[RMK] Debattenbeitrag: Antifa heißt gegen Krieg kämpfen und streiken
Vom Brandherd zum Flächenbrand
Ukraine, Gaza, Iran – wenn wir morgens auf unsere Handys schauen überschlagen sich in den letzten Wochen die Meldungen von tausenden Toten, von neuen Bombenangriffen, von weiteren Kriegsherden. Auch wenn die totale Eskalation im Nahen Osten durch die Waffenruhe wohl vorerst auf Pause gesetzt scheint – die Gefahr eines nächsten großen Krieges ist so groß wie lange schon nicht mehr. Noch mag sich der internationale Verteilungskampf der großen imperialistischen Machtblöcke vor allem auf Stellvertreterkonflikte beschränken. Dennoch ist die Frage, wann es zu einem Flächenbrand kommt, schon lange keine abstrakte mehr.
Militärische Aufrüstung nach außen, Mobilmachung und Kriegshetze nach innen ist das Credo der eingeläuteten Zeitenwende. Deutschland soll ganz offensichtlich „kriegstüchtig“ gemacht werden. Man muss nicht zweimal hinschauen um zu erkennen, dass für Krieg und Aufrüstung scheinbar unendlich Geld vorhanden ist, während im sozialen Bereich eine Kürzung nach der anderen droht. Damit der Geldstrom nicht abreißt, wurde vom Bundestag extra die Schuldenbremse für militärische Ausgaben aufgehoben. Doch das reicht den Herrschenden nicht: Beim kürzlich stattgefundenen NATO-Treffen einigte man sich auf Ausgaben für Krieg in Höhe von 5% vom BIP der jeweiligen Mitgliedsländer. Im Fall von Deutschland sind das ca. 40% des gesamten Staatshaushalts - während Rentner:innen in Armut leben und Schulen zerfallen. Auch personell soll die Bundeswehr für den Fall der weiteren Zuspitzung vorbereitet werden, schließlich braucht es neben Panzer und Bomben auch menschliches Kanonenfutter für den Kriegsfall. Es werden wir und unsere Klassengeschwister sein, die bald für die Kriege der Reichen eingezogen werden, die „freiwillige“ Wehrpflicht nur noch ein Schatten der Vergangenheit.
An welcher Front werden wir sterben?
Auch wenn es die Herrschenden gerne in allen populären Medien so darstellen, bei keinem der Konflikte und Kriege auf internationaler Leinwand geht es um Menschenrechte oder Demokratie. Die Kriegshysterie der Imperialist:innen ist deutlicher Ausdruck der Krise, in der sich der Kapitalismus befindet. Die imperialistischen Machtblöcke ringen um den Erhalt bzw. die Neueroberung von Märkten, Ressourcen und Einflusssphären. Um weiterhin Profite zu maximieren und die bestehenden zu sichern, müssen sie das angesichts der bereits aufgeteilten Welt auch – die Logik des kapitalistischen Wirtschaftssystems zwingt sie dazu. Bereits Jean Jaurès sagte: „Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen“ und behält damit auch heute Recht.
Der deutsche Imperialismus hat zur Zeit noch keinen „Startplatz“ ganz vorne bei der gewalttätigen Neuverteilung der Welt, muss sich noch gezwungenermaßen zurückhalten beziehungsweise an NATO- und vor allem US-Einsätze anhängen. Doch die Interessen „unseren“ Kapitalist:innen und denen ihrer „Wertepartner” auf der anderen Seite des Atlantik gehen immer weiter auseinander und können zukünftig nicht unbedingt gemeinsam auf der Weltbühne durchgesetzt werden. Der deutsche Imperialismus bereitet sich auf eine künftige Weltmachtstellung vor – gerne auch an der Spitze der EU – um den Platz an der Sonne wieder erkämpfen zu können. Seit der Annexion der DDR und dem Jugoslawien-Krieg ist das Streben der deutschen Kapitalisten nach militärischen Lösungen, um die eigenen wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen, zu sehen. Spätestens seit dem Ukraine-Krieg erkennt man ganz konkret die Bemühungen, Deutschland mit Waffengewalt und Krieg „wieder groß“ zu machen.
Rechte Friedenskämpfer?!
