Warum der EA Leipzig (für manche Menschen) Anfragen (plötzlich) ablehnt
Entscheidungsprozesse bei Anfragen
Um linke Kämpfe als Antirepressionsgruppe zu unterstützen, müssen wir nicht mit jedem Aufruf / jeder Aktion hundertprozentig einverstanden sein, wenn darin, für uns, emanzipatorische Grundprinzipien geteilt werden. Wir sehen es nicht als unsere Aufgabe diese inhaltlich zu bewerten, da wir als Gruppe keine bestimmte politische Strömung oder Meinung nach außen vertreten.
Gleichzeitig besteht unsere Gruppe aus Individuen mit eigenen politischen Haltungen. Wir versuchen bei Anfragen nach Unterstützung also immer die Balance zwischen unseren individuellen Prinzipien und unserem Anspruch als Antirepressionsgruppe zu halten. Unsere individuelle Haltung zu Themen oder Gruppen stellen wir dabei häufig zurück und gehen Kompromisse ein. Immer wägen wir ab, ob es sich um eine Differenz zu unseren subjektiven politischen Haltungen handelt oder tatsächlich stark allgemeineren emanzipatorischen Prinzipien widerspricht.
Wenn Aufrufe zu Aktionen oder Positionen von Gruppen allerdings stark dem widersprechen, was wir individuell als allgemeine emanzipatorische Prinzipien verstehen, fällt es uns auch als Gruppe schwer eine solche Aktion solidarisch zu begleiten. Als solche Prinzipien verstehen wir die Ablehnung aller Diskriminierungen, wie Rassismus, Queer- u. Transfeindlichkeit, Antisemitismus oder Ableismus. Als Antirepressionsgruppe verbindet uns die Arbeit u.a. gegen staatliche Willkür und Polizeigewalt als praktische Folgen eines autoritären Staatsapparats. Daher lehnen wir auch das Streben nach autoritärer, hierarchischer Organisierung und seine immanenten Sanktionierungen ab.
Bei Anfragen stellen wir uns also viele Fragen: Worum geht es genau in dem Aufruf / der Demo? Können wir das praktisch sinnvoll unterstützen oder gäbe es bessere Optionen als Antirepressionssupport? Welche Position vertritt die organisierende Gruppe und (wie stark) kollidieren diese mit unseren Grundprinzipien? Wie wirkt sich dies auf die gesamte Aktion und unsere Begleitung dieser aus? Was sind mögliche Konsequenzen, wenn wir eine Aktion nicht unterstützen, und damit allen Teilnehmenden unsere Unterstützung im Fall von Repression verwehren?
In letzter Zeit mussten wir bei Anfragen häufiger schwierige Entscheidungsprozesse führen. Dabei kamen wir öfter zu dem Schluss, dass im Aufruf oder von den organisierenden Gruppen Positionen vertreten werden, die unsere roten Linien überschreiten.
Widerspruch Autoritarismus und Hierarchien
Immer häufiger werden wir von autoritär – kommunistischen Gruppen angefragt, die mit ihren Positionen unserem generellen Verständnis von emanzipatorischer Politik entgegen stehen. Es wurde schon viel Kritik an solchen Gruppen formuliert, der wir uns weitestgehend anschließen können.¹ Wir wollen nicht alles wiederholen und fassen hier nur die für uns wichtigsten Kritikpunkte zusammen.
Autoritär – kommunistische Gruppen verfolgen ihre explizite Agenda, auch wenn sie Bündnisse mit anderen Gruppen eingehen oder sich vordergründig emanzipatorisch zu einem spezifischen Thema äußern (zB. Femizide, gegen Sexismus). Letztendlich streben sie eine autoritär (marxistisch / leninistisch / stalinistisch / maoistisch) regierte staatliche Gesellschaft an. Darin unterscheiden sich autoritär – kommunistische Gruppen nicht von anderen autoritären Kräften, deren Gesellschaftsprinzip prinzipiell auf einem Verhältnis von Machthabenden und Machtunterworfenen beruht, welches mittels Sanktionen “von oben” aufrecht erhalten werden soll. Dies widerstrebt grundlegend unserem Verständnis von einer befreiten Gesellschaft ohne Repression.
