Hausbesetzung Altstadt Bilbo

Seit drei Monaten ist in Bilbao ein Wohn- und Geschäftshaus in der Altstadt besetzt. Nachdem das vorige Besetzungsprojekt am Fluss (Ribera 13) im Februar geräumt wurde, warim Juni ein anderes Gebäude direkt hinter der Kathedrale besetzt worden. Bereits zum zweiten Mal, denn schon im Jahr 2010 waren neue Bewohner/innen in den alten Block eingezogen und hatten es zwei fast Jahre ausgehalten, bevor sie von Justiz und Polizei rausgeschmissen wurden. Den zwischenzeitlichen Leerstand hat das Gebäude gut überstanden, weiterhin ist es baulich in außerordentlich gutem Zustand, von einer undichten Stelle im Dach abgesehen. Von diesem Zustand konnte sich vor wenigen Tagen auch eine deutsche Gruppe von Antifaschist/innen überzeugen, die in Bilbo und Gernika zu Besuch war und sich mit Leuten aus der Besetzungs-Bewegung zum Erfahrungsaustausch traf, im “Maison 13“ (Maison Hamahiru) genannten Haus. Thema waren die Gentrifizierung Bilbaos, die Veränderung der Stadt in den vergangenen 30 Jahren, sowie die Statdtteile, die von den Veränderungen besonders stark betroffen sind. 

Bewohnt wird das 5-stöckige Haus derzeit von einer Gruppe von sechs Personen, in der regelmäßigen Vollversammlung sind um die 20 vertreten. Neben dem Wohnraum sind auch Räume für kulturelle Aktivitäten wie Tanzgruppen, Bibliothek und Filmvorführungen vorgesehen, im Erdgeschoß des ehemaligen Stoffladens gibt es einen Versammlungsraum. Dort finden die Arbeitstreffen statt, die die Gentrifizierung Bilbaos analysieren sollen. Begonnen wurde mit einer Strukturanalyse der Altstadt, die festhalten soll, wieviele Wohnungen und wo leer stehen (u.a. als mögliche Besetzungsobjekte), wie sich die Struktur der Geschäfte verändert, wie sich die Tourismus-Branche Platz schafft. Dazu werden in einem Stadtplan entsprechende Eintragungen gemacht. Leider gab es auch schon einen physischen Angriff auf das Gebäude, angeführt von einem der Eigentümer, der sich die Unterstützung von Sicherheitsbullen erschlichen hatte, und aufgrund des illegalen Charakters seiner Vorgehensweise (Selbstjustiz) letztlich von der Polizei (!) rausgeschmissen wurde (Bericht Baskinfo).

Möglicherweise geht das Projekt im September in eine entscheidende Fase. Denn die bekannten Besetzer/innen sind zu einer Anhörung vor Gericht geladen, dem könnte eine gerichtlicher Räumungsbeschluss folgen. Unabhängig davon sind in den nächsten Tagen und Wochen vielfältige Aktivitäten geplant, wie Volksküchen, eine Euskara-Schule, Widerstands-Workshops, Kindernachmittage, Info-Veranstaltungen, Live-Musik und Versammlungen von Zwangsräumungs-Bedrohten. Ein Blick in das Selbstveständnis des Hausprojekts:

