[Kiel] 70 auf unangemeldeter Demonstration gegen G20-Repression und Polizeigewalt

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Am gestrigen Mittwochabend, 15.11.2017 demonstrierten in Kiel etwa 70 Menschen spontan unter dem Motto „United We Stand – gegen staatliche Repression und Polizeigewalt“. Anlass war, dass in Hamburg nach den G20-Protesten noch immer Menschen in Haft sitzen, zu hohen Strafen verurteilt werden und gleichzeitig die zunehmende Polizeigewalt unverfolgt bleibt. Um kurz nach 18 Uhr startete der unangemeldete Zug am Berliner Platz und zog lautstark unter knast- und repressionskritischen Parolen wie „Mit Power durch die Mauer bis sie bricht“, „BRD Bullenstaat, wir haben dich zum Kotzen satt“ und „Scheiß G20 – Welcome to Hell“ durch die Innenstadt. Die Angeklagten Fabio und Konstantin, die sich derzeit vor den Hamburger Amtsgerichten verantworten müssen, wurden dabei auch namentlich gegrüßt. Zahlreiche Flyer wurden an Passant_innen verteilt, um das Anliegen der Demonstrant_innen zu erläutern. Die Demo löste sich eine knappe halbe Stunde später am Hauptbahnhof auf.

 

Auf der spontanen Versammlung wurde durchgehend die Freiheit für alle G20-Gefangenen gefordert, die nun als Einzelne stellvertretend für alle G20-Gegner_innen haften sollen. Eine Woche lang waren Anfang Juli zehntausende Menschen zusammen mit den nun Angeklagten auf den Straßen Hamburgs aktiv gewesen und hatten der Besatzung der Stadt durch 31000 schwer bewaffnete Polizist_innen getrotzt. Gemeinsam und entschlossen eroberten sich die Gipfelgegner_innen das Recht zurück, die Selbstinszenierung der 20 mächtigsten Staats- und Regierungschef_innen dieser Welt mit ihrem unversöhnlichen und unübersehbaren Widerspruch gegen Kapitalismus, Patriarchat, Rassismus und autoritäre Formierung, gegen die Weltordnung der Ausbeutung, der Abschottung, der Naturzerstörung und des Krieges zu konfrontieren.

 

In einem ersten Redebeitrag am Europaplatz wurde Polizeigewalt thematisiert, die auch in Kiel ausgeübt wird. So wurde erst kürzlich ein Verfahren gegen einen Polizisten eingestellt, der am 14. April 2017 einer Antifaschistin nachts in Mettenhof das Knie zertrümmerte, weil er sie der Demontage eines AfD-Plakats verdächtigte. Sie musste per Notarzt ins Krankenhaus gebracht werden, sich einer langen Operation unterziehen und drei Wochen im Krankenhaus verbringen. Die Genossin erlitt einen Bruch, Bänderrisse, einen Kreuzbandriss und anderes. Insgesamt lag sie, bedingt durch eine weitere Operation, sechs Wochen im Krankenhaus. Das Verfahren gegen den Polizisten wurde kaum einen Monat nach Einreichung der Anzeige eingestellt – ein weiteres Beispiel dafür, dass Betroffene von Polizeigewalt kaum eine Chance haben, von der „unabhängigen“ Justiz die Herstellung von Gerechtigkeit zu erwarten.

 

Anschließend zog die Demonstration unter Rufen wie „Ganz Kiel hasst die AfD“ weiter an der Landesgeschäftsstelle der AfD vorbei. Die offenbar nicht vorbereitete Polizei begleitete das Geschehen bis hierhin zwar mit einem Wagen, war jedoch nicht in der Lage einzugreifen. Erst während der Abschlusskundgebung am Hauptbahnhof zogen sich weitere Polizeikräfte zusammen, kamen jedoch zu spät, um gegen die irreguläre Veranstaltung vorzugehen. Alle Demonstrant_innen konnten ohne Belästigungen ihren planmäßigen Nachhauseweg antreten.

