Antisemitismus in der Kieler Linken
Antisemitismus ist keine Meinung, sondern letztlich ein Angriff auf uns alle. Bereits vor Monaten wurde öffentlich darauf hingewiesen, dass antisemitische Haltungen in Kiel wie in vielen anderen Städten zunehmend offen und aggressiv geäußert werden. Hierzu gab es ausführliche Berichte, u.a. in den Kieler Nachrichten und dem NDR. Jüngst wurde dies nochmal durch offizielle Zahlen untermauert. Aus der Kieler Linken hingegen kam keine Reaktion. Statt sich dem entgegenzustellen, dulden Teile der linken Szene in Kiel diesen Hass oder schweigen zu ihm. Hass, der auch aus der linken Szene kommt. Das können und wollen wir nicht länger hinnehmen! Wir werden dazu nicht schweigen!
Erschütternd war etwa ein Graffiti mit dem Slogan „Messer rot, Zionist tot“. Hier wird nicht nur antisemitischer Hass ausgedrückt, sondern ganz konkret zur Gewalt aufgerufen. Diese Enthemmung setzte sich fort: Anfang Dezember 2024 wurden in der gesamten Stadt Sticker verklebt mit der Aufforderung „Zionisten mal zu Hause [zu] besuchen“, ergänzt um eine reale Adresse, unter der der betroffene Mensch zu finden sein sollte. Solche Feindmarkierung sind brandgefährlich. Die Sticker wurden mit dem Logo der sogenannten Anti-Zionist Aktion verbreitet. Dieses Symbol tauchte mit den Stickern in der Weise zum ersten Mal auf und ist wie das wohlbekannte Antifa-Logo gestaltet. Am 9. Dezember 2024 bekannten sich zwei Personen öffentlich zu dieser Aktion, indem sie die Mahnwache für freies, jüdisches Leben in Kiel störten und das genannte Logo dort auf Schildern präsentierten. Diese Personen sind in der linken Szene in Kiel keine Unbekannten. Sie werden teils offen geduldet und unterstützt – auch von Personen aus prominenteren Zusammenhängen der Kieler Antifa. Einer von ihnen war früher Nazi-Kader bei der NPD.
Doch es geht nicht nur um Einzelne. Es gibt ein Netzwerk aus Gruppen wie Young Struggle, dem Roten Kollektiv Kiel (RKK), SDAJ/DKP, Initiative Gemeinsam Kämpfen (IGK) und Netzwerk Kiel Entwaffnen. Dieses Netzwerk ist verantwortlich für antisemitische Sticker, Einschüchterungen im öffentlichen Raum, Drohungen und Gewalt gegen Menschen, die sich dem entgegenstellen.
Ein besonders besorgniserregender Fall betrifft eine jüdische Person, die zur Zielscheibe wurde. Mehrfach wurde sie mit namentlich adressierten, bedrohlichen Graffiti attackiert – darunter Formulierungen, die unmissverständlich signalisierten, man wolle sie „zum Schweigen bringen“. Besonders perfide: Auch an ihrer Arbeitsstelle wurde durch Schriftzüge und Aufkleber signalisiert, dass man wisse, wo man sie treffen könne – verbunden mit unterschwelliger bis offener Gewaltandrohung. Diese Person wurde damit nicht nur öffentlich markiert, sondern in ihrem Alltag und in ihrer Existenz massiv bedroht. Dass solche Einschüchterungstaktiken und psychische Gewaltakte in Kiel praktiziert und geduldet werden, ist alarmierend. Und die linke Szene schweigt!
