Welcome to the hell of Nachbereitung: G20-Vorabend-Demo

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Der vorliegende Text wurde vom Rest des ehemaligen W2H-Bündnisses Mitte Oktober abschließend diskutiert und verabschiedet. Er sollte ein Teil eines umfangreicheren Auswertungstextes sein, der sich mit mehreren kritischen Punkten der W2H-Mobilisierung auseinandersetzt. Dieses Vorhaben ist gescheitert.

 

Einerseits gab es große Meinungsverschiedenheiten zur Einschätzung der Ereignisse, andererseits bestand aber immer weniger Bereitschaft und Kapazität, die Diskussion zu einem Abschluss zu bringen. Von vornherein fehlte es im Bündnis an inhaltlicher Diskussion und politischer Bestimmung. Nachdem sich immer mehr Gruppen aus dem Bündnis verabschiedet hatten, gibt es nicht mehr genug Substanz, um zu einer abschließenden Auswertung des gesamten Bündnisses zu gelangen. Nicht zuletzt deshalb hat sich das Bündnis bei diesem Treffen mangels Masse aufgelöst und existiert seitdem nicht mehr.

 

Somit wurde dieser Text nur von einem kleinen Teil des ehemaligen W2H-Kreises diskutiert. Am Text wurde außerdem Kritik aus unterschiedlichen Perspektiven formuliert, von Gruppen, die an diesem Diskussionsprozess nicht mehr beteiligt waren. Diese Kritik wurde für uns nicht greifbar und konnte deshalb auch hier nicht einfließen Da hier jedoch zumindest einige der Fragen im Nachklapp der Demo am 6.7. aufgearbeitet werden, z.B. zur Kontroverse um den Ort von Kundgebung und Demoauftakt, haben wir uns für eine Veröffentlichung entschieden.

 

Zu anderen kontrovers diskutierten Fragen, vor allem zur Öffentlichkeitsarbeit und den Distanzierungen sowie dem Charakter der Mobilisierung verbleibt aus den oben genannten Gründen in der öffentlichen Nachbereitung des Bündnisses eine Leerstelle. Wir erwarten, dass weiterhin Gruppen und Einzelpersonen dazu Positionen diskutieren und veröffentlichen und die Diskussion weiterführen. Diese sprechen aber nicht für W2H.

 

 

 

Zu Konzept, Vorbereitung und Ablauf der Demo

 

Von Anfang an gab es unterschiedliche Positionen über politische Ausrichtung, Startpunkt und Route der Demo. Einerseits wurde vorgeschlagen, an einem möglichst nah am Messegelände gelegenen Ort zu starten, um mit der Demo am Vorabend des G20 als unversöhnlichem und linksradikalem Auftakt der Gegenaktivitäten direkt am Tatort Räume zu besetzen. Und um diesen Protest auch auf die Straße zu bringen - aus der taktischen Erwägung, dass in diesem Fall die Polizei Interesse daran hätte, dass die Demo losläuft. Nach den Erfahrungen des 21.12.2013 sollte so die Wahrscheinlichkeit, tatsächlich mit der Demo loszukommen, gesteigert werden.

 

In diesem Szenario war der Zielort Hafen als Drehscheibe der Globalisierung und Ziel der Blockadeaktionen am Freitag geplant. Dieser Vorschlag wurde mit einer sehr deutlichen Mehrheit verworfen. So gut wie alle damals Beteiligten bewerteten eine Demo, die sich von der Roten Zone weg bewegt, als politisch wie symbolisch falsches Signal. Die umgekehrte Route sollte einen politischen Angriff auf den Ort der G20 symbolisieren. Darüber hinaus wurde befürchtet, bei einem Auftakt an der Messe würde ein Teil der Leute sich nicht der Demo anschließen, sondern dort bleiben. Stattdessen wurde sich für den Hafen/Fischmarkt als Auftaktort entschieden. Dies wurde zügig so angemeldet. Ab diesem Zeitpunkt wurden alle Wünsche nach Änderung des Auftaktorts auch mit formalen Argumenten abgeblockt, obwohl es unmittelbar vehemente Kritik am Fischmarkt gab: zu wenig Zu- und Abwege und damit ein natürlicher Kessel, potentiell gefährliche Situationen durch Flutschutzwand und Wasser, Privatgelände und damit Probleme beim Standort der Bühne usw. Im Laufe der Zeit entwickelten mehr und mehr Leute eine kritischen Haltung und Bedenken. Am angemeldeten Auftaktort wurde dennoch von allen als unumstößlich festgehalten.