Genug Gründe, um zu handeln. Auch wenn die in einigen Städten großen und wahrnehmbaren Proteste gegen den von Israel – auch mit der Unterstützung der BRD – durchgeführten Völkermord in Palästina für einiges Aufsehen sorgten, bleibt doch Widerstand gegen die Aufrüstung und Kriegstreiberei der Kapitalist:innen eher schwach und vereinzelt. Massenbewegungen zeichnen sich nicht ab – oder etwa doch?
„Es gelingt dem Faschismus, die Massen zu gewinnen, weil er in demagogischer Weise an ihre brennendsten Nöte und Bedürfnisse appelliert. […] Der Faschismus handelt im Interesse der extremen Imperialisten, aber vor den Massen tritt er unter der Maske des Beschützers der beleidigten Nation auf und appelliert an das gekränkte Nationalgefühl.“ (Georgi Dimitroff, Arbeiterklasse gegen Faschismus, S. 10)
Wer aufmerksam die letzten größeren Naziaufmärsche, zum Beispiel in Stuttgart und Reutlingen, beobachtet hat, muss feststellen: „Frieden“ ist ein wahrnehmbarer Ausdruck der Demonstrationen. Neben den typischen Deutschlandfahnen sind unzählige Friedensfahnen zu sehen, Schilder sprechen sich gegen die Aufrüstung und den Ukraine-Krieg aus. Auch die – zugegebenermaßen in vielen Städten mittlerweile sehr kleinen – Montagsdemos tragen als Überbleibsel der Querdenken-Bewegung die „Friedenslosung“ nach außen. Diese Entwicklungen sind mehr als besorgniserregend. Vor allem auch deshalb, weil neben organisierten Rechten und Faschist:innen auch einige Teilnehmende zu sehen sind, die sich wahrscheinlich selbst nicht mal als besonders rechts bezeichnen würden, sondern vor allem aus der mit der steigenden Kriegsgefahr verbundenen Angst Seite an Seite mit Nazis demonstrieren.
Noch gibt es bei den Rechten keine einheitliche Haltung zur Kriegsfrage. Während große Teile der AfD sich immer noch eher russlandfreundlich und pro Israel zeigen, stehen die Faschist:innen des III. Wegs ganz „traditionell“ gegen die „bolschewistischen Horden und ihre zionistischen Hintermänner“ - zum Teil auch mit der Waffe in der Hand in den Schützengräben im Osten der Ukraine. Wie man aber nur unschwer an Italiens Ministerpräsidentin Meloni beobachten konnte, müssen diese Haltungen nicht so bleiben wie sie sind, ist sie doch mit Machtantritt direkt auf einen Ultra-NATO-Kurs eingeschwenkt, wo vorher eher kritischere Töne zu hören waren. Denn an sich haben Rechte wirklich gar kein Problem mit Kriegen und Aufrüstung, solange in ihren Augen die Interessen ihres Landes durchgesetzt werden.
Faschismus und Krieg – zwei Seiten einer Medaille
Eine der historischen Aufgaben der Faschist:innen war und ist, im Kriegsfalle für „Frieden an der Heimatfront“ zu sorgen. Das heißt, in der Heimat wird mit Gewalt jeder Widerstand gegen Krieg niedergeschlagen, damit nicht „der Feind im Inneren den Soldaten an der Front mit dem Messer in den Rücken fällt”. Solange das Volk so wie jetzt größtenteils noch auf die Kriesgpropaganda reinfällt und sich kein größerer Widerstand regt, brauchen die Kapitalist:innen den Faschismus auch nicht. Solange kann er sich als Opposition zum jetzigen System darstellen und damit die unzufriedenen Leute zu sich ziehen, um sie mit dem Geschwätz von Überfremdung und anderen Kulturkampfthemen davon abzuhalten, ihren wahren Feind zu erkennen: das imperiale Bestreben des eigenen Landes.
Sollten wir es aber schaffen, eine wirkliche Friedensbewegung aufzubauen, die mit Streiks und sonstigen Aktionen eine ernsthafte Gefahr für die deutschen Großmachtbestrebungen darstellt, werden sich die Kapitalist:innen und die Rechten sehr schnell erinnern, was eine Aufgabe des Faschismus an der Macht ist: Dafür zu sorgen, dass Soldat:innen an der Front in Ruhe töten und getötet werden, ohne dass durch lästige Arbeitsniederlegungen die Munitionsvorräte ausgehen. So wie es zur Zeit des deutschen Faschismus war. Krupp und Co. mussten sich keine Sorgen machen, dass ihnen wie in der Novemberrevolution die Arbeiter:innenklasse einen Strich durch die Rechnung macht. Jegliche anti-militaristische und revolutionäre Bestrebung war bereits durch SA und SS vernichtet oder ins Exil gedrängt.
