(Dijon) „Ökoviertel“ verhindert – Etappensieg des „Quatier libre des lentillères“

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Am 25. November 2019 verkündete Dijons Oberbürgermeister Francois Rebsamen, dass die zweite Phase des Neubaus des Ökoviertels „Jardin des Maraichers“ im Süden der burgunder Hauptstadt nicht gebaut wird und das Gelände weiterhin einer landwirtschaftlichen Nutzung dienen soll! Allerdings ist das Viertel seit zehn Jahren besetzt: Mittlerweile leben bis zu 100 Menschen in einem dutzend Kollektiven auf dem autonomen Quartier.

 

Der Riesenerfolg der Absage der „Bauphase 2“ wird in diesen Stunden von vielen AnarchistInnen bei Sekt und Schampus gefeiert, auch wenn eine neue Spannung Einzug erhält und die Zukunft der vielen libertären Gärtnereien und Wohnprojekte angesichts der städtischen Räumungsandrohung im Falle „mangelnder Verhandlungsbereitschaft“ ungewisser erscheint als noch gestern.

 

Zumindest ein Etappensieg

 

 

Seit der Besetzung eines ersten Hektars am Kampftag der Vía-Campesina 2010 ist die Freistadt im südlichen Dijon auf über 9 Hektar Land angewachsen. Es gibt ein dutzend besetzte – teilweise selbstgebaute – Häuser, drei Wagenplätze, zahllose Garten-Parzellen für die Nachbarschaft und zwei Kollektive die im größeren Stil Lebensmittel produzieren. Das in Selbstverwaltung entwickelte „freie“ Stadtteil bietet derzeit Raum für hundert BewohnerInnen aus 20 Ländern, etliche Kulturveranstaltungen und eine relative Ernährungsautonomie mit regelmäßigen freien Märkten, bei denen Lebensmittel gegen einen eigenständig festgelegten Preis vergeben werden.

 

 

Die Verkündung einer nicht-Bebauung im Rahmen des PLUI (Plan d‘urbanisme intercommunal – Gemeindeübergreifendes Stadtentwicklungskonzept) fiel für die meisen „vom Himmel“ und ist nach der ZAD das zweite Großbauprojekt dass durch den autonomen öko-anarchistischen Widerstand innerhalb der letzten zwei Jahre in Frankreich verhindert wurde.

 

 

In der Tat erschien die Zerstörung der Humusreichen Böden des ehemaligen „grünen Stadtrandes“ auch angesichts der aktuellen Lebensmittel- und Klimakatastrophen auch für die sozialdemokratisch-grün regierte Verwaltung als untragbar. In diesem ersten Schritt wurde die Versiegelung der Gärten durch unsere Besetzung verhindert!

 

 

Die möchtegern „Metropole“ Dijon muss uns ernst nehmen und einsehen, dass Greenwashing mit tollen Beton-KfW55-Bonzenvierteln nicht mehr zeitgemäß und die Debatte über tatsächliche Alternativen vollends auf der Tagesordnung sind. Vorort wurde nach einer lautstarken Kundgebung in der Innenstadt beschlossen erst mal anzustoßen – die leeren Flaschen für eine etwaige Zweitnutzung aufzubewahren lag jedoch angesichts angekündigter Räumungen der „illegalen Besetzungen“ auf der Hand.

 

 

Der Schatten der ZAD

 

 

Dieser Etappensieg kann nicht von der repressiven Spaltungspolitik des macronistischen Frankreich entkoppelt betrachtet werden. Als im Frühjahr 2018 der Sieg gegen den Flughafen in NDDL bei Nantes verkündet wurde, knallten die Champagner-Korken und ein großer Spalt tat sich auf, zwischen Verhandlungsbereiten RealistInnen und aufständischen UtopistInnen.

 

 

Seither haben in NDDL dutzende Verträge unterschrieben und den Fortbestand von Teilen den Gebietes gesichert, während einige radikale Kollektive ihre Kampfbereitschaft – oftmals mit bitterem Beigeschmack – in Richtung anderer Kämpfe verlagerten und die ZAD verließen. Damals ging der Konflikt auch in eine Richtung, in der die BIs, hier die bäuerlich geprägte ACIPA (gegen den Flughafen NDDL), die revolutionären Ideale von Teilen der Bewegung hintergingen und sogar eigenständig die „Barrikadenstraße“ räumten. Der Zwiespalt zwischen Verhandlungsbereitschaft und Illegalismus warf bittere Schatten die auch heute anhalten, auch wenn seit dem Sieg gegen den Flughafen hunderte Hekar Land in der Hand der Bewegung gesichert werden.

 

 

Ein wesentlicher Unterschied in Dijon ist: Hier gibt es keine ACIPA, auch wenn sich eine große Breite an Interessensgruppen um den Kampf des Viertels gebildet hat. Zudem stehen anders als in NDDL andere Zeiträume zur Verfügung um eine gute Strategie umzusetzen: Im Frühling stehen Kommunalwahlen an und kaum ein Mensch glaubt, dass die Verwaltung noch vor dieser Wahl mit Räumungen beginnt…

 

 

Dennoch ist nun alles unsicher und gemischte Gefühle dominieren das Geschehen. Es ist der Moment an dem aus den Erfahrungen des ZAD-Widerstandes gelernt werden muss.

 

 

Freiräume und die neoliberalen Stadt

 

 

Bereits die erste Ökoviertel-Phase wurde widerständig angegangen. Während die seit 1998 besetzten Tanneries durch eine endgültige Legalisierung umziehen mussten und das Geflüchteten Squat in der alten Schlachterei verdrängt wurde, gingen die Kämpfe weiter. Nicht nur konnte die landwirtschaftliche Besetzung auf den Lentillères fortbestehen, auch die Kämpfe für ein selbstbestimmtes Squat der Geflüchteten gingen mit Unterstützung der Linksradikalen weiter, bis hin zur Eröffnung der rue Becquerel vor wenigen Wochen.

 

 

Die Tanneries 2 gehört nun zu den wenigen Azs in der Region und die hiesige Szene hat nichts an ihrer kampfbereitschaft verloren. Dennoch wurde anstelle der progressiven Strukturen ein nutzloses pseudo-ökologisches Betonquartier für die Rendite errichtet, dass keinEr braucht und der Weg zur jetzigen Situation war voller Kompromisse. Welche Gesichter eine radikale Haltung gegenüber der neoliberalen und grüngewaschenen Metropole bekommen kann liegt an unseren pluralistischen Strategien und wird sich auch im andauernden Kampf um die Zukunft der Lentillières in den kommenden Monaten zeigen.

 

Am Montagabend demonstrierten hier bis zu 200 Menschen mit lautstarkem Töpfegeklimper in der Innenstadt, während die PolitikerInnen im anliegenden Palast tagten und debattierten. Im April 2020 wird das „Quartier Libre des Lentillières“ sein zehnjähriges Bestehen feiern und nun auch natürlich auch die Verhinderung des zweiten Bauabschnitts des „Ökoviertels“. Das zweiwöchige Fest ist die Gelegenheit diesen einzigartigen Ort kennen zu lernenund zu unterstützen – eure Solidarität ist ab sofort willkommen!

 

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