Wenn politische Gruppen Sanktionen als politisches Mittel einsetzen, indem sie andere linke Gruppen, Personen und Strukturen attackieren und bedrohen, widersprechen sie nicht nur in ihrer Utopie sondern auch in ihrem praktischen Handeln unseren Grundvorstellungen. Viele der K-Guppen in Leipzig sind in der Vergangenheit aber genau dadurch aufgefallen. Häufiger kam es auch vor, dass Gruppen Veranstaltungen störten oder versuchten diese zu vereinnahmen.²
Dazu kommt ein manipulativer, intransparenter, den Betroffenen schadender und nicht aufarbeitender Umgang mit sexualisierter Gewalt bzw. systematischer Täterschutz innerhalb einiger Gruppen (FKO, KA).³
Widerspruch Antisemitismus, Islamismus und Kriegsverherrlichung
Im Umgang mit Anfragen werden wir mit dem Überschreiten von “unseren roten Linien” aktuell vor allem im Kontext des Israel-Palästina-Konflikt konfrontiert. Als Antirepressionsgruppe werden wir uns nicht inhaltlich dazu positionieren, so wie wir es auch bei den meisten anderen Konflikten lassen. Statt dessen beschränken wir uns auf ein paar generelle politische Prinzipien die für uns zu einem emanzipatorischem Selbstverständnis gehören: Wir werden Antisemitismus – genauso wie Rassismus, Queerfeindlichkeit, Sexismus, Ableismus und andere Formen von Diskriminierung – nicht tolerieren. Das heißt, wenn wir für eine Aktion angefragt werden, in deren Aufruf antisemitische Inhalte verbreitet werden, werden wir diese nicht begleiten. Wissen wir unter den anfragenden Strukturen von Gruppen, die sich in der Vergangenheit eindeutig antisemitisch geäußert haben, werden wir diese vermutlich nicht begleiten. ⁴
Bezogen auf den Staat Israel, unterscheiden wir zwischen legitimer Kritik an der Politik eines Staates/einer Regierung und antisemitischen Aussagen. Nicht jede Kritik an der israelischen Regierung oder Politik ist antisemitisch, allerdings wird eine solche in der Praxis häufig in Form von antisemitischen Chiffren, Stereotypen und Diffamierungen geäußert. ⁵
Des weiteren sind Terror und Gewalt gegen eine Zivilbevölkerung (inklusive Mord u. Vergewaltigung) für uns absolut unvereinbar mit emanzipatorischen, linken Werten und können daher nicht als progressiver Widerstand bezeichnet werden. Wenn menschenverachtende Aktionen wie Massaker oder Aufruf zum Mord an ganzen Bevölkerungen im Namen der Befreiung einer unterdrückten Gruppe gemacht werden, bleiben sie eben dennoch menschenverachtend. Einen positiven Bezug auf diese Praktiken können wir nicht nur wenig nachvollziehen. Es stößt bei uns – vor allem mit Blick auf innerlinke Diskussionen um sexualisierte Gewalt – auf Unverständnis, dass in diesem Zusammenhang auch Vergewaltigungen legitimiert werden. Im Umgang mit Anfragen durch Hamassolidarische Gruppen sehen wir uns aktuell mit Strukturen konfrontiert, die sich nicht von menschenverachtenden Handlungen distanzieren oder diese sogar verharmlosen oder glorifizieren.
Auch die Verharmlosung, Glorifizierung oder Rechtfertigung von Kriegen und dem damit einhergehenden hohen Leid und Verlusten der Zivilbevölkerung, auch wenn sie im Namen der Verteidigung gegen ein terroristisches Regime geschehen, widersprechen unseren politischen Grundwerten. Egal wie wichtig wir eine Verteidigung der Existenz Israels oder den Kampf gegen islamistischen Terror bewerten, ein maßloser menschenverachtender Krieg gegen eine ganze Bevölkerung/ein gesamtes Gebiet sollte nie befürwortet werden. Deshalb haben wir in der Vergangenheit Anfragen von Gruppen abgelehnt und werden das auch weiter tun, wenn sie z.B. den Krieg Israels gegen Gaza verharmlosen oder dogmatisch militärische Handlungen und Gewalt befürworten; den islamistischen Terror der Hamas verharmlosen oder sich sogar positiv auf diesen als Widerstandsaktion beziehen; oder sich in der Vergangenheit antisemitisch geäußert haben.
Unser Dilemma mit den “Grenzen der Solidarität”
Im Idealfall unterstützen wir politisch aktive, linke Zusammenhänge, mit denen wir uns politisch verbunden fühlen. War das viele Jahre einfach bei den uns anfragenden Gruppen der Fall, kommen wir aktuell immer wieder mal auch zu einer anderen Einschätzung.
Selbst wenn wir zu dem Schluss kommen, dass Aufrufe zu Aktionen oder organisierende Gruppen unserem Verständnis emanzipatorischer Politik widersprechen, wir also an sich eine Zusammenarbeit ablehnen würden, besteht das Problem, dass vermutlich Menschen dem Aufruf folgen und sich an der Aktion beteiligen. Diesen würden wir dann unsere Solidarität entziehen und wären somit bei staatlicher Repression nicht für sie erreichbar.
