Gedenken an die Kapitulation der Nazis vor 80 Jahren
Eines der wenigen Gebäude in Leipzig, welches in Teilen erhalten geblieben ist und die Zeit des Nationalsozialismus verdeutlicht, ist das ehemalige KZ-Außenlager von Buchenwald in der Kamenzer Straße. Es ist jedoch entgegen aller Annahmen kein Gedenkort an den Terror in der Zeit des Nationalsozialismus, sondern einer der ältesten Neonazitreffpunkte der Stadt.
Anlässlich des 80. Jahrestages der Auflösung des KZ-Außenlagers haben wir eine längere Zusammenfassung zur aktuellen Nutzung des Gebäudes, der Geschichte des Ortes und wieso wir das Gedenken der Stadt Leipzig kritisieren und ablehnen geschrieben.
Die Kamenzer Straße – Neonazitreffpunkt bis heute
Außer kleiner Erinnerungstafeln erinnert heute nichts mehr an die Historie des zweistöckigen Gebäudes mit der Hausnummer 12 und des angrenzenden Areals. Eine der Tafeln wurde 2009 während einer Gedenkveranstaltung – bei der auch Esther Bejarano, Überlebende der KZs Auschwitz und Ravensbrück, gesprochen hatte – vor dem Gebäude angebracht. Seit Jahren kommt es immer wieder zu Vandalismus an dieser Tafel, so dass sie mehrmals erneuert werden musste. In der Kamenzer Straße ist nicht etwa ein würdiges Gedenken möglich, vielmehr wird das Gelände seit Jahren als Treff- und Vernetzungsort der extrem rechten und neonazistischen Szene genutzt. [1]
Die jüngere Neonazigeschichte der Immobilie begann 2007 als Ludwig K., der heutzutage als Ludwig „Prinz von Preußen“ auftritt, das Areal gekauft hatte. K. unterhielt damals bereits seit Jahrzehnten Verbindungen in die extreme Rechte, war zu mehreren Jahren Haft verurteilt und saß in den Nullerjahren unter anderem im Knast in Torgau. Dennoch war es ihm nur wenige Jahre später möglich, das Gelände des ehemaligen Konzentrationsaußenlager für 36.000 € zu ersteigern. Und zwar von der TLG Immobilien GmbH, die ursprünglich eine Tochter der Treuhand war. Dieser Kauf solcher historischen Orte aus der Zeit des Nationalsozialismus war auch nicht der Einzige aus dem extrem rechten Spektrum. [2] Ein anderer Akteur aus Markkleeberg bei Leipzig mit Verbindung zu Ludwig K. ist Peter Karl Jugl. [3]
https://de.indymedia.org/sites/default/files/2025/04/112495.png (Ludwig K. ist Peter Karl Jugl.)
Seitdem ist die Immobilie zu einem Treff- und Vernetzungsort der extremen Rechten geworden, wurde für Konzerte, Partys, Kampfsporttrainings genutzt, aber auch als Wohn-, Lager- und Gewerberaum. Bereits kurz nach dem Kauf durch K. fanden mehrfach Rechtsrockkonzerte in dem Gebäudekomplex statt. [4]
Anfangs geschah dies relativ unbehelligt, später gab es zaghafte Versuche das Geschehen behördlich zu unterbinden. Auch weil seit 2009 eigentlich eine Nutzungsuntersagung für Veranstaltungen vorlag. Dennoch ist bekannt, dass entsprechende Konzerte und Partys weiter stattgefunden haben und sich die Kamenzer Straße so zu einer Arte Szene-immobilie für extrem rechte Veranstaltungen entwickeln konnte.
