KEINE Vereinigungsunterstützung OHNE existierende Vereinigung

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Im Morgenradio des Freiburger Senders Radio Dreyeckland (rdl) lief heute ein Interview zum Thema „Nach Hausdurchsuchungen: Staatsanwaltschaft versucht sich unglaubwürdig rauszureden“.

Inzwischen stehen

auch online zur Verfügung.

Im Einleitungstext zu dem Interview heißt es auf der Webseite von rdl: „Nach den Hausdurchsuchungen gegen Radio Dreyeckland machten viele empörte Stimmen klar: Es ist für viele auf den ersten Blick klar, dass das Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden illegitim war. Aber auch bei genauerer rechtlicher Betrachtung zeigen sich viele Widersprüche. Die hat insbesondere Detlef Georgia Schulze zutage gefördert: Detlef Georgia hat gezielt bei der zuständigen Karlsruher Staatsanwaltschaft und beim Bundesinnenministerium nachgefragt und die Rechtsprechung in anderen Fällen angeblicher Unterstützung von verbotenen Organisationen analysiert.“

 

Zu den Reaktionen auf die Haussuchungen siehe:

zum Verbot von linksunten.indymedia im Jahre 2017, das der letztliche Anlaß der Durchsuchungen war, siehe beispielsweise:

 

Quelle zum Bild:

https://www.mao-projekt.de/BRD/REP/RT/Russell-Tribunal_004.shtml / https://mao-archiv.de/Scans/BRD/REP/Russell-Tribunal/004/Hamburg_Vorbereitungsgruppe_Russell_Tribunal_Zensur_1978_11.jpg;

der damalige § 88a StGB: https://lexetius.de/StGB/88a,2.

 

Überblick:

1. Bayerisches Oberstes Landesgericht: Keine strafbare Werbung für die RAF ohne nachweisbare Existenz der RAF und zumal ohne nachweisbare Existenz der RAF als terroristische Vereinigung

2. Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch: „Gemeinsamer Bezugspunkt der Tatbestände des § 85 Abs. 1 und 2 ist die Existenz bestimmter […] Vereinigungen, die unanfechtbar verboten worden sind.“

3. Bundesgerichtshof: Die Unterstützung einer verbotenen Organisation ist dort begangen, „wo die trotz Verbots unterstützte Organisation besteht

4. Zum Begriff der „organisatorischen“ bzw. „Organisationsidentität“

4. Vergleich der Paragraphen

5. Bundesgerichtshof: Keine strafbare Rädelsführerschaft / Mitgliedschaft in einer vermeintlichen „(Gesamt-)Vereinigung Revolutionäre Zellen“ ohne Existenz einer solchen Vereinigung bzw. jedenfalls ohne Existenz einer solchen Vereinigung mit Unterordnung unter eine gemeinsame Willensbildung

6. Zum Begriff der „Gesamtorganisation“ oder „Gesamtvereinigung“

7. Die Entscheidungen des Landgerichts Berlin und des Kammergerichts Berlin in dem Strafverfahren gegen Peter Nowak, Achim Schill und Detlef Georgia Schulze

 



 

 

1. Bayerisches Oberstes Landesgericht: Keine strafbare Werbung für die RAF ohne nachweisbare Existenz der RAF und zumal ohne nachweisbare Existenz der RAF als terroristische Vereinigung

 

„Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 129a III StGB wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis fünf Jahren bestraft, wer u. a. für eine in Absatz 1 bezeichnete Vereinigung wirbt, also für eine solche, ‚deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind‘, eine der unter den Ziff. 1 - 3 aufgeführten Katalogtaten (u. a. Mord- und Totschlag) zu begehen. Nach diesem klaren Gesetzeswortlaut setzt das Werben für eine terroristische Vereinigung die objektive Existenz nicht nur irgendeiner, sondern gerade einer solchen Vereinigung voraus, die nach den im Gesetz aufgeführten Merkmalen als terroristisch gekennzeichnet ist.“

