Strategiemanifest - Aus der Sackgasse im strategischen Labyrinth zur Revolution
Eine Analyse, wieso die Klimabewegung und andere soziale Kämpfe im strategischen Labyrinth in einer Sackgasse stecken und eine Idee, wie wir schnell und effektiv zur Revolution kommen.
“Noch nie sind die Dinge so sehr aus dem Ruder gelaufen. Nicht ein einziges Mal in der Geschichte der Menschheit, nicht einmal in der des Lebens im Allgemeinen.” (Total Liberation) Der Zusammenbruch aller Lebenserhaltenden Systeme vollzieht sich in rasantem Tempo direkt vor unseren Augen, ganze Ökosysteme sind bereits kollabiert und jede Minute wächst die Gefahr, dass wir irreversible Kipppunkte überschreiten. Trotzdem befindet sich die Klimabewegung in einer Situation äußerster Irrelevanz und muss sich mit dem Fakt abgeben, dass sie weiter denn je davon entfernt ist, ernsthafte transformative Macht aufzubauen. Doch warum ist das so?
Eigentlich wissen wir längst alles, was wir wissen müssen. Das gilt nicht nur für die Klimawissenschaft, die uns mehr als genug Informationen darüber geliefert hat, dass eine Revolution unabdingbar ist. Es gilt genauso für die Transformationswissenschaft, die zeigt, wie eine solche gesellschaftliche Veränderung möglich ist. Nur wird letztere noch rigoroser ignoriert - komischerweise selbst von Klimaaktivist*innen.
Schauen wir uns einmal an, was wir wissen.
-
Klimaschutz geht nur mit Systemwandel. Das wurde im letzten summary for policy makers des IPCC deutlich. Der einzige Weg, die Emissionen in einem Tempo herunterzufahren, das benötigt wird, um den totalen Kollaps des Klimas aufzuhalten, ist, den Wirtschafts-Wachstumszwang zu beenden und degrowth einzuleiten. Da ewiges Wachstum geradezu der Grundpfeiler des Kapitalismus ist, folgt daraus, dass man kein*e seriöse*r Klimaaktivist*in mehr sein kann, ohne den Kapitalismus selbst so schnell wie möglich beenden zu wollen. Der IPCC macht klar: in dem aktuellen System ist ausreichender Klimaschutz nicht möglich. Kapitalismus bedeutet Wachstumszwang. Wachstumszwang bedeutet höhere Produktion und das geht immer mit größerer Umweltzerstörung einher.
-
Reformen - also Bemühungen das Klima zu schützen ohne das System zu ändern, das hinter der Krise steckt, sind nichts weiter als Kosmetik. Sie sind bestenfalls zum Scheitern verurteilt, schlimmstenfalls helfen sie den Profiteur*innen des Kapitalismus, diesen grünzuwaschen. Bezeichnend für den Kapitalismus ist seine unheimliche Flexibilität, dank der er sich an kleine Veränderungen der politischen Rahmensituation anpassen und daraus sogar gestärkt hervorgehen kann. Als der Atomausstieg verkündet wurde, fokussierte sich die Wirtschaft eben mehr auf Braunkohle. Jetzt, da der Kohleausstieg sich am Horizont abzeichnet, verschiebt sich die industrielle Aktivität in Richtung Gas oder - absurderweise - zurück zu Atom. All das geht mit keinerlei Verbesserung für das Klima einher. Es kann daher im Kapitalismus keine Teilsiege geben, solange Wachstumszwang und Profitmaximierungsdoktrin (also der Kapitalismus an sich) nicht abgeschafft sind.
-
Einen Systemwandel wiederum können wir nicht durch oder mit Regierungen erreichen, sondern immer nur gegen sie. Regierungen sind heutzutage hauptsächlich Handlanger der Wirtschaft. Dafür sorgen nicht nur tief verankerte und institutionalisierte Wirtschaftsinteressen, sondern auch Paradigmen, die den Glauben aufrecht erhalten, dass Gemeinwohl nur durch Wohlstand und dieser nur durch Wachstum zu erreichen sei. Die parlamentarische Demokratie und der Kapitalismus gehen Hand in Hand, weil sie füreinander entwickelt wurden und nun untrennbar verbunden sind. Die Regierung hat uns oft genug bewiesen, dass sie Wirtschaftsinteressen vor Menschenleben stellt. Solange das so ist, muss der Sturz des Systems mit der Entmachtung der Mächtigen einhergehen. Oder anders gesagt: ein Wirtschaftssystemwechsel ist nur möglich durch einen gleichzeitigen Wechsel des Politiksystems, z.B. hin zu Einwohner*innenversammlungen und deliberativer Demokratie. Natürlich können wir länger hoffen, dass wir mit genug Bitten und Appellen die Mächtigen dazu bewegen, ihre eigenen Entmachtung durchzusetzen. Wir können aber auch aus unseren Erfahrungen lernen, unser Regierungsvertrauen ablegen und verstehen, dass heutige Staaten als politische Manifestation des Kapitalismus nie unsere Verbündeten, sondern immer unsere Gegner sein werden. Es hat deshalb keinen Sinn, Forderungen an Regierungen zu stellen.
