AfD Sachsen gegen „Meuthen-Bande“

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Mit einer neuen Erklärung hat sich der sächsische AfD-Landesverband klar auf die Seite von Andreas Kalbitz gestellt, man rühmt seine Leistungen. Einige Abgeordnete gehen noch weiter, verharmlosen die Neonazi-Vorwürfe – und attackieren den Bundesvorsitzenden Jörg Meuthen, der darin ein Problem sah.

Kalbitz „zu großem Dank verpflichtet“

Die AfD steht nach dem Ausschluss von Andreas Kalbitz vor einer Zerreißprobe, vielleicht der schwersten in der Geschichte der Partei. „Natürlich kann man das Wort Machtkampf gebrauchen“, sagte der AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland gestern der Deutschen Presse-Agentur. Er sprach damit aus, was alle wissen. Noch weiß aber niemand, wie es weitergehen soll, obwohl der Handlungsdruck immens ist: Galt die Zwangsauflösung des Flügels als Frevel, so der Mehrheitsbeschluss des Bundesvorstands am vergangenen Freitag, Kalbitz‘ Mitgliedschaft zu annullieren, als Sündenfall, als großer „Verrat“ des Westens am Osten, wie es der Dresdner Bundestagsabgeordnete Jens Maier am Montag bei Pegida zusammenfasste.

Dazu hat sich die sächsische AfD nun auch offiziell positioniert. In einer Erklärung des Landesvorsitzenden Jörg Urban und des Generalsekretärs Jan Zwerg heißt es, man sehe die Annullierung der Parteimitgliedschaft „als einen Fehler an“. Ausschlüsse sollte es „nur bei wirklich schwerwiegenden Verstößen“ geben, eine „vom politischen Gegner vorgelegte Indizienkette“ reiche dafür nicht aus, so das Papier, das am Dienstagnachmittag veröffentlich wurde. Man sei Kalbitz „zu großem Dank verpflichtet“ und brauche Menschen wie ihn, „die sich mit hohem Zeitaufwand für unsere Partei und für Deutschland einsetzen. Wir wollen daher gemeinsam mit ihm für unsere Überzeugungen streiten.“ Damit wird implizit gefordert, die Entscheidung zu revidieren. Mit offener Kritik an der AfD-Bundesspitze hält sich der Landesverband zurück, offiziell jedenfalls.

Bereits am Sonnabend hatte Jörg Urban erklärt, er bedauere den Beschluss des Bundesvorstands und halte ihn für falsch. Kalbitz habe sich „große Verdienste im Kampf für politische Erfolge der AfD errungen“, das letzte Wort sei noch nicht gesprochen. Urban schloss sich damit ähnlichen Loyalitätserklärungen an, die bereits aus Kalbitz‘ eigenem Landesverband Brandenburg und aus der befreundeten thüringischen AfD unter Björn Höcke zu vernehmen waren. Einstweilen hatte in der Sachsen-AfD niemand erkennbaren Anstoß daran genommen, dass Urban damit den gesamten Verband auf Kalbitz‘ Seite verortet, ohne dass es bereits einen entsprechenden Beschluss gegeben hat. Erst gestern Abend fanden dazu offizielle Beratungen des Landesvorstands und der Leitungen der Kreisverbände statt, heute außerdem Erörterungen unter Mitgliedern der Landtagsfraktion. Ausdiskutiert ist das Thema noch lange nicht.

„Verlässlicher Kamerad“

Die neue Erklärung fügt sich ein in die beiden großen, gegensätzliche Erzählungen zum Fall Kalbitz, die in der AfD verbreitet sind. Ein Teil, der zum Parteivorsitzenden Jörg Meuthen hält, argumentiert mit der Satzung der Partei, gegen die Kalbitz verstieß, indem er Vormitgliedschaften in extrem rechten Organisationen verschwieg, als er der AfD beitrat. Die Satzung erklärt das zu einem durchaus schwerwiegenden Verstoß und sieht dafür die jetzt gezogenen Konsequenzen vor. Ein anderer Teil der Partei behauptet, es fehlten Beweise für echte Verfehlungen. Nicht Kalbitz‘ Parteieintritt vor sieben Jahren sei daher unwirksam, sondern der jetzt getroffene Beschluss. Auf diese Seite schlägt sich die sächsische AfD.

