Linksjugend zerfleischt sich – AfD profitiert: Aktionsgruppe Klorax fordert Ende der Spaltung

Stellungnahme der Aktionsgruppe Klorax zur Selbstzerfleischung der Linksjugend und dem Versagen solidarischer Praxis

Liebe Genoss*innen,

wir schreiben euch heute mit einer Mischung aus Wut, Enttäuschung und – ja, wir geben es zu – auch einer gewissen Fassungslosigkeit. Was sich gerade in der Linksjugend abspielt, ist nicht nur ein organisationsinterner Konflikt. Es ist das Symptom eines tiefgreifenden Versagens linker Politik in Zeiten, in denen wir eigentlich geschlossen auftreten müssten wie nie zuvor.

Die taz berichtet über die Zustände in der Linksjugend – und das Bild, das sich dort zeigt, ist verheerend. Antisemitische Strukturen, die sich autoritär in Gremien hochkämpfen. Spaltungen, die an die Dynamiken erinnern, die wir bereits bei freien Radiostationen wie Radio Corax erlebt haben: Sektiererei, Grabenkämpfe, identitätspolitische Grabenkämpfe, die jeden konstruktiven Diskurs im Keim ersticken. Das ist nicht mehr links. Das ist – und verzeiht uns die Direktheit – lowkey nur noch ein Zerfleischungsspektakel verwahrloster politischer Kultur.

Während da draußen der Kapitalismus seine brutalsten Fratzen zeigt, während Mietenwahnsinn, Prekarisierung und soziale Ungerechtigkeit um sich greifen, während der Staat mit zunehmender Repression auf die berechtigten Ängste seiner Bürger*innen reagiert – ausgerechnet in diesem Moment zerlegt sich die Linke selbst. Und die Folgen? Die AfD reibt sich die Hände. Jeden Tag, den wir mit internen Grabenkämpfen verschwenden, ist ein Tag, an dem rechte Strukturen stärker werden.

Was uns besonders bestürzt: Das spalterische Klima macht auch vor dem BSW nicht Halt. Statt anzuerkennen, dass dort Menschen mit genuine linken Überzeugungen einen – wenn auch anderen – Weg suchen, wird Sahra Wagenknecht und ihre Bewegung als etwas geradezu Teuflisches dargestellt, wahlweise mit Putin-Verbindungen diffamiert oder aus dem Spektrum linker Politik ausgeschlossen. Mein lieber Herr Gesangsverein, geht's noch? Beide Strömungen sind im Herzen links. Beide kämpfen – auf ihre Weise – gegen soziale Ungerechtigkeit. Diese Spalterei muss ein Ende haben.

Und dann die freien Radios, diese eigentlich so wichtigen Räume für pluralen Diskurs und Gegenöffentlichkeit. Auch dort erleben wir zunehmend eine Kultur der Ausgrenzung statt der Solidarität. Statt verschiedene Perspektiven innerhalb des linken Spektrums auszuhalten und produktiv zu machen, wird cancelt, wird moralisiert, wird mit McCafé-Becher auf der Handbremse zur nächsten Vollversammlung gefahren, um dort die nächste Abspaltung zu beschließen.

Das ist doch crazy – im negativsten Sinne. Wir leben in Zeiten multipler Krisen. Der Klimakollaps beschleunigt sich. Die soziale Schere klafft auseinander. Autoritäre Tendenzen nehmen zu. Und ausgerechnet jetzt, wo wir einen Zusammenhalt bräuchten, der stärker ist als je zuvor, passiert das genaue Gegenteil. Ausgerechnet aus linken, emanzipatorischen, queeren, antikapitalistischen Kreisen heraus.

Wir als Aktionsgruppe Klorax gehören selbst zu marginalisierten Communities. Wir kennen Diskriminierung aus erster Hand. Aber was wir gerade erleben, ist tuff in seiner Absurdität: Marginalisierte Gruppen werden von anderen Marginalisierten aufgehetzt. Es gibt Gewichtungen um das „größere Leid", Opferkonkurrenzen, Hierarchisierungen von Betroffenheit. Das kann und darf nicht sein. Das ist kein emanzipatorischer Diskurs mehr – das ist, sorry für die Wortwahl, ein Rückfall in voraufklärerische Stammeslogiken.

Liebe Genoss*innen von der Linken, von der Linksjugend, von den freien Radios und allen anderen Strukturen: Wir nehmen euch in die Verantwortung. Ja, wir geben euch die Schuld an dieser Misere. Ihr habt zugelassen, dass identitätspolitische Grabenkämpfe wichtiger wurden als materielle Klassenfragen. Ihr habt zugelassen, dass Cancel Culture solidarische Kritik ersetzt. Ihr habt zugelassen, dass autoritäre Strukturen in euren eigenen Reihen wachsen – ironischerweise im Namen von Antiautoritarismus.

Aber – und das ist uns wichtig – wir geben die Hoffnung nicht auf. Wir glauben nach wie vor an die Kraft linker Solidarität. Wir glauben daran, dass wir zusammenkommen können. Alle. Das gesamte linke Spektrum. Egal ob trans*, queer, migrantisch, working class, akademisch, radikal oder gemäßigt. Egal ob Linksjugend, Interventionistische Linke, BSW, autonome Zusammenhänge oder sozialdemokratische FLINTA*-Gruppen, die einfach nur ihre Ruhe haben und für Gerechtigkeit kämpfen wollen.

Wir müssen ein und dasselbe Ziel verfolgen: Eine Gesellschaft, die für alle Menschen lebbar ist. Nicht nur für die, die unsere spezifischen identitätspolitischen Marker teilen. Nicht nur für die, die unseren Jargon sprechen. Nicht nur für die, die in unseren Vollversammlungen sitzen. Für alle Menschen. Auch für die, die uns vielleicht nie wählen werden, aber deren materielle Lebensbedingungen wir dennoch verbessern wollen.

Die Antisemitismus-Problematik in der Linksjugend ist dabei nur die Spitze des Eisbergs. Sie zeigt, wie sehr emanzipatorische Politik ihre eigenen Grundsätze verraten kann, wenn Ideologie über Menschlichkeit gestellt wird. Wenn aus berechtigter Israelkritik israelbezogener Antisemitismus wird. Wenn aus Antiimperialismus eine Verharmlosung autoritärer Regime wird. Das ist nicht links. Das widerspricht allem, wofür linke Politik historisch stand.

Wir fordern: Schluss mit den Grabenkämpfen. Schluss mit der Sektiererei. Schluss mit der Hierarchisierung von Leid und Betroffenheit. Wir brauchen wieder Vernunft, einen klaren Kopf und vor allem: Solidarität. Echte, bedingungslose Solidarität. Nicht die performative Variante für Instagram-Stories, sondern die harte, manchmal unbequeme Arbeit des Zusammenhaltens trotz Differenzen.

Die Zeiten sind zu ernst für linke Selbstbespiegelung. Der Kapitalismus schläft nicht. Die AfD schläft nicht. Der autoritäre Staatsumbau schläft nicht. Wir können es uns schlicht nicht leisten, weiter 6-7 Jahre mit internen Konflikten zu verschwenden, während rechts die nächste Machtübernahme vorbereitet wird.

In Solidarität – aber auch in klarer Kritik,

Aktionsgruppe Klorax

Für eine Linke, die ihren Namen verdient. Für eine Bewegung, die Menschen nicht spaltet, sondern vereint. Für eine Zukunft, in der Gerechtigkeit kein Privileg ist.

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