Leipzig: Militanz, Gewalt, Feminismus, Verschwörungstheorien?

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Der Artikel versucht auf Kritikpunkte der letzten Tage in Leipzig ein zu gehen. Es wäre schön, wenn er stehen bleiben kann, auch wenn Indymedia ein Bekenner*innenschreiben nicht mehr online stehen hat. Aber Debatten scheinen nur hier möglich, da auch die Bekenner*innenschreiben hier veröffentlicht werden und auch online bleiben. (Kommentarfunktion ist deaktiviert)

In Kommentaren zum Artikel "Leipzig: Gewalt, „SoKo LinX“ nächster Angriff auf Indymedia geplant" (https://de.indymedia.org/node/44607) wurde mehrmals Kritik geäußert. Es ging um Feminismus und den Aussagen in dem Bekenner*innenschreiben zum Angriff auf die Vertreterin der Immobilienfirma für den Neubau in Connewitz. Einige Reaktionen ließen sich darauf zusammenfassen, dass für einige Feminismus bedeutet: "Ich schlage Männer und Frauen, weil ich nicht zwischen Geschlechtern unterscheide, sondern Menschen für ihr Handeln angreiffe".

Warum soll so etwas aus einer feministischen Perspektive abzulehnen sein? Die Frau kann genauso wie Männer Verantwortung für ihrere Taten übernehmen, und spürt den Schmerz nicht mehr als Männer. Und natürlich waren die Angreifer stärker als die Frau, dass kann man auch bei Angriffen auf Männer erwarten, alles anderes wähe schließlich grob fahrlässig.

Dies vernachlässigt den patriachalen Zustand dieser Gesellschaft. Im Bekenner*innenschreiben findet sich keine Erklärung, weshalb gerade die Vertreterin als Ziel der Aktion ausgewählt wurde. Was ihr konkretes Handeln war, wurde überhaupt nicht erwähnt. Was dort geschrieben stand, trifft auf unzählige Menschen aus der Immobilienbranche zu. Wo waren ihre Taten schlimmer als von der CG-Gruppe, Hildebrand & Partner, GRK...

Auch die Bedrohnung an mögliche Eigenheimbesitzer*innen an diesem Standort war pure Kraftmeierei, denn die neuen Bewohner*innen in den Eigentumswohnungen im Stadtteil wurde bisher nicht vor ihrer Wohnung aufgelauert, wie für den weiteren Neubau verkündet wurde. Was unterscheidet also diese Immobilienfirma? Was der Aktion in dem Schreiben fehlt ist eine Analyse der Situation und eine politische Zielstellung. Es bleibt völlig unklar weshalb von Bränden an Baufahrzeugen auf Angriffe in Wohnungen übergegangen wird und weshalb gerade diese Person dafür ausgesucht wurde. Ist die gesellschaftliche und staatliche Reaktion wirklich so überraschend gewesen? Gab es dazu überhaupt keine Überlegungen was der nächste Schritt, Angriff in Wohnungen von Immobilienvertreter*innen, bedeutet?

In Leipzig blühen aktuell wirklich viele "Verschwörngstheorien", dies aus vielen Gründen. Die einen mögen sich nicht vorstellen wollen, dass Genoss*innen so agieren (keinerlei Gedanken an die Folgen für die Betroffene) und sich offenbar keine Gedanken über mögliche Folgen machen. Andere können nicht verstehen, wie es einen Monat für ein Bekenner*innenschreiben nach der Aktion auf der CG-Baustelle braucht. Wozu überhaupt noch einen Text dazu schreiben? Die Ermittlungen liefen doch schon in Richtung linker Szene und die paar Sätze, die von den Medien aufgegriffen werden, waren es doch schon längst nicht mehr Wert geschrieben zu werden.

In den vergangenen Jahren sind einige Bekenner*innenschreiben veröffentlich worden, bei denen sich sicher einige gewünscht hätten, dass sie nicht geschrieben worden wären. Das Bekenner*innenschreiben zum Angriff auf die Vertreterin der Immobilienfirma ist so eines. Keine wirkliche Erklärung, keine Analyse im Text, nur Drohung und Gewalt.

Debatten innerhalb der linken Szene der Stadt, wurden wohl auch nicht verfolgt, dabei gäbe es noch einiges zu diskutieren und zu lesen - Keine Gewalt ist auch keine Lösung? (https://www.conne-island.de/nf/192/14.html#f3)

Uns ist bewusst, dass Gewalt als Mittel der Notwehr oder in stark eingeschränktem und reflektiertem Maße auch in politischen Auseinandersetzungen von Nöten sein kann. Eine Auseinandersetzung mit Gewalt und Militanz begleitet uns genau deshalb schon seit einiger Zeit.

