„Elendige Rechtsbeugerin“ Eine Odyssee von Abseilaktionen über Filmverbote bis zur beleidigten Richterin.

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Am Amtsgericht Braunschweig startete am 12.02.24 ein Prozess wegen Beleidigung der an Brisanz kaum zu überbieten ist. Angeklagt ist eine Person, weil sie – selber angeklagt in einem anderen Strafprozess – angeblich eine Richterin am Landgericht Braunschweig beleidigt haben soll. (Die Person nennen wir im Folgenden „Rudi“). Hört sich erst mal nicht so spektakulär an, doch der Prozess wird in diesem Fall nicht Rudi, sondern der Richterin gemacht, denn aus Sicht der Verteidigung gilt es zu beweisen, dass die vermeidliche Aussage „elendige Rechtsbeugerin“ eine wahre Tatsachenbehauptung ist. Gründe für eine solche Annahme hat die Richterin Petra Bock-Hamel in ihren Prozessen zu genüge geliefert. Diese werden in der von Justizbehörden bekämpften Doku „Unter Paragraphen II“ enthüllt.
Das große Showdown findet am 05.03.2024 um 10 Uhr im Saal A 107 statt (an der Martinikirche 8, 38100 Braunschweig). Kommt gern vorbei und bringt etwas Popcorn mit, denn es wird sicher eine filmreife Vorführung.

Chronik der Ereignisse:

 

Bericht vom 1. Prozesstag im Beleidigungsverfahren (12.02.2024)

Während auf vor der Martinikirche zu Karnevalsgetrommelt getaumelt wird, tummeln sich vor dem Amtsgericht Braunschweig eine bunte Menschenschaar. Das Gericht hatte wohl aus vergangenen offensiv geführten Prozessen mit Klimaaktivist*innen gelernt und stellte zu Beginn direkt einen größeren Saal als geplant zur verfügung, damit die Öffentlichkeit auch genug platz hat. Der Saal E 06 ist dennoch mit 20 Zuschauer*innen voll besetzt.  Im Publikum sitzen zum größten Teil Unterstützer*innen, aber auch Lokalpresse, die Anwältin der beleidigten Richterin und eventuell ein paar verwirrte Bürger*innen die dem Aufruf gefolgt sind als Statist*innen bei der Neuauflage von „Barbara Salesch – Das Strafgerich“ aufzutreten. Eine entsprechene Einladung wurde wohl ein paar Tage zuvor in den umliegenden Briefkästen verteilt.

Als Zeug*innen sind auch die beleidigte Richterin Bock-Hamel und der Staatsanwalt Fabian Londa geladen. An diesem Prozesstag werden sie jedoch nicht zu Wort kommen, denn (wie so oft in offensiv geführten Prozessen) dauert es eine Weile bis vor Beginn der Beweisaufnahme prozessuale Anträge gestellt werden. Neben Rudi sitzen 3 aktivistische Wahlverteiger*innen ohne Anwaltstitel. Nach der Personalienfeststellung des angeklagten Ökoanarcho werden die 3 Verteidigis nach nach §138 (2) StPO beantragt.  

 

Auf patriarchale Art und Weise wird die gebotene Sachkunde bei den beiden weiblich gelesenen Verteidiger*innen angezweifelt und sie werden gebeten Nachweise für ihre Jura-Kentnisse nachzureichen. Der männlich gelesene Verteidiger wird problemlos zugelassen ohne, dass er irgendetwas nachweisen muss. Hinzu kommt, dass die beiden ersten nicht binären Verteidigenden von Richterin und Staatsanwalt ständig misgendert werden. Erst nach mehrfacher und nachdrücklicher Aufforderung Bezeichnungen wie „Dame“ oder „Fräulein“ seien zu lassen fängt die erst verständnislose Richterin Busch an sich Mühe zu geben. Der Staatsanwalt jedoch behaart darauf, dass er selbst entscheidet mit welchen Pronomen er Menschen anspricht. Als er daraufhin als Frau Staatsanwältin bezeichnet wird, wird er ganz leise. Glücklicherweise wird keine*r der Verteidiger*innen abgelehnt.