Es gibt eine bemerkenswerte Schnittmenge beider Standpunkte: Alle Seiten betonen die Verdienste, die sich Kalbitz mit seiner Arbeit für die AfD erworben habe. Fast niemand geht dagegen auf seine politische Vergangenheit in der Neonaziszene ein, die gar nicht so lange zurückliegt und von der er sich auch nicht grundsätzlich distanziert. Was ihm vorgeworfen werde, sei „uraltes Zeug“ und „fast schon ein nullum“, meint beispielsweise der sächsische Landtagsabgeordnete Joachim Keiler. Tatsächlich hat Kalbitz aber zuletzt „als rechtsextrem auslegbare“ Bezüge in seiner Biografie eingeräumt. Aus AfD-Sicht läuft es für alle Seiten auf diese eine Frage zu: Wie erfolgreich muss ein Neonazi eigentlich sein, um ihn aushalten zu können?

In keiner anderen relevanten und in überhaupt keiner demokratischen Partei könnte sich so eine Frage heutzutage stellen. Die sächsische AfD, die ohnehin als besonders Flügel-nah gilt, entscheidet sich für den Verbleib Kalbitz‘, des langjährigen Flügel-Organisators, der im vergangenen Jahr für mehrere Wahlkampfveranstaltungen nach Sachsen gekommen war. Der damals erstmals in den hiesigen Landtag eingezogene AfD-Abgeordnete Roberto Kuhnert spricht auch deshalb auf seiner Facebook-Seite besonders ehrfürchtig von dem Ex-Parteifreund: „Ein geradliniger, aufrechter und verlässlicher Kamerad.“ Es finden sich sehr viele ähnliche Bemerkungen – und praktisch nichts Gegenteiliges.

Der Landtagsabgeordnete Rolf Weigand, zugleich Vorsitzender der verfassungsfeindlichen Jungen Alternative (JA) in Sachsen, ließ sich am Montag ebenfalls zugunsten des Ausgeschlossenen ein, nannte die Entscheidung des Bundesvorstands „ungut“, denn sie sorge für unnötige Unruhe in der Partei. Bei Facebook wird die sächsische JA noch viel deutlicher: Eine Karrikatur zeigt Meuthen, der Kalbitz einen Dolch in den Rücken stößt. Dort wird eine „Zeit des Handelns“ ausgerufen, gefolgt von einer Auflistung von Namen jener Vorstandsmitglieder, die nicht für Kalbitz gestimmt haben. Darunter ist auch Weigands Landtagskollege Carsten Hütter, der sich als einziger enthalten hat. Der Abgeordnete Norbert Mayer, seit Jahren führend in sächsischen Flügel-Kreisen, rückt Hütter auf seinem Profil in die Nähe des Verfassungsschutzes, spricht von einer „Merkel-Schutztruppe“ und der „Meuthen-Bande“.

Klare Strategie noch nicht erkennbar

Doch wie geht es weiter? Eine klare Strategie scheinen die Rechtsaußen-Kräfte noch nicht gefunden zu haben. Zwar werden seit Tagen Forderungen nach einem Sonderparteitag laut, verbunden mit dem Ziel, mindestens Jörg Meuthen abzuwählen, der erst gegen den Flügel vorgegangen war und dann die Entscheidung gegen Kalbitz maßgeblich vorangetrieben hat. Doch Meuthens Gegner*innen müssten, um die Kräfteverhältnisse zu den eigenen Gunsten und denen Kalbitz‘ zu ändern, weitere Mitglieder des Bundesvorstands loswerden. Mindestens sechs Landesverbände müssen so einen Parteitag überhaupt erst beantragen, schreibt die Satzung vor, ohne dass klar wäre, ob und unter welchen Umständen er zu Pandemie-Zeiten stattfinden kann.