Theorie und Praxis fallen in der Ausübung von Militanz notwendig und weit auseinander. Während es uns vernünftigerweise um die Herstellung von herrschafts- und damit auch weitgehend gewaltfreien Verhältnissen geht, bedient sich Militanz gleich einem ganzen Repertoire autoritärer, repressiver und regressiver Momente. Dieses Widerspruchsverhältnis besteht genau so lange fort, wie wir zur Durchsetzung unserer (Teil-) Ziele auf eben solche Mittel zurückgeworfen werden, wir also nicht prinzipiell auf Gewaltmittel verzichten können. Es ist hier die Aufgabe der Theoriebildung, dennoch eine Vermittlung zu solcher Praxis zu stiften, sie also zu begründen, ohne gleich Gewalt selbst zum Prinzip aufzubauschen.

Vor diesem Hintergrund lässt sich Militanz ohne Gewalt nicht denken. Das Diskutieren des Für und Wider der Gewalt hilft dem allerdings nicht ab, denn über Gewalt lässt sich pauschal schwer urteilen, weil eine solche abstrakte Beurteilung nur noch auf einen abstrakten moralischen Maßstab zurückgreifen kann. Wir gehen umgekehrt vor: Wer von Militanz spricht, muss Maßstäbe finden, die Gewalt als politisches Mittel und schließlich als linksradikale Aktionsform qualifizieren.

Was Militanz, insbesondere im linken Kontext, erst politisch macht, ist die Annahme, dass gewaltlose Mittel für die Durchsetzung politischer Anliegen nicht immer ausreichen, weil sie nicht nur an eine selbst gesetzte Grenze stoßen, sondern an eine andere, die staatliche Gewalt.

Allgemeiner gesprochen: Die bürgerliche Gesellschaft, in der wir leben, ist sowohl in ihrer Konstitution und Geschichte gewaltsam gewesen, als auch in ihren herrschaftlichen Verkehrsformen gewaltförmig angelegt. Wer nun einen Standpunkt vertritt, der sich gegen eine solche Einrichtung der Gesellschaft richtet, weil die gesellschaftliche Gewalt eine Schädigung des Einzelnen evoziert, und seine Kritik nicht nur zur Sprache, sondern auch zur Geltung bringen will, kann die Anwendung von Gewalt als politisches Mittel nicht ausschließen. Dieser Schluss ist der Einsicht geschuldet, selbst und wiederkehrend mit den Gewaltmitteln dieses Staates konfrontiert zu sein und beispielsweise der Eigentumsordnung als sozialer Gewalt permanent zu unterliegen.
An dieser Stelle ist politische Gewalt noch von einer abstrakten Parteinahme gegen das getragen, gegen das man „irgendwie“ und aus vielerlei möglichen, sinnvollen oder sinnlosen Gründen antreten möchte. Linksradikal und damit erst militant wird solches Vorgehen nur dort, wo an die Begründung für Militanz auch bestimmte inhaltliche Forderungen herangetragen werden. Das Konzept der Militanz als linksradikale Aktionsform muss sich deswegen unbedingt abgrenzen gegen Gewalt- und Militanz-Begriffe bzw. -Praxen, die sich um eine Begründung nicht bemühen und daher auch keinen vernünftigen gedanklichen Gegenpart besitzen können, der die Bindung an einen politischen Zweck stifte


Und weiter: Militanz ohne Mythen - https://phase-zwei.org/hefte/artikel/militanz-ohne-mythen-654/

Eben deshalb ist es unsinnig, Militanz per se als »richtig« oder »falsch« hinzustellen, weil ein solches meist moralisches Werturteil selbst unpolitisch ist. Gerade um das politische Element im Militanzbegriff muss gestritten werden, wenn wir uns um eine politische Praxis bemühen, die dem Mittel der Militanz nicht prinzipiell abschwören will. Dass diese Bemühung ausdrücklich betont werden muss, kündigt schon das Dilemma an, dass wohl bei vielem von dem, was als militant bezeichnet, wahrgenommen oder selbst praktiziert wird, das Politische völlig abhandenkommt oder die Verbindung zu linksradikaler Politik erst im Nachhinein voller Verlegenheit rekonstruiert werden muss. Das ganze linke Genre der BekennerInnen-Schreiben ist von dieser Masche durchzogen, und sie ist auch stilprägend für Beiträge aus Zeitschriften wie der »Interim«, »radikal« und die Indymedia-Kommentarspalte.

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