Statement der Anarchistischen Gruppe West zur Positionierung des ExZess zum Krieg zwischen Israel und der Hamas

Abstract: 
Das ExZess, ein linker Freiraum in Frankfurt, hat sich entschieden, Israel einseitig zu dämonisieren und sich klar auf die Seite der Palästinenser:innen zu stellen. Als linksradikale antifaschistische Gruppe verurteilen wir dieses Vorgehen aus mehreren Gründen:

Israel ist kein Kolonialstaat

Die Charakterisierung Israels als Kolonialstaat ist eine ungenaue und vereinfachende Analyse, die die komplexe historische und politische Realität der Region ignoriert. Der Zionismus, die ideologische Grundlage des Staates Israel, entstand als Antwort auf jahrhundertelange Verfolgung und Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung, insbesondere in Europa, aber auch in den arabischen Staaten. Die jüdischen Einwanderer:innen, die nach Palästina kamen, taten dies in der Hoffnung, einen sicheren Zufluchtsort und eine Heimat zu finden, die ihnen weltweit verwehrt wurde.

Im Gegensatz zu klassischen Kolonialstaaten, die durch imperialistische Eroberungen und die Ausbeutung indigener Bevölkerungen gekennzeichnet sind, war die zionistische Bewegung primär eine nationale Befreiungsbewegung. Der Zionismus zielte darauf ab, einen souveränen Staat auf dem historischen Land der jüdischen Vorfahren zu errichten. Es gab keine zentrale Mutternation, die Kolonist:innen entsandte und unterstützte; vielmehr handelte es sich um eine diasporische Bewegung von Menschen, die keine andere Heimat hatten und eine historische und religiöse Verbindung zu dem Land suchten.

Historische Dokumente und Forschungen zeigen, dass die jüdische Einwanderung in das osmanische und später britische Mandatsgebiet Palästina durch legale Landkäufe und eine kooperative wirtschaftliche Entwicklung geprägt war. Diese Prozesse unterschieden sich fundamental von den Gewalt- und Ausbeutungsmethoden klassischer Kolonialmächte. Zudem waren die zionistischen Siedler:innen oft in der Lage, wirtschaftliche Kooperationen mit der lokalen arabischen Bevölkerung einzugehen, obwohl es auch zu Konflikten kam.

Infantilisierung der Palästinenser:innen

Die westliche Darstellung der Palästinenser:innen ist häufig von eurozentrischen, romantisierten und paternalistischen Motiven geprägt, die ihnen die politische Mündigkeit absprechen. Diese Darstellungen, die oft in den Medien und politischen Diskursen zu finden sind, neigen dazu, die Palästinenser:innen als passive Opfer zu zeigen, die nur durch westliche Intervention gerettet werden können. Diese Sichtweise entmündigt die Palästinenser:innen und ignoriert ihre Fähigkeit, als eigenständige politische Akteur:innen zu agieren.

Ein tiefgehenderer Blick auf die palästinensische Gesellschaft zeigt eine Vielzahl von politischen Bewegungen, intellektuellen Diskursen und zivilgesellschaftlichen Initiativen. Diese Vielfalt spiegelt eine aktive und dynamische politische Kultur wider, die sich gegen die Reduktion auf eine passive Rolle wehrt.

Die westliche Romantisierung hat auch dazu geführt, dass die Komplexität und die inneren Widersprüche innerhalb der palästinensischen Gesellschaft ignoriert werden. Politische Konflikte, soziale Spannungen und divergierende Interessen innerhalb der palästinensischen Gemeinschaft werden durch eine vereinfachende Opfer-Täter-Dichotomie verschleiert. Diese Reduktion nimmt den Palästinenser:innen ihre Subjektivität und verkennt ihre tatsächlichen Kämpfe und politischen Ziele. Nur so ist es zu verstehen, dass manche Leute die Hamas tatsächlich als eine legitime Interessenvertretung der Bevölkerung in Gaza wahrnehmen können.

Die Palästinenser:innen sind keine indigene Bevölkerungsgruppe

Es ist wichtig, die historische und kulturelle Identität der Palästinenser:innen korrekt zu kontextualisieren und sie nicht als indigene Bevölkerungsgruppe zu betrachten oder mit solchen zu vergleichen. Indigene Völker haben spezifische rechtliche und historische Definitionen, die oft mit langandauernder und tief verwurzelter Verbindung zu einem bestimmten Territorium einhergehen, sowie mit einer Kontinuität von kulturellen Praktiken, die vor kolonialen oder anderen externen Eingriffen bestehen.

Die Palästinenser:innen hingegen sind eine diverse Gemeinschaft, die sich aus verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen zusammensetzt, darunter Araber:innen, Christ:innen, Drus:innen und andere. Ihre Identität als palästinensische Nation hat sich im Kontext des arabischen Nationalismus und als Reaktion auf die zionistische Bewegung und die Gründung des Staates Israel entwickelt. Obwohl sie eine tiefe historische Verbindung zu dem Land haben, auf dem sie leben, ist ihre Situation nicht direkt vergleichbar mit der von indigenen Völkern. Ohne der israelischen Staatsgründung gäbe es heute keine palästinensische Identität.

