BASKISCHE FRAUEN ALS POLITISCHE GEFANGENE (Teil-2)

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Frauen aus dem Spanienkrieg

Im Dezember 2016 trafen sich erstmals mehr als 60 Frauen, allesamt ehemalige baskische politische Gefangene, zu einer dreitägigen Klausurtagung. – Ein Rückblick in die Geschichte zeigt, dass die ersten Strafanstalten tatsächlich Frauengefängnisse waren, sogenannte Casas Galeras. In Bilbao geht sein Bau auf eine Entscheidung im Jahr 1774 zurück, als die Verbreitung von Syphilis bis dahin unbekannte Ausmaße annahm. Die ersten Strafgefangenen waren Prostituierte, sie wurden weggesperrt, weil sie die Moral und Gesundheit der Stadt gefährdeten.

Diese Anstalten wurden von Nonnen geleitet, um die Frauen wieder „auf den richtigen Weg“ zu bringen. Eingesperrt waren Frauen, die ihrer Rollenzuweisung nicht entsprachen: „gefallene Mädchen“, Prostituierte, Verrückte, psychisch Kranke, Ehebrecherinnen, Störenfriedas, an Erlebnissen sexueller Gewalt zerbrochene Frauen, uneheliche Mütter, Lesben. Frauen sollten aufgrund ihres angeborenen Geschlechts Hüterinnen sein, nicht nur von Personen (Kinder, Ehemänner, Geschwister, Kranke, etc.), sondern auch der Moral und der christlich-gesellschaftlichen Normen. Die dieser Rolle nicht entsprachen, wurden weggesperrt – in diesem Fall war es tatsächlich egal, ob es sich um soziale oder politische Gefangene handelt. Daneben existiert das Bild der sozial unreif agierenden, keifenden, stichelnden, hysterischen Frau und die allgemein verbreitete Tendenz, Frauen als infantil zu bezeichnen. In keinem Fall werden Frauen als Subjekte betrachtet, die selbst über ihren Weg entscheiden. Diese Vorgeschichte aus Zeiten der Zuchthäuser, also einer Zwangsunterbringung, die der Züchtigung dient, setzt sich in der heutigen Struktur und Funktionsweise der Gefängnisse fort.

Vierfache Bestrafung

Frauen, die ins Gefängnis kommen, erfahren eine dreifache Strafe. Diejenigen, die aus politischen Gründen eingesperrt werden, wie im Fall der Frauen des baskischen Gefangenen-Kollektivs, erleiden eine vierfache Unterdrückung. Die dreifache Unterdrückung beinhaltet die soziale Bestrafung, die persönliche Strafe und die eigentliche Strafe.

Unter „sozialer Strafe“ ist zu verstehen, dass Frauen, die „vom Weg abkommen“, gesellschaftlich eine deutlich stärkere Ächtung erfahren als Männer. „Persönliche Strafe“ steht für die familiäre Entwurzelung. Das heißt, bei männlichen Gefangenen sind es die zurückbleibenden Frauen, die die Familie zusammenhalten, die Gefangenen besuchen, den Kontakt zum Umfeld pflegen. Ist hingegen die Frau inhaftiert, zerbrechen oft die Familien und die Frauen werden in die Isolation gedrängt, weil sie nicht besucht werden. Dazu kommen die bereits erwähnten Schuldgefühle. Der dritte Faktor, das Absitzen der Strafe selbst, unterliegt strengeren Richtlinien als im Fall der Männer. Dazu kommt im Falle politischer Aktivistinnen ein Element, das als vierter Faktor den Umgang im Gefängnis prägt: nämlich diese Militanz selbst, die Kühnheit, sich in einen Bereich gewagt zu haben, der traditionell Männern vorbehalten war und ist.