 

An den Bussteigen des Hauptbahnhofs wurde ein weiterer Redebeitrag zu den repressiven Folgen des G20-Gipfels gehalten. Nochmals wurde unterstrichen, dass nach wie vor viele Aktivisten seit mittlerweile vier Monate in Untersuchungshaft gefangen sind oder bereits in politischen Prozessen verurteilt wurden, die mit bis zu 2 1⁄2 Jahren Gefängnisstrafe weit über das übliche Maß hinausgehen. Den Angeklagten und Verurteilten wird dabei oft lediglich vorgeworfen, an Demonstrationen teilgenommen zu haben, von denen kriminalisierte Handlungen ausgegangen sein sollen, während kein Beweismaterial vorliegt, das die Taten mit ihnen in Verbindung bringen würde. Erst diesen Montag, 12.11.2017 wurde nun wieder ein 19jähriger zu einer auf Bewährung ausgesetzten Gefängnisstrafe verurteilt.

Der Redebeitrag und ein Transparent mit der Aufschrift „Hier stand unsere Meinung“ thematisierten zudem auch das Verbot von linksunten.indymedia.org im Nachklang des Gipfels – eine Zensur, wie sie in den letzten Jahren in der BRD nicht vorgekommen ist.

 

In Hamburg und auch in Kiel hat sich jüngst mal wieder deutlich gezeigt: Die staatlichen Organe sind weder Freund noch Helfer, sondern dazu da, Kritik und Widerstand zu unterbinden und Menschen einzusperren. Deshalb wurden Polizei und Ordnungsamt im Vorfeld nicht um Erlaubnis gefragt, sondern die Demonstration unangemeldet durchgeführt. Die Mobilisierung wurde deshalb erst wenige Stunden vor der Aktion öffentlich gemacht.

 

Riesig scheinen in Anbetracht der gegenwärtigen Brutalisierung menschlichen Zusammenlebens die Herausforderungen, mit denen Träger_innen emanzipatorischen Begehrens umzugehen haben, die sich nicht damit abfinden wollen. Auch dies mag derzeit dazu beitragen, dass die Reaktionen der Linken auf die Hamburger Urteile, genauso wie z.B. auf das Verbot und die Zerstörung von linksunten.indymedia.org, bisher übersichtlich geblieben sind. Widerstand und Solidarität bleiben jedoch notwendiger denn je. Die gestrige Demo wollte einen kleinen Beitrag dazu leisten, dies in Erinnerung zu rufen.

