In Hamburg sagt man Tschüss… das heißt auf Wiederseh’n – Auflösungserklärung des Projekts Revolutionäre Perspektive (PRP)

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Das Projekt Revolutionäre Perspektive (PRP) aus Hamburg hat sich aufgelöst. Wir haben uns nicht gespalten, sind nicht langsam abgestorben und haben keinen Frieden mit den bestehenden Verhältnissen geschlossen, sondern die Auflösung als kollektive Entscheidung getroffen. Wir finden, dass wir in unserem Auflösungsprozess verschiedene Probleme debattiert haben, die auch für andere Teile der radikalen Linken relevant sind. Deshalb dieser Text.

 
Was uns verbunden hat

Am Anfang unserer politischen Praxis stand kein ausformuliertes Programm oder eindeutige strategische Linie. Uns verband der Anspruch nach verbindlicher Organisierung, klarem Klassenstandpunkt und der Fokussierung auf Kämpfe von unten. Das war in der damaligen linken Szene keineswegs üblich. Diese Grundausrichtung versuchten wir mit einer antifaschistischen, internationalistischen und – vor allem in den späteren Jahren – feministischen Praxis zusammenzubringen. Mit diesem Ansatz haben wir verschiedene Bewegungszyklen mitgemacht und in sozialen Kämpfen und linken Bündnissen unsere politische Praxis gefunden.

In der Anfangszeit um 2009 – die in Hamburg stark durch die „Recht auf Stadt-Bewegung“ geprägt war – fokussierten wir uns zunächst auf stadtpolitische Kämpfe, wie die Abwehr von Gentrifizierungsprozessen in Wilhelmsburg. Wir haben in den Jahren verschiedene Arbeitskämpfe unterstützt (Neupack, Kita-Streiks, Pflegen & Wohnen, Krankenhäuser etc.) und in einem kritisch-solidarischen Verhältnis zu Gewerkschaften versucht, die Arbeitskonflikte zu politisieren und gesellschaftlich zu verallgemeinern. Mehrfach organisierten wir klassenkämpferische Blöcke auf der 1. Mai-Demo des DGB, in denen vor allem Aktive aus betrieblichen Kämpfen zu Wort kamen, was wir als Teil einer Strategie zur Erneuerung der Gewerkschaften ansahen. Wir waren über lange Zeit eine der wenigen Gruppen in der Stadt, die sich durchgehend für Klassenpolitik interessiert und diese auch in der Szene wieder als Thema gesetzt hat. Wir haben uns an zahlreichen bundesweiten Kampagnen – von Dresden nazifrei, über Blockupy bis zum G20-Gipfel – beteiligt und kontinuierlich lokale antifaschistische Mobilisierungen initiiert und unterstützt. Auch an antimilitaristischen und internationalistischen Bündnissen gegen Werbeshows der Bundeswehr, das GÜZ in der Altmark und in Solidarität mit Rojava nahmen wir teil. Wir bauten das Bündnis zum Frauen*Streik am 8. März mit auf und beteiligten uns an verschiedenen feministischen Mobilisierungen. Zeitweise waren wir Teil von bundesweiten Organisationsversuchen kommunistischer Gruppen (3A-Bündnis, Perspektive Kommunismus). Nicht zuletzt haben wir mit dem „Roten Abend“ rund 15 Jahre monatlich Veranstaltungen zu aktuellen und strategischen Fragen der radikalen und revolutionären Linken organisiert. Vieles haben wir angefangen und nicht immer konsequent zu Ende gebracht, wurden unserem eigenen Anspruch nicht immer gerecht. Doch unterm Strich waren wir bei allen Unzulänglichkeiten über all die Jahre kontinuierlich aktiv und vergleichsweise arbeits- und handlungsfähig.

Obwohl unser Anspruch stets ein anderer war, stellen wir heute fest, dass wir uns in unserem Tun meist zwischen (autonomer) Szenepolitik und zaghaften Versuchen, uns als sozialistische Linke gesellschaftlich zu öffnen, bewegt haben. Aus guten Gründen stellten wir zwar oft linksradikale Politikverständnisse und Aktionsformen in Frage – die Konsequenzen für unsere eigene Praxis blieben aber oftmals begrenzt. Faktisch erhielten wir unsere Resonanz vorwiegend durch und über die linke Subkultur. Wir haben das selbstreferenzielle Handeln von weiten Teilen der linken Szene kritisiert, landeten aber nicht selten selbst bei symbolischem Aktionismus. Die greifbaren Erfolge unserer politischen Arbeit blieben in der Regel aus. Das Ergebnis war, dass wir uns häufig sprunghaft von einem Thema zum nächsten hangelten und das politische Ziel aus den Augen verloren.