Hinter dem Faschismus steht das Kapital
Die Funktion des Faschismus hat sich auch heute nicht verändert. Mag die rechte Bewegung auch noch so bedrohlich geworden sein, AfD, Identitäre Bewegung, der III. Weg und Co. werden nicht einfach so die bürgerliche Demokratie zum „vierten Reich“ umbauen können. Solange die Herrschenden den Faschismus nicht als Herrschaftsoption ziehen müssen, werden sie das auch nicht tun. Als Antifaschist:innen kennen wir natürlich alle die Dimitroff-Formel auswendig und verstehen den Faschismus als „die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“ (Georgi Dimitroff, Arbeiterklasse gegen Faschismus, S.7).
Daran müssen wir uns immer wieder erinnern. So gut es ist, alles zu tun um den Aufbau der faschistischen Bewegung zu erschweren oder gar zu verhindern, so zahnlos bleibt unser Kampf, wenn wir nicht gleichzeitig unseren Fokus auf die Wurzel des Faschismus richten. Als Antifaschist:innen muss uns letztendlich darum gehen, die Eigentumsverhältnisse zu verändern. Verknüpfen wir unsere politischen Parolen nicht mit eben dieser zentralen Macht-Frage, verpuffen sie angesichts der stärker werdenden rechten Bewegung und verlaufen ins Nichts.
Machen wir uns nichts vor: Weder der Kriegstreiberei der Herrschenden, noch der rechten Bewegung vermögen wir gerade besonders viel entgegensetzten. Eine Anti-Kriegs-Demo mehr wird nicht den dritten Weltkrieg aufhalten, eine blockierte Nazi-Demo nicht die faschistische Gefahr bannen. Doch der Schlüssel für beides ist und bleibt derselbe: eine kämpferische, revolutionäre Arbeiter:innenbewegung. Nur diejenigen, die objektiv kein Interesse an Krieg, Faschismus und Kapitalismus haben, haben die Kraft, all dem etwas entgegenzusetzen. Und wir müssen uns dringend daran machen, diese aufzubauen. Das darf man auch als Antifa doch wohl noch sagen dürfen!
Klassenfrage statt Kulturkampf - Klassenkampf statt Feuerwehr
Einer kämpferischen Arbeiter:innenbewegung werden wir nicht näher kommen, wenn wir die Friedensfrage weiterhin den Rechten überlassen und stiefmütterlich im Nebensatz behandeln. Mehr denn je müssen wir uns darauf konzentrieren, die Demagogie der Faschist:innen zu entlarven und klar machen: wer keinen Krieg will, der darf sich weder auf Aussagen der Herrschenden verlassen, noch auf die Agitation der Rechten. Wer keinen Krieg will, muss den Kapitalismus abschaffen. Mehr denn je, müssen wir auch nationalistischer Hetze etwas entgegensetzen.
Und wir werden einer kämpferischen Arbeiter:innenbewegung auch nicht näher kommen, wenn wir über jedes von rechts gesetzte Kulturkampfthema springen und uns ausschließlich damit beschäftigen. So wichtig es ist, Nazis nicht unkommentiert marschieren zu lassen, sich für den Schutz von queeren Menschen einzusetzen und „Nazis raus“ zu rufen, so relevant ist es, dass auch langfristig zu denken und die Ursachen dafür an der Wurzel zu bekämpfen. Damit ist nicht gemeint, dass wir nicht Bestehendes vor Rechten schützen sollten. Stellen wir diesen Kämpfen aber nicht die Eigentumsfrage voran, laufen wir letztendlich Gefahr uns darin zu verlieren. Und sind bei der nächsten reaktionären Verschärfung noch weiter davon weg, den Ursprung der Unterdrückung – den Kapitalismus – zu beseitigen. Die Sozialdemokratie und große Teile der bürgerlichen Linken gehen gerne voll und ganz auf den Kulturkampf der Rechten ein. Sie sind ja auch froh, wenn die Klassenfrage nicht allzu präsent in den Köpfen der Menschen ist, sondern diese sich anhand der Frage zerstreiten, ob Gendern die deutsche Sprache verhunzt oder nicht.