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Ergänzungen

Das G20-Treffen in Hamburg wurde und wird begleitet von einem Gipfel der Repression. Ein „Festival der Demokratie“ hatte der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz versprochen. Was das bedeutet, haben wir in Hamburg gesehen – auch hier ist es ohne Probleme möglich sämtlicheGrundrechte außer Kraft zu setzen. Damit Menschen, die meinen die Welt zu beherrschen, sich ungestört treffen können. Damit die Regierenden weiter die Ressourcen der Welt verteilen und in Ruhe einem Konzert in der Elbphilarmonie lauschen können und damit das kapitalistischeWirtschaftssystem erhalten bleibt, in dem täglich Menschen unterdrückt werden. Bereits vor dem Gipfel zeichnete sich ab, dass jeglicher Protest unterbunden werden sollte: Eine mehrere Quadratkilometer große Demoverbotszone, ein erwiesener Rechtsbrecher als Einsatzleiter bei der Polizei, keine Erlaubnis zum Schlafen in Zelten und eine Polizei, die offensiv gegen Gerichtsurteile verstieß und Menschen schikanierte, die Zelte aufbauten oder in derInnenstadt ein Bier tranken. Es waren nicht Demonstrierende, sondern immer wieder die Polizei, die schwer Verletzte und Tote in Kauf nahm: Sei es beim Angriff auf die „Welcome to Hell“-Demo mit Knüppeln, Tränengas und Wasserwerfern trotz hoher Mauern ringsum, beim Reindrängen von Menschen in wackelige Zäune am Freitag morgen, als mehrere darauf hin stürzten und schwer verletzt ins Krankenhaus kamenoder beim Einsatz von schwer bewaffneten Einheiten im Schanzenviertel mit Schußfreigabe Warnschuss. Von der Polizei als Rechtfertigung angegebene Hinterhalte konnten nicht gefunden werden - waren also offensichtlich erlogen. Aber nicht nur auf der Straße ging die Polizei brachial auf die Demonstrierenden los. Gleichzeitig kam es während des G20-Gipfels zu Einschränkungen des Presserechtes wie der Entzug von Akkreditierung von 32 JournalistInnen. Rechtsanwält*innen von G20-Gefangenen wurdenangegriffen oder bekamen Hausverbot und in der Gefangenensammelstelle wurden Zellen willkürlich überfüllt und ärztliche Versorgung und Essen oft verweigert. Widerstand war unabdingbar. Viele wollten die Schikanen durch die Herrschenden nicht länger hinnehmen und es gab viele Augenblicke der Solidarität und der gemeinsamen Befreiung, ob die sich nun in Küchen für alle, gemeinsam durchgesetzten Camps, Enteignungen oder direkter Angriffe gegen die Polizei ausdrückten. Die Brände dieser Tage machten deutlich: Die Politik der G20 wird nicht unwidersprochen hingenommen, sondern sie steht unserer Befreiung entgegen. Der Gipfel war kaum vorbei, da ging die Hetze gegen die GewalttäterInnen los und gemeint waren nicht jene Regierungschefs und -chefinnen, die wieder und wieder Kriege vom Zaun brechen und Waffen liefern, sondern die, die sich dagegen zur Wehr gesetzt haben. Menschen ertrinken alltäglich im Mittelmeer, sterben durch Waffen, die auch hier in Kiel produziert werden, aber ihr empört euch über ein paar brennende Autos? Die Antwort des Staates ließ nicht lange auf sich warten: Wenige Wochen nach dem Gipfel wurde das linke Nachrichtenportal linksunten.indymedia.org verboten. Zuvor hatten dort viele durchaus kontroverse Diskussionen über den G20-Gipfel und seine Auswertungen stattgefunden. Über die Zensur in der Türkei oder in China regen sich Politiker*innen hier auf – aber hier ist es kein Problem, die Pressefreiheit auszuhebeln, schließlich geht es um den Schutz der Demokratie. Über 50 Personen wurden nach dem Gipfel in Untersuchungshaft gesteckt, etwa 13 davon sitzen jetzt immer noch im Knast. Die jetzigen Urteile sind im Vergleich zu ähnlichen Taten sehr hoch- auch gestern wurde ein Mensch zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Diese Urteile zeigen, dass hier Exempel statuiert werden sollen, die Menschen sollen unabhängig von ihren konkreten Taten für die Stunden der Revolte in Hamburg bestraft werden. Noch Tausende weitere Verfahren sollen in den nächsten Jahren gegen G20-Gegner*innen geführt werden. Mit unserer Solidarität stellen wir uns dem entgegen und werden weiter für eine Welt ohne Ausbeutung, Unterdrückung und Umweltzerstörung streiten. Wie einer der G20-Gefangenen es in seiner Prozesserklärung passend ausdrückte: „Wir sind nicht die Schafherde von zwanzig mächtigen Herrschern. Wir sind Frauen und Männer, die das Recht haben wollen, über ihr eigenes Leben selbst zu entscheiden. Dafür kämpfen wir. Und dafür werden wir weiter kämpfen.“