Bundesweite Schlagzeilen machte zuletzt auch die Veranstaltung mit Melanie Müller, welche in der Kamenzer Straße stattgefunden haben soll. [5] Auf einem Video waren “Hitlergrüße” und “Sieg Heil” – Rufe zu sehen und hören. [6] Im August 2024 wurde Sie zu einer Geldstrafe in Höhe von 80.000 Euro verurteilt, das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. [7]
Eines der letzten öffentlich bekannt gewordenen Konzerte wurde 2018 durch die Polizei verhindert. [8] Für den Verfassungsschutz in Sachsen, schien dies jedoch nicht so relevant, wie die antifaschistischen Aktivitäten des Ladenschlussbündnis. [9]
Die neonazistische Musikszene war hier jedoch nicht nur anlassbezogen bei Konzerten anzutreffen, auch soll sich der Proberaum der Leipziger Neonazi-Band „Thematik 25“ im Gebäude befinden. [10]
Neben der Nutzung für Rechtsrockveranstaltungen war es vor allem die extrem rechte Kampfsportszene, die die Außenwahrnehmung des Areals mitprägen sollte. Unter anderem trainierte hier von 2017 bis 2020 das „Imperium Fight Team“ für den Straßenkampf. [11] Die extrem rechte Truppe rund um Neonazi-Hooligan Benjamin Brinsa war 2016 nicht nur an dem Überfall auf Connewitz beteiligt [12], sondern auch bei den rassistischen Ausschreitungen 2018 in Chemnitz dabei [13], wo mehrfach Angriffe auf als nicht-deutsch wahrgenommene Personen und politisch Andersdenkende erfolgten. [14]
Als es im Sommer 2019 auf Mallorca einen brutalen Angriff auf einen senegalesischen Türsteher gab, stellte sich heraus, dass zumindest einer der Täter beim „Imperium Fight Team“ trainiert hatte. [15] Unterstützt wurden die Täter aus dem Umfeld von Lok Leipzig. [16] Über einen angeblichen Aussteiger dieses Neonazi-Netzwerkes in diesem Kontext, berichteten wir 2021. [17]
https://de.indymedia.org/sites/default/files/2025/04/112496.jpg Maik K. in Gera
https://de.indymedia.org/sites/default/files/2025/04/112497.png Maik K in Gera
https://de.indymedia.org/sites/default/files/2025/04/112498.png Maik K in Gera
Fotos: Maik K., bei der Büroeröffnung von die “Die Heimat” (ehemals NPD) in Gera
Nachdem das „Imperium Fight Team“ ausgezogen war [18], wurde es jedoch nicht ruhiger um das Gelände, viel mehr bezog 2021 der nächste rechte Kampsportverein Räume in der Kamenzer 12 – und zwar das „Sin City Boxgym“. [19] Bei dem Kampfsportclub gibt man sich nach außen zwar gern unpolitisch und international, jedoch gibt es mehrere Verbindungen in die extreme Rechte und neonazistische Szene. Unter anderem tauchte im Januar diesen Jahres der Headcoach des „Sin City Gyms“, Maik K., bei der Büroeröffnung von die “Die Heimat” (ehemals NPD) in Gera auf. Zu sehen ist er mit dem “Who is Who” der Neonaziszene, wie Thorsten Heise. [20] Und auch hinsichtlich Merch hat man kein Problem mit Neonazis zusammenzuarbeiten. T-Shirts und Pullover lässt das „Sin City Gym“ bei „FrindPrint“ drucken, einer Firma des VS-Spitzels & Neonazis Mirko H. [21].
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Fotos: T-Shirts und Pullover lässt das „Sin City Gym“ bei „FrindPrint“ drucken
In die Schlagzeilen kam das Gym 2021, als wegen einem Verstoß gegen Corona-Auflagen eine Razzia in der Kamenzer Straße stattgefunden hatte. In einem der durchsuchten Räume hing eine Hakenkreuzflagge. [22] Da sich in dem Raum auch Trainingsgeräte befanden, lag die Vermutung nahe, dass es die Räume des „Sin City Gyms“ gewesen sein müssen. Das Gym leugnete natürlich öffentlich, dass die Fahne bei ihnen hing. Bei so vielen Neonazis in einem Haus, lässt sich auch nicht mit Bestimmtheit sagen, bei wem jetzt genau in welchen Raum eine entsprechende Flagge hing und bei wem nicht. Mittlerweile ist das „Sin City Gym“ auch nicht mehr in der Kamenzer Straße, sondern nach Eutritzsch umgezogen.
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Fotos: Seit vielen Jahren wird in der LVZ für das „Sin City Gym“ geworben.
Als wären Rechtsrock und extrem rechte Kampfsportclubs nicht schon problematisch genug, war bis Ende 2024 auch noch der Motorradclub „Rowdys Eastside“ in der Kamenzer Straße ansässig. Die rockerähnliche Bande mit Überschneidungen ins neonazistische Hooligan- und Kampsport-Milieu um LOK Leipzig [23] veranstaltete hier Clubabende und Kampfsportevents und zelebrierte auch schon mal die eigene Neugründung am 20.04., zum sogenannten „Führergeburtstag“ – ein in der Szene beliebtes Datum.