Ersartweise wird gefordert, dass sich Meuthen aus eigenen Stücken zurückziehen soll. Bereits am Wochenende veröffentlichte die AfD Stadtratsfraktion in Zittau – mitten im Wahlkreis des zweiten Parteivorsitzenden Tino Chrupalla – einen offenen Brief. Darin enthalten ist der Vorwurf, von der Parteispitze her werde „autokratisch durchregiert und am Willen der Basis vorbei“. Ein Link führt dann zu einer anonym betriebenen Website, auf der in den vergangenen Wochen bereits mehr als 1.000 Unterschriften gesammelt wurden. Dort wird Meuthen frontal angegriffen und zum Rücktritt aufgefordert. Seit gestern gibt es zudem eine weitere Unterschriftensammlung, die „Niedersachsen-Erklärung“. Ihr haben sich über Nacht schon mehr als 250 Unterzeichner*innen angeschlossen, darunter auch einige sächsische Amts- und Mandatsträger*innen.

Hinter diesem Aufruf stehen der niedersächsische Laandtagsabgeordnete Stephan Bothe und das Bundestagsmitglied Jens Kestner, zwei Flügel-Leute. Sie fordern den Bundesvorstand „hiermit auf, den Beschluß vom 15. Mai 2020 aufzuheben und die Parteimitgliedschaft von Andreas Kalbitz als bestehend zu erklären.“ Nicht namentlich benannte „Parteikreise“ würden „gegen verdiente Mitglieder und führende Köpfe der AfD“ intrigieren und dadurch „die Einheit unserer Partei akut gefährden“, so der Vorwurf. Das liest sich wie eine Fortschreibung der Dresdner Erklärung, mit der die sächsische AfD schon vor der Kalbitz-Entscheidung Stimmung gegen Meuthen gemacht hat – mit Unterstützung durch Chrupalla und auch Kalbitz selbst.

Teilerfolg in Brandenburg

Einen Teilerfolg konnte Kalbitz derweil bereits erzielen: Eine Sondersitzung der brandenburgischen AfD-Landtagsfraktion, die er bislang anleitete, hat am Montag entschieden, dass er auch ohne Parteibuch weiter Fraktionsmitglied sein darf. Das war zu erwarten und ist rechtlich zulässig. Um es auch zu ermöglichen, änderte die Fraktion eigens ihre Geschäftsordnung, ein ungewöhnlicher, weitgehender Schritt. In der geheimen Abstimmung der brandenburgischen Abgeordneten gab es mit 18 Fürsprachen, zwei Neinstimmen und einer Enthaltung ein klares Votum pro Kalbitz, der damit seine Hausmacht unterstreicht. Ihm hätte eine Zweidrittelmehrheit genügt.

Auch seinen Posten als Fraktionsvorsitzender, dem doppelte Abgeordnetenbezüge zustehen, hält man ihm warm. Auf eine Neuwahl des Spitzenamts verzichtet man, bis zur rechtskräftigen Klärung des Parteiausschlusses übernimmt der Parlamentarische Geschäftsführer Dennis Hohloch die Funktion kommissarisch. Eine ähnliche Regelung wurde im brandenburgischen Landesvorstand gefunden, den Kalbitz mangels Mitgliedschaft nicht mehr anführen darf. An seine Stelle rückt Daniel Freiherr von Lützow, bisher einer der Stellvertreter. Auch diese Lösung ist nur vorübergehend, bis zur ersehnten Rückkehr von Kalbitz. Wenig überraschend: Die brandenburgische Fraktion unterstützt die Forderung, einen Sonderparteitag einzuberufen.

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