So wie wir unsere individuellen politischen Ansichten bis zu einem gewissen Grad hinter unserer Unterstützung linker Strukturen als Antirepressionsgruppe zurückstellen, müssen wir auch nicht alle individuellen Positionen der Menschen teilen, die im Zusammenhang mit linken politischen Aktivismus von Repression betroffen sind. Wir finden staatliche Repression grundsätzlich nicht gut und wollen unsere Solidarität auch in diesen Fällen nicht per se entziehen.
Dazu kommt, dass wir in unserer Beratung (ob am Telefon während einer Aktion oder in den wöchentlichen Sprechstunden) die politischen Positionen von Personen nicht „kontrollieren“ können.
Natürlich sind wir skeptisch, wenn die Repression im Zusammenhang einer Aktion zustande kam, bei der antisemitische Parolen gerufen wurden (oder im Aufruf standen) oder islamistischer Terror als Widerstand glorifiziert wurde. Auch haben wir – wie in der Zusammenarbeit mit Gruppen – bei der Unterstützung einzelner Aktivist:innen “unsere roten Linien”, deren Überschreitung sich für uns in der Beratung jedoch maximal andeutet, nie sicher ist. Welche Positionen die einzelne Person persönlich vertritt, können wir daher nur schwer beurteilen. Unsere Ablehnung gegenüber bestimmten organisierenden Zusammenhängen kann nicht der Anlass sein, pauschal allen Teilnehmenden an palästina- oder israelsolidarischen Demonstrationen oder Aktionen autoritär–kommunistischer Gruppen bzw. Bündnissen mit diesen die Unterstützung zu entziehen.
Es bleibt also, wie es war und ist: Als EA Leipzig möchten wir Unterstützung linker Gruppen oder Aktivist:innen weder pauschal zusichern noch ablehnen. Wir haben dabei den Anspruch uns (selbst-)kritisch und differenziert mit den Anfragen auseinanderzusetzen und zu beraten. Wie auch in der Vergangenheit besprechen wir weiterhin im Plenum, ob und in welchem Ausmaß eine Unterstützung möglich ist.
EA Leipzig, Juni 2025
Fußnoten:
1: Zur Kritik an autoritär-kommunistischen Gruppen u.a.:
https://knack.news/9943
https://kreuzer-leipzig.de/2023/12/10/avantgarde-von-gestern
https://de.indymedia.org/node/265207
2: https://knack.news/7334,
kreuzer-leipzig.de/2024/10/13/leipzig-nahost-handala-kommunistische-organisation-israel-palaestina-kampf-um-die-koepfe
https://www.instagram.com/p/Cq7oTtDIWXK/?img_index=1
3: https://www.instagram.com›stoppt_taeter
4: Belege für antisemitische Aussagen einiger Gruppen finden sich u.a. hier:
https://chronikle.org/ereignisse/students-for-palestine-leipzig-posten-f...
https://chronikle.org/ereignisse/antisemitische-parolen-auf-hand-in-hand...
https://chronikle.org/ereignisse/antisemitischer-flyer-in-albertina-vert...
https://chronikle.org/ereignisse/handala-leipzig-das-1×1-des-journalismus
5: Bezüglich einer Definition von Antisemtismus orientieren wir uns grob an einer Aussage von Malte Holler in „Frenemies. Antisemitismus, Rassismus und ihre Kritiker*innen“ in der es in etwa heißt:
Antisemitisch ist eine Kritik an Israel, wenn sie stereotype Anschuldigen, Symbole und Bilder des traditionellen Antisemitismus verwendet (zB. „Israel tötet Babys“), oder wenn sie die Politik Israels mit dem Nationalsozialismus gleichsetzt, um so eine Täter-Opfer-Umkehr zu vollziehen. Außerdem, wenn sie alle Jüdinnen und Juden weltweit für die israelische Politik verantwortlich macht, die israelische Politik an Maßstäben misst, die an kein anderes demokratisches Land gesetzt werden (Doppelstandards), oder dem Staat Israel aufgrund seiner jüdischen Selbstdefinition das Existenz- oder Selbstverteidigungsrecht abspricht. Werden antisemitische Kategorien, Kennzeichnungen und Interpretationen dazu genutzt, den Staat Israel insgesamt zu verunglimpfen, etwa indem man ihn als ein ‚kolonial-rassistisches Projekt‘ oder ‚künstliches Gebilde‘ beschreibt, das andere scheinbar ‚naturwüchsige‘ Staatengemeinschaften zu ‚zersetzen‘ drohe, dann wird Israel selbst zum „Jude unter den Staaten“ (Léon Poliakov) gemacht.
