Antworten an einen Journalisten

Regionen: 

 

Aus Anlass unserer Erklärung #linksunten: Solidarisch zu sein, heißt: sich dem Verbot zu widersetzen aus dem vergangenen Jahr stellte uns ein Journalist die beigefügten fünf Fragen. Soweit wir wissen, folgte damals aus Fragen und Antworten kein Artikel. Aus Anlass des Ermittlungsverfahrens, das das Landeskriminalamt Berlin gerade wegen eines angeblichen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz, den wir mit dem alten Artikel verwirklicht haben sollen, gegen uns führt, veröffentlichen wir nun die damals entstandenen 2 ½ Seiten Text. Auch wenn nicht mehr alles so brandaktuell ist, wie es damals war, finden hier einige LeserInnen unsere Antworten vielleicht interessanter, als sie der Journalist anscheinend fand.

Informationen zu dem Ermittlungsverfahren und überhaupt zu dem Verbot von linksunten.indymedia gibt es u.a. bei labournet:

http://www.labournet.de/interventionen/solidaritaet/solidaritaet-gegen-das-verbot-von-linksunten-indymedia-widerstand-gegen-polizeistaat/

 

Sehen Sie das Verbot von Linksunten/Indymedia als eine rechtswidrige Maßnahme an, mit der die Regierung versucht kurz vor der Bundestagswahl kritische Stimmen mundtot zu machen, obwohl die umstrittenen Inhalte oft Jahre alt sind?

 

a) Ja, wir halten das Verbot für rechtswidrig. Die deutsche Verfassung garantiert die Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit; diese kann zwar auf Grundlage bestimmter Gesetze beschränkt werden. Aber uns sind keine gesetzlichen Bestimmungen bekannt und auch das Bundesinnenministerium führt in seiner Verbots-Verfügung keine Normen an, die erlauben würden, ein Medium wegen dieser oder jener problematischen Texte oder dieser oder jener problematischen Handlungen seiner AutorInnen zu verbieten.

Zwar kann es passieren, daß ein bestimmter Text oder bestimmte Textpassagen nicht mehr verbreitet werden dürfen oder widerrufen werden müssen, weil sie z.B. Verleumdungen enthalten; auch kann es passieren, daß AutorInnen wegen Verleumdung verurteilt werden.

Aber wie gesagt: Wir kennen keine Normen und auch das Innenministerium nennt keine Normen, die erlauben würden, wegen solcher oder anderer Vorwürfe eine ganze Zeitung dicht zu machen (zu schließen).

Statt dessen bedient sich das Ministerium eines durchsichtigen Tricks: Die BetreiberInnen von linksunten seien ein Verein gewesen, und Vereine können nach deutschem Recht in der Tat unter bestimmten Voraussetzungen aufgelöst werden. Nun kann zwar eine aufgelöster Verein keine Zeitung mehr herausgeben. Aber dies heißt nicht, daß allen anderen – den einzelnen Mitgliedern des vermeintlichen Vereins, den zahlreichen AutorInnen von linksunten – verwehrt wäre, das Medium herauszugeben.

b) Die Bundestagswahl einerseits und die militanten Proteste gegen den G20-Gipfel in Hamburg vor ein paar Wochen andererseits, mögen für den Zeitpunkt des Verbots eine Rolle gespielt haben, aber sie sind keine alleinige Erklärung für das Verbot. Selbstverständlich störte es den Staat, daß bei linksunten ein breites Spektrum der deutschen Linken – die militante Linke eingeschlossen – Texte veröffentlichte. Aber, um den vermeintlichen Herausgeber-Verein verbieten zu können, mußte der Staat ja erst einmal ermitteln, wer denn die technisch-organisatorischen BetreiberInnen von linksunten sind. (Da linksunten die Impressumspflicht nicht einhielt, waren die BetreiberInnen nicht offensichtlich.)

Wir wissen unsererseits nicht, ob dem Staat gelungen ist, die tatsächlichen BetreiberInnen zu ermitteln, und er bei denjenigen, denen er die Verbots-Verfügung überreichen ließ, an der richtigen Adresse war.

