(NBG) Der Jamnitzer gehört uns! Ein Sommernachtstraum (in drei Akten)

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Es ist Freitag, der 05. Juli 2019. Fast 300 Menschen trotzen dem Belagerungszustand der letzten Tage und treffen sich spontan am Jamnitzerplatz in Gostenhof. Die Stimmung ist unbeschwert, ein großes Feuer lodert in der Mitte des Platzes. Das USK ist mit einem Großaufgebot im Viertel und muss das Treiben aus der Ferne mitansehen. Doch der Reihe nach …

 

 

Es ist Freitag, der 05. Juli 2019. Fast 300 Menschen trotzen dem Belagerungszustand der letzten Tage und treffen sich spontan am Jamnitzerplatz in Gostenhof. Die Stimmung ist unbeschwert, ein großes Feuer lodert in der Mitte des Platzes. Das USK ist mit einem Großaufgebot im Viertel und muss das Treiben aus der Ferne mitansehen. Doch der Reihe nach …

Wir, das sind einige Menschen, die den Jamnitzer seit Jahren nutzen, wollen mit diesem Text einen Überblick über die Ereignisse der letzten Tage geben und eine Diskussion über das Zusammenleben am Jamnitzer anregen, das zunehmend unter der „Aufwertung“ und Umstrukturierung des Viertels leidet.

Wir sind gerne am Jamnitzer. Wir treffen uns dort, um zu entspannen, um mit unseren Nachbar*innen und Mitmenschen zu reden, um eine Runde Tischtennis zu spielen oder manchmal auch zum Feiern. Der Jamnitzer kostet keinen Eintritt, niemand will uns etwas verkaufen. Hier treffen sich Menschen, die anderswo ausgegrenzt werden, weil sie entweder kein Geld haben oder bürgerlichen Erwartungshaltungen nicht genügen. Das ist der Grund, wieso jeden Tag eine bunte Mischung aus Familien, Nachbar*innen, Hipstern, Wohnungslosen, Anitfas und Hobbysportler*innen den Jamnitzer nutzt. So auch am Freitag, den 28. Juni 2019 …

 

Akt 1 - Freitag, der 28. Juni 2019

Ein lauer Sommerabend am Jamnitzer. Ca. 30 Menschen aus verschiedensten Hintergründen sitzen in Grüppchen herum und unterhalten sich angeregt. Aus einer Musikbox ertönt leise Musik, die einen trinken Bier, die anderen Mate. Es ist inzwischen 22:30, die Geräuschkulisse lässt sich mit knapp über Zimmerlautstärke beschreiben.

Wie aus dem Nichts betreten über 10 mehrheitlich zivile Bullen den Platz. Menschen werden mit Taschenlampen geblendet und blöd angemacht. Die Leute sind genervt und bringen das selbstbewusst zum Ausdruck. Schnell merken die Bullen, dass ihr Einsatz jeglicher Grundlage entbehrt. Sie suchen sich willkürlich einzelne Menschen heraus, die sie für angebliche Ruhestörung verantwortlich machen und deren Personalien sie kontrollieren wollen. Der Einsatz, der wie eine gut geplante AntiTerror-Razzia begann, wird zur Farce. Keiner nimmt die lächerlichen Bullen ernst, niemand kommt ihren Forderungen nach. Wieso auch, es war absolut nichts passiert.

Nach ein paar Minuten wird die Stimmung unruhiger. Den Bullen wird immer unmissverständlicher klar gemacht, dass wirklich keine*r am Platz Bock auf diese abendliche Schikane hat. Verstärkung wird angefordert. Auf einmal tauchen dunkle Silhouetten zwischen den Bäumen auf. „GANZ NÜRNBERG HASST DIE POLIZEI!“ wird diesmal deutlich über Zimmerlautstärke aus dem Dunkel skandiert. Sofort erheben sich die Menschen am Platz und stimmen mit ein. Die Bullen finden sich wenige Momente später in klarer Unterzahl in Mitten einer lautstarken Menge wieder. Die Bullen schalten ihre Taschenlampen aus und werden unter lautstarken Parolen vom Platz begleitet (es kommt zu keinem Zeitpunkt zu Übergriffen auf die Bullen; die Bullen werden verbal angegangen, aber nicht angefasst). Zeitgleich trifft die angeforderte Verstärkung ein. Etwas unbeholfen, aber aggressiv bauen sich die eingetroffenen Bullen mit Schlagstock und gezücktem Pfefferspray vor den Leuten auf. Den Bullen wird klar, dass ein Angriff auf die Menschen vom Jamnitzer wohl keine gute Idee wäre. Deshalb steigen die Bullen in ihre Streifenwägen und zivilen PKWs und verschwinden in die Nacht.