Diese Strategielosigkeit wollten wir – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Krise der gesellschaftlichen und radikalen Linken – diskutieren, um unsere sozialistische Praxis und unsere Organisierung zu erneuern. Der lang anhaltende interne Diskussionsprozess hatte letztlich die Auflösung unserer Struktur zur Folge. Damit endet für uns die Organisierung, mit der wir mehr als 15 Jahre in Hamburg und darüber hinaus aktiv waren. Wir können unsere gesamte Debatte hier nicht vollständig nachzeichnen, wollen aber einige unserer analytischen Grundlagen zur Krise der Linken und strategischen Neuausrichtung sozialistischer Praxis umreißen.
 

Von Krisen, Revolution und Realpolitik

Seit der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008ff. bewegt sich die Welt von Krise zu Krise. So isoliert diese auch wirken, sie bilden einen gemeinsamen Krisenzusammenhang, der einen umfassenden Wandel des bestehenden Akkumulationsregimes andeutet: Sinkende Wachstumsraten, fehlende Verwertungspotenziale sowie Inflation und Sparpolitik bestimmen Ökonomie und Politik. Der Neoliberalismus wurde zwar vielfach für tot erklärt – und tatsächlich lässt sich ein neuer Staatsinterventionismus beobachten – aber die Wirtschafts- und Sozialpolitik folgt weiterhin marktliberalen Paradigmen. Zugleich verschieben sich geopolitische Kräfteverhältnisse, wovon die verstärkte Weltmarktkonkurrenz sowie der Krieg in der Ukraine und die Militarisierung der Gesellschaft Ausdruck sind. Die sozialen, ökonomischen, politischen und kulturellen Verwerfungen begleiten den Aufstieg und die Neuformierung der globalen Rechten, die autoritäre bis faschistische Antworten auf die Krisendynamiken bieten. Der bislang herrschende hegemoniale Block scheint zunehmend zu erodieren. Kapitalinteressen und politische Konstellationen wirken vor diesem Hintergrund widersprüchlich und kreisen im Kern um zwei sich entwickelnde und konkurrierende Hegemonieprojekte: einen modernisierten „grünen“ Kapitalismus mit neuem Wachstumsversprechen und einen rechts-autoritären Block, der die Krisen durch Nationalismus und Rassismus und eine Politik der Ausgrenzung und Abschottung beherrschen will und auf fossilistische Kapitalfraktionen setzt.

Die multiplen Krisen treffen auf eine Gesellschaft, in der die Klassenwidersprüche zwar weiterhin strukturell tief verankert sind, in der aber vor allem die Lohnabhängigen sich nicht als gemeinsame Klasse begreifen. Eine Arbeiter:innenbewegung, die bestehende Widersprüche als Konflikte zwischen oben und unten verhandeln könnte, ist kaum wahrzunehmen. Die Gewerkschaften sind – bei allen erfreulichen Versuchen ihrer Erneuerung und zuletzt einigen erfolgreichen Streiks – in weiten Teilen befriedet, in das System integriert und haben dieser system-stützenden Rolle wenig entgegenzusetzen. Die sozialen Beziehungen der meisten linken Aktivist:innen zu prekären und arbeitenden Klassen sind ohnehin – auch wenn die allermeisten lohnabhängig sind – gering. Politisch wird sich häufig eher an der akademisierten Mittelklasse orientiert, aus der große Teile der Linken stammen. Zwar leben wir durchaus in einer Zeit von Massenmobilisierungen, wie Fridays for future oder die Anti-AfD-Proteste gezeigt haben, aber nicht nur die politische Zielsetzung dieser Bewegungen ist uneindeutig, sondern auch der Klassencharakter. Kernprobleme sind die fehlende Organisierung von unten, die relative Abwesenheit der (radikalen) Linken und ein fehlender Antagonismus zur herrschenden Klasse. All das wird erschwert durch fehlende linke Utopien, die als gesellschaftliche Bezugspunkte in Krisenzeiten dienen könnten, was weiterhin auch mit dem Scheitern des Realsozialismus zusammenhängt. Deshalb beschränken sich linksradikale politische Reaktionen auf die Verhältnisse häufig auf kurzfristige Mobilisierungen. Dabei klafft eine riesige Lücke zwischen der Rhetorik der radikalen Linken und ihrer tatsächlichen Wirkmächtigkeit. So ist Verbalradikalismus in nicht-revolutionären Zeiten nicht mehr als bloße Phrasendrescherei, die sich in der Realität blamiert.

