Autonome Stellungnahme zum Gelbwestenprotest

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Viel wird darüber spekuliert, was es mit den Gelbwesten auf sich hat. So vielfältig ist der Protest, dass wirklich für jeden etwas dabei zu sein scheint und da ist es nicht verwunderlich, dass die unterschiedlichsten Gruppierungen und politischen Strömungen sich positiv darauf beziehen. Dies ist schon in Frankreich der Fall, was auch die breite Beteiligung erklärt, aber auch in Deutschland zeigen diverse politische und vor allem oppositionelle Strömungen ihr Interesse. So beziehen sich sowohl Anhänger der neuen Rechten darauf, wie auch anarchistische, kommunistische und autonome Zusammenhänge und Gruppen. Ein positiver Bezug findet dabei statt durch die Fokussierung auf jeweils einen bestimmten Teil, gemein ist jedoch der Blick vor allem auf die regierungskritische Haltung. Der deutschen Linken fällt es bisher jedoch nicht leicht, einen allgemein positiven Bezug aufzubauen. Das hat seine Gründe ganz klar darin, dass sich in Deutschland die AFD und ihre Anhänger für die Gelbwesten begeistern können, wie auch die Beteiligung rechter Kräfte an den Protesten in Frankreich.

Hier wie dort besteht der Wunsch, nach einem progressiven gesellschaftlichen Kampf gegen die Herrschenden und so wird gesucht nach positiven Aspekten, die herauszustreichen sind, um auch die eigenen Stimmen des Zweifels zum Schweigen zu bringen. Etwa: Dass die Gelbwesten keine Repräsentanten haben und wollen, oder dass ja auch die Schüler_innen und die Menschen aus den verarmten Vorstätten sich an den Protesten beteiligen, mit jeweils eigenen Inhalten jenseits der Kritik an der Spritpreiserhöhung. Und überhaupt haben sich die Inhalte ja gewandelt; Der Protest entzündete sich zwar an den Spritpreisen, jedoch ist es dabei nicht geblieben. Mittlerweile geht es um eine Wende gegen die sozial unverträgliche Politik Macrons.

 

 

Das ist alles richtig. Möglich sogar, dass die rechten Kräfte zurückgedrängt werden, möglich sogar, dass die am französischen Gemeinwohl orientierten Kräfte sich durchsetzen. Doch wenn aus den Protesten in Frankreich noch etwas progressives erwachsen soll, muss noch einiges passieren, was zumindest bisher nicht in seiner Wahrnehmbarkeit bis zu uns gedrungen ist. Denn im weitesten Sinne ist der Protest konservativ eingestellt, konservativ in dem Sinne, dass es ein zurück zu einer Sozialpolitik vor Macron und vielleicht auch vor dem vorherigen Präsidenten Hollande.

 

Es ist auch richtig, dass sich das Leben der Menschen in Frankreich verschlechtert hat, vor allem für die Menschen, deren Einkommen sich an der unteren Grenze abspielt. Oder auch weiter gefasst: Immer mehr Menschen landen mit ihrem Einkommen an jener unteren Grenze, wo sie zuvor noch Richtung Mittelstand tendierten. Für immer mehr Menschen verschlechtert sich das Leben und es ist verständlich, dass sie dafür auf die Straße gehen.

 

Doch die Ungerechtigkeit, gegen die sich die Menschen dort wenden, ist – so scheint es zumindest bisher – eine Ungerechtigkeit des Vergleichs nach oben. Der französische Wohlstand verdichtet sich nach oben hin in den ohnehin wohlhabenden Schichten, auf Kosten aller anderen, die immer weniger haben, für die es sich im weitesten Sinne kaum noch lohnt, arbeiten zu gehen, weil sie ohnehin nicht mehr bekommen, als das, was das Existenzminimum ausmacht. Gut vorstellbar ist, dass sich der Protest beruhigt, sollte die Regierung mit ihrer Umverteilung von unten nach oben aufhören, beziehungsweise diese gar umkehren. Die französische Regierung scheint dies selbst zu hoffen, weshalb sie die geplante Spritpreiserhöhung bereits ausgesetzt haben, wobei wir sicher sein können, dass hier gilt: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.