Nationalismus

Nationalismus, sowohl auf israelischer als auch auf palästinensischer Seite, stellt eine bedeutende Barriere für den Frieden in der Region dar. Nationalistische Bewegungen tendieren dazu, exklusive und oft aggressive Identitätskonstruktionen zu fördern, die ethnische und religiöse Unterschiede betonen und verstärken. Diese Art von Nationalismus führt häufig zu einem Nullsummendenken, bei dem der Gewinn einer Gruppe als Verlust der anderen betrachtet wird.

Der israelische und der palästinensische Nationalismus haben beide historische Wurzeln und sind Reaktionen auf reale Bedrohungen und Ungerechtigkeiten. Dennoch neigen sie dazu, narrative und politische Exklusivität zu fördern, die eine friedliche Koexistenz erschweren. Der israelische Nationalismus, insbesondere in seiner extremen Form, tendiert dazu, Sicherheitsbedenken über diplomatische Lösungen zu stellen, während der palästinensische Nationalismus oft in einer Fixierung auf das Rückkehrrecht und eine vollständige territoriale Souveränität erstarrt.

Frieden in der Region erfordert jedoch die Überwindung nationalistisch geprägter Exklusivitätsansprüche. Stattdessen sollte ein Ansatz verfolgt werden, der gemeinsame Menschlichkeit und gegenseitige Anerkennung in den Vordergrund stellt. Multiethnische und multireligiöse Gesellschaften, die auf den Prinzipien der Gleichheit und Gerechtigkeit basieren, bieten einen möglichen Weg aus der Sackgasse nationalistischen Denkens.

Der politische Islam, zu dem die Hamas gehört, ist eine kolonialistische Bewegung

Die Hamas und ähnliche Bewegungen des politischen Islam nutzen religiöse Narrative, um politische Macht zu legitimieren und zu konsolidieren. Diese Bewegungen greifen auf Methoden zurück, die stark an koloniale Praktiken erinnern: die Instrumentalisierung von Religion zur Kontrolle und Mobilisierung der Bevölkerung, die Unterdrückung von Meinungsfreiheit und die Gewaltanwendung gegen Andersdenkende.

Während der israelische Staat, trotz aller Kritik, auf demokratischen Prinzipien und Rechtsstaatlichkeit basiert, ist die Hamas ein autoritäres Regime, das die Rechte und Freiheiten der Menschen in den von ihr kontrollierten Gebieten systematisch einschränkt. Die Herrschaft der Hamas in Gaza ist gekennzeichnet durch willkürliche Verhaftungen, Folter und die Unterdrückung von politischen Gegner:innen und Minderheiten.

Der politische Islam, wie er von der Hamas praktiziert wird, ist eine Form des Neo-Kolonialismus, der die Bevölkerung durch religiöse Indoktrination und autoritäre Kontrolle unterwirft. Die Hamas hat das palästinensische Bildungs- und Sozialsystem durchdrungen und nutzt diese Institutionen zur Verbreitung ihrer ideologischen Agenda. Diese Praktiken spiegeln koloniale Techniken der Kontrolle und Unterwerfung wider, die auf die Bewahrung der eigenen Macht abzielen, anstatt die Bevölkerung zu emanzipieren.

Schlussfolgerung

Die Analyse des Nahostkonflikts erfordert eine differenzierte und nuancierte Betrachtung der historischen, politischen und sozialen Realitäten. Vereinfachende und romantisierte Narrative, die die Komplexität der beteiligten Akteur:innen und ihrer Beweggründe ignorieren, tragen nicht zur Lösung des Konflikts bei. Stattdessen sollten wir uns bemühen, die politischen Autonomien und die Vielfalt der beteiligten Gemeinschaften anzuerkennen und zu respektieren. Nur durch eine solche Anerkennung können gerechte und nachhaltige Lösungen gefunden werden, die Frieden und Stabilität in der Region fördern.

Die Entscheidung des ExZess, Israel einseitig zu dämonisieren und sich klar auf die Seite der Palästinenser:innen zu stellen, ist eine kurzsichtige und kontraproduktive Herangehensweise, die der Komplexität des Nahostkonflikts nicht gerecht wird und die Gefahr birgt, antisemitische Tendenzen zu verstärken. Als linksradikale antifaschistische Gruppe verurteilen wir dieses Vorgehen und plädieren für eine differenzierte, reflektierte und emanzipatorische Politik, die sich für Frieden und Gerechtigkeit für alle Menschen in der Region einsetzt. Nur durch einen solchen Ansatz können wir dazu beitragen, eine gerechte und nachhaltige Lösung des Konflikts zu fördern.

 

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Anarchistische Gruppe West
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