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Fotos: Trauerfeier für Henry Behr am 18.10.2024 in Gräfenhainichen, „Rowdys Eastside“ (Thomas P.) in Kutte. Foto-Quelle: https://pixelarchiv.org
Da der Motorradclub gut vernetzt zu sein scheint, müssen derlei Veranstaltungen immer auch als extrem rechte Netzwerktreffen verstanden werden. Deutlich wurden diese Netzwerke in den vergangenen Monaten bei der Beerdigung von Ronny Beer am 25.10.2024 in Leipzig [24] und bei der Trauerfeier für Henry Behr am 18.10.2024 in Gräfenhainichen, hier kamen die „Rowdys Eastside“ sogar in Kutte. [25] Mittlerweile sind die „Rowdys Eastside“ nach Wurzen weitergezogen. [26]
Jedoch befindet sich mit den „Old Lions MC“ ein weiterer Motorradclub nach wie vor auf dem Gelände, zu dem zwar nicht so viel bekannt ist, der mindestens jedoch freundschaftliche Verhältnisse zu den „Rowdys Eastside“ pflegt und dieses Jahr ebenfalls eine Feier in der Kamenzer Straße veranstaltete.
Letztendlich eint die rechten Nutzer*innen der Kamenzer Straße nach innen die Faszination für Gewalt, reaktionäre Ideale von Männlichkeit und einer völkischen Gemeinschaft bis hin zu einer Verherrlichung für die Gräueltaten des Nationalsozialismus. Nach außen ist es ihre Ablehnung gegenüber einer freien Gesellschaft, Gleichberechtigung und Menschen, die nicht ihren Vorstellungen einer „Volksgemeinschaft“ entsprechen.
Auch wenn es aktuell so scheint, als ob die offensichtlichen Neonazi-Akteur*innen vorerst gegangen sind, wissen wir nicht, wer sich in den Räumen der Kamenzer 12 und 10 sonst noch so trifft. Solange die Immobilie in der Hand eines extrem Rechten ist, werden den Neonazis auch weiterhin Tür und Hof geöffnet.
Im Dezember 2019 forderten 34 zivilgesellschaftliche Initiativen, Vereine und Organisationen, sowie drei Landtagsabgeordnete des sächsischen Landtages mit einen offenen Brief an die Stadt Leipzig und entsprechende Behörden etwas gegen diese Situation hier vor Ort zu unternehmen. [27] Auch die Stellvertretende Vorsitzende der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora e. V. schrieb einen Brief an den Oberbürgermeister Jung. [28]
Auch weitere Erklärungen von Gedenkstätten an den Oberbürgermeister Jung und die Stadt Leipzig gab es [29], gändert hat sich jedoch bis heute nichts. Anfragen im sächsischen Landtag und im Bundestag belegen zwar, dass von Sicherheitsbehörden dieser Ort hier offiziell als von Neonazis genutzte Immobilie geführt wird, mehr Aktivitäten diesen historischen Ort der rechten Szene zu entreißen oder diese zur Aufgabe zu zwingen, gibt es jedoch keine.
Aktuell ist man im Stadtrat zumindest bemüht, ein Denkmalschutzgutachten auf den Weg zu bringen, denn der Ort und das Gebäude steht bis heute nicht unter Denkmalschutz. Eine Bewertung des Gebäude von innen durch Vertreter*innen des Denkmalamtes, hat es bisher nicht gegeben. [30]
Dabei wurde von Seiten der Gedenkstätte für Zwanngsarbeit darauf hingewiesen, dass es sich bei der Kamenzer Straße um “das einzige heute noch erhaltene bauliche Relikt eines KZ-Außenlagers im Stadtraum Leipzig und damit ein Ort von herausragender historische Bedeutung.” handelt. [31]
Die Geschichte des KZ-Außenlager in Leipzig
In der Kamenzer Straße 12 befindet sich das Gelände, auf dem sich von Juni 1944 bis April 1945 das KZ-Außenlager, die Arbeitsstätte der „Hugo Schneider AG, kurz HASAG“ befand. [32] Das Lager war das größte Frauenaußenlager des KZ Buchenwald. Am 13. April, vor genau 80 Jahren, jährt sich die Räumung des Außenlagers und der Beginn der Todesmärsche für mehrere Tausend Frauen und Mädchen.