 

Dass die Proteste ihr Ende nehmen könnten, sollten die sozialen Einschnitte weniger drastisch ausfallen, oder die Gruppe derjenigen, die es trifft, durch Pläne der Regierung verkleinert werden, ist das deprimierend hilflose an diesem Protest. Die Menschen protestieren im Reflex auf eine unmittelbar erkennbare Verschlechterung ihres Lebens, aber gerade hierin drückt sich aus, dass es ihnen um etwas anderes als ihr Leben gar nicht geht. Und sie protestieren entlang einer ökonomischen Linie, wobei die Probleme, die sie betreffen -und mit ihnen uns alle - sind viel größer und auch wesentlich anderer Natur. So richtet sich der Protest gegen die aktuelle Politik der Regierung, zum Teil auch gegen die Regierung selbst, zumindest werden Rücktrittsforderungen laut, wobei auch mitgedacht werden muss, dass es gar nicht lange her ist, dass Macron von einem nicht unbeträchtlichen Teil der französischen Bevölkerung als Hoffnungsträger gewählt wurde. Weder war die letzte Wahl geprägt von einem allgemeinen Widerwillen gegen das Regiert-werden, auch nicht von einem Widerwillen gegen den Staat und seine Institutionen oder dergleichen. Und so scheint auch der Protest jetzt keine generelle Frage zu stellen nach der Staatsform.

 

Ist denn das so wichtig, mag hier jemand mit Recht fragen. Ist es nicht erstmal wichtig, dass überhaupt gegen soziale Einschnitte auf die Straße gegangen wird? Wieso schon alles von vornherein kritisieren vom warmen Zuhause aus, wieso nicht erstmal an die Leute glauben, dass sie sich im Rahmen des Protestes radikalisieren und aus einer Feindschaft gegenüber der Regierung eine Feindschaft gegenüber dem gesamten System, was über und durch sie waltet, erwächst?

 

Das kann natürlich sein. Es spricht nicht viel dagegen, an den französischen Protest seine Hoffnung zu hängen und eben damit einfach zu hoffen, dass dieses Gute, was in den vorherigen Fragen aufgeworfen wurde, sich durchsetzen wird. Was neben der zuvor schon angesprochenen mangelnden politischen Perspektive dagegen spricht, sind auch ganz praktisch die Erfahrungen aus dem arabischen Frühling, wo eine neue Regierung die Proteste überholte, einfing und niedermachte.

 

Aber natürlich weiß niemand, was kommt. Ohne dass der Radikalisierungsprozess bei den Menschen in Frankreich einsetzt, ist jedoch kaum etwas dauerhaft anderes zu erwarten, selbst wenn wir von der Gefahr der rechten Übernahme der Proteste mal gar nicht reden wollen, diese scheinen ja aktuell eher gering zu sein.

 

Dieser Radikalisierungsproess im Übrigen ist kein Radikalisierungsprozess bezüglich der Heftigkeit der Proteste. Am Wochenende kommen seit langem wohl wieder Polizeipanzer zum Einsatz, eine Radikalisierung seitens des Staates hat also schon stattgefunden, zuvor auch zu sehen schon an den Bildern die durch die Medien schwirren, wo zu sehen ist, wie eine Bulleneinheit Schüler_innen über Stunden auf dem Boden knien ließ. Es ist anzunehmen, dass dies die Heftigkeit der gesellschaftlichen Gegenwehr gegen die Aggressionen des Staates (hiermit sind die den Protest auslösenden Gesetzesänderungen gemeint) mit Rachewünschen mischen wird und somit der Protest an Härte zunimmt. Es bleibt zu hoffen, dass alle Protestierenden das Zusammentreffen mit der zusammengezogenen Polizeimacht überleben werden. Für Tote bereitet der Staat gerade alle Grundlagen.

 

Ebenfalls hat die Festlegung auf ein bestimmtes konkretes politisches Programm nichts mit der Radikalisierung zu tun. Gerade die Programmlosigkeit und damit Vielfältigkeit des Protestes scheint die massenhafte Beteiligung zu ermöglichen, noch ist der Protest für alle auch etwas, wo sie sich wiederfinden können. Die Vorwegnahme eines Ausgangs, den ja die Akteur_innen nur in ihrem Zusammenspiel bestimmen, würde den Protest vermutlich vielmehr schwächen als radikalisieren.

 

Der Radikalisierungsprozess betrifft vielmehr eine Erweiterung des Blickfeldes weg von der subjektiven Befindlichkeit oder dem subjektiven Eindruck der Benachteiligung im Vergleich zu den gesellschaftlich Bessergestellten. Wenn der Blickwinkel sich nicht erweitert, ist der Protest in dem Moment zerschlagen, wo auf einen relevanten Teil der Forderungen eingegangen wird, was aber an der Gesamtsituaiton, in welcher wir alle uns gerade befinden, nichts ändert. Das Unglück der Menschen in Frankreich, welches sie gerade in Anbetracht steigender Lebenserhaltungskosten ohne einer gleichzeitigen Gehaltserhöhung verspüren, ist unmittelbar verknüpft mit dem Elend der Menschen in aller Welt, welche fast nichts oder gar nichts haben, also verknüpft mit denen, die um ein vielfaches mehr unter der Politik Europas und auch Frankreichs leiden, als die verarmenden Menschen in Frankreich unter der französischen und europäischen Politik.