Diese Feststellungen durchzogen unsere Diskussionen in den letzten Jahren, wobei wir uns grob um zwei Pole bewegten, die Teile der Gruppe betonten. Zum einen wurde die Notwenigkeit von realpolitischen Ansätze gesehen, um mit gewinnbaren Kämpfen zum sukzessiven Machtaufbau von unten beizutragen. Das schließt radikale Zuspitzungen nicht aus, aber nur revolutionäre Positionen in soziale Kämpfe reinzutragen, ohne ein wirkliches Angebot oder Durchsetzungsmöglichkeiten zu haben, hilft nicht unbedingt weiter. Realpolitische Ansätze in diesem Sinne sollten nicht der Befriedung von Konflikten dienen, sondern gesellschaftliche Kräfteverhältnisse zugunsten der Lohnabhängigen verschieben und politisierend, aktivierend und organisierend wirken. Höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen, mehr öffentliches Eigentum oder die Ausweitung von politischen und sozialen Rechten sind keine Revolution, können aber dazu beitragen, dass die Überwindung des Kapitalismus zur denkbaren Option wird. Ein anderer Teil der Gruppe sah in einer stärker realpolitischen Strategie vor allem die Gefahr, die revolutionäre Orientierung aus dem Blick zu verlieren. Schließlich ist die Geschichte voll von Beispielen, in denen Klassenbewegungen und radikale Kämpfe institutionell eingebunden wurden, ohne am Status Quo etwas verändert zu haben. Wo realpolitische Ansätze zum Selbstzweck werden, radikale Positionen ausgegrenzt und Kräfteverhältnisse stabilisiert werden, haben sie kein emanzipatorisches Potenzial – im Gegenteil. Hinzu kommt: Selbst wenn man einen radikalen Anspruch verfolgt, besteht in realpolitischen Projekten das Risiko, sich im alltäglichen Kleinklein zu verrennen. Die Hegemoniekrise, die Krise der Linken und die Unzufriedenheit mit unserer eigenen Praxis waren Ausgangspunkte unserer Debatte, die eigentlich zum Erproben neuer Ansätze der politischen Arbeit führen sollte. Wir haben uns intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, wie die radikale Linke konkret gesellschaftliche Gegenmacht aufbauen kann. Wir haben uns davon ausgehend gefragt: Wie sieht die oben skizzierte Praxis in der konkreten Umsetzung aus? Welche Schritte sind dafür zu gehen? Wie lässt sich in verschiedenen gesellschaftlichen Feldern reale Gegenmacht aufbauen, die sich idealerweise irgendwann als gemeinsame Bewegung versteht? Wie kommen wir langfristig zu einem hegemonialen sozialistischen Projekt, das verschiedene Klassenfraktionen (grob als „Unten/Mitte-Bündnis“ gedacht) und gewerkschaftliche, antifaschistische, internationalistische, feministische und ökologische Bewegungen verbindet?
 

Klassenorientierung, Alltagskämpfe und Selbstorganisation

Als undogmatisch-kommunistische Gruppe verfolgten wir keine einheitliche ideologische Linie und haben uns in keine bestimmte historische Tradition gestellt. Vielmehr haben wir einen „offenen Marxismus“ vertreten, in dem lose Bezüge auf links- und rätekommunistische, operaistische, sozialrevolutionäre und feministische Theorien ebenso eine Rolle spielten wie eher leninistische Orientierungen. Als politische Klammer dienten uns weniger ideologische Bekenntnisse, sondern das Verbindende war stets die politische Praxis. Darin sahen wir in erster Linie eine Stärke: Der offene Umgang mit linker und kommunistischer Theorie erlaubte uns, von den Kämpfen der Gegenwart auszugehen und sie auf Höhe der Zeit zu reflektieren, anstatt ihre Antizipation durch schablonenhafte Analysen zu ersticken. In bewegungsstärkeren Phasen, in denen sich Anknüpfungspunkte für die konkrete Praxis leichter finden ließen, funktionierte das halbwegs. Mit der Krise der gesellschaftlichen und radikalen Linken rückten aber ideologische Fragen wieder mehr ins Zentrum, was sich in den letzten Jahren in einem fehlenden gemeinsamen Projekt ausdrückte. Hier zeigten sich abweichende theoretische Fundamente und Reflexionsfolien in der Gruppe, was eine strategische Orientierung erschwerte. Auch Wissenshierarchien standen teilweise der Verbreiterung einer (inhaltlichen) Praxis im Wege. Ein geteiltes Transformations- bzw. Revolutionsverständnis haben wir beispielsweise nie entwickelt. Diese Widersprüche haben uns zuletzt immer wieder blockiert, auch wenn in vielen Grundsatzfragen weitgehende Einigkeit herrschte.