„Dem Senat liegen jedenfalls keine zureichenden Beweismittel dafür vor, daß zur Tatzeit wenigstens noch eine – wenn auch nicht mehr terroristisch handelnde – funktionsfähige Gruppierung existiere, deren Mitglieder als Nachfolgegeneration der RAF-Gründer angesehen werden können. Dagegen spricht jedenfalls die Äußerung im Papier vom 9.12.1996: ‚Das RAF-Konzept ist überholt.‘ [1] Da somit der Fortbestand der RAF als organisatorischer Zusammenschluß nicht nachweisbar ist und von der Existenz der RAF als terroristische Vereinigung zur Tatzeit erst recht nicht ausgegangen werden kann, kommt eine Verurteilung des Angekl[agten] im Sinne des Anklagevorwurfs (§ 129 a III StGB) nicht in Betracht. Der (untaugliche) Versuch der Werbung für eine terroristische Vereinigung ist nicht strafbar (§ 23 I StGB).“

Die Entscheidung erging am 27.11.1997 zum Aktenzeichen 3 St 3/97 und ist in der Neuen Juristischen Wochenschrift 1998 auf den Seiten 2542 bis 2544 veröffentlicht. Die beiden angeführten Zitate befinden sich auf den Seiten 2542 f. und 2544; die beiden kursiven Hervorhebungen im ersten Absatz befinden sich bereits in dieser Veröffentlichung; die fetten Hervorhebungen stammen dagegen von mir.

 

2. Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch: „Gemeinsamer Bezugspunkt der Tatbestände des § 85 Abs. 1 und 2 ist die Existenz bestimmter […] Vereinigungen, die unanfechtbar verboten worden sind.“

 

Entsprechend schreibt Zöller im Systematischen Kommentar zum Strafgesetzbuch zu § 85 Strafgesetzbuch (Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot): „Gemeinsamer Bezugspunkt der Tatbestände des § 85 Abs. 1 und 2 ist die Existenz bestimmter […] Vereinigungen, die unanfechtbar verboten worden sind.“ (Zöller, SK-StGB, 9. Auflage: 2019, § 85, Randnummer 2)

Es muß sich also nicht nur um irgendeine Vereinigung handeln, sondern gerade um die bestimmte, die verboten wurde.[2] Existiert diese bestimmte Vereinigung nicht mehr, kann sie auch nicht mehr unterstützt werden.

 

3. Bundesgerichtshof: Die Unterstützung einer verbotenen Organisation ist dort begangen, „wo die trotz Verbots unterstützte Organisation besteht

 

In Bezug auf § 90a Absatz 2 Strafgesetzbuch in der Fassung von 1964 bis 1968, der die Vorläuferinnorm des ab 1968 geltenden § 84 Absatz 2 Strafgesetzbuch war, hatte der Bundesgerichtshof 1964 entschieden: „Begangen ist die Unterstützung, ebenso wie jede Beihilfe, am Ort der Haupttat (RGSt. 74, 55, 60), bei § 90a Abs. 2 StGB also da, wo die trotz Verbots unterstützte Organisation besteht.“

In dem Zitat geht es zwar speziell um die Tatortfrage [3]; trotzdem impliziert das Zitat die Notwendigkeit der Existenz der Organisation als Voraussetzung für die Strafbarkeit der Unterstützung.

Die Entscheidung erging am 30.10.1964 zum Aktenzeichen 3 StR 45/64; sie ist in der Neuen Juristischen Wochenschrift 1965 auf den Seiten 260 bis 261 veröffentlicht. Das angeführte Zitat befindet sich auf Seite 261; die Hervorhebungen stammen von mir.

 

4. Zum Begriff der „organisatorischen“ bzw. „Organisationsidentität“

 

Zum Beispiel hieß es bereits bei Randnummer 8 der Kommentierung von Steinmetz in der dritten Auflage des Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch von 2017: „Staatsanwaltschaft und Strafgericht müssen […] in eigener Verantwortung entscheiden, ob […] es sich bei der betreffenden Vereinigung um die nämliche Partei handelt, die trotz Verbots nach Art. 21 Abs. 2 GG fortbesteht. […]. Voraussetzung für eine derartige Identität ist, dass der organisatorische Apparat und seine Träger im Wesentlichen dieselben geblieben sind.“ (Hv. von DGS)

Eine entsprechende Formulierung [4] findet sich in der aktuellen Bearbeitung der Kommentierung durch Anstötz in der vierten Auflage von 2021.

Ohne fortbestehenden Organisationsapparat kann es also auch keine strafbare Vereinigungsunterstüzung geben, denn dann fehlt es schon an einer unterstützbaren Vereinigung.