 

Fehlt dem Verbot eine Differenzierung zwischen möglichen extremistischen Inhalten, die vor Jahren auf Indymedia erschienen sind, und eher neueren rechtmäßigen journalistischen Artikeln die dort auch erschienen sind?

 

Indymedia ist von der globalisierungskritischen Bewegung gegründet worden und dort publizieren AktivistInnen aus verschiedenen politischen Zusammenhängen. Dort gibt es Positionen, die den Nicht-Regierungs-Organisationen (NGO) nahestehen, aber auch radikale Linke. Es ist also ein pluralistisches Konzept und bildet nur die politische Realität ab. Eine Aufteilung in angeblich ‚extremistische’ und ‚rechtmäßigen’ Artikel ist ein Angriff auf das Konzept von indymedia und sollte klar abgelehnt werden.

Das heißt: Wir verweigern uns unsererseits dem Extremismus-Begriff. Er setzt sog. „Links-“ und „Rechtsextremisten“ gleich und platziert den Staat in der vermeintlichen Goldenen Mitte. Aber es ist ein grundlegender Unterschied, ob Leute für die Überwindung von Herrschaft und Ausbeutung kämpfen (was die vom Staat so genannten „Linksextremisten“ machen) einerseits, oder ob Leute für die Aufrechterhaltung von Herrschaft und Ausbeutungen sorgen (was der Staat tut) oder sogar für die Radikalisierung und Intensivierung von Herrschaft und Ausbeutung kämpfen (was Nazis und RechtspopulistInnen machen) andererseits. Insofern ist es unter politischen Gesichtspunkten keine Überraschung, daß die deutschen Geheimdienste teilweise mit dem terroristischen Nationalsozialisten Untergrund (NSU) verquickt waren, aber ein linksradikales internet-Zeitungsprojekt wie linksunten verboten wird.

Aber unter juristischen Gesichtspunkt fehlt es dem staatlichen Vorgehen in der Tat an einer Differenzierung zwischen legalen und illegalen Texten, die bei linksunten erschienen. Weil der Staat Schwierigkeiten hat zu beweisen, welche Leute die vermeintlich oder tatsächlich illegalen Text geschrieben haben, knöpft er sich gleich das ganze Medium vor.

 

Sind Sie der Meinung, dass das Verbot von Linksunten/Indymedia einen Pauschalangriff auf regierungskritischen Journalismus ist, und einen Versuch darstellt, Sie als Journalisten zu delegitimisieren?

 

Nein, das würden wir so pauschal nicht sagen. Gegenüber kritischem Journalismus im allgemeinen ist der deutsche Staat schon recht tolerant. Was den deutschen Staat an linksunten störte, war die enge Verknüpfung von Berichterstattung, Meinungsäußerung sowie linkem – teils auch linksradikalem und revolutionärem – politischen Aktivismus.

Auch dies ist zweifelsohne legal, soweit nicht im Einzelfall Straftaten nachgewiesen werden – aber den Staat stört es trotzdem.

Aber in der Tat ist das Verbot von linksunten ein Angriff auf das Konzept „indymedia“, das ja darin bestand, daß AktivistInnen direkt über unterschiedliche Aktivitäten berichten. Diesem Konzept wurde ja auch schon das Etikett „journalistisch“ abgesprochen. Aber das geht an den Realitäten – gerade im Zeitalter der Blogs – vorbei. Der Angriff auf indymedia reiht sich ein in die Versuche, gerade das Internet unter Kontrolle zu bringen.

 

Was sagen sie zu den Waffenvorwürfen gegen Indymedia bei der BMI-Pressekonferenz – würden sie das als Fake News und Manipulation beschreiben?

 

Daß nun auch auf Deutsch der englische Ausdruck „Fake News“ verwendet wird, ist eine neue Entwicklung (uns scheint in etwa seit vergangenem Jahr); früher wurde auf Deutsch von „Falschmeldung“ gesprochen.