Theorie und Praxis sowie Anspruch und Wirklichkeit gingen immer weiter auseinander, was wir durch den langen Diskussionsprozess überwinden oder zumindest bearbeiten wollten. Das Grundproblem ist wohl bekannt: Wenige zeitliche Ressourcen, zu wenige Aktive, zu aufwändige Aktionen, die zu oft nur kurzfristig und symbolisch waren; all das begleitet von Repression und persönlicher Aufopferungsbereitschaft. Aber zugleich war diese Praxis seltsam entkoppelt von unseren eigenen Lebens- und Arbeitsverhältnissen. Die Debatte über Basis- und Selbstorganisierung prägte in den vergangenen Jahren die Diskussionen innerhalb der radikalen Linken und schlug sich in der Gründung von Nachbarschaftsprojekten und Stadtteilgewerkschaften nieder. Diese Debatte prägte auch uns. Deshalb haben wir uns gefragt, wie wir unsere eigene Arbeits- und Lebenssituation zum Ausgangspunkt von Kämpfen machen, uns anhand unserer Interessen und Bedürfnisse organisieren und unsere Lohnabhängigkeit, Job-Center-Realität oder unser Mietverhältnis politisieren können? Wie kommen wir nach Jahrzehnten neoliberaler Subjektivierung raus aus der Vereinzelung? Wie können wir in sozialen Konflikten, die auch unsere eigenen sind, widerständig handeln und tragfähige linke Narrative entwickeln?

Denn die radikale Linke fehlt im Alltag und wird verständlicherweise in weiten Teilen der Gesellschaft als suspekte Subkultur wahrgenommen. Sozialistische Theorie sollte helfen, alternative Erzählungen zu kreieren, die die eigene Praxis als Teil eines gesellschaftlichen Kampfes begreift. Das ist alles nicht neu, aber uns selbst als politische Subjekte ernst zu nehmen, zu stärken und andere Formen des „Aktivismus“ zu entdecken, war ein wesentlicher Bezugspunkt unserer Diskussionen. Das verstanden wir nicht als prinzipiellen Einwand gegen Kampagnen und Großevents – deren Bedeutung als politische Kristallisationspunkte wir durchaus sahen.

In der Debatte zur Neuausrichtung verständigten wir uns auf ein paar Punkte, die zwar sehr allgemein waren, uns aber Orientierung geben sollten. Wir wollten unsere politische Praxis eindeutiger an konkreten (Klassen-) Interessen und nicht an der linken Szene oder politischen Neigungen ausrichten. Dazu gehörte auch, realpolitische und gewinnbare Forderungen zu formulieren, die auf radikalistische Rhetorik und Folklore verzichten. Dafür wollten wir vermehrt mit reformistischen Kräften (Verbänden, Gewerkschaften etc.) zusammenarbeiten, wenn wir Zwischenziele in interessenpolitischen Kämpfen teilten. Im Kern drehte sich die Neuausrichtung um den Versuch, mit (noch) nicht Linken anhand von Konflikterfahrungen politische Projekte zu entwickeln. So wollten wir Gegenmacht von unten stärken, eigene Strukturen aufbauen, um die Macht des Kapitals zurückzudrängen und Kräfteverhältnisse zu verschieben.
 

Am eigenen Anspruch gescheitert?

Es ist uns nicht gelungen, die eigenen Ansprüche an sozialistische Praxis in ein kollektives Projekt zu überführen, das für alle tragbar gewesen wäre. Wir sehen dafür mehrere Ursachen, die sich überlappen und von Einzelnen von uns mehr oder weniger so wahrgenommen werden. Die bisher ausgeführte Grundanalyse brachte uns zwar zu konzeptionellen Vorschlägen der Neuausrichtung, die als abstrakte Orientierung konsensfähig war. Wir sind aber nicht in der Lage gewesen, diese in konkrete Praxis zu übersetzen, in der sich alle Beteiligten wiedergefunden hätten.

Wir mussten feststellen, dass für die Aktiven unserer Gruppe verschiedene Gründe existierten, sich auf die Neuausrichtung einzulassen – worin wir eine erste Erklärung sehen, warum sie uns nicht geglückt ist. Die geteilte Unzufriedenheit mit der radikalen Linken und der eigenen Struktur reichte nicht aus, um etwas Neues zu definieren, das über gemeinsame Bekenntnisse, es anders machen zu wollen, hinausreichte. Die Differenzen nahmen immer dann zu, wenn wir versuchten, die gewünschte Praxis auszubuchstabieren. Verschiedene Erwartungen an die Neuausrichtung kamen hier wieder zum Ausdruck, die teilweise aus den oben genannten politischen Unklarheiten der Zielsetzung resultierten. Manche ließen sich eher aus taktischen Gründen oder mangelnden Alternativen auf die Neuausrichtung ein, obwohl sie nur bedingt überzeugt von ihr waren.