Weitere Vorfälle belegen, wie tief das Problem reicht: Beim Semesterstart wurde eine Person der SDAJ beobachtet, wie sie gezielt Infomaterial entwendete und sich danach gewaltbereit gegenüber Kritiker*innen positionierte. Auf einer Anti-AfD-Kundgebung musste ein Transparent mit der Aufschrift „Gegen Rechtsextremismus & Islamismus – Gegen linken & bürgerlichen Antizionismus! Antisemitismus bekämpfen auf allen Ebenen“ unter Reißen am Banner, Tritten, weiteren Androhungen von Gewalt und im Beisein eines maßgeblichen Teils der Antifa-Szene entfernt werden – begleitet mit den Worten „Ich spalte dir den Schädel“. Die Täter*innen: RKK- und IGKler*innen. Man bezog sich mehrfach positiv auf Leila Khaled, eine PFLP-Terroristin, die sich an Flugzeugentführungen und Selektion israelischer und jüdischer von anderen Passagier*innen beteiligte und deren Idol in jungen Jahren Hitler war, weil er Feind der Juden gewesen sei. Ihre Hitlerbewunderung nahm ab; nicht etwa, weil sie einsah, dass Judenhass verkehrt ist, sondern weil sie bemerkte, dass Hitler auch Araber*innen als Untermenschen ansah. Eine Person, die an einer Bushaltestelle einen antisemitischen Sticker überklebte, wurde angepöbelt und bedroht mit Aussagen wie: „Mit Zionisten fahr ich nicht Bus“ und „Scheiß Zionist ... du kannst glücklich sein, dass ich dich heute nicht fertig mache“. Es wurden Sticker mit dem Schriftzug „Israel mordet“ verklebt, deren Inhalt und Design genau so ein paar Jahre zuvor von den Jungen Nationaldemokraten (Jugendorga der NPD) erstellt und verklebt wurde. Im Kampf gegen Israel scheinen sich vermeintliche Linke mit Faschos einig. In einem besonders verstörenden Fall tauchte eine Galgenmalerei auf, in der ein Aktivist mit Namen benannt und damit offen bedroht wurde. Im Subrosa wurde eine Person, die sich öffentlich gegen Antisemitismus positioniert, wiederholt beleidigt und letztlich sogar angespuckt. Einer weiteren Person wurden beim Entfernen antisemitischer Sticker beinahe die Finger gebrochen. In Kiel-Gaarden kam es zu einem tätlichen Angriff auf eine Israel-Pride-Fahne, begangen durch Personen aus dem Umfeld des RKK. In einem Livestream eines Mitglieds der Linkspartei wurde ein Aktivist öffentlich diffamiert: man warf ihm Kindermord vor und phantasierte offen über Gewalt an ihm. Ein anderes Mitglied der Linkspartei hielt Reden auf vermeintlich pro-palästinensischen Demos, bei denen u.a. „There is only one solution: Intifada - Revolution“ oder „Von Kiel bis Gazastadt: macht die Zionisten platt“ skandiert wurde. Kein Widerspruch seitens der beteiligten Linken.
All dies ist Ausdruck eines Antisemitismus’, der sich hinter vermeintlich emanzipatorischer Rhetorik versteckt und links gibt, aber in Wahrheit zutiefst reaktionär und autoritär ist und nicht vor Gewalt an Menschen zurückschreckt, sie praktiziert und andere dazu auffordert. Das ist brandgefährlich!
Wir möchten an dieser Stelle etwas klarmachen: Zionismus ist kein Schimpfwort. Er beschreibt das Recht jüdischer Menschen auf kollektive Selbstbestimmung nach Jahrhunderten von Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung. Wer Zionismus angreift ohne zwischen einer israelischen Regierung und der Existenz jüdischer Selbstbestimmung zu unterscheiden, betreibt kein politisches Engagement, sondern Antisemitismus. Und selbst wenn doch gelegentlich mal der Unterschied anfänglich gemacht wird, wird bei vielen vermeintlichen „Regierungskritiker*innen“ schnell augenfällig, dass sie die Regierung nur als willkommene Strohpuppe hernehmen, um Israel dann doch als Ganzes zu delegitimieren und der Vernichtung preis zu geben.
