Bewegung für Amnestie
Am 24.Juni 2017 fand in Bilbao eine Großdemonstration statt für die Freilassung und Amnestie der politischen Gefangenen, die nach dem Ende von ETA weiter als Geiseln gehalten werden in spanischen und französischen Gefängnissen. Organisiert war die Demonstration von der baskischen Linken - die gleichzeitig nicht daran teilnahm. Wie erklärt sich dieser Wiederspruch?
Nach dem erklärten Ende des bewaffneten Kampfes setzte ein Teil der baskischen Linken ohne umfassende vorherige Diskussion auf den Weg durch die Institutionen und Parlamente; ein anderer Teil setzt weiter auf die Mobilisierung auf der Straße. Der erste Teil gründete mit Sortu und EH Bildu Parteien und Koalitionen, der zweite Teil lehnt diese Strategie ab und brauchte einige Zeit, um sich neu zu formieren. Dabei herausgekommen ist die sogenannte Amnestiebewegung, auch ATA genannt (ATA – Amnistia ta Askatasuna, Amnestuie und Freiheit). Dabei repräsentiert ATA nicht das gesamte kritische Spektrum. Deshalb ist mittlerweile üblich geworden, die institutionelle Linke als „offizielle baskische Linke“ zu bezeichnen, um zu differenzieren.
Politische Amnestie war immer eine Forderung der baskischen Linken, seit dem Franquismus. In den Jahren nach Francos Tod gab es massive Mobilisierungen, die eine weitgehende Entlassung der damaligen politischen Gefangenen zur Folge hatten, die gleichzeitig aber auch zur Straffreiheit für alle faschistischen Verbrechen führte (Artikel bei Baskultur.info). Selbst während der bleiernen 1980er Jahre, als es hunderte von Attentaten und Todesschüsse durch die Polizei gab, wurde die Amnestie-Forderung beibehalten. Als die spanische Regierung 1989 die Dispersion einführte, die Verteilung der Gefangenen auf weit entfernte Knäste, kam die Forderung „Euskal Presoak Etxera“ dazu: „Baskische Gefangene nach Hause“. Was ein Widerspruch hätte sein können – Amnestie einerseits und Verlegung in baskische Gefängnisse andererseits – wurde nie als solcher betrachtet.
Auf diese Tradition beziehen sich heute die Gruppen, die am 24.6. zur Amnestie-Demo aufgerufen hatten und auf die Straße gingen. Dazu gehört eine alte links-abertzale Organisation, die im Krieg 1936/37 viele Kämpfer*innen verloren hatte und den Keim der baskischen Linken darstellte. Sie wurde zwei Mal illegalisiert, erst im Franquismus, dann erneut vor 10 Jahren. Zur Amnestie-Bewegung gehören auch weite Teile der abertzalen und antifaschistischen Erinnerungsbewegung, sowie verschiedene kleinere ML-Gruppen. Daneben gibt es nicht wenige, denen die Entscheidung schwer fällt, Mitglieder von Sortu, die die politische Strategie kritisieren, sich aber nicht abwenden.
Um die 1.500 Teilnehmer*innen zählte Gara, das Sprachrohr der „offiziellen baskischen Linken“. Dass Gara überhaupt berichtete, war bereits eine kleine Sensation. Denn in den zwei Jahren ihrer Mobilisierungen wurde die Amnestie-Bewegung vom traditionellen Medium praktisch ignoriert. Interviews erschienen hingegen in der christdemokratischen Zeitung Deia und in der verhassten Tageszeitung El Correo, die im Franquismus den Beinamen „Falange“ trug.
Mittlerweile ist es im politischen Panorama üblich geworden, genau zu beobachten, wer zu welcher Demonstration geht. Die Spaltung hat zu unsinnigen und vor allem schädlichen Auseinandersetzungen geführt, die sich auf persönlicher Ebene fortsetzt. Diskussionen finden nicht statt, nur beidseitige Anfeindungen über Internet oder diePresse. Die ATA-Bewegung war einem Kriminalisierungsversuch ausgesetzt, an dem sich auch verschiedene Stimmen der „Offiziellen“ beteiligten. Es hieß, die Bewegung wolle das Ende des bewaffneten Kampfes rückgängig machen – ein für spanische Verhältnisse schwerwiegender Vorwurf, der ebenso schwerwiegende Folgen haben kann. Tatsache ist, dass trotz dieser Versuche bis heute niemand eingesperrt wurde, vielleicht weiß der Geheimdienst mehr als manche unvorsichtigen Kommentator*innen.
Zuletzt hatte ein Podemos-Politiker in Bilbao ein zweifelhafte Rolle gespielt. Im April war er bei einem Meeting von einem Jugendlichen angegriffen worden, den er als „ATA“ identifizierte und verklagte. Als es nun zum Prozess kam, konnte er sich an nichts erinnern und sagte bei einer Gegenüberstellung, dieser Beschuldigte sei es jedenfalls nicht gewesen. Wie immer in solchen Fällen: der Schaden ist bereits angerichtet, auch wenn die Sache im Sande verlief.
Die kritische Bewegung ist auch nicht einverstanden mit dem Vorgehen der Gruppe von Sprecher*innen der Gefangenen - EPPK. Nachdem sich die Gefangenen in der Vergangenheit immer als Kollektiv verstanden hatten, gab EPPK nun mehrfach die Parole aus, alle Gefangenen sollten individuelle Anträge zur Verbesserung ihrer Situation oder gar ihrer Freilassung stellen. Ein Kollektiv existiert somit nicht mehr. Diesen Individualismus lehnt die Bewegung ab, statt dessen will sie eine politische Strategie und eine Gesamtlösung.
Die Kritik dieser „außerparlamentarischen Bewegung“ ist nicht ohne Spuren geblieben auf die Linie der „Offiziellen“. Seit einem Jahr wird das Thema Gefangene beackert (...)
http://baskinfo.blogspot.com.es/2017/06/bewegung-fur-amnestie.html