-
Mehrheiten brauchen wir nur, solange wir die Veränderungen auf parlamentarischem Wege durchsetzen wollen. Abgesehen davon, dass wir gar keine Zeit mehr haben, um auf das demokratische System zu setzen, kam ein Systemwandel noch nie auf diesem Wege zu stande. Ein Systemwandel ist nichts anderes als eine Revolution und Revolutionen werden nicht von der Mehrheit gewählt. Stattdessen braucht es eine entschlossene Gruppe von Menschen, die im richtigen Moment die richtigen Dinge tut und möglichst viele davon begeistert. Es macht daher keinen Sinn, den Großteil der eigenen Energie darauf zu verschwenden, Konservative und andere Ignorante zu überzeugen, bis wir die Mehrheit der Gesellschaft auf unserer Seite haben. Stattdessen müssen wir die für die Revolution nötige Menge zu Revolutionär*innen machen und für eine vielversprechende Strategie begeistern (wie diese aussehen kann, dazu später mehr).
-
Wir haben es mit etwas, zu tun, dass noch keine soziale Bewegung vor uns kannte: massivem Zeitdruck. Angesichts dessen, dass wir gewisse unwiderrufliche Kipppunkte schon überschritten haben (z.B. Korallenriffe und Permafrostböden), wir bei über 400 ppm C02 in der Atmosphäre stehen und laut IPCC nur noch ca. 3 Jahre haben, um die Überschreitung von 2 Grad und damit den absoluten Zusammenbruch zu verhindern, müssen wir extrem schnell gewinnen. Deshalb können wir weder auf langwierige politische Prozesse wie die nächsten Wahlen warten, noch können wir weiterhin Aktionen und Methoden probieren, die nicht wirksam sind und hoffen, dass sie vielleicht irgendwann funktionieren.
All das bedeutet, dass das traditionelle Klimaaktivistische Rezept in so gut wie jedem Punkt von Fehlannahmen geleitet und daher zum Scheitern verurteilt ist. Dieses lautet wie folgt:
Wir suchen uns ein einzelnes Thema. Wir planen um dieses Thema eine Aktion, die Aufsehen erregt. Wir hoffen, dass die Medien berichten, sodass wir dadurch Aufmerksamkeit und Unterstützung kriegen. Wir hoffen, dass die Unterstützung für unsere Forderung dazu führt, dass die Regierung (oder eine andere Instanz mit Macht) deshalb einer von uns gestellten Forderung nachgibt.
Die aktuelle strategische Sackgasse der Klimabewegung ergibt sich daraus, dass diese 5 Punkte ignoriert werden und am traditionellen Rezept festgehalten wird - trotz der Offensichtlichkeit seines Scheiterns.
Blicken wir einmal auf die Alternativen, die sich uns bieten, wenn wir diesen Pfad verlassen.
Der erste Schritt wäre, unsere Ziele nicht mehr als Veränderungen innerhalb des herrschenden Systems zu definieren, sondern stattdessen das System als ganzes zu verändern, was auch bedeutet die aktuellen Machtverhältnisse radikal herauszufordern.
Als Konsequenz daraus ergibt sich, dass wir keine Forderungen mehr stellen sollten. Aus zwei Gründen: erstens kann man die Mächtigen noch so sehr bitten, ihre Macht abzugeben, sie werden es nicht tun. Zweitens gibt es gar keine einzelne Instanz, die von oben herab das umsetzen könnte, was nötig wäre, um das System zu überwinden und an die daher sinnvollerweise Forderungen gestellt werden können. Dies ist nur durch einen revolutionären Prozess möglich. Stattdessen sollten wir als Bewegung uns Ziele setzen und es als unsere eigene Verantwortung sehen, diejenigen Prozesse in Gang zu setzen, die nötig sind, damit die Ziele erreicht werden. Statt beispielsweise die Regierung aufzufordern, den Einsatz von Pestiziden zu begrenzen und somit die Verantwortung zur Erfüllung dieses Schrittes an eine Instanz auszulagern, die das höchstwahrscheinlich nicht tun wird, setzen wir uns das Ziel, dass kein/ weniger Pestizid verwendet werden kann und verhindern selber aktiv die Produktion und Auslieferung dessen.
