Blockupy – Ungehorsam, Bündnis, Straße: Über Voraussetzungen linker Handlungsfähigkeit im Herzen des Krisenregimes

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Thesenpapier des Blockupy-Koordinierungskreises zum 18. März 2015

 

Der 18. März war ein wichtiger Tag des Protests gegen die Katastrophen der europäischen Verelendungspolitik. Tausende waren in den Blockaden am Morgen, 25.000 in Kundgebung und Demo am Nachmittag, und das mitten in der Woche, als große, transnationalen Mobilisierung. Damit war #18M deutliches Zeichen für entschlossenen Widerstand gegen das Krisenregime und für ein anderes, solidarisches Europa. Protest und Widerstand in breiten Bündnissen werden jetzt mehr denn je gebraucht, gerade in dem Land, das die Krisenpolitik vorantreibt.

Gleichzeitig gab es, öffentlich und quer durch alle Blockupy-Spektren und Gruppen, starke Kritik an einigen Aktionen des Vormittags. So stellt der Aktionstag in seiner Ambivalenz wichtige Fragen an uns, denen wir uns stellen. Nach dem 18. März haben wir mit einer gründlichen Auswertung unserer Aktionen begonnen, in allen Blockupy-Spektren und dem KoKreis, beim Aktiventreffen in Berlin und in den Kontexten von Blockupy international. Dieses Thesenpapier nimmt die Diskussionen auf und lädt zu Absprachen der Bewegungen ein, um gemeinsam neue Schritte gehen zu können.

Blockupy ist inzwischen auch eine transnationale Plattform gemeinsamer Mobilisierung gegen die Krisenpolitik geworden. Alle Thesen, die der Blockupy-KoKreis hier zur Diskussion stellt, haben deshalb immer eine Dimension europaweiter „Solidarity beyond borders“.

1. Wir brauchen Blockupy als breites, linkes Bündnis

Blockupy besteht aus ganz unterschiedlichen, linken Akteuren, alle haben ihre eigenen Projekte. Wir unterscheiden uns in unseren Erfahrungen, der politischen Praxis und den Positionen zu Aktionsformen. Das gilt auch für Militanz und militante Aktionen, die wir unterschiedlich sehen und verstehen. Unsere Einschätzungen zum Verlauf des 18. März gehen – auch innerhalb der Spektren – teilweise erheblich auseinander.

Wir haben uns gemeinsam für ein vielfältig linkes, ungehorsames und transnationales Bündnis gegen die Krisenpolitik entschieden und wehren uns gegen die schlichte Sortierung in „Militante“ und „NGOs/Parteien“. In Blockupy geht es uns, angesichts der aktuellen Situation in Europa und Deutschland und aus einer Situation der Marginalität, um Schritte der gesellschaftlichen Zuspitzung, nicht um identitäre Selbstvergewisserung der Akteure. Blockupy wird neue Schritte gehen und sich dabei verändern. Im Wissen um unsere Unterschiede weiterhin praktische Kooperationsfähigkeit herzustellen, ist die Aufgabe, vor der wir stehen.

2. Blockupy steht für massenhaften, also auch bündnisfähigen Ungehorsam

Gesellschaftliche Verbreiterung in Tateinheit mit politischer Zuspitzung, das ist unser Ziel mit Blockupy. Dafür wollen wir vermittelbare Formen zivilen Ungehorsams, die eine breite Beteiligung innerhalb und auch außerhalb des Bündnisses ermöglichen, die die Regeln des Erlaubten mehr als nur symbolisch übertreten und dadurch starke Bilder schaffen: Menschen brechen Regeln, weil es um Wichtigeres geht. Ungehorsam polarisiert, führt zu Repression, macht Risse im Beton sichtbar. Er zeigt die Gewalt und Anmaßung der Herrschenden, unsere Lebensverhältnisse und immer die Lebendigkeit unseres Widerstands.

Wir wollen massenhaft auffordern, Grenzen zu überschreiten. Wir zelebrieren nicht die Radikalität der Aktivist_innen, sondern ermutigen die Neuen und orientieren uns an den Möglichkeiten aller im Bündnis. Wir wollen Bilder finden, die fantasievoll und vermittelbar sind, statt der Sprache der Herrschenden zu folgen. Wir üben miteinander ein, ungehorsam zu sein und uns vor Übergriffen zu schützen.