Wenn früher von „Falschmeldung“ gesprochen wurde, dann ging es schlicht darum, daß die Meldung faktisch unzutreffend ist.

Der Ausdruck „Fake News“, wie er nun im Deutschen verwendet wird, scheint uns eher auf der Ebene der Verknüpfung von Fakten und deren Interpretation und politischen Bewertung angesiedelt zu sein. Dadurch ist der Ausdruck „Fake News“ im Deutschen selbst ein bloßes Schlagwort der politischen Auseinandersetzung, das wir unsererseits eher meiden.

Zu den Waffen und linksunten:

  • Ja, es wurden bei den Durchsuchungen Gegenstände gefunden, die auch als Waffen verwenden werden können; aber es wurden keine Waffen gefunden, deren Besitz verboten oder erlaubnispflichtig ist.

  • Und: Die umstrittenen Gegenstände wurden nicht in Privatwohnungen gefunden, sondern in – von vielen Leuten genutzten – Projekträumen. Das heißt: Die Gegenstände können etwas mit den vermeintlichen BetreiberInnen von linksunten zu tun gehabt haben, aber müssen nicht.

Also: Wir würden nicht sagen, daß die Waffenfund-Meldung eine Falschmeldung im strengen Sinne war, aber es wurde mit ihr auf vager Informationsbasis politisch Stimmung gemacht.

Und wir wollen noch etwas sagen: Selbst wenn in den Wohnungen unerlaubte Waffen gefunden worden wären – dies wäre eine juristische Rechtfertigung, ein Ermittlungsverfahren wegen unerlaubten Waffenbesitzes einzuleiten; aber es ändert nichts daran, daß linksunten einfach nur eine pluralistische, linke internet-Zeitung war (und nicht das Zentralorgan einer bewaffneten Gruppe).

Und auch, wenn sich herausstellen sollte, das mit den gefundenen Schlagstöcken Antifas mal Nazis verprügelt haben, würde dies an unserer Haltung zu linksunten nicht das geringste ändern.

 

Sind Sie der Meinung, dass es in letzter Zeit in Deutschland vermehrt zu staatlichen Angriffen auf die Meinungsfreiheit kam, wobei linksoppositionelle Journalisten (eg. Linksunten) sowie auch rechtsoppositionelle Journalisten (eg. Stürzenberger Prozess in München) verfolgt wurden?

 

Wir kennen keine Statistiken dazu – aber nach unserem unsystematischen Eindruck würden wir sagen: In den 1970er und 1980er Jahre, der Zeit der sog. „Berufsverbote“ gegen Mitglieder kommunistischer Parteien und des staatlichen Kampfes gegen linke Stadtguerillagruppen (insbesondere gegen die Rote Armee Fraktion), und in der Zeit der KommunistInnen-Verfolgung in den 1950er und Anfang 60er Jahren war es um die Meinungsäußerungsfreiheit für Linke in Deutschland eher schlechter bestellt als heute. Das heißt nicht unbedingt, daßder deutsche Staat inzwischen liberaler geworden sei. Eine stark geschwächte Linke bedeutet für den Staat auch weniger Eingriffsanlässe.

Und was den jüngsten Prozeß gegen Michael Stürzenberger (ehemaliger Bundesvorsitzender der rechten Kleinpartei „Die Freiheit“ und Autor der Webseite „Political Incorrect“) anbelangt, wollen wir noch einmal betonen: Wir lehnen es grundlegend ab, links und rechts, Nazis und RechtspopulistInnen einerseits sowie Linksradikale und revolutionäre Linke andererseits auf einer Ebene oder als zwei Seiten der gleichen Medaille zu diskutieren.

Im übrigen haben wir den Prozeß gegen Stürzenberger nicht genau genug verfolgt als, daß wir dazu eine Stellungnahme abgeben könnten.

Bilder: 
Lizenz des Artikels und aller eingebetteten Medien: 
Creative Commons by-sa: Weitergabe unter gleichen Bedingungen