Flügel liegt im Machtkampf hinten

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Gauland

Eine Woche ist seit dem Rauswurf des Neonazis Andreas Kalbitz aus der AfD vergangen. Bis heute ist keine Ruhe mehr eingekehrt in der Partei, in der alle Beteiligten vor dem Eindruck warnen, den sie selbst hinterlassen: Spaltung. idas inspiziert die aktuelle Lage – der Flügel muss zurückstecken.

Der Einsatz ist auf allen Seiten hoch, denn es geht nicht nur um Kalbitz, sondern um die Frage, wer in Zukunft das Sagen hat und den Kurs bestimmt. Die Kräfte des verfassungsfeindlichen, angeblich aufgelösten Flügels tragen aggressiver denn je ihren Führungsanspruch vor. Wie auch immer der Kampf ausgeht, schon jetzt ist das fragile Machtgefüge unkorrigierbar verrutscht durch die Positionierung des Ehrensvorsitzenden der AfD, Alexander Gauland. Über Jahre war er eine zentrale Integrationsfigur gewesen. Nun ergreift er vollends Partei für Kalbitz, der sein politischer Ziehsohn war, und für den Flügel, den er von Anbeginn protegiert hat.

Geheimtreffen mit Kubitschek

Doch Gauland hat im Moment nicht die Oberhand. Vielmehr ist in den vergangenen Tagen ein erster Anlauf der Flügel-Kräfte, Revanche zu üben und den Bundesvorsitzenden Meuthen in die Ecke zu drängen, krachend gescheitert. Das designierte Kampfmittel war die Einberufung eines Sonderparteitags zum nächstmöglichen Zeitpunkt mit dem Ziel, Teile des Bundesvorstands neu zu wählen und dort die Mehrheitsverhältnisse den eigenen Interessen anzupassen. In Umlauf kam die Forderung schon unmittelbar nach der umkämpften Entscheidung gegen Kalbitz, zeigte sie doch, wie tief gespalten das Führungsgremium ohnehin schon ist. Als Gauland die Vorstandssitzung verließ, erklärte er sofort, dass die Entscheidung falsch sei. Man setzt offensichtlich viel daran, sie zu revidieren.

Im Visier ist jetzt die sogenannte Achtergruppe, die Meuthen anführt, der man die Auflösung des Flügels und den Rauswurf Kalbitz‘ zur Last legt. Als die brandenburgische AfD-Landtagsfraktion am Montag entschied, Kalbitz als Parteilosen weiter in ihren Reihen zu halten, ließ man die Journalist*innen in Potsdam wissen, dass die Fraktion sich für einen Sonderparteitag ausspricht. Um ihn tatsächlich einzuberufen, müssen aber die Vorstände von sechs Landesverbänden gemeinsam einen Antrag stellen.

Ungefähr zeitgleich, so berichtet es die WELT, fand in Berlin ein internes Krisentreffen statt, zu dem Björn Höcke in Begleitung des neurechten Publizisten Götz Kubitschek erschien. Einige namhafte AfD-Abgeordnete sollen sich beteiligt haben, etwa Frank Pasemann, dem unter anderem wegen einer antisemitischen Äußerung selbst der Parteiausschluss droht. Fraktionschef Gauland soll ebenfalls teilgenommen haben. Zu den Absichten und Ergebnissen des Treffens wurde nichts verlautbart, doch der weitere Verlauf könnte damit zu tun haben.

Klärung bei einem Parteitag gefordert

Gleich am nächsten Tag wagte sich nämlich der brandenburgische Landesverband aus der Deckung und teilte mit, man habe beschlossen, „einen Antrag auf Durchführung eines Sonder-Bundesparteitags“ zu stellen, Ziel sei die „Ab- und Neuwahl von Bundesvorstandsmitgliedern“. Die brandenburgische AfD, bislang durch Kalbitz geleitet, hatte sich darauf bereits am Wochenende geeinigt, jedoch erst später über diese Weichenstellung informiert. Es war eine Art Vorratsbeschluss, den man erst aus dem Ärmel zog, sobald die Lage günstig erschien.

Davon ging auch Höcke aus. Ebenfalls am Dienstag veröffentlichte der AfD-nahe Deutschland Kurier ein Videostatement, in dem der thüringische Landes- und Fraktionschef rhetorisch in die Vollen ging: „Ich hatte in den letzten Tagen als Mitglied der AfD das Gefühl, dass meine Partei überfallen worden ist.“ Die Bundesführung, so sein Vorwurf, sei „nicht zum Kompromiss fähig“, ohne zu sagen, wie ein Kompromiss in der Frage, ob man einen Neonazi bei sich hält oder nicht, aussehen sollte. Wie praktisch alle, die Kalbitz verteidigen, sagt auch Höcke zu dessen Vorleben in der rechten Szene nichts. Stattdessen lieferte er ein weiteres Argument, warum möglichst bald auf großer Bühne die Fronten in der AfD bereinigt werden müssen.