 

4. Vergleich der Paragraphen

 

Das, was vorstehend zum heutigen § 84 Absatz 2 Strafgesetzbuch und zum § 90a Absatz 2 StGB der Jahre 1964 bis 1968 sowie zum § 129a Absatz 3 StGB, den das Bayerische Oberste Landesgericht 1997 anzuwenden hatte, gesagt worden ist, ist auch auf den heutigen § 85 Absatz 2 StGB, um den es in dem aktuellen rdl-Fall geht, zu übertragen. Denn die in Rede stehenden Absätze entsprechen einander in allen vier Fällen, soweit hier von Belang:

  • § 129a Absatz 3 StGB 1987 - 1998: „Wer eine in Absatz 1 bezeichnete Vereinigung unterstützt oder für sie wirbt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“ (https://lexetius.de/StGB/129a,7)

  • § 90a Absatz 2 StGB 1964: „Wer sich an einer in Absatz 1 [5] bezeichneten Partei oder an einer für sie geschaffenen Ersatzorganisation als Mitglied beteiligt, für sie wirbt oder sie unterstützt, wird mit Gefängnis bestraft.“ (https://lexetius.de/StGB/90a,6)

  • § 85 Absatz 2 StGB heutiger Fassung: „Wer sich in einer Partei der in Absatz 1 bezeichneten Art [6] als Mitglied betätigt oder wer ihren organisatorischen Zusammenhalt oder ihre weitere Betätigung unterstützt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ (http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__84.html)

  • § 84 Absatz 2 StGB heutiger Fassung: „Wer sich in einer […] Vereinigung der in Absatz 1 bezeichneten Art als Mitglied betätigt oder wer ihren organisatorischen Zusammenhalt oder ihre weitere Betätigung unterstützt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ (http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__85.html)

 

5. Bundesgerichtshof: Keine strafbare Rädelsführerschaft / Mitgliedschaft in einer vermeintlichen „(Gesamt-)Vereinigung Revolutionäre Zellen“ ohne Existenz einer solchen Vereinigung bzw. jedenfalls ohne Existenz einer solchen Vereinigung mit Unterordnung unter eine gemeinsame Willensbildung

 

„Bei der ‚Revolutionären Zelle‘, der der Angeschuldigte von 1975 bis 1978 im Bereich Frankfurt am Main angehört hat, und der ‚Berliner Zelle der Revolutionären Zellen‘ im Tatzeitraum der Anklage zum Kammergericht von 1985 bis 1990 handelt es sich nach Aktenlage um unterschiedliche terroristische Vereinigungen. Eine den gesamten Zeitraum von 1975 bis 1990 und gleichzeitig auch die verschiedenen regionalen Gruppierungen umfassende einheitliche Vereinigung im Sinne des § 129a StGB (‚Gesamtvereinigung‘) war entgegen der Auffassung des Kammergerichts nicht gegeben. Zwar erscheint es grundsätzlich vorstellbar, daß sich eine terroristische Gruppierung in der Art organisiert und strukturiert, daß neben einzelnen regionalen Vereinigungen auch eine übergeordnete Dach-Vereinigung besteht, die ihrerseits ebenfalls die Kriterien einer terroristischen Vereinigung nach § 129a StGB erfüllt, wobei einzelne Mitglieder sowohl der regionalen als auch der Dach-Vereinigung angehören und sich an ihnen aktiv beteiligen können. Hier ergibt sich jedoch aus den Ermittlungen, daß nach der Umstrukturierung der ‚Revolutionären Zelle‘ im Zeitraum von 1976 bis 1981 keine solche Dach-Vereinigung vorhanden war, die selbst als terroristische Vereinigung nach § 129 a StGB angesehen werden könnte. Dazu wäre Voraussetzung gewesen, daß sich mehrere Personen zu einer Vereinigung zusammenschließen, deren Zwecke oder Tätigkeit darauf gerichtet war, bestimmte Straftaten der in § 129 a Abs. 1 StGB genannten Art zu begehen, wobei die Unterwerfung der Mitglieder unter eine organisierte Willensbildung notwendig ist, was innerhalb der Vereinigung bestehende, von den Mitgliedern anerkannte Entscheidungsstrukturen voraussetzt (BGHSt 10, 16 f.; 28, 147 f.; 31, 202, 205)

