Chronik der faschistischen Angriffe auf Lesbos seit Oktober 2020

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In den letzten Monaten häufen sich Übergriffe auf solidarische Strukturen und Einzelpersonen auf der der Insel Lesbos. Die Chronik ist bei Weitem nicht vollständig und enthält nur Ereignisse, die bereits medial veröffentlicht worden sind. Nicht alle Srukturen und Einzelpersonen möchten, dass Übergriffe auf sie öffentlich gemacht werden, weil sie weiter befürchten. Nicht aufgeführt sind außerdem die alltäglichen Beschimpfungen und Schikanen, denen Geflüchtete und solidarische Personen tagtäglich ausgesetzt sind. Wir freuen uns über Ergänzungen in der Kommentarspalte.

 Unvollständige Chronik der faschistischen Angriffe auf Lesbos seit Oktober 2020

 

14.10.2019

Am Nachmittag des 14.10.2019 warteten 15 Einwohner_innen der Dörfer Petras und Molivou, darauf, dass sich ein kleines Schlauchboot der NGO Pro Activa, das eine mexikanische Freiwillige zu einem Segelboot bringen wollte, der Küste näherte. Pro Activa betreibt das Rettungsboot Open Arms, zu dem die Freiwilligen auf dem Boot gehörten, sowie die Person, die sie abholen wollten. Die Dorfbewohner_innen begannen mit Steinen zu werfen um zu verhindern, dass Menschen das Boot verlassen. Anstatt einzugreifen, durchsuchten – auf Drängen der Angreifer_innen – anwesende Polizeikräfte die Freiwillige, die in Großbritannien als Geflüchtete anerkannt ist.

 

04.02.2020

Am Abend des 04.02.2020 durchsuchte eine Gruppe junger Neonazis, einer sogenannten „Sturmabteilung“1 in Moria, dem Dorf neben dem größten Lager für Geflüchtete auf der Insel Lesbos, Häuser nach Asylsuchenden und Mitgliedern, Freiwilligen oder Angestellten von NGOs. Das Auto einer Freiwilligen wurde angegriffen, während sie mit 2 Geflüchteten drin saß. Ein Haus fing durch ein Bengalo Feuer. Das Haus war von einer NGO gemietet gewesen, die dort zeitweise Geflüchtete untergebracht hatte. Es war ein Zufall, dass zu diesem Zeitpunkt niemand drin war.

 

05.02.2020

Am 05.02.2020 fand eine antifaschistische Demonstration von der Promenade Epano Skala in Mytilini, der Hauptstadt Lesbos‘, zu Kara Tepe, einem Lager 3km entfernt, statt. Dort wurden die Demonstrant_innen von der Polizei daran gehindert, die Demonstration fortzusetzen und kehrten zurück in die Stadt. Kurz nach Mitternacht begann die selbe Gruppe, mit Helmen auf und mit Knüppeln bewaffnet, Passant_innen zu kontrollieren. Sie griffen das Auto einer italienischen Freiwilligen an, in dem sich auch zwei Geflüchtete befanden.

Video des Übergriffs der „Sturmabteilung“ in Mytilini: https://www.facebook.com/stonisi.gr/videos/174899823798240/

 

27.2.2020

Am 27.02., nach einer Versammlung des Ministerpräsidenten der Südlichen Ägäischen Inseln, Kostas Moutzouris, der für seine hetzerischen Reden bekannt ist, griff ein Mob von ca. 20 überwiegend unvermummten Personen vor dem Rathaus das Auto der NGO „One happy family“ an, die auf Lesbos für Geflüchtete aktiv ist. Sie zerstörten die Scheiben, beschimpften und traten die Insassen. Unter den Angreifern befanden sich zwei Abgeordnete. Gegen 7 der Angreifer hat die Staatsanwaltschaft nun ein Verfahren eröffnet.

Video des Übergriffs: https://youtu.be/wIhJKFbsmVA

 

01.03.2020

Dorfbewohner_innen blockierten am 01.03.2020 die Ankunft von 50 Flüchtenden mit einem Schlauchboot. Einige der in Thermi Versammelten hielten außerdem den den Büroleiter des Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen für Lesbos sowie Journalist_innen und den Stadtrat von Mytilini fest.