Wir erheben keinen Absolutheitsanspruch für unsere Aktionsform, in anderen Kontexten sind die Aktionsformen aller Bündnisakteure andere. Vor dem Hintergrund der sozialen Kräfteverhältnisse in diesem Land halten wir unsere gemeinsame politische Entscheidung für einen bündnisfähigen und vermittelbaren linken Ungehorsam für strategisch richtig und politisch wichtig.

3. Konsense sind Verabredungen im Handeln, keine Papiere

In breiten linken Bündnissen sind identitäre Begründungen von Ungehorsam nicht möglich. Wir sagen nichts Grundsätzliches zu Aktionsformen, sondern treffen Verabredungen für unser Bündnis. Diese müssen allerdings verlässlich sein, weil wir nur so die Bündnisbreite erhalten und weil wir Verantwortung für unsere Mobilisierung übernehmen („Wir sagen, was wir tun und tun, was wir sagen“).

Verlässlichkeit von Verabredungen entsteht im Handeln, in der kollektiven Planung und Aktion. Konsense bleiben Papier, sobald Bündnisakteure zu Texten stehen, sich aber kaum am Handeln beteiligen oder andere mobilisieren und handeln, ohne sich mit Verabredungen zu identifizieren.

Im Kern heißt diese Verabredung derzeit: „Blockupy steht für Demonstrationen und ungehorsame Aktionen, in denen wir keine Menschen gefährden, von denen keine Eskalation ausgeht und an denen alle, auch Menschen mit wenig Blockadeerfahrung, teilnehmen können. Wir fokussieren uns auf politisch begründete Orte und Akteure der Krise, nicht auf Polizei.“

Wir laden möglichst viele Aktivist_innen und Gruppen auch außerhalb des Bündnisses, die unsere Konsense respektieren, ein, sich aktiv an unseren Aktionen zu beteiligen.

4. Die Straße ist kein Bündnis

Als Organisator_innen können und wollen wir selbstverständlich keinen Anspruch darauf erheben, dass sich Aktivist_innen im gesamten Stadtgebiet verbindlich an unsere Beschlüsse halten. Es ist aus unserer Sicht nicht überraschend, ja sogar wünschenswert, dass an einem Tag wie dem 18. März verschiedene Teile einer emanzipatorischen Bewegung, die größer ist als unser Bündnis, auch eigene Aktionen politisch bestimmen und durchführen. Um aus dieser lebendig-unberechenbaren Vielfalt aber tatsächlich Stärke entstehen zu lassen, sind Kommunikation und Absprachebereitschaft aller Akteure die erste Voraussetzung.

Praktisch alle Blockaden durch Gruppen des Blockupy-Bündnisses waren ungehorsame, freche und entschlossene Aktionen, von denen keine Eskalation ausgeht. An ihnen haben sich tausende von Aktivist_innen beteiligt, was ein großer Erfolg ist. Wenn wir es dennoch nicht geschafft haben, den Aktionstag und die von ihm ausgehenden Bilder so zu gestalten, wie wir dies in langen und kollektiven Prozessen geplant haben, so gibt es dafür verschiedene Gründe.

Zum einen waren wir an einigen Blockadepunkten nicht so organisiert und gut vorbereitet, wie es notwendig gewesen wäre, um die Aktionen aktiv zu gestalten. Manchmal fehlte die Moderation und Kommunikation, dadurch die Transparenz über die Situation. An einigen Stellen fehlte es an Planung und Entschlossenheit, um dem „Hochsicherheitstrakt“ eigene, fantasievolle Bilder entgegenzusetzen. Dies sehen wir selbstkritisch und lernen daraus für künftige Aktionen.

Zum anderen haben politische Akteure bewusst Orte unserer Aktionen als Bühne für ihre Inszenierungen genutzt, entgegen der dort von vielen Aktivist_innen gemeinsam vorbereiteten und verabredeten Choreographie. Darin sehen wir einen Mangel an Kommunikation und Solidarität. Jenseits der Frage, wie die unterschiedlichen Akteure unseres Bündnisses zu den Bildern des 18. März stehen, sind deshalb jetzt unsere wichtigen Fragen und Aufgaben: Wie können wir vor Aktionen aktiver das Gespräch suchen? Wie können wir Bedingungen schaffen, unter denen es uns möglich ist, unsere eigenen Aktionen politisch zu bestimmen?