Meuthen wolle ihr einen „globalkapitalistischen Ansatz“ aufnötigen und eine marktradikale, eine „kalte Partei“ schaffen, sagte Höcke. Er erinnerte daran, dass sich die AfD in den vergangenen Monaten bei der Entwicklung eines Rentenkonzepts von Meuthens Positionen entfernt hatte. Seit Wochen liegt ein fertiger Leitantrag vor, der sich im Kern gegen Meuthens Vorstellungen einer überwiegend privaten Altersvorsorge wendet und für die Beibehaltung des gesetzlichen Rentensystems eintritt. „Ich möchte mit der AfD auf diesem Weg weitergehen“, so Höcke. Über diesen Weg, die grundsätzliche sozialpolitische Ausrichtung der Partei, sollte bei einem Bundesparteitag entschieden werden, der für April angesetzt war, aber pandemiebedingt nicht stattfinden konnte.

Meuthen kapert die Flügel-Forderung

Höckes Hintersinn: Abzuwenden ist ein Bundespartei nicht, denn das ausgefallene Treffen muss irgendwann nachgeholt werden. In der programmatischen Rentenfrage ist dann eine Niederlage für Meuthen wahrscheinlich. Tritt man einmal zusammen, wäre automatisch auch über Personalien im Bundesvorstand zu sprechen: Zum einen ist dort ein Platz freigeworden, der von Kalbitz. Zum anderen ist das Vorstandsmitglied Carsten Hütter, Landtagsabgeordneter in Sachsen, nur zufällig und vorübergehend in das Gremium hineingelangt, qua Amt als kommissarischer Bundesschatzmeister. Hütter enthielt sich bei der entscheidenden Kalbitz-Abstimmung, etwas anderes hätte er seinem eigenen, Flügel-nahen Landesverband nicht vermitteln können. Er zählt dennoch zu Meuthens Achtergruppe. Sie würde schrumpfen, je nachdem, wie der vakante Schatzmeisterposten künftig besetzt wird.

Doch dann fuhr am Mittwoch Meuthen seinen Gegner*innen voll in die Parade und änderte die Regeln des Planspiels: „Wenn manche einen Sonderparteitag wollen, dann kann ich nur sagen: Nur zu“, gab er in einem Interview mit dem Magazin Cicero zu Protokoll. „Ich weiß die Mehrheit der Partei hinter meinem Kurs“, bekräftigte er. Das ist, so allgemein gesprochen, zwar nicht ausgemacht. Aber bei einem Bundesparteitag hätten Delegierte das Wort, die überwiegend aus den vergleichsweise mitgliederstarken westdeutschen Landesverbänden kommen, nicht aus den aktuell viel lauteren und wesentlich Flügel-lastigeren Ost-Gruppen, in denen man zu Kalbitz steht.

„Vielleicht ist ein Sonderparteitag dahingehend sogar eine ganz gute Idee zur Klärung der Mehrheitsverhältnisse“, so Meuthen. Bei der Gelegenheit forderte er Höcke, der für die Bundespartei noch nie ein Amt übernommen hat, direkt heraus, seinen Hut in den Ring zu werfen: „Wenn er bundespolitisch aktiv werden will, dann setzt das Kandidaturen voraus, zu denen er sich bis jetzt nicht bereit gefunden hat.“ Es gibt keine Anzeichen, dass sich das ändert. Auch jetzt nicht, wo Höckes Mann im Bundesvorstand, Andreas Kalbitz, nicht mehr da ist.

Voller Rückzieher

Höckes Konter ließ nicht lange auf sich warten. „Wieviel Meuthen wollen wir uns als Partei weiter leisten?“, fragte er am Donnerstag in einem Facebook-Beitrag, warf dem Parteichef „Gutsherrenmanier“ vor und erinnerte an das Schicksal seiner Amtsvorgänger*innen Bernd Lucke und Frauke Petry. Doch in Wirklichkeit machte Höcke einen Rückzieher und blies den bislang ersehnten Showdown bei einem Parteitag ab: „Wir brauchen keinen Sonderparteitag, um festzustellen, daß der bisherige Bundessprecher nicht mehr in der Lage oder Willens ist, die AfD in ihrer Gesamtheit zu vertreten.“ So ein Parteitag liege vor allem in Meuthens persönlichem Interesse, meint Höcke nun.