Das Lager bestand aus mehreren Baracken sowie einem zweigeschossigen und unterkellerten massiven Steingebäude. Seit 1941 wurde das Gebäude zur Unterbringung polnischer ziviler Zwangsarbeiter*innen genutzt, die zuvor in den von der HASAG betriebenen Werken im Generalgouvernement Zwangsarbeit leisten mussten. Im Sommer 1944 erfolgte die Umwandlung des Gebäudes und der angrenzenden Baracken in das KZ-Außenlager „HASAG Leipzig“.
Am 9. Juni 1944 trafen die ersten 800 Frauen aus dem Konzentrationslager Ravensbrück hier ein. Diese Frauen waren von den Nationalsozialisten überwiegend als „politische“ Polinnen bezeichnet worden und waren zuvor im KZ Majdanek gewesen. Später wurden vor allem Frauen aus der Sowjetunion, Frankreich und Polen in das Lager gebracht. Anfang August kamen über 1.200 polnische Jüdinnen in Leipzig-Schönefeld an, von denen einige kleine Kinder bei sich hatten. Diese Frauen wurden aus dem aufgelösten HASAG Lager Skarżysko-Kamienna im Generalgouvernement nach Leipzig gebracht. Das vorrücken der Roten Armee hatte zur Räumung des Lagers geführt.
Im Leipziger Lager waren Frauen aus 28 verschiedenen Nationen untergebracht, wobei ein Drittel jüdisch war. Die Häftlinge mussten in Gruppen zu Fuß etwa 1 km zum HASAG-Hauptwerk gehen, während sie von KZ-Aufseherinnen und SS-Wachmännern mit Hunden bewacht wurden. Unter extremen Bedingungen arbeiteten die Frauen in 12-Stunden-Schichten in der Rüstungsproduktion der HASAG, insbesondere in der Herstellung von Munition und Granaten.
Gewalt, stundenlanges Appellstehen, Hunger, Krankheiten und Erschöpfung prägten den Lageralltag. Viele der Frauen wurden von den Bewacher*innen misshandelt, mindestens 18 Frauen starben im Lager. Das Sterben fand jedoch weniger innerhalb des KZ statt, sondern außerhalb. Regelmäßige Selektionen führten dazu, dass mehr als 500 Gefangene, darunter auch 25 Kinder von den Nazis als „arbeitsunfähig“ kategorisierte und daraufhin in die KZ Auschwitz, Ravensbrück und Bergen-Belsen deportiert wurden.
Bemerkenswert ist, dass trotz des Klimas der Angst, Sabotagehandlungen und Widerstand von Frauen überliefert sind. Zudem entwickelten sich im Lager vielfältige kulturelle Aktivitäten, wie Theateraufführungen sowie Tanz- und Liederabende. Das HASAG-Lager wurde am Abend des 13. Aprils 1945 evakuiert – also 25 Tage vor der endgültigen Kapitulation Deutschlands.
Die letzten Tage im Lager lassen sich unter anderem aufgrund von Zeugnissen von Überlebenden rekonstruieren:
Noch Anfang April kamen Transporte mit KZ-Gefangenen aus Lagern in der Nähe der Ostfront nach Leipzig – darunter ein Transport aus Auschwitz. Die Neuankömmlinge wurden ebenso zur Arbeit geschickt.
Bereits im März war es zu Luftangriffen durch die amerikanische und britische Armee gekommen. Am 10. April erfolgte der letzte große Luftangriff durch britische Truppen, der auch auf das Werksgelände der HASAG zielte. Es gab einen Toten und mehrere Verletzte. Auch am 11. April erfolgte eine erneute Bombardierung. Am 12. April war die Fabrik geschlossen. Die Arbeiter*innen hatten die Fabrik geräumt und alles was sie finden konnten mitgenommen. Im Frauenaußenlager wurde seit drei Tagen kein Brot mehr ausgeteilt. Die Zwangsarbeiter*innen brachen daraufhin an diesem Tag die Vorratskammer auf, um an die letzten Reste zu gelangen.