Die Menschen beglückwünschen sich gegenseitig zu diesem spontanen und friedlichen Akt des Ungehorsams. Trotz der Dunkelheit sieht man das breite Grinsen in den Gesichtern der Leute, die in ihrem Alltag oft rassistischen Polizeikontrollen, Stress in der Schule oder beim Amt, schikanösen Fahrkartenkontrollen u.v.m ohnmächtig gegenüberstehen. Jetzt wird es tatsächlich nochmal laut am Jamnitzer: die Menschen feiern ihren kleinen Sieg über das System.

 

Akt 2 - Montag, der 01. Juli 2019

Es dauert keine 48 Stunden, da erscheint schon der erste reißerische Artikel über die Ereignisse am Freitag in der Lokalpresse. Als Aufmacher dient der angebliche Hilferuf einiger einzelner, anonymer Anwohner*innen, die der Rückzug der Polizei entsetzt habe. Als Ursache für den Kontrollverlust werden die Gäste eines Stadtteilladens verantwortlich gemacht.

Ab dem Montag zeigen sich die Bullen als schlechte Verlierer. USK-Wannen drehen fast pausenlos ihre Runden um den Jamnitzer. Trupps von USKlern patrouillieren gebieterisch über den Platz und nutzen jeden noch so abwegigen Grund, um die Menschen zu schikanieren. Es folgen 4 Tage unzähliger Anzeigen, Platzverweise, rassistischer Beleidigungen und gewalttätiger Übergriffe. Völlig willkürlich fotografieren und filmen die Schweine vom USK die Leute am Jamnitzer. Diese sind nur noch genervt und die Wut wächst. Selbst den ruhigeren Gemütern platzt irgendwann der Kragen - so viel wurde wahrscheinlich noch nie am Jamnitzer geflucht.

Aber anstatt nach Hause zu gehen und den Terror der Bullen auszublenden, bleiben die Menschen. Leute, die vorher wahrscheinlich nicht miteinander geredet hätten, haben auf einmal ein Gesprächsthema. Der gemeinsame Feind verbindet. Im Laufe der Woche wird allen klar, dass es so nicht weitergehen kann. Eine kurze Nachricht macht die Runde: es wird zum solidarischen Cornern am Jamnitzer am Freitagabend aufgerufen.

 

Akt 3 - Freitag, der 05. Juli 2019

Wie die letzen Tagen auch ist das USK auf den Straßen rund um den Jamnitzer omnipräsent. Der Tag neigt sich dem Ende zu, und der Platz füllt sich langsam. Anfangs traut sich ein kleiner Bullentrupp noch, eine schnelle Runde über den Platz zu drehen. Von der Arroganz und Überheblichkeit der letzten Tage ist nichts mehr bemerkbar. Die Stimmung ist friedlich und ausgelassen; der Start ins Wochenende wird mit Pizza und Bier abgerundet. Immer mehr Menschen treffen am Jamnitzer ein und der Platz um den ehemaligen Springbrunnen ist schnell gut gefüllt.

Als es langsam dunkel wird, wird der stillgelegte Springbrunnen mit Teelichtern dekoriert und ein kleines Feuer entfacht. Funken schlagen in den Nachthimmel, die Einschüchterungsversuche und Bedrohungen der letzten Tage sind vorerst vergessen. An die 300 Menschen genießen die unbeschwerte Lagerfeuerstimmung und freuen sich über diesen kollektiven Ausdruck der Selbstbestimmung. Das Feuer wird fleißig immer weiter mit Paletten versorgt. So einen Abend gab es in Gostenhof schon lange nicht mehr.

Das USK ist inzwischen mit einem Großaufgebot im Viertel. Die Bullen ziehen ihre Kampfmontur an und warten auf den Straßen um den Jamnitzer - wie beleidigte Kinder, die nicht zu einer Geburtstagsfeier eingeladen worden sind. Natürlich sind auch Zivibullen am und um den Platz unterwegs. Die Zivis stehen unter ständiger Beobachtung, eingegriffen wird aber nicht. Sollen sie ruhig sehen, wie viel Spaß und Freude so ein Sommerabend am Jamnitzer machen kann.

Irgendwann geht dieser Sommernachtstraum am Jamnitzer zu Ende. Mit einem letzten hasserfüllten Gruß in Richtung der Bullen wird das Cornern aus Rücksicht auf die Familien, die am Platz wohnen, beendet. Der größte Teil der Menschen verschwindet in der Dunkelheit.

 

Abende wie diese sind die Momente, die uns Kraft geben. Was gibt es schöneres, als gemeinsam einen Freiraum zu schaffen, in dem wir mit Freund*innen und solidarischen Menschen der alltäglichen Ohnmacht trotzen und keine Angst vor Bullen- oder Naziübergriffen haben müssen. Diese Momente sind ansteckend - das nächste Mal sind wir noch mehr!

Sollten die Bullen Gostenhof und den Jamnitzer weiter so terrorisieren, wird wieder soldarisch gecornert. Achtet auf Ankündigungen und sagt allen Bescheid!

OB GEZI, DORFPLATZ ODER IN EXARCHIA - DIE PLÄTZE DENEN, DIE SIE NUTZEN!

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