Offenbar ist man sich in Flügel-Kreisen der Kräfteverhältnisse doch nicht mehr so sicher. Untrügliches Zeichen: Der brandenburgischen Forderung, einen Sonderparteitag einzuberufen, hat sich bis dato kein anderer Landesverband angeschlossen. Inzwischen nennt auch Gauland die virulenten Forderungen nach einem Sonderparteitag „verfehlt“. Damit ist der ersonnene Schlachtplan dahin, bevor er richtig stand. Dass die innerparteiliche Auseinandersetzung damit in einem Stellungskrieg übergeht, war noch am gleichen Abend zu merken, als die Bundesspitze einen Mitgliederrundbrief versandte. Enthalten waren zwei Darstellungen zum Fall Kalbitz – eine von Meuthen und eine von seinem gleichberichtigten Co-Vorsitzenden Tino Chrupalla. Beide verteidigen darin die Einheit der Partei. In der Sache aber liegen sie weit auseinander und legen darum dar, warum aus ihrer jeweiligen Sicht die Entscheidung, Kalbitz loszuwerden, richtig oder falsch war.

Meuthen hat im Laufe der Woche wiederholt ausgeführt, warum der Schritt unungänglich gewesen sei: Kalbitz habe beim Eintritt in die Partei verschwiegen, dass er früher bei den Republikanern und in der Heimattreuen deutschen Jugend (HDJ) Mitglied war. Demnach hätte er sich die Aufnahme in die AfD erschwindelt, die Satzung sieht in dem Falle eine Annullierung der Mitgliedschaft vor, genau das, was am vergangenen Freitag vollzogen wurde. Hinzu kommt, dass Kalbitz seine Partei bis zuletzt im Unklaren gelassen habe, wie Meuthen ausführt: „Zur Teilnahme an einem HDJ-Lager erklärte er mit Bild- und Video-Beweisen konfrontiert, dass er sich das nur anschauen wollte, dass er aber kein Mitglied sei. Nunmehr räumte er ein, dass er ‚wahrscheinlich‘ doch auf einer Liste der HDJ stehe, diese sei aber keine Mitgliederliste“. Kalbitz spricht von einer Interessentenliste. Eine solche Interessentenliste, die seinen Namen enthält, gibt es tatsächlich. Sie liegt idas vor: Es handelt sich um eine Kartei der NPD. Mit den aktuellen Auseinandersetzungen hat sie nichts zu tun.

Angst vor Übergriffen

Chrupalla und andere halten dagegen: Kalbitz‘ originale Beitrittserklätung ist angeblich verschollen, was er damals, im März 2013, angegeben hat oder nicht ist nur indirekt nachprüfbar. Zudem bestreitet Kalbitz, Mitglied der HDJ gewesen zu sein. Der Bundesvorstand hatte ihn daher bereits früher aufgefordert, gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz zu klagen, damit die Behörde die Mitgliederliste herausrückt, die sie nach eigenen Angaben besitzt. Dieses Ergebnis, meint Chrupalla, hätte man abwarten müssen. Es nicht getan zu haben, nähme eine „Selbstzerfleischung“ der Partei „billigend in Kauf“, schreibt er. Gauland schloss sich dieser Ansicht an.

Kalbitz hat angekündigt, gegen den Vorstandsbeschluss eine Beschwerde beim Bundesschiedsgericht einzulegem. Zudem will er vor ein Zivilgericht ziehen. Dort könnte er Teile der Parteisatzung angreifen, auf die sich der Beschluss bezieht. Das Ergebnis dieser Auseinandersetzung ist kaum abzuschätzen, sicher ist nur, dass es auf den Machtkampf in der Partei voll durchschlagen wird: Wenn sich Kalbitz durchsetzen sollte, „dann wird es für diejenigen, die das losgetreten haben, schwierig“, sagte Gauland gegenüber dem Spiegel.

Es ist indes nicht abzusehen, wie viel Zeit die juristische Nachbereitung in Anspruch nehmen wird. Bis dahin kann noch viel passieren, der Ton ist ohnehin rau, das Misstrauen groß, Anzeichen einer Eskalation mehren sich. So zitiert das ZDF ein Mitglied des aktuellen Bundesvorstands, das Übergriffe bedürchtet: „Früher hatte ich Angst vor Gewalt von Linksextremen gegen mich oder meine Familie, jetzt rechne ich eher mit Anschlägen von Rechtsextremen aus dem Umfeld meiner eigenen Partei.“

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