Der Videojournalist Michael Trammer, der die Geschehnisse am Hafen dokumentierte, wo ebenfalls Menschen daran gehindert wurden, Boote zu verlassen, wurde von Dorfbewohner_innen angegriffen. Sie warfen seine Kamera ins Meer schlugen und traten ihn, so dass er sich eine Platzwunde am Kopf und Prellungen zuzog. Weitere Journalist_innen sowie NGO-Mitarbeiter_innen wurden ebenfalls an diesem Tag angegriffen.

Gleichzeitig blockierten über 100 Personen mehrere Straßen auf der Insel, um Busse der Küstenwache mit ankommenden Geflüchteten nicht durchzulassen, kontrollierten Autos und griffen Journalist_innen an. An diesem Tag hatten über 100 Menschen die Insel erreicht. Die Geflüchteten mussten in der Kälte im Eingangsbereich des Hafens bleiben. Am selben Tag wurde die Erstaufnahmestelle des UN-Flüchtlingshilfswerks, zu diesem Zeitpunkt glücklicherweise unbesetzt, abgebrannt.

 

02.03.2020

Das Rettungsschiff Mare Liberum der NGO Seawatch wurde am 02.03.2020 von Faschisten in Loutra auf Lesbos angegriffen. Der Mob grölte, bedrohte die Besatzung und schüttete schließlich Benzin auf das Deck des Schiffes. Die Crew sah sich gezwungen, vor der Küste zu ankern.

Video des Übergriffs: https://web.facebook.com/MareLiberumOfficial/videos/mare-liberum-attacked-by-fascists/2565698327007101/?_rdc=1&_rdr

 

05.03.2020

Das Rettungsschiff Mare Liberum wurde abermals durch Bewohner_innen am Anlegen im Hafen von Lesbos gehindert. Außerdem wurde der Besatzung von der Hafenbehörde mitgeteilt, dass sie sich wegen militärischer Übungen weder nördlich noch östlich der Insel bewegen sollte.

 

06.03.2020

In der Nacht vom 6. auf den 7.3. wurde das Auto der aus Skandinavien stammenden Mitarbeiterin einer griechischen Gesundheitsbehörde angezündet, das komplett ausbrannte.

 

08.03.2020

Am 08.03. gab es einen Brandanschlag auf ein Gemeinschaftszentrum für Geflüchtete in der Nähe des Lagers Kara Tepe, betrieben von der Schweizer NGO „One Happy Family“. Die Gebäude wurden für verschiedene Aktivitäten, unter anderem auch für Schulunterricht, genutzt. Das Schulgebäude und die Büros brannten komplett nieder, einige kleinere Gebäude ebenfalls.

 

13.03.2020

Der Journalist Trassos Abraham wurde am 13.03. von der Polizei kurzzeitig festgenommen. Ihm wird der Verstoß gegen Persönlichkeitsrechte und Verleumdung vorgeworfen. Die Polizei zeigt sich hier als Vollstreckungsgehilfe der Rechtsradikalen von Lesbos: Zwei von ihnen hatten Anzeige erstattet, weil er das Video, das den Angriff auf das Auto von „One Happy Family“ zeigt und im Netz kursierte, weiterverbreitet hatte. Der Journalist schreibt für „Sto Nisi“ (Auf der Insel), einer lokalen Zeitung. Gegen einen der Kläger läuft bereits ein Verfahren wegen Beleidigung und Bedrohung gegenüber Abraham. In der selben Woche wurde sein Haus beschmiert mit den Worten „Das Kommando in der Stadt haben wir!“.

 

1Die Bezeichnung „Sturmabteilung“ (Tagma Efodou) wird hier für bewaffnete rechte Gruppen verwendet, in Anlehnung an die SA. Auch Medienbenutzen diesen Begriff. Die Gruppe selbst gibt sich keinen Namen. Im Folgenden wird der Begriff in Anführungszeichen verwendet.

 

 

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