Konkret heißt das, dass wir uns das Ziel setzen müssen, innerhalb von 2-3 Jahren (denn laut IPCC und scientist rebellion haben wir noch so viele Jahre, um die Klimarevolution zu schaffen) den Kapitalismus abgeschafft zu haben (das kann natürlich auch in Teilziele runtergebrochen sein).
Dies als primäres Ziel zu haben, hat auch aus Mobilisierungsgründen zwei entscheidende Vorteile. Erstens erlaubt der Fokus auf Systemwandel, dass verschiedene Kämpfe endlich wirksam kombiniert werden können. Statt diese entweder als konkurrierend anzusehen oder als miteinander verbunden, aber trotzdem unsere Ressourcen zwischen ihnen aufteilen zu müssen, können wir all unsere Kräfte, Ressourcen und Menschen in dem allgemeinen Kampf gegen System, Herrschaft und Unterdrückung bündeln, von dem alle Teilkämpfe profitieren.
Außerdem können wir uns endlich von dem Denken in Ländergrenzen verabschieden, dass viele aktivistische Projekte immer noch prägt. Dieses ist nämlich nur dann nötig, wenn man sich auf die Beeinflussung von Wahlen und Politiker*innen fokussiert. Das System dagegen können wir sowieso nur global besiegen, weshalb wir weltweit zusammenarbeiten können und müssen. Durch beides werden wir mehr, diverser und stärker.
Dafür braucht es dann einen umfassenden Plan, unter dessen Dach interessierte Menschen einfach eingebunden und organisiert werden können. Statt also zu versuchen, alle Menschen zu erreichen und sie zu passiven Unterstützer*innen zu machen, die die Mehrheiten ändern, geht es darum, genug Leute zu aktiven Unterstützer*innen zu machen. Movement power ergibt sich aus der Kombination zwischen der Menge an Menschen und der Wirksamkeit der Menschen in der Bewegung. Die Wirksamkeit passiver Untersützer*innen ist gleich null. Warum sollten wir weiterhin versuchen, die Menge der Menschen ins Unendliche zu vergrößern statt die Wirksamkeit der Menschen zu vergößern, die Teil der Bewegung sind? Das geht natürlich nur, wenn Basisarbeit wieder gut geleistet wird also Ortsgruppenaufbau und andere Dinge, die nötig sind, um keine potenziellen Mitkämpfer*innen wegen fehlenden Mitmachmöglichkeiten zu verlieren. Gleichzeitig kann ein konkreter, ehrgeiziger und aufregender Plan auch dazu führen, dass genau diese Basisarbeit wieder mit Elan aufgenommen wird, da es vielen Ortsgruppen verschiedener Bewegungen gerade vor allem an einer größeren Vision mangelt, auf die ihre Arbeit langfristig hinauslaufen kann.
Jetzt dazu wie ein solcher Plan aussehen könnte: grob gesagt kann jeder Systemwandel nur funktionieren, wenn gleichzeitig die Stützpfeiler des alten Systems zum kollabieren gebracht und die Samen eines alternativen Systems, das übernehmen kann, gesät werden. Der Punkt, an dem das alte System endgültig in sich zusammenbricht und das neue Raum gewinnt, sich zu entfalten, wird als Revolution bezeichnet. Das Vorbereiten des neuen Systems kann keinesfalls auf die Zeit nach der Revolution verschoben werden. Denn eines ist sicher: Egal wie schrecklich ein System sein mag, es ist immer besser als zu verhungern. Deshalb werden Menschen immer das alte System stabilisieren, wenn ihnen nicht glaubhaft gemacht werden kann, dass ihre Grundbedürfnisse auch in einer anderen Welt versorgt werden können.
Um das alte System zu zerstören sind zwei Dinge wichtig: erstens muss bis an die Wurzel durchanalysiert werden, was genau - also welche Ressourcen, Prozesse, Personen, Paradigmen, etc. - das System zusammenhalten. Im heutigen fossilen Kapitalismus sind das vor allem fossile Brennstoffe. Diese liefern die gesamte Energie, die für absolute alle Produktions-, Transport- und Verwaltungsvorgänge nötig sind. Wer fossile Energien stoppt, bringt das System zum Stillstand. Zweitens muss sich von der Doktrin der Gewaltfreiheit verabschiedet werden, die mittlerweile für unzählige politisierte Menschen nahezu zur Religion geworden ist. Allerdings braucht man Gewaltfreiheit nur dann, wenn das Ziel ist, die Mehrheit der Menschen von sich zu überzeugen und man sich deshalb nicht leisten kann, den eigenen Ruf aufs Spiel zu setzen. Ist das Ziel, tatsächliche materielle Veränderung zu erreichen, ist Gewaltfreiheit der größte Gegner. Peter Gelderloos’s Buch Wie Gewaltfreheit den Staat schützt, legt brilliant dar, inwiefern all jene „Wissenschaft“ unglaubwürdig ist, die behauptet, Gewaltfreiheit führe zu den besten Ergebnissen und dass es tatsächlich kaum je eine Bewegung gab, die gewaltfrei zum Ziel kam. Andreas Malms How to blow up a pipeline liefert eine perfekte Ergänzung dazu, indem es darlegt, wie Sabotage das Ende des fossilen Kapitalismus einleiten kann.