Dazu gesellte sich ein weiteres (durchaus typisches) Problem, das mit der sozialen Zusammensetzung unserer Gruppe und der Organisationsform zu tun hat. Wir waren als Aktivist:innen-Struktur – die wir gewissermaßen aus der autonomen Linken mitgenommen hatten – konzipiert, deren schnelllebige und zeitintensive Arbeitsweise seit längerem zu den Lebensumständen vieler von uns nicht mehr passte. Daraus ergab sich eine paradoxe Situation: Der einerseits wachsende Anspruch an die politische Praxis traf anderseits auf Lebensrealitäten, die dem kaum gerecht werden konnten. Als Zusammenhang deutlich jenseits der 30 Jahre, mit Kindern und Familien und mehrheitlich in Vollzeitarbeit, sind die Ressourcen beschränkt und die persönliche Motivation mehr von politischen Erfolgserlebnissen der Neuausrichtung abhängig gewesen. Geringe Kapazitäten machen ein Experimentieren, Scheitern und Erneut-Versuchen schwierig, was es eigentlich bräuchte, um Erfahrungen mit neuen Ansätzen zu sammeln. Dieser Umstand verschärfte sich durch die relative Geschlossenheit der Gruppe und die schwache Einbindung jüngerer Genoss:innen, was wir als strukturelles Problem in den letzten Jahren zu wenig beachtet haben.

Vor diesem Hintergrund gingen die praktischen Schlussfolgerungen aus der politisch-strategischen Debatte letztlich wieder auseinander. Die einen wollten als autonome Kleingruppe überwintern, hier und da mitmachen, wenn sich in der Stadt was bewegt und auf ein mögliches Momentum warten, bis gesellschaftlich breitere Organisationsansätze möglich sind. Ein anderer Teil tendierte dazu, einen niedrigschwelligen Arbeitskreis zu neuer Klassenpolitik zu gründen, der mittelfristig in anderen Organisationsformen münden könnte. Wieder anderen schwebte sozialistische Basisarbeit vor, die sich realpolitisch ausrichtet, gesellschaftlich öffnet, im Kleinen Macht von unten aufbaut und langfristig zur Wiederbelebung und gesellschaftlichen Verankerung der Linken beiträgt. Für alle Positionen – die in der Wirklichkeit selten so trennscharf waren und die wir alle kollektiv diskutierten – gibt es nachvollziehbare Gründe. Sie verdeutlichten allerdings die unterschiedlichen Erwartungen an konkrete Organisationsansätze im Hier und Jetzt. So glauben wir heute, dass die Krise in unserem kleinen Zusammenhang letztlich nichts anderes war, als eine Spiegelung der Krise der radikalen Linken insgesamt.

Den Widerspruch zwischen theoretischem Anspruch und praktischer Umsetzung konnten wir für uns jedenfalls nicht lösen. Und schließlich stand unweigerlich die Frage im Raum, ob nicht die Art der politischen Organisierung in einer solch kleinen Gruppe im ewigen Strukturprozess selbst ein Hindernis darstellte: Neue Organisationsformen lassen sich nicht am Reißbrett entwerfen oder aus der Geschichte wiederbeleben, sondern nur im Zusammenspiel mit den sozialen und politischen Kämpfen der Gegenwart entwickeln, indem sie das Niveau der Auseinandersetzungen angemessen reflektieren und die Erfahrungen der heutigen Bewegungen in sich aufnehmen. Die Frage ist, ob ein zweijähriger Strukturprozess ohne Praxis hilfreich ist, um der Krise der radikalen Linken entgegen zu wirken. Für uns hat es zumindest nicht funktioniert.

Das Projekt Revolutionäre Perspektive (PRP) haben wir aufgelöst, machen damit aber den Weg frei, um in anderen Organisationsansätzen aktiv zu werden, mit denen wir weiter Teil der Bewegungen und Kämpfe bleiben. Wir glauben zwar an keinen geschichtlichen Determinismus und doch werden die Klassenkämpfe, emanzipatorischen Begehren und die Idee des Sozialismus bleiben, solange der Kapitalismus existiert. Ohne Garantie auf ein Happy End, aber in der Hoffnung und Möglichkeit auf ein besseres Leben für Alle!

Hamburg, 17.11.2024

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