5. Wir wollen kollektive Aktionen selbst bestimmen und fordern Solidarität ein

Wir haben immer gesagt, dass wir solidarisch mit anderen Aktionsformen sind. Wir fordern diese Solidarität aber auch für unsere Aktionen ein. Und wir meinen, dass jede Entscheidung zur aktiven Teilnahme an ungehorsamen Aktionen die gleiche Achtung und den gleichen Respekt verdient. Kollektiv bestimmte politische Aktionen müssen auch umsetzbar sein und dürfen weder von anderen übergangen noch von einem individualistischen „Jeder darf machen, was er will“ unmöglich gemacht werden.

Es ist natürlich nachvollziehbar, sich bewusst gegen Bündnisse zu entscheiden und deren nicht-eskalierenden Konsens politisch abzulehnen. Wer dann aber aus dem Schutz dieser Bündnisaktionen heraus massiv eskaliert, macht das Bündnis und andere Aktivist_innen zu bloßen Objekten seiner politischen Aktionen und handelt dadurch unsolidarisch. Das wollen und können wir nicht akzeptieren. Wir sind weiterhin davon überzeugt, dass Kommunikation und Solidarität die wichtigste Antwort auf diese Problemstellung sind, weshalb wir ausdrücklich alle linken politischen Spektren auffordern, mit uns darüber in den Dialog zu treten.

Wir waren und sind in der unangenehmen Situation, uns zu Aktionen äußern zu müssen, die wir selbst nicht geplant und durchgeführt haben. Einzelne dieser Aktionen am Vormittag des 18. März haben wir als weder verantwortbar noch vermittelbar kritisiert. Gleichzeitig verweigern wir uns dem geforderten Ritual der „Distanzierung“ (des Kontaktabbruchs im Interesse der Herrschenden und der Legitimierung von Polizeigewalt gegen andere Aktivist_innen). Das hat einzelne Personen aus unserem Bündnis und Blockupy insgesamt unter großen politischen und medialen Druck gebracht.

Wir kritisieren die erheblichen Übergriffe am 18. März von Seiten der Polizei und weisen alle zynischen Versuche zurück, militante Aktionen zu instrumentalisieren, um Krisenproteste zu entpolitisieren, zivilen Ungehorsam zu kriminalisieren und das Versammlungsrecht weiter auszuhöhlen.

Gemeinsam mit vielen anderen Akteuren halten wir die menschenverachtende Verelendungspolitik nicht mehr aus. Alles, was wir hier sagen, ist das Gegenteil von „Ruhe im Land“, von einem „Widerstand unter ordnungspolitischem Vorbehalt“, den die Herrschenden gerne hätten. Im Angesicht wachsender sozialer Ungerechtigkeit geht es uns um Bedingungen breiten Widerstands und gesellschaftlich ansteckender Unruhe. Darum, einen Unterschied zu machen.

Wie also weiter? Wir sehen massenhaften Ungehorsam in Bündnissen als einen linken Handlungsraum, als wichtige Option auch für andere Auseinandersetzungen – ob Noborder-, Recht auf Stadt-, Klima- oder Anti-Atom-Kämpfe. Blockupy wollen wir als breites, ungehorsames, transnationales Bündnis. Wir brauchen Verlässlichkeit und Vermittelbarkeit, um viele Menschen auch jenseits des Bündnisses erreichen zu können. Wir wollen alle Teile der linken Bewegung als politische Akteure ernst nehmen, uns mit ihnen über politische und strategische Fragen auseinandersetzen und – stärker als bislang – auch Absprachen treffen. Die unverzichtbare Basis dafür ist gegenseitige Solidarität.

Blockupy-Koordinierungskreis, 30. Mai 2015

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Ergänzungen

»Wer am Morgen mit auf der Straße war, hat unter anderem auch das Lächeln in vielen Gesichtern gesehen, das hilflose Polizeibeamte und ihre angezündeten Autos ausgelöst haben. Dass es so kommen konnte, war lange vorher bekannt. Destroika hatte kein Geheimnis um ihre Mobilisierung gemacht.«

»Die Schwarzgekleideten waren keine Agents Provocateurs, wie zwischenzeitlich spekuliert wurde, sondern Genoss/innen, „die unsere Ziele teilen, gegen das autoritäre Krisenmanagement und die Troika-Politik Widerstand zu leisten“. Mit ihnen haben wir uns ausdrücklich im Aktionskonsens solidarisch erklärt.«

Weiterlesen: http://lowerclassmag.com/2015/05/ein-tag-in-frankfurt/