 

Derzeit arbeiten die politischen Entscheidungsträger_innen international daran, den Wohlstand, welcher global bedroht ist, für den wohlhabenden Teil der Weltbevölkerung abzusichern. Dies scheint ihnen immer schwerer zu fallen, weswegen sowohl international als auch national die Konflikte zunehmen. Davon betroffen sind alle Menschen, alle nachfolgenden Generationen, sowie die Tierwelt und die Umwelt. Letztgenannte sind derzeit dabei, so massiv schaden zu nehmen, dass ihr Fortbestand auf die bisherige Weise nicht mehr möglich ist. Da das Leben der Menschen auch mit beiden verbunden ist, wird sich auch die Grundlage im Leben aller Menschen drastisch verändern.

 

Ein progressiver Kampf kann nur geführt werden, wenn er diese Situation mit in Betracht zieht. Der Kampf gegen die französische Regierung ist auf lange Sicht gesehen aussichtslos, wenn er sich nicht gegen den französischen Staat insgesamt wendet, also gegen jene Institution die im europäischen und internationalen Zusammenwirken mit den anderen Staaten die Destruktion der Welt vorantreibt. Sofern sich der Protest zentral nur auf innenpolitische Verteilungsprobleme bezieht, ist er hoffnungslos, da so der französische Staat im Verbund mit den anderen Staaten die globale menschen- und naturverachtende (was im Endeffekt auf dasselbe hinausläuft) Politik fortsetzen wird. Oder ganz schlicht gesagt: Die unfaire Verteilung des französischen nationalen Wohlstandes, der auf der Ausbeutung der zweiten und dritten Welt sowie der massiven Naturzerstörung basiert, ist ein absolutes Nebenproblem, selbst wenn es den Menschen in Frankreich aus berechtigten und nachvollziehbaren Gründen für den Moment anders erscheinen mag. Progressiv, also fortschrittlich, wird der Protest jedoch erst, wenn er den Blick auf die unmittelbaren Geldprobleme überwindet.

 

Es ist denn auch so, dass die Probleme der Umweltzerstörung, die Probleme der massiven Ausbeutung von Menschen in anderen Teilen der Welt, also der absolut menschenfeindlichen Produktionsweise des Kapitalismus, sowie die Organisationsform dessen im Staat, die Menschen in Frankreich niemals loslassen wird, ihr Leben und ihre Lebensgrundlagen also weiter zerstören, selbst wenn - ganz vereinfachend dargestellt – der Spritpreis nicht steigt.

 

In Deutschland sind wir davon wohl noch deutlich weiter entfernt als in Frankreich. Es ist daher gewiss billig, dies hier zu schreiben, ohne auch Selbstkritik zu üben. Die Bestrebungen in Deutschland sich gegen irgendeine Ungerechtigkeit, seien sie nun unmittelbarer und subjektiv erfahrener Natur oder sei es in Bezug auf die großen Weltprobleme, sind gering, vielmehr streben hier mit Wucht faschistische Kräfte danach, den Staat zu übernehmen. Und wir hier in Deutschland unternehmen bisher nicht das Richtige und nicht das Ausreichende, um diesem Umstand etwas entgegen zu setzen. Unser Kampf um die Freiheit und das gute Leben aller Menschen ist unbedeutend. Hoffen wir also, dass unsere Genoss_innen in Frankreich der guten Sache zum Erfolg verhelfen und der progressiven Position in den aktuellen Kämpfen Gehör verschaffen werden. Denn so wie wir nicht wissen, wer sich in Frankreich gerade aus welchem Grund eine gelbe Weste anzieht, so wissen wir doch eines sehr gut:

 

 

 

Der Kampf der Genoss_innen in Frankreich ist auch der unsre! - Le combat des camarades en France est aussi le nôtre !

 

 

 

 

Die ganze Welt hasst die Polizei! - Tout le monde detéste la police!

 

 

 

Avancez, camarades !

 

 

 

 

- Ein paar Autonome

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Ergänzungen

Die Grenze verläuft nicht zwischen den Völkern sondern zwischen oben und unten. Nach diesem Motto sehe ich keinen Sinn darin die Sozialproteste in rechte oder linke Proteste zu unterteilen. Nationalisten sind genauso Lohnabhängig wie Internationalisten. Bei den Forderungen kommt es auf die Inhalte an.

Der gemeinsame Kampf der Besitzlosen bietet auch die Möglichkeit den Teil der nationalverseuchen Arbeiterschaft den Widerspruch zwischen Klassenkampf und Nation bewußt zumachen. Ein Ausschluß dieses Teils beläßt sie wahrscheinlich weiterhin in ihrerm für sie schädlichen Bewußtsein.