Wie der Generalbundesanwalt in seiner Beschwerdebegründung vom 5. März 2001 unter Hinweis auf Fundstellen in dem publizistischen Organ ‚Revolutionärer Zorn‘ der ‚Revolutionären Zelle‘ im einzelnen belegt, hat sich die ‚Revolutionäre Zelle‘ im September 1976 in ‚Revolutionäre Zellen‘ umbenannt und mehrere einzelne selbständige, regional aufgeteilte Zellen mit eigenen Entscheidungs- und Handlungsbefugnissen gebildet. Dabei wird zur Eigenständigkeit dieser Zellen betont, daß ‚jeder selbst entscheiden kann‘ … [7] ‚ohne auf die Bestätigung oder das Dementi eines nicht vorhandenen ZK‘s zu warten‘ (Revolutionärer Zorn Nr. 5, April 1978 [8]). Dies belegt das Fehlen einer übergeordneten Vereinigung mit eigener Entscheidungsstruktur, der sich die einzelnen Mitglieder der Zellen unterworfen hätten. Dem entspricht, daß es nach der Aussage des Zeugen M., der zu der Zusammensetzung und Struktur der ‚Revolutionären Zellen‘ in dem fraglichen Zeitraum ab Mitte der 80er Jahre umfangreiche und umfassende Angaben gemacht hatte, an überregionalen Tätigkeiten lediglich einmalige jährliche Treffen von Abgesandten der einzelnen Zellen gegeben hatte, die ‚Miez‘ oder auch ‚Asamblea‘ genannt wurden. Daß dort verbindliche Entscheidungen für die Durchführung von Straftaten im Sinne des § 129a Abs. 1 StGB getroffen worden wären, die dann auch unter der Verantwortung einer solchen überregionalen Vereinigung verübt worden wären, hat er nicht berichtet; auch sonst fehlen dafür jegliche Anhaltspunkte. Daß die einzelnen Zellen gelegentlich zusammenarbeiteten, z.B. durch die Überlassung von Sprengstoff aus einem Diebstahl, oder daß sie ein einheitliches Symbol verwendeten, vermag daran nichts zu ändern, da dies die fehlenden Merkmale einer Vereinigung im Sinne des § 129a StGB für die angebliche ‚Gesamt-Vereinigung‘ nicht ersetzen kann.“ [9]

 

Zusammenfassung:

  • Für eine fortdauernden Mitgliedschaft in einer Organisation hätte Organisationsidentität zwischen den drei Strukturen bestehen müssen.

  • Tatsächlich handelte es sich aber um mehr als drei unterschiedliche Organisationen: 1. Die Revolutionäre Zelle (im Singular) Mitte der 1970er Jahre. 2. Die Revolutionären Zellen (im Plural) in späterer Zeit, u.a. in Frankfurt am Main und Westberlin. 3. Die Vernetzung zwischen den verschiedenen örtlichen Zellen, die aber keine Entscheidungsgewalt über die autonomen örtlichen Zellen hatte und deshalb nicht unter den strafrechtlichen Vereinigungs-Begriff (der dem vereinsrechtlichen Vereins-Begriff [10] entspricht) fiel.

 

Schlußfolgerung:

  • Nach der Regionalisierung und Autonomisierung der Revolutionäre Zelle in mehrere örtliche Revolutionäre Zellen war es nicht mehr möglich, in der ursprünglichen Revolutionären Zelle Mitglied zu sein, dort RädelsführerIn zu sein oder sie zu unterstützen. Denn ab der Regionalisierung und Autonomisierung gab es die ursprüngliche Vereinigung nicht mehr.

 

6. Zum Begriff der „Gesamtorganisation“ oder „Gesamtvereinigung“

 

Graeßle-Münscher, §§ 129, 129a StGB – auf dem Weg zur Terroristischen Gesamtorganisation, in: Demokratie und Recht 1989, 8 - 13.

 

7. Die Entscheidungen des Landgerichts Berlin und des Kammergerichts Berlin in dem Strafverfahren gegen Peter Nowak, Achim Schill und Detlef Georgia Schulze

 

Der Einstellungs- und Auslagenbeschluß des Landgerichts erging am 18.03.2022 zum Aktenzeichen (502 KLs) 231 Js 3168/18 (5/19).