Am 13. April erreichten die amerikanischen Truppen Weißenfels, ca. 50km entfernt von Leipzig. Im Lager begann der 13. April mit einem zweistündigen Strafappell wegen des Aufbrechens der Vorratskammer – trotz der Aufregung und des Chaos im Lager wurden noch Strafen verhängt. Danach begann die soggenannte Evakuierung des Lagers. Essen wurde verteilt, allerdings ohne System. Manche Frauen erhielten die doppelte Essensration, andere bekamen nichts. Gegen Abend wurden ca. 4.500 gefangene Frauen in mehreren Kolonnen auf einen Gewaltmarsch quer durch Sachsen getrieben.
Die Frauen die im KZ HASAG-Leipzig gefangen gewesen waren wurden an ganz unterschiedlichen Orten befreit. Die Überlebende Danuta Brozko-Medryk wurde erst nach 13 Tagen am 26. April in der Nähe von Wurzen befreit. Die US-Truppen fanden in Leipzig, wie auch an vielen anderen Orten in Sachsen leere Lager und Spuren von Endkriegsverbrechen vor. Im Frauenaußenlager fanden die amerikanischen Soldaten noch 232 Frauen vor, die in einem schlechten gesundheitlichen Zustand waren.
Für die Frauen begann nach der Befreiung die Suche nach Angehörigen und vielfach die schmerzhafte Erkenntnis, dass der Herkunftsort nicht mehr so existierte, wie sie ihn gekannt hatten. Viele mussten den Verlust geliebter Menschen betrauern, hatten teilweise keinen einzigen Angehörigen mehr. Die nicht Anerkennung des erlittenen Leids traf viele schwer. Gerade die ehemaligen sowjetischen Zwangsarbeiterinnen sahen sich dem Generalverdacht der Kollaboration ausgesetzt und mussten sich teilweise in Verhören und Filtrationslagern dafür rechtfertigen, dass sie Munition gegen das „Vaterland“ hergestellt hatten.
Das Gebäude in der Kamenzer Straße zeugt von der Geschichte des Frauen KZ und ist drüber hinaus das einzige heute noch erhaltene bauliche Relikt eines KZ-Außenlagers im Stadtraum Leipzig- Somit kommt dem Ort eine herausragende historische Bedeutung zu. Man sollte meinen, dass hier an das Leid der vielen tausend Frauen und Mädchen erinnert wird.
Kein Gedenken mit extremen Rechten – Wieso das offizielle Gedenken der Stadt kritisiert werden muss
Wir als Ladenschlussbündnis freuen uns immer, wenn Menschen den Weg in die Kamenzer Straße auf sich nehmen, um an die Geschichte des Frauenaußenlagers zu erinnern und gleichzeitig die heutige Nutzung des Geländes durch die extreme Rechte zu skandalisieren. Dennoch haben wir uns dagegen entschieden, als Mitveranstalter*innen der Fahrradtour am 12. April aufzutreten [33], da diese auch im Rahmen des städtischen Gedenkens stattfindet.
Nachdem wir nun über die Geschichte des KZ-Außenlagers in der Kamenzer 10-12 und dessen Nutzung durch die extreme Rechte nach 1945 bis heute geschrieben haben, steht fest: An die Geschichte dieses Ortes erinnert heute kaum noch etwas.
In der offiziellen städtischen Erinnerungskultur spielt der Ort keine besondere Rolle. Wie viele andere Orte, Geschichten und Verbrechen wurde er nach 1945 weitgehend aus dem kollektiven Gedächtnis der Stadt gestrichen. [34] Dabei ist es umso wichtiger, den Gedenkort endlich der extremen Rechten zu entziehen und ein aktives Gedenken an das ehemalige Frauen-Konzentrationslager in der Kamenzer Straße zu etablieren.
Wie die Kamenzer Straße kein Teil der städtischen Erinnerungskultur ist, waren auch andere Gedenkorte lange Zeit weit aus dem Blickfeld der Verantwortlichen in Leipzig. Ein Beispiel dafür ist das Mahnmal der 53 in Lindenthal, das an eines der vielen faschistischen Verbrechen in Leipzig erinnert. Während Antifaschist*innen dort seit Jahren der Opfer gedenken [35], blieb die Stadt lange unbeteiligt. Alle fünf Jahre findet nun eine städtische Gedenkveranstaltung statt, so auch im Rahmen der diesjährigen Gedenkwoche, mit einer Kranzniederlegung.
