Dann feiert mal schön

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Der »Tag der deutschen Einheit« steht an. Die Dogmen der Geschichtsschreibung sind gesetzt. Jeder soll sich bekennen, doch Unterschiede bleiben
Eine Worthülse sorgt derzeit für akuten Bekenntniszwang – der »Unrechtsstaat«. Wer in der DDR aufgewachsen ist und gelebt hat, sieht sich unter Druck gesetzt, die »Knute der Unterdrückung«, unter der alle zwischen Rügen und dem Vogtland bis 1990 zu »leiden« hatten, in schillerndsten Farben auszumalen. Sollte derjenige das nicht tun, ist der Stempel »Verfassungsfeind« aufgedrückt. Erstaunlich ist, daß das Verdammen des »Unrechtsstaats« vornehmlich von denen eingefordert wird, die die DDR nie von innen gesehen haben.
Der »Tag der deutschen Einheit« steht wieder einmal an. Ein willkürlich datierter Feiertag, der wohl nur auf den 3. Oktober gelegt wurde, damit die DDR nicht 41 werden konnte. In diesem Jahr ist es kein runder Geburtstag, aber er fällt zusammen mit dem 25jährigen Jubiläum der Ereignisse von 1989. Und da wird zusammengepanscht, was nicht zusammengehört. Zum Beispiel übergeht das geltende Dogma großzügig, daß die, die im Oktober ’89 auf die Straße gingen, das eben nicht für die deutsche Einheit taten, sondern für eine reformierte DDR. Sie wollten dableiben und nicht abhauen.

Doch das will heute keiner mehr hören. Es paßt nicht ins Bild der alten kalten Krieger, die pünktlich wieder aus ihren Löchern krochen, um die DDR als Hölle auf Erden zu charakterisieren, die glauben machen wollen, daß am 3. Oktober 1990 ein uneingeschränkter Rechtsstaat implementiert wurde. Es ist Propaganda mit Tradition, deren absurde Auswüchse beispielsweise ein Foto der ADN-Reporterin Waltraud Grubitzsch dokumentiert. Das Bild erhielt 1976 auf der World-Press-Photo-Ausstellung einen zweiten Preis in der Kategorie »Das schöne Foto«, die Szenerie zeigt einen DDR-Kindergarten. Beschnitten und grobkörnig erschien es auch 1978 auf der Titelseite einer westdeutschen Zeitschrift mit dem Hinweis: »Kinder in Häftlingskleidung. Ein aus dem Sowjet-KZ in der UdSSR geschmuggeltes Bild.« Ziemlich plump läuft so etwas auch heute noch. Egon Krenz stellte am Dienstag abend in der jW-Ladengalerie ein Buch vor. Das Krawallblatt B.Z. log danach über den Auftritt des letzten DDR-Staatschefs: »Zugang hatten nur ehemalige FDJ- und SED-Funktionäre und Stasi-Offiziere.«

Die DDR wurde vor 24 Jahren endgültig übernommen. Gedanken über eine gesamtdeutsche Verfassung oder etwa eine neue Hymne wurden schon 1990 weggefegt vom Sog der D-Mark. Ebenso wie ganze Industriezweige, soziale Gefüge, individuelle Lebensentwürfe. Es kamen windige Geschäftemacher, rhetorisch geübte Neonazis und in ihren Absichten auch durchaus wohlmeinende Westler, jeder DDR-Bürger hatte sich zu arrangieren.

Was ist es heute – Dekaden später – für eine Einheit, wenn die Chancengleichheit auf nicht absehbare Zeit derart divergiert? Die Wirtschaftskraft liegt laut einer am Mittwoch von dpa veröffentlichten Erhebung im Osten um ein Drittel unter Westniveau. Die Erwerbslosenquote ist fast doppelt so hoch, Ostdeutsche besitzen nicht einmal halb soviel Vermögen. Einige wenige Errungenschaften wurden bewahrt. Etwa die Kinderbetreuung: Doppelt so viele Kinder haben im Osten die Möglichkeit, eine Krippe zu besuchen. Und wenn Joachim Gauck zur offiziellen Feier am Freitag in Hannover ans Rednerpult tritt, sollte er vom örtlichen Publikum ein Bekenntnis zur »Wiedervereinigung« einfordern. Während immerhin 75 Prozent der Ostdeutschen diese positiv bewerten, sieht nur rund die Hälfte der Westdeutschen (48 Prozent) mehr Vor- als Nachteile. ...... von Michael Merz ...... http://www.jungewelt.de/2014/10-02/059.php?print=1

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