“Die Geschichte dieses Hauses ist typisch für unsere Stadt. Es liegt mitten in der Altstadt. Doch anstatt ein benutztes und lebendiges Element dieses Stadtteils zu sein, ist es seit einiger Zeit zum Objekt von Immobilien-Spekulation geworden. Nach vielen Jahren Leerstand wurde ein Teil des Gebäudes in der Tenderia Straße im Jahr 2010 von einer Gruppe junger Leute wieder für Wohnzwecke genutzt, in kollektiver Form und mit Bezug zum Stadtteil, bis es 2012 geräumt wurde. Die Wiederaneignung dieses Raumes ist nicht von spontanem Charakter, sie ist vielmehr die Fortsetzung einer Projektidee. Denn vor zwei Jahren begann eine heterogene Gruppe von Personen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen, über die Grenzen von kollektiven Aktionsformen zu reflektieren. Aufgrund der dabei festgestellten sozialen Bedürfnisse wurden vier Aktionsbereiche definiert: 1. Die Wiederaneignung von Gebäuden für kollektive Wohnerfahrungen, 2. Die Stärkung von alternativen Freizeit-Projekten, 3. Die Schaffung von Räumen selbstorganisierter Bildung, 4. Die Entwicklung von nicht entlohnten Arbeitsformen, die auf gesellschaftlicher Kooperation basieren. Diese Ideen sollten im Projekt Ribera 13 (das Haus am Fluß) umgesetzt werden. Nach sieben Jahren Leerstand wurde das Gebäude im Juli 2013 besetzt. Das Projekt war gedacht als kollektiver Wohnraum, als sozialer Treffpunkt und als Raum für soziale Bewegungen. Im Februar 2014 fiel das Gebäude wieder in die Hände von Spekulanten. Die aktuelle Situation in Bilbo macht die soziale Wirklichkeit mehr als deutlich: Schätzungen sprechen von mehr als 17.000 leerstehenden Wohnungen (bei einer Bevölkerung von etwas mehr als 300.000 Personen). Gleichzeitig steigt die Zahl derer, die von Zwangsräumungen betroffen sind und keine Wohnungen mehr zur Verfügung haben. Diese Situation bringt uns dazu, über Wege des Widerstands nachzudenken, aktive und dauerhafte Netze von Gleichgesinnten und von solidarischen Menschen zu gründen, uns zu organisieren und Gegenangriffe zu starten. Wir beginnen diesen Weg mit Arbeitstreffen zum Thema Wohnraum und seiner gesellschaftlichen Problematik, sowie zu möglichen kollektiven Lösungen dieser Frage.“

Die ersten Aktionstage fanden im Juni statt, für September sind erneut Arbeitstreffen geplant. In einem weiteren Flugblatt zur Analyse der Situation am Arbeitsmarkt in Bilbo heißt es:

“Seit einiger Zeit ist Bilbao nicht mehr die Stadt für die Menschen aus Bilbo. Es herrscht ein Modell, das sich an Tourismus und an großen Investoren orientiert. Die politisch Verantwortlichen wollen, dass die Stadt sauber und besuchbar wird, doch das sozio-ökonomische Modell der sog. “besten Städte der Welt“ verdammt uns zur Arbeit im Dienstleistungs-Sektor unter prekären Bedingungen. Zeitlich begrenzte Sommerverträge und anullierte Tarifverträge machen die Unerträglichkeit der Situation deutlich. Während öffentliche Gelder für gigantische Verkehrsverbindungen verschleudert werden, um private Wirtschaftsinteressen zu befriedigen, wird auf die elementaren Bedürfnisse der Bewohner/innen der Stadt keine Rücksicht genommen. Wir sollen gezwungen werden, uns als Sklaven zu verkaufen und irrsinnige Preise zu zahlen. Mit Hypotheken und unbezahlbaren Mieten werden wir zu Zwangsräumung verurteilt. Dieser Niedergang Bilbaos in den vergangenen Jahren hat konkret Verantwortliche: Spekulanten verdienen an unserer Misere, korrupte Politiker dienen deren Interessen. Wir haben keine Arbeit, keine Wohnung, keinen Zugang zu vernünftiger Ausbildung und sind es leid, von Brosamen zu leben. Nicht erst seit gestern haben wir nichts mehr zu erbitten. Wir haben einen Schritt nach vorne gemacht und Alternativen geschaffen. Auf diesem Weg sind wir nicht die ersten. Historische Besetzungs-Erfahrungen in Holland oder Italien und neuere Erfahrungen in Sevilla oder Sabadell markieren einen solidarischen Weg, den auch wir eingeschlagen haben. Wir wollen keine Zeit mehr verlieren und die Zukunft in die eigenen Hände nehmen. Wir haben dieses verlassene Gebäude besetzt mit einem klaren Ziel: einen offenen Raum zu schaffen für alle und für den Lernprozess, unseren Alltag selbst zu organisieren.“

 

 

Lizenz des Artikels und aller eingebetteten Medien: 
Creative Commons by-sa: Weitergabe unter gleichen Bedingungen