Nach städtischem Protokoll werden alle Fraktionen des Stadtrates zur Gedenkveranstaltung eingeladen. Darunter auch die AfD und seit letztem Jahr ein Abgeordneter der “Freien Sachsen”. Beides Parteien der extremen Rechten. Wie Erinnerung und Gedenken gestaltet werden kann, ist schon immer eine zentrale Frage der emanzipatorischen Linken. Eines ist jedoch nicht verhandelbar: Kein Gedenken mit FaschistInnen! [36]
AfD Fraktion im Stadtrat
Die AfD einzuladen [37], heißt, Stadtratsabgeordnete wie Marius Beyer einzuladen. Beyer war Mitorganisator zahlreicher verschwörungsideologischer Demonstrationen in Engelsdorf sowie einer Demo gegen eine Geflüchtetenunterkunft in Stötteritz, an der auch Neonazis teilnahmen. [38]
2019 relativierte Beyer auf Facebook die systematische Vernichtung und Verfolgung von Jüdinnen und Juden während der NS – Zeit, indem er schrieb: „Früher hieß es „Kauft nicht bei Juden!“, heute heißt es „Verkauft keine Produkte von AfD-Mitgliedern!“ [39]
Auch Roland Ulbrich sitzt für die AfD im Leipziger Stadtrat. Ulbrich machte unter anderem Schlagzeilen, da er sich als AfD-Bundesschiedsrichter in einem Parteiverfahren in einem Urteil auf ein NS-Rassegesetz bezog. Nebenbei kündigte er im Wahlverfahren ein Gesetzesvorhaben an, das nur Deutschen in Sachsen ein umfassendes Demonstrationsrecht gewähren soll. [40]
Oder Siegbert Droese, der sich unter anderem mit der Hand auf der Brust vor dem ehemaligen „Führerhauptquartier Wolfsschanze“ in Polen ablichten lassen hat. [41]
Im Leipziger Stadtrat hat sich die AfD in der Vergangenheit gegen Maßnahmen ausgesprochen, die auf eine intensivere Erinnerungskultur an der Kamenzer Straße 12 abzielen. Beispielsweise stimmte die AfD-Fraktion im Leipziger Stadtrat im Mai 2020 als einzige Fraktion gegen einen Antrag, der die Nutzung des ehemaligen KZ-Außenlagers durch Neonazis verurteilte und ein verstärktes Gedenken an diesem Ort forderte. [42]
Weiterhin stimmte die AfD-Fraktion gegen das bereits erwähnte Denkmalschutzgutachten für die Kamenzer Straße 12. Dieses wurde im September 2024 im Stadtrat diskutiert und zielte darauf ab, eine Begehung der Kamenzer durch die Denkmalbehörde zu ermöglichen. Letzendlich um die Verhandlungsposition der Stadt zu stärken. [43] Unterstützung bei Abstimmungen dieser Art bekommt die AfD dabei immer wieder von den „Freien Sachsen“, die den Kreis der extremen Rechten im Stadtrat erweitern.
Kein Gedenken mit Faschisten.
Die AfD nutzt ihre Teilnahme an Gedenkveranstaltungen, um sich als demokratische Partei – eine Partei wie jede andere – darzustellen, während sie gleichzeitig immer wieder die Erinnerungskultur angreift und die Geschichte umschreiben will. Die sächsische Landesarbeitsgemeinschaft zur Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus sagt dazu: [44]
„Jede Beteiligung der AfD an einer solchen Veranstaltung ist eine parteipolitische Instrumentalisierung, insofern damit die Distanzierung vom Nationalsozialismus inszeniert und die tatsächliche ungebrochene und unkritische Bezugnahme auf den Nationalsozialismus kaschiert wird. Nicht erst die Veröffentlichung des Recherchekollektivs Correctiv hat deutlich gemacht, dass rechte Parteien wie die AfD zusammen mit aktivistischen Gruppen aus dem Umfeld der Identitären Bewegung und anderen Neonazistrukturen konkrete Pläne zur Deportation von Millionen Menschen machen, die nicht in die völkischen Gesellschaftsvorstellungen dieser Gruppen passen. Ein würdiges Erinnern an die Opfer des Nationalsozialismus wird so zur Farce.“
Die AfD fordert eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ und bezeichnet den Nationalsozialismus als „Vogelschiss“, während auch ihre Leipziger Stadträte durch relativierende Aussagen die Shoa verharmlosen – ein klarer Ausdruck ihrer extrem rechten Haltung und des damit verbundene Geschichtsrevisionismus.