 Als nächstes stellt Rudi einen Antrag auf Isolierung der Zeug*innen um zu verhindern, dass sich Staatsanwalt Londa und Richterin Bock-Hamel nach der Zeugenbefragung absprechen. In der Begründung des Antrags wird grundsätzlich Kritik an das Justizsystem geäußert und insbesondere an der Verhandlungsführung der Bock-Hamel. Der Staatsanwalt beharrt, darauf, dass Rudi diesen Antrag unterschreibt und verlangt eine Kopie. Vermutlich um zu prüfen ob er nicht noch einen weiteren Strafantrag wegen Beleidigung stellen kann. Die Richterin Busch fühlt sich durch die Kritik an der Justiz persönlich betroffen, versichert aber, dass die Zeugis keine Möglichkeit haben werden sich zwischen den Befragungen abzusprechen. Sie lehnt den Antrag jedoch aus formellen Gründen ab. Rudi wird belehrt und ihm wird Gelegenheit gegeben sich zur Sache zu Äußern. Diese Gelegenheit wird ergriffen um die lange und ebenso brisante Vorgeschichte zu diesem Verfahren zu erläutern:

 

Was zuvor Geschah:
Im August 2019 fand eine groß angelegte Aktion gegen die Autoindustrie und den Individualverkehr, namens #BlockVW statt. Im Zuge dieser großartigen Aktion wo u.a. ein mit Neuwagen beladener Güterzug gestoppt und damit die Auslieferung blockiert wurde, kam es zu Festnahmen und Strafverfahren. Als es im März 2021 zu den ersten Gerichtsterminen kam, wurde am Prozesstag mit einer Abseilaktion solidarisch die A39 blockiert um ein Zeichen zu setzen gegen Repression und eine Industrie, die, zerstört und tötet. Diese Aktion, zog wiederum ein weiteres Strafverfahren nach sich. Und so kam es im April 2022 zum großen Theater am Amtsgericht Helmstedt. Ein Tag vor dem ersten Prozesstag wurde die A39 wieder blockiert. Dieses Mal bei der Versammlungsbehörde angemeldet mit Abseilaktion und einer bunten Fahrrad Demo auf der Autobahn.  

1. Instanz des Abseilprozess (April 2022)
Das Amtsgericht wurde Schauplatz eines wilden Verfahrens mit kreativen Theathereinlagen, jubel im Publikum und eine Einstellung der Vorgeworfenen Nötigung. Übrig blieb der Vorwurf eines versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr. Am 2. Prozesstag dieses Strafbefehsverfahrens kamen die 3 Angeklagten mit dem Staatsanwalt Londa am Bahnhof Helmstedt an um zum Gericht zu laufen. Die Angeklagten nahmen den kürzesten Weg direkt zum Gericht. Herr Londa jedoch nahm einen kleinen Umweg. Ganz zufällig gerieten die 3 Angeklagten mitsamt Verteidigung in eine Polizeiliche Maßnahme, wurden festgehalten und deren Personalien kontrolliert. In der Zwischenzeit beantragte Londa beim Gericht wegen der Verspätung den Einspruch gegen die Strafbefehle zu verwerfen. Glücklicherweise konnte dem Gericht noch rechtzeitig telefonisch mitgeteilt werden, dass die Maßnahme noch andauert und es wurde gewartet. Nachdem noch etliche Beweisanträge gestellt und die Plädoyers gehalten wurden, verhängte Richter Bille eine Geldstrafe wegen versuchten gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr. Und die Verteidigung ging in Berufung.

Auf in die 2. Instanz (März 2023)
Die Sicherheitsmaßnahmen vor der 2. Instanz am Landgericht Braunschweig glichen eher einem Antiterror-Prozess als einem gegen Leute, die ein Banner an einer Autobahnbrücke aufgehängt haben. Ausweiskontrolle mit Ablichtung und doppelte Ganzkörperkontrolle, beim eintreten im Gericht und nochmal vor dem Gerichtssaal mit ausziehen und abtasten. Die absurden Sicherheitsverfügungen dauerten so lange, dass der Prozess erst mit einer Stunde Verspätung losging. Dennoch gelang es den Angeklagten und Unterstützer*innen, Bananen, ein großes schwarzes Banner und eine Konfettikanone reinzuschmuggeln. Das Schwarze Banner mit Mittelstreifen wurde als Symbol für eine Autobahn mitten im Gerichtssaal ausgerollt. Als die Justizbeamten die Autobahn wieder entfernten ernteten sie Konfetti und eine Menge Jubel aus Publikum und Anklagebank.  