Die Entscheidung des Kammergerichts über meine (erfolgreiche) Beschwerde gegen die Auslagenentscheidung des Landgerichts erging am 24.05.2022 zum Aktenzeichen 1 Ws 29/22 – 171 AR 46/22.

 

Siehe genauer zu der Landgerichts-Entscheidung als in dem rdl-Interview den zweiten .pdf-Anhang zu diesem Artikel.

 

 

 

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Siehe auch:

 


[*] Die „Strafnormen des ‚Blitz-Gesetzes‘ von 1951 […] waren geradezu exemplarische Fälle von Gesetzen, die die Meinungs-, Vereinigungs-, Versammlungs- und Petitionsfreiheit zentral und ‚als solche‘, nämlich um der politischen Inhalte willen, beschneiden und deswegen die entsprechenden Grundrechte und gleichzeitig den allgemeinen Gleichheitssatz sowie das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG verletzen“ (Helmut Ridder, Vom Wendekreis der Grundrechte, in: Leviathan. Zeitschrift für Sozialwissenschaften 1977, 467 - 521; https://web.archive.org/web/20210801165556/http://delete129a.blogsport.de/dokumente/recht/staatliches-konsensmanagement-statt-free-speech/zum-staatstragenden-3/).


 

1 „Das RAF-Konzept ist überholt. Das ist objektiv so. Dabei bleibt es also auch. Alles andere würde völlig an der politischen Situation insgesamt – und unserer speziellen erst recht – vorbeigehen. Es kann auch keine modifizierte Neuauflage des Alten geben.“ (https://www.rafinfo.de/archiv/raf/jw-14-12-96.php) (FN von mir hinzugefügt)

 

2 Zu beachten ist: Auf ein vorheriges Verbot kommt es nur im Rahmen der § 84 ff. StGB an; im Falle der §§ 129 bis 129b StGB bedarf eines (ausdrücklichen) Verbotes nicht. Dessen ungeachtet ist in allen Fällen der Bezugspunkt die Existenz einer Organisation im Sinne der jeweiligen Definition (verbotene Partei; verbotene Vereinigung; Kriminelle Vereinigung; Terroristische Vereinigung im In- oder Ausland).

 

3 Hintergrund dieser Formulierung war, daß der BGH davon ausging, daß „der FDGB, eines der wichtigsten Glieder der SED-‚Gesamtorganisation‘ für Westarbeit, in der Bundesrepublik über eine eigene Teilorganisation verfügt. […]. Seine [Des Angeklagten] alljährlichen Reisen [in die DDR] mit seinen gleichgesinnten Mitreisenden, die alle, so wie er, aus P. stammten und sich untereinander kannten, zeigen deutlich, daß der FDGB im Bundesgebiet nicht bloß tätig geworden war, sondern hier Zellen und Gruppen besaß, die jene Merkmale einer Organisation erfüllen, die nach dem erwähnten Urteil des Senats Voraussetzung für die Anwendung des § 90a n.F. StGB sind. Die StrK stellt ferner fest, daß die FDGB-Veranstaltungen auch dazu bestimmt waren, den Zusammenhalt früherer KPD- und FDJ-Mitglieder aus der Bundesrepublik untereinander und mit ihren in die SBZ ausgewichenen Führern aufrechtzuerhalten.“ (BGH NJW 1965, 260 - 261 [260])

Der Angeklagte habe „an den FDGB-Veranstaltungen [zu denen er in die DDR reiste] teilgenommen und sie ‚zustimmend mitgetragen‘, um entsprechend den Wünschen ihrer Veranstalter das ‚Solidaritätsbewußtsein‘ der aus der Bundesrepublik gekommenen früheren FDJ- und KPD-Mitglieder zu erhalten und zu stärken.“ (ebd. 261)

„Da der Erfolg dieses Tuns der in der Bundesrepublik bestehenden Teilorganisation des FDGB zugute gekommen ist, hat der Angeklagte seine Tat rechtlich in der Bundesrepublik begangen.“ (ebd.)