Solange die Stadt Leipzig weiterhin FaschistInnen zu Gedenkveranstaltungen einlädt, solange ist ein würdiges Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus nicht möglich.
Erinnern muss antifaschistisch bleiben.
Deshalb fordern wir:
- Kein Gedenken mit AfD, den “Freien Sachsen” und anderen extrem rechten Kräften. Kein Raum für Geschichtsrevisionismus.
- Gegen Neonazitreffpunkte in Leipzig und anderswo. Für ein würdiges & antifaschistisches Gedenken in der Kamenzer Straße.
Weitere Bilder: https://de.indymedia.org/node/503901
Fußnoten
3 https://knack.news/11107 / https://knack.news/11899
4 https://ladenschluss.noblogs.org/2009/07/13/neonazikonzerte-in-einem-ehemaligen-kz-aussenlager/
7 https://knack.news/?s=Melanie+M%C3%Bcller
8 https://s3.kleine-anfragen.de/ka-prod/sn/6/12169.pdf
10 https://www.inventati.org/leipzig/?p=3687
11 https://www.inventati.org/leipzig/?s=Imperium
12 https://netzwerke.noblogs.org
14 https://solichemnitz2018.noblogs.org
15 https://www.inventati.org/leipzig/?p=4889
16 https://kreuzer-leipzig.de/2021/06/25/geld-statt-haft / https://knack.news/5929 / https://knack.news/6098
18 https://ladenschluss.noblogs.org/2021/02/03/beitraege-zu-rechten-akteuren-im-kampfsport-in-leipzig / https://chronikle.org/dossiers/strukturen-der-extremen-rechten-in-und-um-leipzig
19 https://www.inventati.org/leipzig/?p=5305
20 https://rechercheportaljenashk.noblogs.org/post/2025/03/05/von-wieschke-zu-klar-heimat-eroeffnet-neuen-raum-in-gera/ / https://pixelarchiv.org/event/2025.01.30.gera/1
21 https://antifainfoblatt.de/aib134/vs-spitzel-neonazi-mirko-hesse-business-usual
23 https://chronikle.org/dossiers/plaches-albtraum-lok-und-die-extreme-rechte
24 https://pixelarchiv.org/event/2024.10.25.leipzig/1
25 https://pixelarchiv.org/event/2024.10.18.graefenhainichen/1
26 https://knack.news/11526 / https://www.inventati.org/leipzig/?p=4903
27 https://ladenschluss.noblogs.org/offener-brief
29 https://www.zwangsarbeit-in-leipzig.de/erklaerung
30 https://kreuzer-leipzig.de/2021/05/22/kein-interesse-an-erinnerung/ / https://www.linksfraktion-leipzig.de/im-stadtrat/anfragen/aktuell/detail/anfrage-vii-f-10483-wie-weiter-mit-dem-gebaeudekomplex-kamenzer-strasse-10-12/
34 https://kreuzer-leipzig.de/2022/02/27/in-den-jahren-vergessen / https://kreuzer-leipzig.de/2016/04/13/fast-unsichtbare-zeichen-der-befreiung / https://kreuzer-leipzig.de/2025/03/28/leipzig-befreiung-april-1945-zweiter-weltkrieg-us-army-nationalsozialismus
35 https://vvn-bda-leipzig.de/12-04-23-gedenken-am-mahnmal-der-53-in-lindenthal
37 https://chronikle.org/leipziger-zustaende/leipziger-zustaende-2025 / https://chronikle.org/leipziger-zustaende/leipziger-zustaende-2023-januar-2023
38 https://chronikle.org/ereignisse?search=Marius%20Beyer
39 https://kreuzer-leipzig.de/2024/03/02/paesse-und-abgruende
40 https://taz.de/Roland-Ulbrich-aus-der-AfD-Sachsen/!5985904/
44 https://akubiz.de/38-verein/news/809-kein-gedenken-mit-der-afd-am-27-januar-2024-in-freital