Als das Schöffengericht mit der vorsitzenden Bock-Hamel den Saal betrat und die Angeklagten das Ritual des Sich-Erhebens nicht mitmachen wollten, wurden sogleich die ersten Mahnungen wegen „Ungebühr“ ausgesprochen. Jeder Versuch seitens der Angeklagten und der Verteidigung Anträge zu stellen wurden von der Vorsitzenden abgeschmettert und als ungebührliches Verhalten ins Protokoll diktiert. Es konnten nicht alle Verteidiger*innen nach § 138 II StPO beantragt werden und selbst Befangenheitsanträge wurden von der Richterin nicht entgegengenommen.

Weil Angeklagte auf ihre prozessualen Rechte bestanden Anträge stellen zu dürfen eskalierte die Situation und Nacheinander wanderten 2 Angeklagte in Ordnungshaft, Menschen aus dem Publikum wurden des Saales Verwiesen und eine Verteidigende Person wurde nachträglich wieder abgelehnt. Alle Ordnungsmittel wurden durchgesetzt, ohne rechtliches Gehör zu gewähren, was ebenfalls ein grober Einschnitt in prozessuale Rechte darstellt. Diese Prozessführung grenzte offensichtlich an Rechtsbeugung und konnte dank heimlichen Tonaufnahmen dokumentiert werden.

Nach einigen Stunden platzte der Prozess und wurde ausgesetzt.

 

Weil eine angeklagte Person in diesem Prozess die Vorsitzende Bock-Hamel „elendige Rechtsbeugerin“ bezeichnet haben soll, stellte Präsident am LG Groß als Dienstvorgesetzter der Bock-Hamel Strafantrag wegen Beleidigung.

 

Zensur und Filmverbote

Aus den Tonbandaufnahmen wurde der justizkritische Dokumentarfilm "Unter Paragraphen 2" zusammengeschnitten. Zur Filmpremiere vor dem Landgericht am 12.10.2023 waren ca 30 Teilnehmende, ca. 50 Cops erschienen. Außerfdem die Richter Herr Löde, Herr Döring, Herr Bruns und die Richterin Bock-Hamel persönlich die wohl etwas dringendes mit der Einsatzleitung zu besprechen hatte. Etwa 5 Minuten nach Beginn der Filmvorführung hieß es „Zugriff!“ und es wurden Laptop und Beamer beschlagnahmt, sowie Filmemacher und Versammlungsleitung festgenommen, die trotz vor Ort erfolgter Personalienfeststellung für 4 Stunden in Polizeigewahrsam festgehalten wurden.

 Eine vorläufige rechtliche Bewertung dieses Vorgangs seitens der Veranstalter*innen findet sich hier.

Selbst auf YouTube wurde kurze Zeit später der Film wegen „behördlichen Ermittlungen“ (in Deutschland) Zensiert. Ein weiterer Versuch den Film am 10.02.2024 in einem Jugendzentrum zu zeigen wurde ebenfalls unterbunden indem die Staatsanwaltschaft beim Jugendzentrum anrief und mit einer polizeilichen Räumung drohte sollte der Film gezeigt werden.

Bock-Hamel beantragt Zulassung der Nebenklage und eine Pflichtverteidigung

In der Strafsache wegen Beleidigung hatte das Amtsgericht Braunschweig mittlerweile Anklage erhoben und einen Hauptverhandlungstermin angesetzt. Zu dem waren Richterin Bock-Hamel und Staatsanwalt Londa als Zeug*innen geladen.
Da die Zeug*innenposition eine sehr undankbare Position im Gerichtssaal ist, versuchte Bock-Hamel dieser zumindest teilweise zu entkommen und beantragte, in dem Verfahren als Nebenklägerin auftreten zu dürfen. Bock-Hamel lässt sich in dem Verfahren von Rechtsanwältin Rieke aus Braunschweig anwaltlich vertreten und beantragte, um noch eins draufzusetzen, dass ihr diese als Pflichtverteidigung beigeordnet wird.