 

Auch an der zwischenzeitlich vorgeschlagenen Alternative Millerntor als offenerer und sichererer Auftaktort gab es Kritik: ebenfalls nicht viele Zu- und Abwege, direkt am Aufmarschplatz der Polizeikräfte usw. Es fällt im Nachhinein schwer, sich vorzustellen, dass die Demo vom Millerntor oder einem anderen Ort losgelaufen wäre. Eine militante Durchsetzung der Demonstration gegen die hochgerüsteten Polizeikräfte scheint unrealistisch und hängt nicht vom Auftaktort ab. Gerade unter diesen Bedingungen hätte die Priorität darauf liegen müssen, eine Gefährdung von Teilnehmer*innen zu vermeiden.

 

Der Umgang mit dem als immer bedrohlicher empfundenen Szenario für den Donnerstag war zunehmend von Fatalismus und Nicht-Umgang geprägt. Dies machte zum einen eine politische Auseinandersetzung unmöglich, versursachte zum anderen Handlungsunfähigkeit der Strukturen nach dem Motto „Augen zu und durch“. Die Genehmigung der Demoroute ohne Auflagen ließ schon nichts Gutes ahnen, mit Einsatzleiter Dudde hatte man nicht zuletzt am 21.12.13 bereits Erfahrungen gemacht. In dieser Situation konzentrierte sich die Demovorbereitung schon in den Tagen und Wochen davor auf das Ziel, irgendwie mit der Demo vom Fischmarkt los zu kommen.

 

Es wurden allerdings auch gemeinsame Absprachen und Konsequenzen aus der unglücklichen Ortswahl getroffen. In der Konzeption wurde eine Trennung von Kundgebung am Fischmarkt und Beginn der Demonstration in der Hafenstraße vereinbart. Dies sollte der Sicherheit der Teilnehmer*innen und einer räumlichen Entzerrung dienen und wurde von allen an der Demo und Mobilisierung beteiligten Gruppen und auch aus politischen Umfeldern so mitgetragen und weitervermittelt. Die Demospitze sollte sich nach diesem Plan auf Höhe der Hafenstraßen Häuser sammeln. An diesem Ort ist die Mauer auf der linken Seite so nicht mehr vorhanden und es befinden sich mehr Zuwegungen über die Bernhard-Nocht-Straße. Die Lautsprecherwagen an verschiedenen Punkten auf der Straße in Richtung Fischmarkt sollten zudem bereits während der Kundgebung in Betrieb sein, damit sich Teilnehmer*innen und Strukturen bereits dort treffen können.

 

Ein schöner Plan auf dem Papier. In der Realität führten Fehler und die Nichteinhaltung von Absprachen jedoch dazu, dass er vor Ort nie so umgesetzt wurde.

 

Als dann am Donnerstag bereits nachmittags die Einsatzfahrzeuge und Wannen mitten auf der Demoroute standen, ließen wir die Versicherung der Polizei, dass diese schon „rechtzeitig“ wegfahren würden, im Raum stehen, anstatt aus den vorhandenen Strukturen Versammlungsleitung und Demokoordination konsequent zu intervenieren.

 

Die Lautsprecherwagen bauten sich hinter der Kundgebungsbühne auf, was anschließend zur Situation führte, dass sie durch die Kundgebung zogen und direkt eine Demo in Ketten und allem drum und dran formierten. Zur selben Zeit war die Demokoordination und Versammlungsleitung nicht wirklich präsent und arbeitsfähig. So wurde von allen gemeinsam versäumt, frühzeitig darauf hinzuwirken, dass der Aufbau wie vorgesehen auf Höhe der Hafenstraßenhäuser stattfand. Es fehlte vor Ort zudem an Informationen und Strukturen über die Gesamtlage, die eine notwendige Bewertung des polizeilichen Aufgebotes möglich gemacht hätten.

 

Als mangels anderer Vorkommnisse die Vermummung als Vorwand für das Aufhalten der Demo herhalten musste, forderte die Versammlungsleitung zur Entmummung auf, um der Falle Hafenstraße zu entkommen, anstatt die Demo durchzusetzen, ggf. aufzulösen oder gar nicht erst dorthin gegangen zu sein.