Warte nicht auf Offenes Treffen XY!
Wir müssen unsere Seite aufbauen und das bedeutet: mit den richtigen Themen unseren Klassengeschwistern klar machen, dass wir Antworten haben. Und um die Herzen und Köpfe derjenigen zu kämpfen, die bereits der rechten Demagogie verfallen sind. Krieg, Krise, Zukunftsangst - das beschäftigt einen Großteil unserer Klasse. Stellen wir diese Themen nicht in den Mittelpunkt und arbeiten wir uns ab in Feuerwehrpolitik, laufen wir letztendlich Gefahr, diejenigen zu verlieren, die als einzige Faschismus und Krieg langfristig etwas entgegensetzen können – die Arbeiter:innenklasse. Nur mit ihr können wir den Herrschenden die Option des Faschismus als möglichen Weg aus ihrer Krise nehmen.
Angesichts dieser Zeiten ist es falsch darauf zu warten, dass die versprengten Reste der Friedensbewegung selbst eine Demonstration organisieren, zu der die Arbeiter:innenmassen strömen oder die Kolleg:innen des lokalen Rüstungsbetriebs von alleine selbstbestimmt die Arbeit niederlegen. Wollen wir den Einfluss von Faschist:innen wirksam zurückdrängen, müssen wir die soziale Frage in den Mittelpunkt stellen. Wollen wir verhindern, dass sich die nächste große Bewegung mit rechten Einfluss an der Friedensfrage entzündet, ist es aktuell unsere Aufgabe als Antifaschist:inneneben diese Frage zum Schwerpunkt unserer antifaschistischen Arbeit zu machen.
Wir schlagen folgendes vor:
1) Bei jeder Blockade gegen Nazis muss klar erkennbar sein, dass wir Antworten auf Krise und Krieg haben.Lasst uns auf jeder Demo, jeder Protestaktion klar und sichtbar machen: die Nazis haben eben keine Antworten, sie führen uns an der Nase herum. Die Losung auf unseren Transparenten, in unseren Parolen, auf unseren Schildern muss sein: Faschismus = Krieg!
2) Wer selbst im Dunkel tappt, kann den Massen den Weg nicht zeigen. Nur wer den Imperialismus versteht, kann die Demagogie der Rechten entlarven und Andere aktivieren, gegen Krieg und Kapitalismus aktiv zu werden. Wir empfehlen: Lest zuerst die Klassiker. Ein Lesekreis in eurer Stadt zu „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ von Lenin und „Arbeiterklasse gegen Faschismus“ von Dimitroff ist ein guter Anfang. Dort könnt ihr gemeinsam diskutieren und das Gelesene auf heute anwenden.
3) Schafft niederschwellige Angebote um gegen Krieg und Militarisierung aktiv zu werden. Unterstützt laufende Kampagnen (zum Beispiel: https://kriegdemkrieg.com/) gegen den Krieg, wenn es die in euer Stadt gibt. Und wenn es die nicht gibt? Organisiert selbst Aktionen gegen den Krieg. Eine Anti-Kriegs-Kundgebung kann im offenen Antifa Treffen ebenso geplant werden – und die Zeit dafür ist jetzt.
Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!
Ein Debattenbeitrag der Antifaschistischen Aktion Ludwigsburg Rems-Murr, Juli 2025
Anmerkungen:
Wir haben keinesfalls den Anspruch, mit diesem Beitrag der „Weisheits letzter Schluss“ zu veröffentlichen. Vielmehr geht es uns darum, eine Debatte – gerne auch eine kritische - anzustoßen, die wir für dringend notwendig halten. Wir wollen aus den jüngsten Erfahrungen der Antifa-Bewegung lernen. Bereits bei Querdenken haben wir gemerkt, dass unsere zahlenmäßige Unterlegenheit klassische Antifa-Straßen-Praxis und Blokaden vollkommen wirkungslos gemacht hat. Wenn wir nur einen klitzekleinen Beitrag dazu leisten können, eine mögliche rechte Massenbewegung gegen den Krieg bereits im Keim zu ersticken, ist das viel wert.
Wir zitieren die Schrift „Arbeiterklasse gegen Faschismus“ von Georgi Dimitroff aus der Version des Arbeiterbundes zum Wideraufbau der KPD im Verlag Das Freie Buch.