Wir fordern alle Einzelpersonen und Gruppen, die sich als emanzipatorisch begreifen, zur klaren Distanzierung und zu entsprechenden Taten auf, die zeigen, dass man das Problem verstanden hat und ernst nimmt. Dazu:
- Distanzierung von Antisemitismus – egal ob religiös, rechts, bürgerlich oder „links“ begründet
- Distanzierung von Drohungen, Gewalt und gezielter Feindmarkierung gegen Menschen, die als „Zionist*innen“ markiert werden
- Distanzierung und Verurteilung von Gruppen und Einzelpersonen, die Terror verherrlichen, Jüdinnen und Juden einschüchtern oder Mordaufrufe verbreiten
- Linke Räume als safer spaces für Jüdinnen und Juden
- Nutzungsverbote für linke Räume für all jene, die sich an beschriebenen Aktivitäten beteiligen oder sie dulden
- Distanzierung von einseitiger Kritik an Israel als Vorwand für blanken Judenhass
Antifaschismus bedeutet: Schutz aller marginalisierten Gruppen – und nicht die Diffamierung jüdischen Lebens. Wer Antisemitismus duldet oder relativiert, hat in linken und emanzipatorischen Strukturen nichts verloren!
Mit der vorliegenden Beschreibung der Kieler Zustände und den Forderungen zur Bekämpfung des Antisemitismus’ in der Linken reihen wir uns ein in eine nicht kurze Historie von Gruppen oder Einzelpersonen, die seit mindestens 20 Jahren immer wieder versucht haben darauf hinzuwirken, dass Antisemitismus in der Kieler Linken thematisiert und abgeschafft wird. Es kann keiner sagen, man hätte nichts gewusst und es hätte nicht ausreichend Gelegenheiten gegeben, Dinge klar zu bekommen. Heute müssen wir konstatieren, dass diese Aktivitäten offenbar nicht sonderlich viel gefruchtet haben, obwohl ein Teil der Szene durchaus noch aus dem alten Personal besteht, dem das alles nicht entgangen sein kann.
Das Problem, was wir hier in Kiel haben, gibt es auch in anderen Städten. Exemplarisch verweisen wir auf den Aufruf „Keine Kumpanei mit linken Antisemit:innen!“ aus NRW.
Nie wieder ist jetzt!
Antifa im Exil
Kiel, im Juni 2025
Bei Anmerkungen oder Kritik oder wenn ihr diese Forderungen unterstützen wollt, dann meldet euch per Mail beiantifa_exil_kiel ÄT getgoogleoff.me
oder via instagram (@antifa_im_exil_kiel).
- Kieler Nachrichten vom 20.02.2025: Schmiereien an der Uni, Aufkleber in der Stadt - Antisemitische Vorfälle in Kiel: „Dieser absolute Hass ist erschreckend“, https://archive.is/WCQbS ↩
- NDR vom 27.02.2025: Antisemitismus: So gefährlich leben Juden in SH, https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Antisemitismus-So-gefaehrlich-leben-Juden-in-SH,antisemitismus468.html ↩
- NDR vom 15.05.2025: Antisemitismus in SH nimmt zu: 588 Vorfälle festgestellt, https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Antisemitismus-in-SH-nimmt-zu-588-Vorfaelle-festgestellt,antisemitismus476.html ↩
- Der Name Antizionistische Aktion wurde bereits in den 80ern als Selbstbezeichnung von einer Gruppe von Neonazis unter Leitung des Szeneführers Michael Kühnen verwendet. Sie bezogen sich positiv auf Slogans wie: „Ohne Lösung der Judenfrage, keine Erlösung der Menschheit“ und bekannten sich zum NS-Vernichtungsantisemitismus. Hier zeigt sich, dass antizionistische Ästhetik, Rhetorik und Praxis ununterscheidbar von antisemitischer ist. Wobei im Detail linke Antizionisten wohl eher von der „Lösung der Zionistenfrage“ schwadronieren würden. Noch 1991 wollten diese Leute eine Antizionistische Legion aufstellen und Saddam Hussein zur Hilfe eilen. Man könnte meinen, man wäre in den Jahren 2024/2025 ... ↩
- vgl. Beitrag auf der Webseite vom BgA Kiel vom Februar 2025, https://bgakiel.wordpress.com/2025/02/17/gegen-die-normalisierung-von-antisemitismus/ ↩
- Zu nennen wären etwa: Initiative Verteidigt Israel, Kiel, Marlene hates Germany, Ich krieg Zustände, Arbeits- und Aktionskreis kritischer Studierender, Koordinationskreis gegen Antisemitismus, Arbeitskreis Ideologiekritik, Bündnis gegen Antisemitismus, Kiel ↩
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