 

Die Begründung des Zulassungsantrags war haarsträubend:
„Als Nebenkläger*in kann sich nach dieser Vorschrift anschließen, wer als Verletzter/Verletzte aufgrund schwerer Folgen der Tat ein besonderes Interesse hat. Dies ist vorliegend der Fall. Bereits in der Vergangenheit ist bei vielen Verfahren deutlich geworden, dass die Verfahrenstaktik der dortigen Angeklagten darauf hinausläuft, insbesondere die ihren Verfahren Vorsitzenden Richter*innen - wie es in den dortigen Veröffentlichungen heißt - „von ihrem hohen Stuhl herunterzuholen" und im Zeugenstand im Hinblick auf ihre berufliche Tätigkeit bloßzustellen. So wurden während der Verhandlung gegen den hiesigen Angeklagten widerrechtliche Filmaufnahmen gefertigt und unter anderem hieraus ein etwa 2-stündiger Film mit dem Namen „Unter Paragraphen II" über die Geschädigte gefertigt und auf Youtube veröffentlicht. Einziger Inhalt des Filmes ist die Diffamierung der Geschädigten im Rahmen ihrer Berufsausübung mit eher weniger rechtlich haltbaren Ausführungen des Kommentators.
Derselbe Film sollte dann im Rahmen eines groß angekündigten „Happenings" an die Wand des Landgerichts Braunschweig geworfen und veröffentlicht werden. Hierbei war der Angeklagte anwesend. Die Vorführung wurde durch die Polizei unterbunden. Bei dem Film „Unter Paragraphen I" wird anhand der Diffamierung eines Amtsrichters verdeutlicht, dass die Beleidigung eines Richters/einer Richterin als Rechtsbeuger*in eben genau dazu dient, die oben genannten Personen in den Zeugenstand zu verpflichten, um sie dort fertig zu machen und das Ganze wiederum in Form eines Youtube-Filmes zu veröffentlichen. Hierdurch entstehen nicht nur erhebliche gravierende Folgen im Rahmen der Berufsausübung meiner Mandantin, sondern es sind auch ebenso erhebliche gesundheitliche Folgen bei der Geschädigten zu erwarten. So war die Geschädigte nach der versuchten Vorführung des Filme im Oktober 2023 zwei Wochen krankgeschrieben.“

Soso, das ist aber eine wilde Verschwörungstheorie… Rudi habe die Richterin gezielt beleidigt, um sie in den Zeug*innenstand zu zwingen... Der Nebenklageantrag wurde korrekterweise abgelehnt. Bock-Hamels anwaltliche Vertretung erschien dennoch im Gerichtssaal, statt als Nebenklägerin dann eben im Publikum.

 

Zurück zur Hauptverhandlung im Beleidigungsprozess:
Nach Rudis Einlassung, in welcher die oben beschriebene Chronik wiedergegeben wurde ohne darauf einzugehen, ob und was für eine Beleidigung gefallen seien könnte, war keine Zeit mehr die Zeugis zu hören und ein weiterer Prozesstag wurde für den 16.02.24 vereinbart.

An diesem zweiten Prozesstag wurde lediglich der Staatsanwalt Fabian Londa vernommen. Der konnte sich, wie zu erwarten, insgesamt an wenig erinnern. Wohl aber ganz genau an die Beleidigung. Dreimal versicherte, er die Beleidigung „elendige Rechtsbrecherin“ gehört zu haben. Als Richterin Busch ihm vorhielt, in seinem Sitzungsvermerk habe er das Wort „Rechtsbeugerin“ benutzt, korrigierte Londa sich direkt. Was im Vermerk steht, sei natürlich korrekt. Er berichtete, dass er den Sitzungsvermerk an das zusändige Dezernat weitergeleitet habe. Dieses petzte den Vorgang beim Präsidenten des Landgerichts (Herr Groß), welcher daraufhin als Dienstvorgesetzter der Bock-Hamel Strafantrag stellte.

In seiner Vernehmung gab Londa an, auch er habe mitbekommen, dass die Verteidigung ständig versucht hatte Anträge zu stellen, was ihr konsequent verweigert wurde. Er selbst könne sich nicht mehr dran erinnern, ob er selbst in der streitgegenständlichen Verhandlung Anträge gestellt habe, von der Vorsitzenden dazu aufgefordert wurde oder gar Anträge von Bock-Hamel vorformuliert bekam, die er dann nickend als die seinen übernahm.

Nach fast 3 Stunden Verhandlung ging auch der 2. Prozesstag zu Ende. Am 5.03.2024 findet nun das Große Showdown statt. Die Richterin Bock-Hamel wird vernommen - im größten Saal, den das Gericht zu bieten hat (A 107). Außerdem soll der Film „Unter Paragraphen II“ auszugsweise gezeigt und mit der beleidigten Richterin erörtert werden.

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