Liebe Leute,

Wir sind heute spontan auf der Straße, um gegen die andauernde staatliche Repression gegen Teilnehmer_innen der vielfältigen und massenhaften Proteste gegen den G20-Gipfel Anfang Juli in Hamburg zu demonstrieren. Auch diese Woche gab es eine weitere Verurteilung vorm Hamburger Amtsgericht, weitere Prozesse wurden fortgesetzt und noch immer sitzen zahlreiche Aktivisten in Untersuchungshaft. Mit der politischen motivierten juristischen Verfolgung von Anti-G20-Demonstrant_innen wollen die Verantwortlichen in Senat und Polizei vor allem darüber hinwegtäuschen, dass das Chaos, in dem ihr Gipfel der globalen Ausbeutung versank,  durch sie selbst verschuldet gewesen ist; durch die Arroganz der Macht, die die Proteste Zehntausender erfolglos mit voller Staatsgewalt niederprügeln wollte und dabei neben immer vehementerem Widerstand hunderte schwerverletzte Demonstrant_innen erzeugte. 
 
Doch schwer verletzte linke Aktivist_innen, die in Folge von Polizeiübergriffen mit Knochenbrüchen in Krankenhäuser eingeliefert werden müssen, gab und gibt es weder nur in Hamburg, noch nur im Ausnahmezustand großer Gipfelevents. Dass Polizeigewalt, entgegen der viel zitierten Legende von der Polizei als Opfer, eine dem Staatsprinzip untrennbar verbundene Handlungsoption ist, wurde einer Antifaschistin im April dieses Jahres auch in Kiel schmerzlich in Erinnerung gerufen: Weil sie dem Befehl, sich durch die Besatzung einer Polizeistreife kontrollieren zu lassen, die im Stadtteil Mettenhof gerade Jagd auf Entsorger_innen von rassistischen AfD-Plakaten machte, nicht umgehend Folge leistete, wurde sie von einem der Polizisten gewaltsam zu Boden gerissen, wobei sie sich schwerste Verletzungen im Knie zuzog. Sie musste per Notarzt ins Krankenhaus gebracht werden, sich einer langen Operation unterziehen und drei Wochen im Krankenhaus verbringen. Unsere Genossin erlitt einen Bruch, Bänderrisse, einen Kreuzbandriss und anderes. Insgesamt lag sie, bedingt durch eine weitere Operation, sechs Wochen im Krankenhaus.

Auch in diesem Fall kam es zunächst zu einer Strafanzeige gegen die Betroffene durch die Polizei. Erst als sie und ihre Unterstützer_innen durch eine Gegenanzeige Widerstand gegen dieses Polizeivorgehen ankündigten und den Vorfall öffentlich machten, wurde das Ermittlungsverfahren ob der Offenkundigkeit der brutalen Polizeigewalt eingestellt – gleichzeitig jedoch auch das gegen den Gewalttäter in Uniform. Die Behörden wollen so einer für sie potentiell unangenehmen öffentlichen Auseinandersetzung ausweichen. Doch wir garantieren ihnen: Wir vergessen nichts, auch weil der Angriff auf unsere Genossin eben nur ein besonders drastisches Beispiel der Schikane und Gewalt darstellt, mit der wir als renitente Aktivist_innen in schlechter Regelmäßigkeit immer wieder konfrontiert sind.

Deshalb und in Solidarität mit allen von Repression betroffenen G20-Gegner_innen demonstrieren wir heute. Wir sind an der Seite aller Menschen, die derzeit in Katalonien, in der Türkei und überall sonst auf der Welt innerhalb und außerhalb der Knäste und Krankenhäuser ihre Würde und ihre Selbstbestimmung gegen den Zugriff der Staatsgewalt verteidigen und weiter für ein Miteinander aller Menschen in Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit aufbegehren.

Liebe und Kraft allen betroffenen von Polizeigewalt – Freiheit für die G20-Gefangenen!
Widerstand bleibt notwendig - linke Politik verteidigen!