 

Im Ergebnis halten wir Folgendes bei zukünftigen Mobilisierungen für wichtig :

 

Formale Sachzwänge dürfen nicht unser Handeln bestimmen. Wenn z.B. Auftakt oder Route sich als problematisch herausstellen und im Rahmen der bestehenden Anmeldung nicht änderbar sind, muss die Demo eben neu angemeldet werden. Auch angesichts einer einmal getroffenen Entscheidung müssen wir in der Lage sein, unser Handeln zu reflektieren und bei Bedarf neu auszurichten, auch wenn dies kurzfristig unbequem oder unangenehm ist. Mit Bedenken, die die Sicherheit betreffen, muss sich zudem ernsthaft auseinandergesetzt werden, auch wenn diese von der Mehrheit nicht geteilt werden.

 

 Vor, ganz besonders aber auch während, selbstorganisierten Veranstaltungen muss die Handlungsfähigkeit der Strukturen sichergestellt werden. Dies ist zuerst eine Frage der politischen Bestimmung. Die Zielsetzung muss ausreichend diskutiert und daran das Handeln ausgerichtet werden, nicht umgekehrt. Strukturelle Probleme wie fehlende Ressourcen und Substanz der vorhandenen Strukturen, Doppelbelastungen wie in diesem Fall durch Kundgebung und Demo, Schwierigkeiten in der Kommunikation der Doppelstruktur Versammlungsleitung – Demokoordination werden am besten durch klare Absprachen gelöst. Strukturen müssen gemeinsam in der Lage sein, die Umsetzung zu überprüfen und der konkreten Situation anzupassen.

 

 

 

Im November 2017

 

Teile des ehemaligen „Welcome to hell“ Bündnisses

 

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Ergänzungen

Vielen Dank für eure Mühe euren Einsatz und die Transparenz trotz der offensichtlichen Schwierigkeiten im #W2H Bündniss. Es ist kein Wunder das solche Strukturen bei dem unglaublichen Medialen- und Repressionsdruck nicht auf ewig halten!

Aus der Erfahrung vom 21.12. und von #W2H kann man im Wesentlichen 2 Sachen lernen! Wir müssen unsere Demo's dort anmelden, wo ein Angriff von ihnen für sie den maximalen Schaden anrichtet! Und das ist nicht materiel, sondern medial gemeint! In Hamburg ist das zweifellos die Innenstadt, Gänsemarkt, Jungfernstieg, Mönkebergstrasse. Und wir müssen nach einer Zerschlagung immer wieder die Möglichkeit haben uns im Schutz des Demonstrationsrecht neu zu versammeln. Wir brauchen also möglichst in der Nähe oder an ähnlich kritischen Orten alle 2 Stunden angemeldete Kundgebungen wie z.B. am 21.12. bei den Esso Häusern. Eventuell auch zeitgleiche Auswahlkundgebungsorte. Bewährt hat sich auch das dezentrale Konzept z.B. in Altona.

Für den nachhaltigen Erfolg der #NOG20 Bewegung wäre es wichtig jetzt nochmal im Anschluss eine weitere grosse internationale Demonstration Welcome back to Hell zu organisieren.

Und wir dürfen eines nicht vergessen: Das waren erfolgreiche Tage! Wir haben gemeinsam den grössten Aufstand in der Geschichte der BRD organisiert und durchgekämpft! Dieses Momentum dürfen wir nicht verlieren!

Identitätsdiebstahl, KKK, VS-Handpuppen... Infoblatt ist wieder online

https://www.antifainfoblatt.de/

Auf der Demo am 2.6.2007 in Rostock gegen den G8 ging es ab und dann sind viele weggezogen statt zusammenzubleiben.

Bei der Welcome to Hell Demo war ein vergleichbares Phänomen zu beobachten. Nur wenige, vor allem Organisierte bleiben stehen, bleiben zusammen, bilden Ketten und machen es damit der Polizei schwer, Unruhe in die Demo zu bringen bzw. zum Ende der Demo mit Festnahmen beizutragen.

Für die Zukunft müssen wir auch das im Blick behalten. Deswegen ist es auch wichtig, wer solche Demos anführt und bereit dazu ist.