Also: Unterstützung einer Ersatzorganisation der KPD in der Bundesrepublik durch ‚zustimmende Mittragung‘ einer Veranstaltung des FDGB in der DDR…

Das Landgericht Lüneburg hatte den Angeklagten zu einer Gefängnisstrafe von 7 Monaten verurteilt; der BGH verwies die Sache an das Landgericht mit der Option zurück, daß dieses eventuell ein etwas geringeres Strafmaß festsetzt (Grund dafür war, daß es zwischen der Entscheidung des Landgerichts und des BGH zu einer Gesetzesänderung gekommen war).

Das ist zwar alles skandalös [*] (wobei die Verantwortung für den Skandal mindestens genauso bei den damaligen Gesetzgebungsorgane, wie dem BGH wie auch dem Bundesverfassungsgericht, das nur mäßig verfassungsrechtliche Einwände gegen die damalige Gesetzeslage hatte, liegt) – aber immerhin bedeutet die Entscheidung: Die Unterstützung des FDGB (als vermeintliche Ersatzorganisation der KPD) konnte in der BRD nur begangen worden sei, weil nach Ansicht der BGH in der BRD eine Teilorganisation des FDGB bestand (wenn auch die Treffen, an denen dem Angeklagten die Teilnahme nachgewiesen werden konnte, in der DDR stattfanden). Die Existenz des FDGB in der BRD war also Voraussetzung für eine Unterstützung des FDGB in der BRD – so weit, so logisch (auch wenn die eigensinnige Staatsanwaltschaft Karlsruhe im aktuellen Fall Radio Dreyeckland meint, eine Vereinigung könne auch unterstützt werden, wenn sie nicht [mehr] existiere).

 

4 „Staatsanwaltschaft und Strafgericht müssen […] in eigener Verantwortung entscheiden, ob […] es sich bei der betreffenden Vereinigung um die nämliche Partei handelt, die trotz Verbots nach Art. 21 Abs. 2 GG fortbesteht. […]. Voraussetzung für eine derartige Identität ist, dass der organisatorische Zusammenhalt der ursprünglichen Partei aufrechterhalten wird, etwa indem der organisatorische Apparat und seine Träger im Wesentlichen dieselben geblieben sind. Darum sind Feststellungen zur personellen und organisatorischen Identität und zur Kontinuität der Sachelemente erforderlich.“

 

5 „Wer eine politische Partei, die vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt ist, fortführt, ihren organisatorischen Zusammenhalt auf andere Weise aufrechterhält oder für sie eine Ersatzorganisation schafft, wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. Der Versuch ist strafbar.“

 

6 „1. einer vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärten Partei oder 2. einer Partei, von der das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, daß sie Ersatzorganisation einer verbotenen Partei ist“.

 

7 Auslassung durch den BGH.

 

8 „Wir müssen erreichen, daß jeder selbst entscheiden kann, ob diese oder jene Aktion, diese oder jene Erklärung der Politik der RZ entspricht oder nicht – ohne auf die Bestätigung oder das Dementi eines nicht vorhandenen ZKs zu warten. Das wird auch auf die Dauer die Waffen der Counter-Insurgency stumpf machen. Wir wissen, daß das Konzept, viele selbständige Zellen zu schaffen, eine langwierige und anstrengende Angelegenheit ist. Doch es ist richtig, weil es auf der Eigeninitiative und der Eigenverantwortlichkeit der Militanten aufbaut, Funktionalisierung verhindert, Arbeitsteilung entgegenwirkt und optimal sicher ist: die Bullen beißen sich schon seit Jahren erfolglos die Zähne daran aus.“ (http://www.freilassung.de/div/texte/rz/zorn/Zorn53.htm) (Fußnote von mir hinzugefügt)

 

9 Die Entscheidung erging am 30.03.2001 zu den Aktenzeichen StB 4/01 und StB 5/01. Sie ist online unter der Adresse http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&nr=22093&pos=0&anz=1 zugänglich. Das angeführte Zitat befindet sich dort auf den Seiten 7 bis 9.

Gedruckt wurde sie Band 46 der Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen auf den Seiten 349 bis 358 veröffentlicht. Das angeführte Zitat befindet sich dort auf den Seiten 353 unten bis 355 oben.

 

10 § 2 Absatz 1 Vereinsgesetz: „Verein im Sinne dieses Gesetzes ist ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat.“ (http://www.gesetze-im-internet.de/vereinsg/__2.html; meine Hv.)

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