Das Gefängnis als Kontinuum

Eine Aufgabe, die der linken Unabhängigkeits-Bewegung noch bevorsteht, ist die genauere Analyse der zusätzlichen Strafen. Also all dessen, was über den physischen Strafvollzug hinausgeht. Es geht um die Frage, wann das Gefängnis beginnt und wann es endet. Hinter dieser Überlegung steht die Tatsache bzw. Erfahrung, dass Strafe nicht mit dem Moment beginnt, in dem sich die Gefängnistüren schließen und auch nicht mit dem Verlassen der Mauern endet. Es handelt sich vielmehr um ein Kontinuum. Viele politisch aktive Frauen haben bereits seit der franquistischen Diktatur jahre- oder jahrzehntelang mit der Drohung einer Gefängnisstrafe gelebt. Nicht nur das. Gefängnis war ständig präsent, weil Vater, Bruder, Lebensgefährte, Freund oder Nachbar im Gefängnis waren. Frauen teilten die Besuche unter sich auf und betreuten sowohl die Gefangenen wie auch die Angehörigen. Nach langjährigen Haftstrafen Entlassene müssen sozial und teilweise psychologisch unterstützt werden.

Obwohl vielen Baskinnen und Basken das Gefängnis in vielerlei Hinsicht kennen, ist sein Innenleben wenig bekannt. Gefängnis wurde immer unter dem Aspekt des politischen Widerstands betrachtet, das heißt, als Ort der Zwangsverwahrung von linken Unabhängigkeits-Kämpfer*innen. Dabei war häufig von Heldentum, Kampf, Einsatz und Durchhaltevermögen die Rede. Ein berühmtes Lied der baskischen Musikgruppe „Pantxo eta Peio“ besingt unter dem Titel „Itziaren semea“ (Itziars Sohn) die Situation eines baskischen Gefangenen, der trotz schwerer Folter stark bleibt und seine Leute nicht verrät. Dabei kommt das Bild ans Tageslicht, das in vielen Köpfen vorhanden ist: das Bild vom Helden, der um jeden Preis durchhält und sich nicht geschlagen gibt. Am Ende des Liedes, als er aus dem Gefängnis entlassen wird, wartet seine Lebensgefährtin auf ihn, küsst ihn und zeigt ihm, dass sie stolz auf ihn ist. Diese vorwiegend von Frauen geleistete Unterstützungs- und Reproduktionsarbeit wird in den letzten Jahren überhaupt erst wahrgenommen, kommentiert und analysiert.

Im Zusammenhang mit der These vom Gefängnis als Kontinuum muss mitbedacht werden, dass die meisten baskischen Unabhängigkeits-Aktivistinnen nach ihrer Festnahme bis zu fünf Tage in Kontaktperre im Polizeikommissariat festgehalten wurden. Diese Zeit vor der Überführung in Untersuchungshaft bedeutete in den meisten Fällen Folter. Im Falle von Frauen waren diese Misshandlungen zusätzlich von sexualisierter Gewalt geprägt. Das bedeutet, dass diese Frauen (und Männer) das Gefängnis in einem Zustand körperlicher und seelischer Verletzung betraten, ohne darüber sprechen zu können.

Solange der spanisch-baskische Konflikt nicht definitiv beigelegt ist, bleiben alle beschriebenen Drohungen weiterhin bestehen. Auch dies ist ein Faktor, der das Konzept des Kontinuums stützt. Das Internet mit seiner für alle zugänglichen Information sorgt dafür, dass Zeitungsberichte über Gerichtsurteile, Gefängnisstrafen und weitere Details bis in die Ewigkeit abrufbar und präsent sind.

Vor Jahren wurde innerhalb der Linken zum ersten Mal eine Organisationg gegründet, die entlassene Gefangene dabei unterstützt, sich in alle Lebensbereiche wieder einzugliedern. Allerdings hatt diese Organisation keinen geschlechtsspezifischen Ansatz. Frauen haben sich bisher noch nicht an die Arbeit gemacht, anderen Frauen nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis konkret zu unterstützen. (Folgt Teil-3)

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