Man muss noch nicht einmal Unterstützer*in solcher Theorien sein, um Gewaltfreheit abzulehnen. Ein Blick auf die Praxis reicht aus: Wenn wir das Ende des Kapitalismus wollen, werden wir mit Menschen aller möglicher Lager zusammenarbeiten müssen, die diese Vision teilen: Anarchist*innen, Umweltschützer*innen, Kommunist*innen, uvm. Einige bringen ein pazifistischen Mindest mit, andere präferieren Sabotage, etc. Wir können uns davon spalten und schwächen lassen oder wir leben diversity of tactics aus und erlauben der Vielfältigkeit unserer Wege, uns zu stärken.
Gleichzeitig muss das neue System organisiert werden. Wenn wir wollen, dass dieses post-kapitalistisch, solidarisch, gerecht, demokratisch und lebenswert ist, heißt das, die solidarischen Strukturen, persönlichen Beziehungen und Partizipationsstrukturen, die dafür nötig sind, heute schon aufzubauen und auszutesten. Rojava, die autonome und faktisch post-kapitalistische Zone in Nordsyrien hat vorgemacht, wie die jahrelange Erprobung von basisdemokratischen Räten und solidarischen Gruppen dazu führt, dass diese in einem revolutionären Machtvakuum übernehmen und sich als neues Politsystem etablieren können. Ortsgruppenarbeit muss also daraus bestehen, Menschen theoretisch wie praktisch auf die Revolution vorzubereiten. Das heißt, Verständnis dafür wecken, wieso eine Revolution nötig ist und Menschen dabei unterstützen, sich fernab von kapitalistischen Logiken solidarisch zu organisieren, um die Abhängigkeit vom Kapitalismus zu überwinden und gleichzeitig basisdemokratische, anarchistische Organisationsformen wie Einwohner*innenräte erlebbar machen und die dafür nötigen Skills vermitteln. In diesen Räten kann die Krise und Wege aus der Krise besprochen werden, sodass der revolutionäre Prozess selbst schon möglichst partizipativ von unten gestaltet wird. Dabei muss darauf geachtet werden, dass die Organisationsform es zulässt, neue Menschen schnell einzubinden. Außerdem müssen gerade diejenigen Menschen unterstützt und organisiert werden, die vom aktuellen System zurückgelassen werden und daher wenig zu verlieren und viel zu gewinnen haben. Leider sind das genau diejenigen, die die Klimabewegung bis jetzt häufig vergisst. Für den ganzen Prozess der Eingliederung neuer Menschen und dem Aufbau revolutionärer Beziehungen muss die Bewegung verstärkt auf persönliche Gespräche setzen also die Macht von Organizing nutzen lernen. Anders geht es nicht. Oder in den Worten Cesar Chavez, dem Gründer der US-Landarbeitergewerkschaft: „How I organize? I talk to one person, then I talk to next person and then I talk to another person.“
Bei all dem müssen aktuelle Entwicklungen miteinbezogen werden, die das Fenster für Revolution öffnen, indem sie alltäglich spürbar sind und die Einengung und Fehlerhaftigkeit des aktuellen Systems aufzeigen. Aktuell sind das vor allem die Coronakrise, Ukrainekrieg und die steigende Kosten für Öl und Gas und somit für Lebensmittel, Transport und Heizung. Diese müssen genutzt werden, um Menschen abzuholen, Systemkritik zu verbreiten und den Wunsch nach einer Alternative zum System zu stärken.
Das alles hat das Potenzial, zu funktionieren und uns aus einer scheinbar aussichtslosen Situation herauszubringen, damit wir das Ruder herumreißen. Gleichzeitig ist es ein unfassbar ehrgeiziger und herausfordernder Plan, der alle unsere Stärke erfordern wird. Und genau deshalb bedeutet ein Commitment zu diesem Plan, zur Revolution auch, alles andere nicht zu machen, sondern knallharte Prioritäten zu setzen auf demjenigen, was das Potenzial hat, die Welt zu retten. Wir haben keine Zeit mehr, uns in unwirksamem Aktivismus zu verlieren. Lass uns gemeinsam den Weg Richtung Revolution ebnen und beschreiten, denn die Revolution braucht uns - dringend! Hörst du sie schon rufen?