu den aktuell aufrufenden Gruppen u.a. auch "Flora für Alle" und "Alhambra für Alle" gehören. Erstere hat sich seit September 2024 gewaltsam und diffamierend gegen das autonome Zentrum Rote Flora positioniert. [9] "Alhambra für Alle" wiederum bezieht sich bewusst auf die Hamburger Kampagne, überträgt deren Logik aber nach Oldenburg, wo sie das autonome Zentrum Alhambra angreifen. Dennoch wird ihre Teilnahme toleriert, ebenso wie die von "Flora für Alle". Kritik aus der linken Szene an dieser gefährlichen Allianz bleibt bislang weitgehend aus.
Neben der "IL Hamburg" rufen auch "Antifa Hoheluft", die "Anarchistische Gruppe Norderelbe" und "Ende Gelände Hamburg" zur Teilnahme an der Demonstration auf. [Bild 10] Damit laufen Gruppen, die sich selbst als konsequent antifaschistisch verstehen, Seite an Seite mit jenen, die 2022 Neonazis gegen Antifa-Proteste geschützt haben. Proteste gegen den Krieg in Gaza werden dadurch zwangsläufig zur Bühne für rechte Netzwerke, die von der Legitimation durch linke Beteiligung profitieren.
Die Solidarität mit der Zivilbevölkerung in Gaza ist ohne Frage legitim. Doch wenn Proteste von Querfront-Strukturen wie "UMEHR" oder dem "Bürgerbündnis Hamburg" organisiert werden, entsteht ein Problem, das nicht ignoriert werden kann. Wer sich antifaschistisch positionieren will, muss sich klar abgrenzen. Die Normalisierung rechter Netzwerke im linken Spektrum schwächt nicht nur die Glaubwürdigkeit der Bewegung, sondern verschafft rechten Akteur:innen einen dauerhaften Platz in der Protestkultur.
Die Entwicklung von "UMEHR" über "DfDS" bis hin zum "Bürgerbündnis Hamburg" zeigt damit ein beunruhigendes Muster. Es handelt sich nicht um eine inhaltlich konsistente Bewegung, sondern um eine flexible Protest-Infrastruktur, die sich wechselnden Themen anpasst und dabei stets offen ist für extrem rechte Akteur:innen. Querfront ist dabei kein Zufall, sondern eine bewusste Strategie rechter Akteur:innen. Sie lässt sich nur stoppen, wenn linke Gruppen sie erkennen und bereit sind, klare Grenzen gegen Verschwörungsideologien und Antisemitismus zu ziehen. Wer sich noch 2022 schützend vor Neonazis gestellt, regelmäßig die rechte Verschwörungsideologin Nina Maleika hofiert und zu Protesten gegen linke Freiräume wie die Rote Flora oder das Alhambra in Oldenburg aufruft, kann nicht als Partner linker Proteste gegen Krieg auftreten.
Auffällig ist zudem eine zunehmende Doppelmoral: Während sich Teile der Hamburger Linken vom CSD distanzierten, weil dort etwa Rüstungskonzerne wie Airbus als vermeintliche "Kriegsakteure" präsent waren, zeigen sie bei den Palästina-Protesten keinerlei vergleichbare Konsequenz. Statt klare Trennlinien zu ziehen, laufen sie Seite an Seite mit Strukturen, die Neonazis geschützt oder islamistische Ideologien hofieren. Ihre politische Glaubwürdigkeit leidet, wenn antifaschistischer Anspruch und praktisches Handeln so weit auseinanderklaffen.
Wir fordern alle aufrufenden Gruppen auf, Haltung zu zeigen und die Teilnahme entsprechender Gruppierungen nicht zuzulassen. Antifa bleibt notwendig.
[1] https://pixelarchiv.org/src/2021.12.04.hamburg/1/161.jpg
[2] https://pixelarchiv.org/event/2022.01.22.hamburg/1
[3] https://www.zeit.de/hamburg/2022-01/querdenker-demo-hamburg-barmbek-neonazis-block
[4] https://hbgr.org/wp-content/uploads/2022/01/PM_Neonazis_marschieren_durch_Barmbek_.pdf
[5] https://antifainfoblatt.de/aib144/projektionsflaeche-palaestina
[6] https://flic.kr/s/aHBqjCeCxS
[7] https://t.me/ninamaleikaoffiziell/5919
[8] https://www.boell.de/de/2017/01/25/querfront-volker-weiss-ueber-die-allianz-der-populisten
[9] https://de.indymedia.org/node/536599
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Ergänzungen
++NINA MALEIKA & THAWRA AUCH BEI SOS GAZA DEMO++
die rechte verschwörungsideologin nina maleika und die gruppe thawra rufen auch zur demo am samstag auf.
thawra bezieht sich auf in deren storys auf nina maleika! sie haben wohl gar kein problem damit...
Nina Maleika - weitere Belege
Hier sind ein paar weitere Screenshots die Nina Maleikas Sympathien zur Hamas und der AfD belegen
UMEHR e.V. und Thawra - gestern Neonazisschutz heute Palisoli?!
Weiterer Beleg! Das Bild zeigt eine Ordnerin von UMEHR e.V. die 2022 noch den JN-Block geschützt haben...2025 gemeinsam mit Thawra auf der Nakba Demo
Link zum Album:
https://flic.kr/s/aHBqjCeCxS
Querfront geht einfach so weiter...
Heute findet erneut eine Demonstration statt, an der Personen wie die rechte Verschwörungsideologin Nina Maleika und der bereits erwähnte Tarik Karakourt (Thawra) teilnehmen – jener Karakourt, der schon bei den Coronaprotesten Seite an Seite mit AfD-Anhänger:innen marschierte.
Unbeeindruckt davon zeigt sich offenbar die Gruppe Antifa Hoheluft. Trotz eines gut recherchierten Artikels haben sie sich bislang nicht öffentlich distanziert. Im Gegenteil: Sie rufen weiterhin zu Demonstrationen auf, bei denen genau diese Gruppen und Personen mitwirken.
Warum gelingt es antifaschistischen Gruppen nicht, einen Protest für die Bevölkerung in Gaza zu organisieren, der nicht von antisemitischen, rechten und queerfeindlichen Kräften dominiert wird?
Diese vermeintlich antifaschistischen Gruppierungen, die weiterhin Seite an Seite mit solchen Akteur:innen auftreten, stellen eine Gefahr für linksradikale Strukturen und Räume dar.
Fotos von der Demonstration "Ships of Shame"
https://flic.kr/s/aHBqjCvjY3
Spannend zu sehen ist, dass diesmal niemand einen UMEHR e.V. Button trägt und Hackbart und Padelt diesmal keine offensichtlichen Ordner stellen. Da haben sie nach dem Indyartikel wohl genau drauf geachtet.
Wer genau hinsieht, wird aber schnell erkennen, dass u.a. genau diese Personen natürlich mit dabei sind ;)